Das Wort zum Wort zum Sonntag, verfasst von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 9.4.2016 von ARD / daserste.de
[…] Da begegnet uns diese überzogene Cleverness. Mit der hat es eben auch der Apostel Paulus zu tun und er fragt ein bisschen ironisch „Soll ich euch dafür loben? Nein, dafür kann ich euch nicht loben“, stellt er klar.
Wie immer, wenn Christen aus der Bibel zitieren, lohnt sich ein Blick auf den Text, aus dem die jeweilige Zeile herausgepickt wurde. Der Korintherbrief enttäuscht erwartungsgemäß nicht. Das, was Paulus für nicht lobenswert hält, ist das Verhalten der Gottesdienstbesucher, die eigene Speisen und Getränke zum Gottesdienst mitbringen und diese nicht mit den anderen teilen. So weit, so harmlos.
Ein ganz anderes Bild hinterlässt derselbe biblische Autor mit seinen Ansichten, die er nur wenige Zeilen vorher zum Besten gibt:
- Ihr sollt aber wissen, dass Christus das Haupt des Mannes ist, der Mann das Haupt der Frau und Gott das Haupt Christi. (Quelle: 1. Kor 11,3, EU)
- Der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er Abbild und Abglanz Gottes ist; die Frau aber ist der Abglanz des Mannes. Denn der Mann stammt nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann. Der Mann wurde auch nicht für die Frau geschaffen, sondern die Frau für den Mann. (Quelle: 1. Kor 11:7-9, EU)
Was ist wohl von den moralisch-ethischen Standards eines Menschen zu halten, der ein solches Frauenbild vertritt? Wieso sollten dessen vormittelalterliche Ansichten für unsere heutige Zeit relevant sein?
Und schließlich, die spannendste Frage: Woher weiß Herr Dr. Beck, dass ausgerechnet die von ihm gewählte Zeile gelten soll, während er das wenige Zeilen weiter oben beschriebene Frauenbild heute wahrscheinlich (bzw. hoffentlich) nicht herauspicken dürfte, um eine Behauptung biblisch zu untermauern?
Nun, ich glaube, dass es gegenüber dieser überzogenen Cleverness auch eine gute Naivität geben kann. Vielleicht ist diese Naivität manchmal so, dass sie verschlafen wirkt, vielleicht ein bisschen dumm. Aber ich glaube, es gibt auch eine gute, eine sympathische Naivität.
Diese Aussage lässt vermuten, dass Herr Dr. Beck die Begriffe „Klugheit“ und „Unfaires Verhalten“ durcheinandergebracht hat. Es ist ein Unterschied, ob jemand viel weiß oder ob jemand dieses Wissen für unfaires Verhalten verwendet. Und es ist immer verdächtig, wenn Naivität als etwas Positives dargestellt wird, besonders in religiösem Kontext – da ist Naivität nämlich äußerst dienlich, ja sogar überlebenswichtig:
- „Denn die Kirche lebt in letzter Analyse in guten wie in schlechten Zeiten vom Glauben derjenigen, die einfachen Herzens sind.“
– Benedikt XVI. alias Kardinal Ratzinger, Interview 1988 mit „Die Presse“, Wien (zitiert nach John L. Allen, Joseph Ratzinger, 2002)
Einmal mehr zeigt sich, dass Religionen als Ethikquelle für die Bevölkerung im 21. Jahrhundert nicht geeignet sind. Naivität darf keine Voraussetzung für faires Verhalten sein, genausowenig wie unfaires Verhalten mit Wissen gerechtfertigt werden darf. Die Ansichten von Menschen, die der Meinung sind, dass die Frau für den Mann geschaffen sei, spielen für diese Überlegungen keine Rolle mehr.
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