Kommentar zu: Zur Besinnung: Tisch gemeinsam decken – Ein Beitrag zum Thema Egoismus, veröffentlicht im Meiniger Tageblatt
Wenn ich den Text richtig verstanden habe, geht es dem Autor darum, Beispiele für Egoismus in Form von unfairem, unsolidarischem und damit unsozialem Verhalten aufzuzeigen und anzuprangern:
- Die Geschichte von den Hochzeitsgästen, die das Wasser trinken müssen, das sie statt Wein mitgebracht hatten: Alle Hochzeitsgäste wurden gebeten, eine Flasche Wein zur Hochzeit mitzubringen und den Wein in ein großes Fass zu schütten. Wie sich später herausstellt, befindet sich nur Wasser im Fass, weil alle meinten, es würde schon nicht auffallen, wenn einer statt Wein nur Wasser hineinschütten würde.
- Großbritannien, das zwar aus der EU austreten, angeblich aber weiterhin von den Vorteilen der EU profitieren möchte.
- Das mangelnde Bewusstsein für die Gerechtigkeit des Krankenversicherungssystems.
- Leute, die aus der Kirche austreten, keine Kirchensteuer mehr zahlen und wegen derer die Kirche nichts mehr Gutes für sie tun kann…
Das letzte Beispiel hat mich veranlasst, hierzu einen Kommentar zu verfassen.
Im Artikel steht, dass sich Leute, die aus der Kirche austreten, um Kirchensteuer zu sparen, nicht wundern dürften, wenn dann „keine Institution mehr da ist, die sie in einer Lebenskrise berät, alte und kranke Menschen besucht oder Möbel und Kleidung an bedürftige Menschen weitergibt.“
Hinkender Vergleich
Wenn man das erste Beispiel von der Hochzeit mit dem Beispiel von der Kirchensteuer vergleicht, fallen gravierende Unterschiede auf. In der ersten Geschichte ist der Fall sehr einfach: Hätte nur ein Gast Wasser statt Wein ins Fass geschüttet, wäre kein größerer Schaden entstanden – weder für die „Solidargemeinschaft“ der Gäste, noch für sonstwen.
Schütten nun alle Wasser statt Wein ins Fass, so hat das zwar eine „negative“ Folge (es gibt auf der Hochzeit Wasser statt Wein). Von dieser Folge sind aber wieder nur die Gäste betroffen. Andere Auswirkungen oder negative Folgen für andere Menschen hat der Kollektivbetrug nicht. Hier ist der Zusammenhang ganz einfach: Die Menschen, die sich unsolidarisch verhalten, schaden nur der Solidargemeinschaft, zu der sie ja auch gehören.
In den anderen genannten Beispielen ist die Situation deutlich komplexer und deshalb nicht mit der Hochzeitsgeschichte vergleichbar.
- Eine Gesellschaft von Hochzeitsgästen ist nicht mit der Bevölkerung eines Landes vergleichbar. Auf eine Hochzeit kommen nur geladene Gäste oder zumindest Gäste, die sich dem Brautpaar irgendwie verbunden fühlen. Längst nicht alle Menschen fühlen sich jedoch den Kirchen verbunden (auch wenn die das gerne hätten).
- Zwischen den Gästen und dem Inhalt des Fasses besteht eine direkte Beziehung. Sie bekommen das, was sie vorher hineingeschüttet haben, nicht mehr und nicht weniger. Anders verhält es sich bei der Kirchensteuer. Hier besteht schon mal ein krasser Unterschied zwischen dem Input der „Teilnehmer“ (Kirchensteuer) und dem „Output“, also dem, was davon wieder der Gemeinschaft zugute kommt. Das ist nämlich nur ein vergleichsweise lächerlicher Bruchteil der Gesamteinnahmen.
- Der Fassinhalt spielt für die restliche Bevölkerung keine Rolle. Die Kirchen hingegen haben in ihrer Funktion als Vertreter einer monotheistischen Ideologie einen äußerst schädlichen Einfluss auf die Gesellschaft. Das belegt ein Blick in die beispiellose Kriminalgeschichte des Christentums erschreckend eindrucksvoll. Unter diesem negativen Einfluss leiden nicht nur die An- bzw. Abhängigen dieser Religion, sondern die gesamte Menschheit.
Religion ist „saugefährlich“
Jeder, der die Kirchen mit „Kirchensteuer“ unterstützt, unterstützt damit das sicher lobenswerte soziale Engagement nur zu einem sehr kleinen Bruchteil, wie weiter unten noch zu sehen sein wird. Wer Kirchensteuer bezahlt, muss sich allerdings auch bewusst sein, dass er damit eine nichtdemokratische, völlig undurchsichtige Institution unterstützt, deren Ideologie auf äußerst fragwürdigen und längst überholten Moralisem eines primitiven Wüstenvolkes aus dem Vormittelalter beruht. Eine Ideologie, an deren oberster Stelle ein erfundener Provinzialgott aus der Bronzezeit steht und nicht etwa der Mensch oder dessen Würde.
Eine Ideologie, die nur deshalb harmlos erscheint, weil sie durch Aufklärung schon weitestgehend „entschärft“ worden ist. Und die sich aber trotzdem, wie praktisch jede monotheistische Religion, nach wie vor problemlos und mit wenigen Handgriffen wieder für einen fatalen Fundamentalismus umfunktionieren lässt. Und die deshalb sogar von ihren eigenen Angestellten schon mal als „saugefährlich“ bezeichnet wird.
Wer (sicher nur mit besten Absichten) Kirchensteuer bezahlt, düngt damit eben auch einen fruchtbaren Nährboden für Fundamentalisten. Und spätestens das betrifft dann nicht mehr nur die Hochzeitsgäste, sondern alle Menschen.
Im Folgenden noch einige Hintergründe zum Thema Kirche, Staat und Geld und zur Legende von der kirchlich finanzierten Wohlfahrt:
Arme Kirche?
Das im Artikel genannte Beispiel von der Kirchensteuer verschleiert zunächst mal die Tatsache, dass die Kirche alles andere als arm ist. Sie hat einfach nur andere Prioritäten als die Gehälter (oder auch die Rechte) ihrer Angestellten. Oder als die Finanzierung unentgeltlicher sozialer Dienstleistungen. Diese Form von Egoismus ist nicht unbedingt auf den ersten Blick ersichtlich.
Dein Text legt nahe, dass die arme Kirche auf die Kirchensteuer angewiesen sei, um soziale Dienstleistungen erbringen zu können. Hierzu ist anzumerken, dass die Kirchen in Deutschland momentan so viel Geld einnehmen wie nie zuvor. Die Milliardenbesitze deutscher Diözesen wurden jetzt erstmals beziffert.
Trotz des massiven Anstiegs der Kirchenaustritte verdienen die Kirchen an den gestiegenen Löhnen so gut wie selten zuvor mit. Völlig unerverständlich: Trotz angeblicher Trennung von Staat und Kirche kassiert der Staat Kirchensteuern – ein beispielloser Skandal, der mit nichts mehr zu rechtfertigen ist.
Staatsleistungen 2016: Erstmals mehr als eine halbe Milliarde Euro
Auch muss man wissen, dass die Kirchen jährlich in Millionenhöhe staatlich subventioniert werden – wohlgemerkt unabhängig von und zusätzlich zur Kirchensteuer. Im Jahr 2016 erreichten diese verfassungswidrigen Staatsleistungen erstmals die Rekordsumme von mehr als einer halben Milliarde (!) Euro. Nochmal: Diese Subventionierung zahlt der Staat und damit die Summe aller Steuerzahler, nicht nur die Anhänger eines bestimmten Wüstengottes aus der Bronzezeit.
In der Bevölkerung (nicht nur in der christlichen) hält sich hartnäckig die irrige Vorstellung, Kirchen seien irgendwie wohltätige Institutionen, die aus reiner Nächstenliebe und für Gottes Lohn Gutes tun würden. Finanzielle Mittel dazu hätten sie ja immerhin zuhauf. Ein objektiver Blick auf die Faktenlage zeigt jedoch ein ganz anderes Bild:
Kirchenquote: 1,8%
Die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland fowid schreibt: Als „Kirchenquote“ wird der finanzielle Anteil benannt, der aus Kirchengeldern in die Arbeit der kirchlichen Wohlfahrtsverbände einfließt, d.h. Bezugsgröße ist der Kostenaufwand der beiden Wohlfahrtsverbände. […] Unter Einbeziehung der weiteren Tätigkeitsbereiche wie Berufsbildungs- und Berufsförderungswerke, Fachschulen, Wohnheime, etc. – die nicht detailliert erfasst wurden – ergibt sich eine Größenordnung
von insgesamt rund 44,5 Mrd. Euro Aufwandsvolumen für Caritas und Diakonie. Da in diese weiteren Tätigkeitsbereiche keine nennenswerten Kirchenmittel fließen, liegt die Kirchenquote insgesamt bei 1,8% (Stand 2005; Quelle und weitere Informationen).
Die tatsächlichen Verhältnisse bezüglich der (nicht nur finanizellen) Verflechtungen von Staat und Kirche in Deutschland sind gut dokumentiert. Diese Fakten sind für alle verfügbar, die sich dafür interessieren. So belegt zum Beispiel der Sozialwissenschaftler, Kirchenkenner und -kritiker Carsten Frerk in seinen Veröffentlichungen wie dem Violettbuch Kirchenfinanzen ausführlich und fundiert seine Behauptung: „Die kirchlich finanzierte Wohlfahrt ist also eine Legende.“ (Quelle)
Skandalöses Noch-Monopol
Hinzu kommt, dass du offenbar die Kirchen als die einzigen Anbieter sozialer Dienstleistungen wahrnimmst. „Katholisch“ oder „evangelisch“ ist heute in den allermeisten Fällen höchstens noch ein Etikett für zum allergrößten Teil staatlich finanzierte und betriebene Einrichtungen. Es sichert Kirchen die Einflussnahme auf das Privatleben von Menschen und ermöglicht ihnen die Umgehung geltenden Rechts.
In praktisch allen Bereichen gibt es inzwischen auch Anbieter, die unabhängig von Konfession oder Religion arbeiten. Die sich an Tarife, das Grundgesetz und an das Arbeitsrecht halten. Die ihre Dienstleistungen nicht dazu missbrauchen, religiöse Gedanken zu transportieren. Die im Namen des Menschen und nicht im Namen von Göttern tätig sind. Die keine Frauen oder Un- und Andersgläubige diskriminieren. Und denen es ebenfalls gelingt, Leute für ehrenamtliches Engagement zu gewinnen.
Dass die Kirchen gerade in vielen sozialen Bereichen heute noch ein Quasi-Monopol innehaben, ist geschichtlich bedingt. Auch über die Mär von der christlichen Nächstenliebe gibt es heute umfangreiche Informationen. Diese zeichnen ein weniger idealisierendes und verklärendes, dafür aber umso realistischeres Bild. Nicht nur in Hinblick auf die biblische Grundlage steht die christliche Nächstenliebe auf tönernen Füßen.
Kirchen haben handfeste und alles andere als selbstlose Gründe, zum Beispiel Kindergärten zu betreiben. Ihnen dürfte nur zu gut bewusst sein, dass sie für ihren Fortbestand auf systematische frühkindliche Indoktrionation auf Gedeih und Verderb angewiesen sind.
Wer hat denn nun den Schwarzen Peter?
In dem Artikel wird der Egoismus von Leuten angeprangert, die aus der Kirche austreten, gleichzeitig aber kirchliche Leistungen in Anspruch nehmen. Dabei wird offenbar davon ausgegangen, dass die Leute vorrangig oder gar ausschließlich deshalb aus der Kirche austreten, um die Kirchensteuer zu sparen.
Ich kann eine sehr lange Liste an gewichtigen Gründen nennen, warum jeder Mensch am besten heute noch aus der Kirche austreten sollte. Die Einsparung der Kirchensteuer ist dabei höchstens ein positiver Nebeneffekt.
Woher kann man wissen, wie groß der Anteil derer ist, die tatsächlich nur wegen der Kirchensteuer austreten? Und wie groß dann davon der Anteil derer, die trotzdem noch kirchliche Angebote in Anspruch nehmen möchten? Und wieso fühlt sich die Kirche überhaupt für alle Bedürftigen zuständig? Schon Jesus hatte ja betont, dass er nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt worden sei. Auch religiöse Abgrenzung kann zu Egoismus führen.
Wirtschaftsunternehmen mit Gewinnabsicht
Leistungen kosten, sofern sie nicht ehrenamtlich erbracht werden, Geld. (Genaugenommen kostet auch ehrenamtliche Arbeit Geld, nämlich das Geld, das gewerblichen Anbietern dadurch entgeht, wenn Tätigkeiten von zwar motivierten, oft aber nicht ausreichend ausgebildeten Menschen kostenlos erbracht werden.)
Ein sozialer Dienstleister ist ein Wirtschaftsunternehmen mit Gewinnabsicht – wie jedes andere auch. Das gilt genauso für kirchliche Einrichtungen. Deren Angestellte können ihr tägliches Brot eben nicht mit Barmherzigkeit und einem „Vergelt’s Gott“ bezahlen. Die können sich nicht darauf verlassen, dass es ihnen der Herr im Schlaf schon geben wird. Die sind darauf angewiesen, dass sie für ihre Arbeit anständig bezahlt werden – in Euro und im Diesseits. Weil Gott mangels Existenz bis zum Beweis des Gegenteils nun mal nichts vergilt. Dafür kann man ihm nicht mal Egoismus vorwerfen.
Wenn man sich die oben (hier nur sehr knapp) skizzierten Zusammenhänge zwischen staatlicher Subventionierung, Kirchensteuer und Ausgabenanteil für kirchliche soziale Zwecke betrachtet, kann man unschwer erkennen, wo der Schwarze Peter wirklich steckt. Und wem hier wirklich Egoismus vorzuwerfen ist.
Schon mit einem Bruchteil der staatlichen Kirchensubventionierung, von der ja nur ein lächerlich geringer Teil tatsächlich bedürftigen Menschen zugute kommt, ließe sich ein solides soziales Netzwerk für bedürftige Menschen realisieren – unabhängig von deren Weltanschauung.
Klerikaler Egoismus oder kirchliche Solidarität?
Stattdessen befriedigen die Kirchen weiter ungehemmt und ungeniert ihre offenbar unstillbare Gier nach Macht und Reichtum. Sie bemühen sich kaum, diesen Egoismus zu kaschieren. Ihre angeblich so großen Leistungen für die Gesellschaft, derer sie sich so gerne brüsten, zahlt in Wirklichkeit zum allergrößten Teil der Staat. Ihre Predigt von Selbstlosigkeit betrifft sie selbst nicht.
Die Institution Kirche zehrt nur noch von einem längst nicht mehr zutreffenden, irgendwie noch positiven Image, das immer mehr Menschen als Etikettenschwindel entlarven.
Wirklich ein gutes Geschäft?
– so sollte der Titel des Beitrags „zur Besinnung“ zum Thema „Egoismus“ zunächst lauten. Die Antwort ist, zumindest bezogen auf die Geschichte mit der Kirchensteuer, einfach zu beantworten. Natürlich ein gutes Geschäft – für die Kirche. Bei der verhält es sich finanziell nämlich wie im Casino: Die Bank gewinnt immer.
Buchtipps:
- Carsten Frerk: Caritas und Diakonie in Deutschland
- Carsten Frerk: Kirchenrepublik Deutschland: Christlicher Lobbyismus – Eine Annäherung
- Carsten Frerk: Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland
Linktipps:
- staatsleistungen.de
- Verfassungswidrige Kirchensubvention auf Rekordniveau
- Spardebatte: Staat zahlt 442 Millionen Euro für Kirchengehälter
- „Kirchenquote“ für Einrichtungen von Caritas und Diakonie liegt bei 1,8 %
- gbs: Beiträge zum Stichwort caritas | diakonie
- fowid: Soziale Dienste und Werke
*Die Als Zitat gekennzeichnten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.
**Wir haben keinen materiellen Nutzen von verlinkten oder eingebetetten Inhalten oder von Buchtipps.
Bitte beachte beim Kommentieren: