Kommentar zu NACHGEDACHT 106: „Leben wir in der besten aller möglichen Welten?“, Originalartikel über die Philosophie von Leibniz verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 18.1.2015 von osthessen-news.de
Warum sind die Menschen böse und nicht nur gut?*
Weil es Menschen gibt, die meinen, festlegen zu können, was böse und gut ist. Und damit das auch jeder glaubt, behaupten sie einfach, dass diese Bewertung Gottgegeben sei. Damit entziehen sie sich nicht nur jeder Kritik, sondern auch jeder Glaubwürdigkeit. Die eigentliche Frage ist deshalb: Warum verhalten sich Menschen unfair gegenüber anderen Menschen oder der Umwelt und nicht nur fair?
Die Frage „Warum gibt es das Böse?“ ist besonders jetzt – angesichts von Terror und Gewalt in der Welt – aktuell.*
Noch aktueller ist die Frage: „Wer sagt eigentlich, was das Böse ist?“ Oder: „Warum hat sich die Menschheit noch nicht unabhängig von Religionszugehörigkeit darauf einigen können, was ‚Gut‘ und was ‚Böse‘ ist?“ – Ganz einfach, weil Gut-Böse-Dualismen gar nicht geeignet sind, die irdische Wirklichkeit zu beschreiben.
Wer oder was ist „Das Böse“?
„Das Böse“ gibt es deshalb auch nur im Sprachgebrauch von Gruppen oder Menschen, die es mit der Wirklichkeit und Wahrheit sowieso nicht so genau nehmen oder die sich anmaßen festlegen zu können, was „das Böse“ ist: Science Fiction, Präsidenten, Religionen…
Die Tatsache, dass es „das Böse“ nicht gibt, heißt natürlich nicht, dass es nicht auch extrem unethisches und deshalb keinesfalls akzeptierbares Verhalten gibt. Die Bewertung eines solchen Verhaltens darf aber nicht aufgrund den Wertemaßstäben einer Religion erfolgen.
Grundlage für eine weltweit, also für alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Gruppenzugehörigkeit, Wohnort oder Glauben verbindliche Ethik kann nur das höchste Ziel des Humanismus sein. Die größtmögliche Freiheit des Individuums, ohne gleichberechtigte Interessen anderer zu beeinträchtigen. So wie es ja auch bei modernen Grundgesetzen säkularisierter Länder oder bei den Menschenrechten der Fall ist.
Theodizee und der liebe Gott
Das ständige und dauernde Vorhandensein von Terror und Gewalt bringt Menschen, die an einen allmächtigen, gütigen Gott glauben, in arge Bedrängnis und Erklärungsnot, was schon zu abenteuerlichen Scheinargumentationen und schillernden theologischen Phantastereien geführt hat.
Wenn wir unterstellen, dass mit „das Böse“ unethisches Verhalten gemeint sein soll: Abhängig von der Prägung ihres Unterbewusstseins können Menschen eine höchst unterschiedliche Vorstellung davon haben, was „Gut“ und was „Böse“ bedeutet.
Sollte mit „das Böse“ unbeeinflussbare Phänomene wie Naturkatastrophen gemeint sein, so hilft die Erkenntnis weiter, dass es in der Natur kein „Gut“ und „Böse“ gibt. Die Natur kennt keine Moralismen. Diesen Denkfehler findet man nur bei Menschen. Alles, was geschieht, ist die Folge von etwas, was dazu geführt hat. Das ist genausowenig gut oder böse wie 2 plus 2 = 4 gut oder böse ist.
Leibniz und die beste aller möglichen Welten
Und wie passt Gottfried Wilhem Leibniz´ These „Wir leben in der besten aller möglichen Welten.“ dazu? Viele Fragen und die Antworten darauf werfen neue Fragen auf. Es gibt zwei Begründungsmodelle, die ich ihnen*
Wem?
nur ansatzhaft vorstellen möchte, denn um die Gänze dieser Theorien zu verstehen, bedürfte es mehr als ein paar Zeilen.*
Manche Dinge sind es wert, dass mehr als ein paar Zeilen über sie geschrieben und gelesen werden, besonders, wenn die Aussicht auf eine tatsächliche Erkenntnis besteht, die ohne einen fiktiven Gott auskommt.
Die Theologie spricht von „free will defense“, wenn sie erklären möchte, dass Gott uns frei geschaffen hat.*
Damit stellt sich einmal mehr die Frage, wofür Theologie überhaupt nützlich sein soll, wenn sie sich nicht an die reale Wirklichkeit hält. Da alles gegen und nichts für die Existenz von Göttern spricht, ist bis zum Beweis des Gegenteils nicht davon auszugehen, dass wir von Göttern erschaffen wurden.
Damit erübrigt sich auch jedes Nachdenken darüber, ob wir angeblich „frei“ oder „unfrei“ „geschaffen“ wurden. Was hätten die vielen schlauen Köpfe nicht schon alles Nützliches für die Menschheit erreichen können, wenn sie sich statt mit Fiktionen und Hirngespinsten lieber mit den Herausforderungen der irdischen Wirklichkeit befasst hätten?
Der freie Wille – frei wovon?
Der Mensch kann sich gegen oder für Gott entscheiden.*
Das kann er eben nicht, jedenfalls nicht aus freiem Willen. Ein Mensch kann sich nur gegen oder für etwas entscheiden, wie es ihm aufgrund der Prägung seines Unterbewusstseins möglich ist. Die Fähigkeit einer freien Willensentscheidung würde voraussetzen, dass sich ein Mensch auch gegen die Prägung seines Unterbewusstseins für oder gegen etwas entscheiden könnte, was er nicht kann.
Jede Entscheidung (die wir durchaus als „freie Willensentscheidung“ wahrnehmen) ist durch kurz vorher stattgefundene neuronale Prozesse im Unterbewusstsein determiniert.
Er kann also in gutem Sinne handeln und sich quasi für das Göttliche, das Gute, entscheiden, oder er entscheidet sich dafür, schlechte Handlungen zu vollziehen.*
Eine solche Annahme würde erstmal voraussetzen, dass für alle Menschen dasselbe „Gut“ und „Schlecht“ gilt. Dass dies mitnichten der Fall ist, zeigt jedes Selbstmordattentat, aber auch jede heuchlerische Lüge, es gäbe einen wie auch immer gearteten Gott.
Nicht alle Religionen haben das gleiche Verständnis von Gott
Schlechte Handlungen sind demnach von Gott nicht gewollte Freiheitsverfehlungen. Natürlich möchte er, dass wir in seinem Sinnen handeln. Wie das allerdings von uns ausgelegt wird, ist wieder eine Sache der Freiheit und muss nicht immer richtig sein. Man bedenke: Nicht alle Religionen haben das gleiche Verständnis von Gott.*
Religionen haben überhaupt kein Verständnis von Gott, sondern Menschen, die einer bestimmten Religion (in den allermeisten Fällen derselben Religion wie ihre Eltern) angehören, haben ein erdachtes (Gruppen-)Verständnis von Gott.
Ein Gott, der erst Gesetze erlässt und es dann den Menschen überlässt, wie sie sie interpretieren, wäre sowieso vollkommen beliebig und damit irrelevant. Denn niemand kann redlicherweise von sich behaupten, das „richtige“ oder auch nur „richtigere“ Verständnis von Gott zu haben.
Leibniz´ These wurde natürlich kritisiert, besonders, da er behauptete, dass das Böse in der Welt sei, um das Gute zu erkennen. Das stimmt zwar, aber wir brauchen doch nicht wirklich immer das Böse, um das Gute wirklich anzuerkennen?!*
Was jetzt – stimmt es, oder stimmt es nicht? Auch ein Leibniz konnte logischerweise nur Aussagen basierend auf dem damaligen Entwicklungsstand der Menschheit treffen.
Wie kann man dann behaupten, dass unsere Welt dennoch so in Ordnung ist, dass unsere Welt nicht dem Untergang geweiht ist, sondern mit ihren zwei Seiten – böse und gut – existenzielle Berechtigung hat?*
Unsere Welt – dem Untergang geweiht?
Die Welt ist weder „in Ordnung“ noch „nicht in Ordnung“, die ist einfach. Sie hat auch keine „zwei Seiten.“ Böse und gut sind von Menschen mehr oder weniger willkürlich festgelegte Größen, abhängig vom jeweiligen Wertemaßstab. Und in weiten Teilen auch abhängig vom Grad der Säkularisierung.
Religiöse „Gut“ und „Böse“ gehen zurück auf eine vormittelalterliche Zeit, lange vor der Erfindung von Menschenrechten oder Grundgesetzen. Und sind deshalb nicht für eine Ethik für Menschen des 21. Jahrhunderts geeignet. Zumal sie nur für Angehörige der jeweiligen Religion gelten. Auf geheimnisvolle „Mächte des Bösen“ trifft man heute nur noch in entsprechenden Blockbustern. Und im Fuldaer Dom, wo Herr Bischof Algermissen seinen Schafen damit immermal gerne einen Schrecken einjagt.
Die „free will defense“ erfährt noch eine Konkretisierung in der „natural law defense“, die auf Leibniz fußt.*
Wikipedia über Leibniz: Im Prinzip setzt er sich zwischen alle Stühle. Die Kirche war zwar froh, dass ein so berühmter Universalgelehrter sich noch auf Gott bezog. Mit der Theologie der Monadenvorstellung, die keinerlei Anhaltspunkte für die Macht- und Wahrheitshüterbegründung der Kirche enthielt, war die Kirche nicht wirklich glücklich. Unter den Aufklärern setzte sich die Atomlehre durch und die Monadenlehre des Leipnitz wurde schnell als untauglicher Kompromissversuch durchschaut. Bereits Kant greift nicht mehr darauf zurück.
Dies waren nur Ausschnitte der Theorien, die versuchen, die Welt und wie sie tickt, zu verstehen.*
Wie gewohnt selektiv so zusammengestellt und interpretiert, dass sich das gewünschte Bild ergibt und damit ein weiterer, angeblicher Nachweis für die Bedeutsamkeit und Richtigkeit des religiösen Gedankenkonstrukts erbracht wurde.
Sie stoßen – wie viele Theorien – auf Grenzen und sie sind hoch philosophisch und extrem abstrakt.*
Richtig abstrakt wird es, wenn man krampfhaft versucht, einen von Menschen erdachten und noch niemals in Erscheinung getretenen Gott irgendwie ins Spiel zu bringen. Mit dieser Aufgabe haben sich schon unzählige Menschen befasst und dabei die abenteuerlichsten Theorien aufgestellt – als sich einfach damit zu befassen, was real und tatsächlich vorhanden ist, das ist nämlich zudem noch viel wunderbarer und mystischer als jede Gottesvorstellung.
Was tun? Sprach Zeus…
Was sollen wir also machen? Wie sollen wir damit umgehen, wenn uns die Theorien nicht helfen? Ich denke, wir müssen damit leben, dass Gott ein Geheimnis ist, dass er immer noch einmal anders ist, als wir es uns vorstellen. Damit müssen wir leben, das Beste tun und das Beste hoffen.*
Genau, davon wirds auch bestimmt gleich besser, wenn alle das Beste tun und hoffen. Dumm nur, wenn man sich nicht einig ist, was denn das „Beste“ ist: Nächstenliebe oder Selbstmordattentat? Es ist diese Ich-habe-die-absolute-Wahrheit-Arroganz, die immer wieder in solchen Aussagen zum Ausdruck kommt: Wir müssen eben nicht damit leben, dass Gott ein Geheimnis ist, wir können uns alle diesbezüglichen Theorien und Behauptungen einfach schenken und uns verantwortungs- und selbstbewusst mit dem befassen, was tatsächlich existiert.
Gott kann nicht anders sein, als wie wir ihn uns vorstellen, weil er bis zum Beweis des Gegenteils lediglich nichts weiter als eine Vorstellung ist. Dadurch ist jeder Gott beliebig austauschbar, während wissenschaftliche Erkenntnisse mit wissenschaftlichen Methoden gewonnen wurden und bis zum Beweis des Gegenteils als allgemeingültig gesichert gelten. Der Gravitation ist es egal, ob jemand an sie glaubt, sie wirkt auch so.
Die bestmögliche aller möglichen Welten, logisch widerlegt
- Definition D1: Gott ist ein perfektes ideales Wesen.
- Prämisse P1: Gott hat bewusst planend und vorauswissend das Universum mit der Möglichkeit des Lebens darin geschaffen.
- Theorem T1: Wenn Gott das Universum und das Leben darin bewusst geschaffen hat und ein perfektes ideales Wesen ist, dann muss es die bestmögliche aller möglichen Welten sein.
- Prämisse P2: In der Welt gibt es unerträgliches, unproduktives Leid über ein nachvollziehbar notwendiges Maß hinaus.
- Konklusion K1: Die Welt ist nicht die bestmögliche aller möglichen Welten.
- Konklusion K2: Es gibt keinen Gott nach Definition D1 unter Prämisse P1.
Buchtipp zum Thema Leibniz**
- Leibniz war kein Butterkeks
Gibt es einen Grund dafür, dass wir existieren? Warum gibt es so viel Leid in der Welt? Wie finden wir den Weg zum Glück? Und warum macht Sex Spaß, Sterben jedoch nicht?Im Gespräch mit seiner Tochter Lea behandelt Michael Schmidt-Salomon die großen und kleinen Fragen des Lebens. Ein Buch, das Lust aufs Philosophieren macht – für alle, die es wissen wollen und die Neugier nicht verloren haben, danach zu fragen.- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort: Wie die Idee zu diesem Buch entstand
- Leibniz war kein Butterkeks: Webseite zum Buch
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