Kommentar zu NACHGEDACHT (25) Was kann Musik?, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 30.06.13 von Osthessennews
In diesem Artikel beschreibt die Autorin viele positive Aspekte der Musik. Leider fehlt ein wichtiger Punkt, den man bei einem liberal-theologischen Beitrag eigentlich erwarten könnte: Die Bedeutung der Musik in der Religion.
Dabei gibt es gerade im Bereich der Kirchenmusik wirklich herausragende Leistungen, die größte Bewunderung verdienen. Auch wenn die Komponisten ihre Werke oft irrtümlicherweise zu Ehren eines Gottes komponiert hatten, schmälert das keineswegs den unschätzbaren Wert ihrer Musik für die Menschheit.
Beispielhaft seien hier nur die Gregorianischen Gesänge, Werke von Bach, Corelli, Vivaldi, Albinoni und Mozart oder auch die geistlichen Werke von Händel, Liszt, Strawinsky oder Brahms genannt. Und sicherheitshalber sei ergänzt, dass auch die kunstvollste Musik ein rein von Menschen erschaffenes Werk ist.
Schon seit dem 17. Jahrhundert wurde Musik gezielt dazu eingesetzt, Menschen zum Gottesdienstbesuch zu verleiten. Auch heute noch berichten manche Menschen, dass sie eigentlich nur der Musik und des gemeinsamen Singens wegen Gottesdienste besuchen.
Deshalb nutze ich die Gelegenheit, heute einmal exemplarisch nur drei Kirchenlieder zu betrachten, die sich im „Gotteslob“ (wofür eigentlich Gott loben? Und wozu?) finden.
Diese Texte sind so bizarr, abstrus und unsinnig, dass sich eigentlich jeglicher Kommentar erübrigt. Es sollte genügen, nur mal kurz die Brille der religiösen Ignoranz abzunehmen und sich dann diese Texte zu Gemüte zu führen:
1. Fest soll mein Taufbund immer stehn
Die Kirche beansprucht in diesem Lied für sich, wahr zu sein und verdonnert ihre Anhänger zu unbegrenztem Gehorsam. Sie verlangt die Verachtung des „bösen Feindes“, dessen Werke ewige Qualen bereiten und verlangt von ihren Anhängern, dass sie stattdessen lieber (irdisches) Leid ertragen.
Zur Versöhnung gibts dann noch ein fadenscheiniges Heilsversprechen in Form eines angeblichen Schutzes durch Gott (der auch die Fähigkeit hat, jemanden so zu machen wie seinen Sohn) und eines ewigen Lebens:
2. Herr, ich bin dein Eigentum
Schon allein der Titel sagt schon viel darüber aus, wie sich Abhängige der christlichen Religion selbst sehen (sollen). In diesem Lied geht es darum, dass der Mensch vollkommen abhängig von Gott ist. In der zweiten Strophe wird die Apokalypse beschworen. Weiter gehts mit schier unerträglichen Unterwerfungsgedanken. Diese ufern in der Folge in masochistische Phantasien aus, es wird darum gebeten, „gleich bei jeder Sünde“ vom eigenen Gewissen bestraft zu werden. Was ist von Erwachsenen zu halten, die die ausgerechnet einen Kinderchor dazu verleiten, solchen selbsterniedrigenden Unsinn zu singen? [Anhören…]
Wenn man die modernere Fassung mit der ursprünglichen Version des Textes vergleicht, kann man gut erkennen, dass auch Kirchenlieder im Lauf der Zeit mehr oder weniger subtil verändert werden.
Aus „Dein ist auch mein Leben“ in der 1. Strophe wurde zum Beispiel „Dein ist ja mein Leben.“ Die weiteren sieben Strophen aus der Originalfassung wurden gestrichen und mit zwei neuen Strophen ersetzt. Die Gründe und vor allem die Kriterien für solche Veränderungen wären sicher auch ein spannendes Thema, für dessen Erforschung mir allerdings die Zeit fehlt.
3. Oh Herr, ich bin nicht würdig
Diese masochistisch-unterwürfige, pseudosexuelle Phantasie findet sich passenderweise im „Lese- und Gebetbuch für christkatholische, weltliche und geistliche Jungfrauen“ von Anton Passy:
Oh Herr ich bin nicht würdig,
zu deinem Tisch zu gehn,
du aber mach mich würdig,
erhör mein kindlich Flehn.
Oh stille mein Verlangen,
du Seelenbräutigam,
(alternativ: du Frucht vom Kreuzesstamm)
im Geist dich zu emfangen,
(alternativ: dich würdig zu empfangen)
dich wahres Gotteslamm.
Auch hier wirkt es besonders verstörend, wenn solcher Unfug von Kindern gesungen werden muss. Besonders widerlich erscheint dann diese Version der Wiener Sängerknaben, eines Chores, der ja mit massiven Missbrauchsvorwürfen konfrontiert ist: [Anhören…]
Es mag ja sein, dass im Wien des 19. Jahrhunderts tatsächlich noch solche wirren Phantasien an der Tagesordnung waren. Dass solche Lieder auch heute, im 21. Jahrhundert, noch von eigentlich aufgeklärten Menschen, die mit Handys telefonieren, im Internet surfen und die ihren Müll trennen und denen man auch ansonsten einen klaren Verstand unterstellen kann, „ohne mit der Wimper zu zucken“ und ohne den Einfluss von psychoaktiven Drogen (abgesehen vielleicht von Weihrauch) gesungen werden, das lässt nur einen Schluss zu:
Ähnlich wie bei der für Manche völlig selbstverständlichen, ja sogar romantisch-verklärten, aber auf jeden Fall positiven visuellen Wahrnehmung eines Todesfolterungsgerätes scheint es auch im musikalischen Bereich einen „Blinden Religionsfleck“ zu geben.
Offenbar blenden diese Menschen komplett aus, was für einen unsäglichen, teils richtig widerlichen und menschenverachtenden Bullshit (pardon, aber ich finde kein anderes Wort, dass diese Texte besser beschreibt) sie da lauthals im Brustton der Überzeugung mitschmettern.
Auch Kirchenlieder unterliegen einer allmählichen Evolution in Form einer Selektion. Manche Lieder werden öfter gesungen, andere nach und nach weniger oft. Trotzdem finden sich auch im aktuellen „Gotteslob“ noch Texte, die bei genauerem Durchlesen für viele Stunden heftiges Kopfschütteln oder wahlweise Vor-die-Stirn-Klatschen ausreichen würden.
Musik kann also nicht nur erfreuen oder unterhalten, sie kann auch genutzt werden, um Menschen Aussagen zu entlocken, die sie außerhalb eines religiösen Settings kaum äußern würden.
Unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ fordert Osthessennews jede Woche zum Nachdenken auf. Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.
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