Kommentar zu NACHGEDACHT 141: Zweierlei Maß

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Kommentar zu NACHGEDACHT 141: Zweierlei Maß, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 20.09.2015 von osthessen-news.de

Wenn wir die Maße an Gegenständen nehmen, können wir uns auf den Zollstock verlassen. Die Meter und jeder Zentimeter sind genormt und damit sicher richtig. Jeder andere, der diesen Zollstock benutzt, hätte dasselbe gemessene Ergebnis. Eine Täuschung wäre kaum möglich.*

Meter und Zentimeter sind festgelegte Normierungen, die nichts darüber aussagen, ob sie „richtig“ oder „falsch“ sind – sie sind wertneutral. Nebenbei bemerkt: Ein Zollstock, also ein Maßgerät mit einer anderen Einheit als Zentimeter, ist deswegen nicht weniger richtig, er repräsentiert nur eine andere Norm.

[…] Leider gibt es hier viel mehr Möglichkeiten zu messen – oder besser: zweierlei Maß zu nehmen. Doppelmoral nennt man es, wenn unsere Mitmenschen oder wir selber das exakt selbe Verhalten unterschiedlich bewerten.*

Das liegt in der Natur der Sache begründet und recht einfach zu erklären, wenn man sich vor Augen führt, dass „Moral“ keine allgemein verbindliche Größe, sondern eine mehr oder weniger subjektive, partikuläre Festlegung ist. Was für die Zugehörigen der einen Gruppe moralisch einwandfrei in Ordnung ist, kann für die einer anderen Gruppe vollkommen ausgeschlossen, weil aus ihrer Sicht „unmoralisch“ sein (Beispiele: Selbstmord-Attentate, sexuelle Präferenz, Pelzträger…). Deshalb kann es auch überhaupt erst eine Doppelmoral geben, jedoch keine Doppelethik, weil eine Ethik für alle Menschen gelten muss, egal wo sie wohnen, welcher Gruppe sie angehören, woran sie glauben (oder auch nicht), wie sie die Welt sehen und unabhängig davon, ob sie männlich, weiblich oder beides sind.

Deshalb ist Moral auch nicht als Richtschnur für das Zusammenleben der Menschen im 21. Jahrhundert geeignet – dafür bedarf es einer Ethik, die unabhängig von Glaube, Gruppenzugehörigkeit, Geschlecht, Wohnort und Weltanschauung als allgemein und global verbindlich anerkannt werden kann. Religiöse Moralismen scheiden als Vorgabe für eine Ethik schon deshalb aus, weil sie nur für die Zugehörigen der jeweiligen Religion gelten. Nicht „Gut“ und „Böse“, „wahr“ und „falsch“ sind geeignete „Maßeinheiten“, sondern „fair“ und „unfair“.  Diese „Maßeinheit“ ist nicht auf (religiösen) Dogmen oder auf dem Wertesystem einer abgegrenzten (Glaubens-)Gruppe oder Ideologie aufgebaut, sondern auf der höchstmöglichen Freiheit des Individuums („Tue was du willst, ohne das Wohl Anderer oder der Umwelt zu beeinträchtigen.“)

Ein Beispiel: Jemand fordert von uns ein Verhalten ein – zum Beispiel „Hör auf zu lügen!“ – derjenige greift aber immer wieder selbst zu Lügen, um Wahrheiten zu vertuschen. […]*

Neben einem absichtlichen Fehlverhalten wie das der bewussten Lüge gibt es auch eine weniger offensichtliche Form der Lüge. Wer zum Beispiel öffentlich behauptet, es gäbe tatsächlich, also real und in unserer Wirklichkeit einen Gott, der verstößt damit (bis zum Beweis des Gegenteils) gegen eines der Gebote, das die Religionsführer eben diesem Gott in vormittelalterlicher Zeit in den Mund gelegt hatten: „Du sollst nicht lügen.“  Ein Dilemma, das vielen Gläubigen vermutlich nicht bewusst ist und das sie wahrscheinlich nicht als solches wahrhaben (wollen).

Nebenbei bemerkt: Ein dogmatisches „Du sollst nicht lügen“ ist nicht immer mit ethischem Verhalten in Einklang zu bringen. Wer im 3. Reich den Nazis treuherzig verraten hat, wo sich jüdische Menschen versteckt halten, der handelte damit zwar gemäß seines Gebotes, allerdings auch höchst unethisch.

Und so ärgerlich wie das ist, müssen wir uns aber klar machen, dass Doppelmoral menschlich ist.*

(Doppel-)moral  ist zwar von Menschen erdacht, aber deswegen keineswegs eine typisch „menschliche“ Sache. Menschen haben die Fähigkeit, von Menschen definierte Moralismen zu überwinden und stattdessen ein ethisches Verhalten anzustreben. Jedes Individuum, von der Protozelle bis zum Menschen, verfolgt natürlicherweise das „Prinzip Eigennutz“, gemeint ist damit die „Mehrung von Wohl und die Minderung von Wehe.“ Mit einem Wertesystem, das auf diesem natürlichen Prinzip beruht, können Moral und Doppelmoral getrost im Geschichtsbuch abgelegt werden.

Und immerhin haben wir die Fähigkeit zu merken, dass ein Fehler gemacht wurde. Wie aus so vielen Dingen im Leben, müssen wir auch daraus lernen und uns immer wieder fragen: Habe ich jemanden so behandelt, wie ich selbst nicht behandelt werden möchte?*

Diese Fähigkeit zur Selbstkritik ermöglicht es den Menschen, Fehler zu erkennen und ihr Verhalten augfrund dieser Erkenntnis zu verändern. Und deshalb darf man auch an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen glauben.

*Das Online-Portal Osthessennews fordert jede Woche unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ mit „liberal-theologischen“ Gedanken zum Nachdenken auf. Alle als Zitat gekennzeichnete Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.

 

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