Kommentar zu: 28. Motorrad-Gottesdienst – Etwa 200 Biker kamen zum traditionellen „Anlassen“

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Kommentar zu: 28. Motorrad-Gottesdienst – Etwa 200 Biker kamen zum traditionellen „Anlassen“, Originalartikel verfasst von Miriam Rommel, veröffentlicht am 17.04.16 von Osthessennews

[…]Jedes Jahr um die gleiche Zeit holen sich hier Biker aus der gesamten Region den kirchlichen Segen für die kommende Motorradsaison.*

Es wäre interessant, diese Menschen einmal zu befragen, wie sie sich die Wirkungsweise eines „kirchlichen Segens“ genau vorstellen. Ob die wirklich ernsthaft davon ausgehen, dass irgendein überirdisches Wesen tatsächlich besonders auf sie oder auf ihre Motorräder aufpasst, weil sie sich haben segnen lassen?

Also ob sie wirklich ehrlich echt ernsthaft der Meinung sind, dass aufgrund dieser Segnung irgendetwas durch eine göttliche Einwirkung anders geschieht, als es ohne diese Zeremonie geschehen würde? Wieviele technische Geräte gibt es, die auf Basis religiöser Ideen oder Grundlagen funktionieren?

Jeder, so Pfarrer Schneider, sei süchtig nach Freiheit, nach Liebe und Geborgenheit. „Danach suchen wir und wir können das auch finden.“

Hier wirft Herr Schneider die Bedeutung verschiedener Begriffe durcheinander – er verwechselt ganz offenbar „süchtig sein“ mit „sich sehnen nach.“ Der Begriff Sucht hat, als Synonym für Abhängigkeit, auf jeden Fall eine negative Konnotation (Hervorhebung von mir):

  • Abhängigkeit (umgangssprachlich Sucht) bezeichnet in der Medizin das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums. (Quelle: Wikipedia)

Süchtig zu sein, sich nach etwas zu sehnen, sei nicht immer schlecht. „Gott hat uns die Sehnsucht und Hoffnung gegeben, für unsere Ziele zu kämpfen.“

Süchtig zu sein ist immer schlecht, weil eine Sucht die freie Entfaltung einer Persönlichkeit beeinträchtigt und die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums zerstört (s. o.). Sich nach etwas zu sehnen ist natürlich nicht immer schlecht, bedeutet aber eben auch etwas ganz anderes als süchtig nach etwas zu sein.

Und natürlich ist es schlicht unsinnig, irgendwelche Aussagen darüber zu treffen, was ein Gott uns angeblich gegeben hat, solange Gott nichts weiter als ein Hirngespinst mit beliebig definierbaren Eigenschaften und Absichten ist. Jeder, der Menschen gegenüber sagt, was Gott angeblich möchte oder macht, täuscht sie und führt sie in die Irre.

Zutreffend wäre die Aussage, dass es Menschen gibt, die sich einen Gott ausgedacht haben und von dem sie behaupten, dieser Gott hätte den Menschen irgendetwas gegeben. In der christlichen Gottesvorstellung mag Gott vielleicht Menschen die Sehnsucht und Hoffnung gegeben haben, für ihre Ziele zu kämpfen – diesem Streben nach individueller Selbstverwirklichung stehen aber direkt permanente Strafandrohungen gegenüber.

Mit einem Seitenhieb auf die aktuelle Jan Böhmermann Affaire mahnte Schneider, nicht kleinkariert und ängstlich zu sein. Tolerant und offen anderen gegenüber zu sein, seien grundchristliche Werte.

Ausgerechnet „grundchristlich“ sind Werte wie Toleranz und Offenheit anderen gegenüber definitiv nicht – das genaue Gegenteil ist der Fall. Grundchristlich gesehen bezieht sich Nächstenliebe bestenfalls auf die gleichgesinnten Glaubensbrüder und -schwestern.

Wie mit allen anderen zu verfahren ist, wird in der Bibel mehr als deutlich beschrieben: Schon allein für das „Vergehen“, an einen anderen oder an keinen Gott zu glauben, drohen unmissverständlich Qualen und Todesstrafe, wahlweise oder auch ergänzend durch die Gläubigen und/oder durch Gott persönlich in Form von jenseitiger ewiger (!) Höllenqualen zu vollstrecken.

Die negativen Auswirkungen dieser archaisch-inhumanen christlichen „Moral“ spüren wir bis heute, wenn zum Beispiel der Fuldaer Bischof Algermissen in seiner österlichen Hasspredigt Un- oder Andersgläubige als „große Gefahr für ihre Mitwelt“ beschimpft.

Ich könnte noch etliche weitere Beispiele nennen, wie kirchliche und kirchennahe Einrichtungen ihre nicht vorhandene Kritikfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben und täglich unter Beweis stellen.

Toleranz und Respekt (auch Menschen mit anderen Meinungen und anderer Weltsicht gegenüber) sind Werte der Aufklärung und des Humanismus, nicht des Christentums mit seiner partikularistischen, heuchlerischen, bigotten „Nächstenliebe.“

Nachdem Pfarrer Schneider die Motorräder vor der Kirche gesegnet hatte, machten alle eine gemeinschaftliche Ausfahrt mit den Bikes.

Es ist geradezu eine Beleidigung der menschlichen Fähigkeiten, ein technisches Meisterwerk wie ein Motorrad im Namen von fiktiven Göttern zu segnen. Man fühlt sich an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ erinnert und fragt sich, wie man es schafft, 200 zumindest volljährigen Menschen in einer obskuren Zeremonie vorzugaukeln, dass irgendein ausgedachtes überirdisches, angeblich allmächtiges Wesen auf irgendwelche Wünsche einer bestimmten Trockennasenaffenart eingehen und den Lauf der Dinge auf diese Bitten hin anders als ursprünglich geplant gestalten würde.

„Auch wenn viele der Motorradfahrer nicht unbedingt Kirchengänger sind, ist ihnen der kirchliche Segen sehr wichtig. Die Zeiten haben sich geändert, heute wird Gläubigkeit einfach anders gelebt als noch vor 50 Jahren“, sagte Pfarrer Schneider im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS.

Motorradfahrer in der Mongolei
Motorradfahrer in der Mongolei:
Unsicherer unterwegs mangels christlichem Segen?

Ich wage stark zu bezweifeln, dass es tatsächlich der kirchliche Segen ist, der den Motorradfahrern sehr wichtig ist. Für viel wahrscheinlicher halte ich es, dass auch dieser Brauch sein Überleben der Gewohnheit und dem Gruppenerlebnis verdankt, wie alle anderen religiösen Feste auch.

Was früher mal der eigentliche Grund einer religiösen Zeremonie war, ist heute nur noch notwendiges Übel, das man für eine Feier (Taufe, Erstkommunion, Firmung/Konfirmierung, Hochzeit, Weihnachten, Ostern, Beerdigung…) eben in Kauf nehmen muss, wenn man den feierlichen kirchlichen Rahmen in Anspruch nehmen möchte.

Das alles hat mit Gläubigkeit zum Glück nichts mehr zu tun, sondern mit Gewohnheit, übriggebliebener Folklore, vielleicht noch mit einem Gruppenerlebnis und der Einsparung von Energie, die für selbständiges Denken und eigenverantwortliches Handeln aufgewendet werden müsste.

Dass auch im Landkreis Fulda immer weniger Menschen bereit sind, für das Festhalten an religiösen Illusionen ihr selbständiges Denken und ihre intellektuelle Redlichkeit aufzugeben, beweist eindrucksvoll die Kirchenaustrittsstatistik.

*Die als Zitat gekennzeichnete Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Artikel.

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