Kommentar zu: Dompropst: Eine solche Reliquie ist nicht zu ersetzen – Verlust für Betende

Lesezeit: ~ 4 Min.

Kommentar zu: Dompropst: Eine solche Reliquie ist nicht zu ersetzen – Verlust für Betende, Originalartiikel veröffentlicht am 06.06.2016 von domradio.de, verfasst von Hannah Radke

Unbekannte haben aus dem Kölner Dom eine Reliquie mit einem Blutstropfen von Papst Johannes Paul II. gestohlen. Dompropst Gerd Bachner zeigt sich im domradio.de-Interview „tief entsetzt“ über den Diebstahl.*

Keine Frage: Diebstahl ist unfair, das wusste man schon in der Bronzezeit. Damals legte man das Gebot, nicht zu stehlen, noch dem gerade angesagten Wüstengott in den Mund –  heute wissen die meisten Menschen (auch die, die an andere oder keine Götter, Geister und Göttersöhne glauben), dass Diebstahl in den allermeisten Fällen unfair den anderen gegenüber und deshalb ethisch nicht in Ordnung ist.

Damit wäre eigentlich auch schon alles gesagt zu diesem Thema, würde es sich bei dem Diebesgut nicht ausgerechnet um etwas so Kurioses wie einen Blutstropfen eines gewissen Herrn Karol Wojtyla handeln.

Da gibt es also eine Institution, die jedes Jahr mit vielen Milliarden Euro aus der Staatskasse subventioniert wird und die beispiellose und mit nichts zu rechtfertigende staatliche Sonderprivilegierungen genießt. Diese Institution maßt sich zum Beispiel an, in Schulen eine systematische frühkindliche religiöse Indoktrination zu betreiben und Kindern ihre religiösen Wahngedanken einzupflanzen, oder auch, in das Privatleben nicht nur ihrer Angestellten und Anhänger, sondern am liebsten in das aller Menschen massiv eingreifen zu dürfen. Bei allem beruft sie sich auf einen imaginären, angeblich allmächtigen himmlischen, dreiteiligen Herrscher, der angeblich alles erschaffen hat und der alles nach seinen Plänen lenkt.

Genauso absurd wie diese irreale Vorstellung sind auch die Zeremonien und Riten, die die Anhänger dieser Institution selbst heute, im Jahr 2016, noch regelmäßig durchführen. Ansonsten eigentlich mehr oder weniger aufgeklärte und vermutlich auch geistig klare, erwachsene Menschen, die selbstverständlich alle wissenschaftlichen, technischen, medizinischen und sonstigen Errungenschaften unserer heutigen Zeit nutzen, halten es zum Beispiel für sinnvoll, in einer symbolisch-kannibalistischen Zeremonie in Menschenfleisch verwandeltes Brot und in Menschenblut verwandelten Wein zu sich zu nehmen, um damit eines mythischen Menschenopfers, mit dem dieser Herrscher den Menschen angeblich vor rund 2000 Jahren seine Liebe bewiesen hatte, zu gedenken.

Legt man nur für einen kurzen Augenblick eine möglicherweise vorhandene religiöse Immunisierung ab, erkennt man zwangsläufig, dass hier etwas nicht stimmt: Symbolisch-kannibalistische Totenriten passen weder zum heutigen wissenschaftlich-technischen, noch zum sozio-kulturellen Entwicklungsstand der Menschheit. Gleiches gilt für die Verehrung von Reliquien, wie zum Beispiel im vorliegenden Fall.

Der Tod ist das zentrale Thema der christlichen Lehre – nicht etwa das (diesseitige) Leben. Und so ist konsequenterweise das Symbol des Christentums auch nicht ein Zeichen für Leben, sondern eines der brutalsten Todesfolterungsgeräte, das sich die Menschheit je ausgedacht hat.

Reliquien in Bad Kissingen
Reliquien in Bad Kissingen

Zu diesem verstörenden, nicht nur zeitlich völlig deplazierten Totenkult passt die Verehrung von menschlichen Überbleibseln aller Art, wie sie vom Christentum bis heute betrieben wird: Unzählige Knochen, Knöchelchen, Haare, Zähne, Vorhäute, Schädel und alles, was menschliche Körper sonst noch so zu bieten haben werden da zur Schau gestellt, durch die Flure getragen und eifrig angebetet. Ergänzt wird das  postmortale Sammelsurium durch Gegenstände wirklich aller Art – Tischtücher mit Weinflecken, Nägel, Holzsplitter, Autos, „Weihwasser“, Erde aus dem „Heiligen Land“…

Nun spricht ja erstmal nichts grundsätzlich dagegen, Souvenirs aufzuheben – wenn etwa jemand sehr an bestimmten Gegenständen hängt oder wenn sich jemand allgemein nur schwer von etwas trennen kann. Und Totenkulte gibt es wahrscheinlich schon, solange es Menschen gibt. Kein Wunder – war der Tod bis vor Kurzem noch etwas völlig Unerklärliches, Geheimnisvolles, durch und durch Beängstigendes.

Religionen nutzen und nutzten schon immer die tief verwurzelte menschliche Angst vor dem Tod zu ihrem Vorteil. Dazu passt die Aufbewahrung und Verehrung menschlicher Überreste, wie sie vom Christentum bis heute (2016) praktiziert wird.

Besonders auf naive, leichtgläubige Menschen dürften Körperteile von „Heiligen,“ Päpsten oder sonstwie angeblich außergewöhnlichen Menschen einen mords Eindruck gemacht haben und immernoch machen. Was besonders lächerlich erscheint wenn man bedenkt, dass die christliche Lehre ja ausnahmslos auf ein angebliches Jenseits ausgerichtet ist.

Es geht hier nicht um das Materielle, sondern es geht hier um einen ideellen Wert, der unersetzbar ist. Vor fünf Minuten erst hat mir eine Frau gesagt, sie sei entsetzt, weil sie regelmäßig an der Reliquie bete und ihr das für ihr Leben und ihren Glauben Kraft spende. Für sie ist es schlimm, dass dieses Reliquiar leer ist. Das ist für sie nicht fassbar. Es ist nicht nur der Dom betroffen, sondern auch die vielen Betenden.

Nochmal zur Erinnerung: Hier geht es um einen Tropfen menschlichen Blutes, der zudem noch von einem Menschen stammt, der zumindest aufgrund seines Verhaltens objektiv betrachtet alles andere als erinnerungswürdig ist.

Stellen wir uns für einen Moment vor, diese Geschichte hätte keinen religiösen Bezug: Wie würde man wohl den Geisteszustand einer Frau einschätzen, die ernsthaft angibt, aus Gebeten an einem menschlichen Blutstropfen Kraft für ihr Leben und ihren Glauben zu beziehen?

Man würde wohl selbst als psychologischer Laie und schon durch Einsatz des gewöhnlichen, gesunden Menschenverstandes die Zurechnungsfähigkeit dieser Dame stark bezweifeln,  eine nicht unerhebliche wahnhafte Störung vermuten und einen massiven Realitätsverlust unterstellen, um es höflich zu formulieren.

Ob sie tatsächlich meint, dass die Wirksamkeit ihrer ohnehin niemals erhörten Gebete durch das Vorhandensein eines konservierten Blutstropfens eines Verstorbenen positiv beeinflusst wird? Wie geht jemand mit solch abstrusen Vorstellungen wohl mit der realen Wirklichkeit um?

Während man der zitierten Frau natürlich ihre persönliche Scheinwirklichkeit zugestehen muss, stellt sich die Frage, was von einer Institution zu halten ist, die solche Wahngedanken unter anderem auch durch die Zurschaustellung von menschlichen Überresten fördert. Interessanterweise stellt der Reliquienkult eine weitere Parallele zwischen religiösen und politischen Ideologien dar.

Mir fällt jedenfalls kein Grund ein, inwiefern die Zurschaustellung und Verehrung von Leichenteilen – ganz gleich ob mit oder ohne religiösen Kontext – irgendwie sinnvoll oder bedeutsam sein sollte.

Bleibt noch die Frage: Warum um alles in der Welt klaut jemand einen Blutstropfen, noch dazu den eines mehr als frag- und kritikwürdigen Verstorbenen? Vampirismus? Nekrophilie? Ein Versehen? Oder ebenfalls nur gewöhnlicher christlicher Totenkult?

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Artikel.
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