Mesliers Mémoire (3): Je absurder, desto gläubiger

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Je absurder, je wunderbarer eine Religion, desto mehr Anspruch kann sie auf ihren Glauben machen.

Der Devote glaubt seinem Glauben keine Schranken setzen zu dürfen; je unbegreiflicher die Dinge sind, desto göttlicher erscheinen sie ihm; je wunderbarer etwas erscheint, desto mehr Verdienst legt er sich bei, es zu glauben.

– Jean Meslier, 1678-1733

je absurder, desto gläubiger

Je absurder, desto gläubiger

Meslier bringt hier einmal mehr eine Erkenntnis über religiösen Glauben gekonnt auf den Punkt. Religiöse Absurditäten lassen sich redlicherweise nicht mit Vernunft, Verstand oder Logik in Einklang bringen. Außerhalb des religiösen Kontextes würden die meisten Menschen wohl umso kritischer sein, je unwahrscheinlicher und unplausibler etwas erscheint.

Wenn ich behaupte, ich habe zuhause eine Topfpflanze auf dem Fensterbrett stehen, dann wird vermutlich kaum jemand daran zweifeln. Würde ich jedoch ernsthaft behaupten, dass sich meine Topfpflanze ab und zu mit mir unterhält, dann würden die meisten Menschen diese Aussage vermutlich für höchst unwahrscheinlich halten. Oder zurecht meinen Geisteszustand in Frage stellen.

Behauptet aber ein Gläubiger, dass zum Beispiel ein überirdisches Wesen seine Gebete erhören und daraufhin in der Erden Lauf eingreifen würde, so ist das objektiv betrachtet sicher nicht weniger unplausibel als eine sprechende Petunie. Genaugenommen erscheint es noch absurder, weil mein Petunientopf zumindest immerhin schon mal nachweislich existiert.

Glauben: Nichtwissenwollen als Tugend

Jetzt könnte man zur Entschuldigung des gläubigen Menschen anführen, dass es dieser ja vielleicht einfach nicht besser weiß. Und dass er deshalb einfach das glaubt, was ihm, oft schon vom Kleinkindalter an, eingetrichtert worden war. Nämlich, dass es dieses überirdische Wesen tatsächlich geben würde. Und dass es zum Beispiel seine Gebete erhört.

Religiöse Lehren bedienen sich eines einfachen Tricks, um ihren Anhängern die Akzeptanz der unangenehmen Differenz zwischen religiösem Wunsch und realer Wirklichkeit zu erleichtern: Sie erheben Nichtwissenwollen zur Tugend.

Je absurder eine religiöse Behauptung, desto größer ist der erforderliche Denkverzicht, den man aufbringen muss, um diese Behauptung für. Je weniger jemand hinterfragt, desto gläubiger und damit tugendhafter wird er angesehen. „Stark im Glauben“ bedeutet „schwach im Denken.“

Nach heutigen Standards ist die Aufforderung zum religiösen Denkverzicht in etwa so redlich, wie wenn man Kinder dazu ermutigen und erziehen würde, möglichst effektiv zu lügen.

Deshalb besteht von religiöser Seite auch gar kein ein Interesse, einen bisher unbeweisbaren Gott beweisen zu wollen. Gäbe es tatsächlich einen wissenschaftlich belastbaren Beweis für die Existenz des behaupteten Gottes, wäre damit schlagartig jeder Glaube überflüssig.

Deshalb sind Dinge, die absurder sind als das, was die meisten Menschen vielleicht noch als plausibel anerkennen würden, sogar vonnöten, um das Glaubens-Kartenhaus vor dem Einsturz zu bewahren. So paradox das klingen mag.

*Quelle des Meslier-Zitats: gbs-rhein-neckar.de

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