Taufspruch: Erlaubt die evangelische Kirche diesen Schutzzauber?

Lesezeit: ~ 6 Min.

Ob es erlaubt sei, diesen „Taufspruch“  zu verwenden, wollte eine Besucherin des Fragen-Beantwortungsportals fragen.evangelisch.de in diesem Beitrag wissen:

Ich bitt, laß dir befohlen sein, ach lieber Herr, dies Kindelein, behüte es vor allem Leid und alle in der Christenheit. Amen.*

Mit wenigen Handgriffen wäre dieser Spruch ganz einfach in einen tatsächlich sinnvollen Wunsch verwandelt gewesen:

  • Ich bitt euch, liebe Elterlein, verbiegt nicht euer Kindelein. Macht es stark, auch gegen Leid und behütet es, vor allem vor der Christenheit.

Bitte – gerne, nichts zu danken.

In Gänze lautet dieser Spruch übrigens wie folgt:

  • Ich bitte, laß dir befohlen sein, ach lieber Herr, dies Kindelein.
    Behüte es vor allem Leid und alle in der Christenheit.
    Durch deine Engel es bewahr, vor Unfall, Schaden und Gefahr, Erbarm dich seiner gnädiglich, gib deinen Segen mildiglich.
    Gib Gnad, dass es gerate wohl, zu deinen Ehren und Wohlgefallen.
    Auf das es hier gottseliglich, hernach auch lebe ewiglich.
    (Johs. Freder EKG 203 4 bis 6)

Taufspruch: Geballter Nonsens** für alle in der Christenheit

Das mit der gnädiglich-mildiglichen Engel-Unfallversicherung und der gottseliglich-ewigliche Nonsens war offenbar selbst der Fragerin, die wegen dieses Zauberspruchs (!) ja sicherheitshalber noch auf einer Internetseite (!!) angefragt hatte, zu absurd. Und wohl deshalb pickte sie sich nur den einen Satz heraus, den sie vermutlich noch irgendwie mit ihrem Verstand und Anstand in Einklang bringen konnte.

Dass es hier explizit um einen Schutz für das „Kindelein… und alle in der Christenheit“ geht, schien sie jedenfalls nicht weiter zu stören. Die anderen können ja ihre eigenen Götter um Schutz bitten. Und wer ganz mutig ist, darf sogar ganz auf die Unterstützung von imaginären Phantasiewesen verzichten. Und sich selber kümmern.

Intertheistisches Schutzzauberabkommen?

TaufspruchWie die Götter das wohl konkret mit dem Schutz ihrer Abhängigen regeln, wenn es mal zu Konflikten zwischen beispielsweise Jahwe und Zeus kommt? Oder zwischen Shiva und Anubis? Oder zwischen Thor und der Zahnfee?

Bekommt der bronzezeitliche Provinzial-Wüstengott Stress mit der Ex, wenn zum Beispiel ein Unfallgegner Jahwe, der andere aber dessen Exgemahlin Aschera um Schutz und Hilfe gebeten hatte?

Natürlich mag sich ein jeder seine Wirklichkeit zusammenspinnen, wie sie ihm gefällt. Die menschliche Phantasie ermöglicht wahrlich Erstaunliches. Wem das nicht reicht, bedient sich nach Wunsch bei psychoaktiven Drogen aller Art.

Wer sich allerdings mit solchen Zaubersprüchen wie diesem Taufspruch, für den die Bezeichnung „Humbug“ sicher eine krasse Untertreibung wäre, in das Leben eines kleinen, garantiert zu 100% atheistischen Kindes einmischt, handelt höchst frag- und kritikwürdig und verantwortungslos.

Statt dem Kind zum Beispiel ein fröhliches, glückliches, erfüllendes Leben zu wünschen, beschränkt sich dieser Zauberspruch auf einen (natürlich vollkommen wirkungslosen) Schutzzauber. Und auf die Bitte, dass das Leben gefällligst gottgefällig verlaufen möge. Die Belohnung gibts dann nach dem Tod. Versprochen!

Eine schwache Hoffnung wäre noch die Annahme gewesen, es könnte sich bei dieser Anfrage um Satire gehandelt haben. Wie auch immer, Frau Dr. Friederike Erichsen-Wendt von fragen.evangelisch.de beantwortete die Frage aus evangelischer Sicht:

Frömmigkeitstradition der christlichen Kirchen

Dieser Spruch sei ein „Gebet aus der Frömmigkeitstradition der christlichen Kirchen“, so die Religionsdienerin. Und dass sich doch sicher auch in der Bibel ein passender Spruch finden lassen würde. Als ob ein Bibelvers irgendwie bedeutsamer, wahrer oder sonstwie „besser“ wäre als der in den oben genannten Zeilen manifestierte naiv-frömmlich-dümmliche Volksglaube.

Nun bietet die Bibel tatsächlich allerlei Textstellen, in denen es um Kinder geht. Damit bei der Auswahl nicht versehentlich etwas durcheinander kommt, hatte die damals zuständige Pfarrerin Dr. Friederike Erichsen-Wendt sicherheitshalber noch auf eine Webseite verwiesen, auf der die evangelische Kirche Bibelstellen veröffentlicht, die sie als Taufspruch für geeignet hält.

Denn gerade was das Thema Kinder angeht, stößt man in der Bibel schnell auch auf Stellen, die vermutlich eher selten als Taufspruch verwendet werden.

Nur wo „Wort-Gottes“ draufsteht, ist auch „Wort Gottes“ drin

Da die Bibel ja in ihrer Gesamtheit als das von Gott persönlich geoffenbarte „Wort Gottes“ gilt, zählen zum Beispiel auch diese Stellen zur göttlichen Offenbarung. Und trotzdem werden sie – aus welchen Gründen auch immer – heute so gut wie nie von Religionsdienern verkündet oder als Taufspruch gewählt (Hervorherbungen von mir):

  • Rute und Tadel gibt Weisheit; aber ein Knabe, sich selbst überlassen, macht seiner Mutter Schande. (Spr 29, 15 LUT)
  •  Wenn jemand einen widerspenstigen und ungehorsamen Sohn hat, der der Stimme seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht und auch, wenn sie ihn züchtigen, ihnen nicht gehorchen will, so sollen ihn Vater und Mutter ergreifen und zu den Ältesten der Stadt führen und zu dem Tor des Ortes und zu den Ältesten der Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist widerspenstig und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme nicht und ist ein Prasser und Trunkenbold. So sollen ihn steinigen alle Leute seiner Stadt, dass er sterbe, und du sollst so das Böse aus deiner Mitte wegtun, dass ganz Israel aufhorche und sich fürchte.  (5. Mo 21,18-21 LUT)

Es sollen auch ihre Kinder vor ihren Augen zerschmettert werden

  • Darum will ich den Himmel bewegen, und die Erde soll beben und von ihrer Stätte weichen durch den Grimm des HERRN Zebaoth, am Tage seines Zorns. Und sie sollen sein wie ein verscheuchtes Reh und wie eine Herde ohne Hirten, dass sich ein jeder zu seinem Volk kehren und ein jeder in sein Land fliehen wird. Wer da gefunden wird, wird erstochen, und wen man aufgreift, wird durchs Schwert fallen. Es sollen auch ihre Kinder vor ihren Augen zerschmettert, ihre Häuser geplündert und ihre Frauen geschändet werden. Denn siehe, ich will die Meder gegen sie erwecken, die nicht Silber suchen oder nach Gold fragen, sondern die Jünglinge mit Bogen erschießen und sich der Frucht des Leibes nicht erbarmen und die Kinder nicht schonen. (Jesaja 13,13-18 LUT)
  • Torheit steckt dem Knaben im Herzen; aber die Rute der Zucht treibt sie ihm aus. (Spr 22, 15 LUT)

Lehrt eure Töchter klagen – und dankt dem, der deine Kinder am Felsen zerschmettert

  • Ja, höret, ihr Frauen, des HERRN Wort, und nehmt zu Ohren die Rede seines Mundes! Lehrt eure Töchter klagen, und eine lehre die andere dies Klagelied: »Der Tod ist zu unsern Fenstern hereingestiegen und in unsere Häuser gekommen. Er würgt die Kinder auf der Gasse und die jungen Männer auf den Plätzen.« So spricht der HERR: Die Leichen der Menschen sollen liegen wie Dung auf dem Felde und wie Garben hinter dem Schnitter, die niemand sammelt. (Jer 9, 19-21 LUT)
  • Tochter Babel, du Verwüsterin, wohl dem, der dir vergilt, was du uns angetan hast! Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert! (Ps 137,8-9 LUT)
  • …so spricht Gott der HERR: Siehe, auch ich will an dich und Gericht über dich ergehen lassen, dass die Heiden zusehen sollen, und will so mit dir umgehen, wie ich es nie getan habe und auch nicht mehr tun werde, um aller deiner Gräuel willen. Darum sollen in deiner Mitte Väter ihre Kinder und Kinder ihre Väter fressen; und ich will solches Gericht über dich ergehen lassen, dass alle, die von dir übrig geblieben sind, in alle Winde zerstreut werden. (Hes 5,8-10 LUT)
  • Samaria wird wüst werden; denn es ist seinem Gott ungehorsam. Sie sollen durchs Schwert fallen und ihre kleinen Kinder zerschmettert und ihre Schwangeren aufgeschlitzt werden. (Ho 14,1 LUT)
  • Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten. (Spr 13, 24 LUT)
  • Und zur Mitternacht schlug der HERR alle Erstgeburt in Ägyptenland vom ersten Sohn des Pharao an, der auf seinem Thron saß, bis zum ersten Sohn des Gefangenen im Gefängnis und alle Erstgeburt des Viehs. (2. Mo 12,29 LUT)

Beschneidung: Ja oder nein?

Die Frage, ob Kinder beschnitten werden sollten, sollte sich für einen klar denkenden Menschen im 21. Jahrhundert nicht wirklich stellen. Im Gegensatz zu einer zwar ebenfalls sinnlosen, aber wenigstens auch folgenlosen Taufzeremonie mit Exorzismus, heidnischem Wasserritual und Taufspruch bedeutet eine Beschneidung von Kindern einen völlig inakzeptablen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.

Abgesehen davon bietet die Bibel auch zu diesem Thema beide Anordnungen, sodass es beim Leser liegt, welche er davon als Taufspruch verwendet:

  • Beschneidet euch für den HERRN und tut weg die Vorhaut eures Herzens, ihr Männer von Juda und ihr Leute von Jerusalem, auf dass nicht um eurer Bosheit willen mein Grimm ausfahre wie Feuer und brenne, sodass niemand löschen kann. (Jer 4,4 LUT)
  • Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. (Gal 5,2 LUT)

Was ist das für ein Gott, dessen Wort solchen brutalen, widerlichen und menschenverachtenden Schwachsinn verbreitet? Was sind das für Menschen, die diesen Gott nicht nur für real halten, sondern ihn sogar verehren, ihm danken und ihn bitten, dass er sie oder ihre Kinder beschützen möge?

**Nachbemerkung: Sind gläubige Menschen dümmer?

Wegen Beiträgen wie diesem wird mir immer wieder mal vorgeworfen, ich halte ja sowieso alle Gläubigen für naiv, dumm und einfältig. Und mich selbst für gescheiter, „besser“, religiös gläubigen Menschen überlegen.

Ich halte es tatsächlich für naiv, dumm und einfältig, einen von Menschen erfundenen, angeblich doch sowieso allmächtigen, liebevollen und allwissenden Gott um irgendetwas zu bitten. Egal, ob um Schutz oder um eine wirkungsvolle religiöse Indoktrination wie in diesem Taufspruch. Dieses Verhalten ist so offensichtlich unlogisch, dass es geradezu einem geistigen Offenbarungseid gleich kommt.

Trotz dieser Einschätzung erlaube ich mir deswegen noch lange kein Urteil über die Menschen, die solchen Nonsens für real, bedeutsam oder gar sinnvoll halten. Dazu müsste ich die Gründe kennen, die diese Menschen davon abhält, klar, selbständig und selbstverantwortlich zu denken.

Ich betone immer wieder, dass selbstverständlich jeder glauben möge, was immer er erzählt bekommt oder sich selbst ausgedacht hat. Die Gedanken sind frei, nicht mal Götter kennen sie.

Meine Kritik gilt der Ideologie, deren religiöse Wahnvorstellungen auf einer um imaginäre Wesen erweiterten Scheinwirklichkeit basieren. Und den Menschen, die diese Gedanken öffentlich verkündigen, ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass alle religiösen Aussagen bis zum Beweis des Gegenteils lediglich auf einer Hypothese, oder, wenn als Tatsache behauptet,  auf einer Lüge basieren. Gott beschützt kleine Kinder genauso viel oder wenig wie Bigfoot oder Rumpelstilzchen.

Und ich halte es tatsächlich für klüger, reifer und einem aufgeklärten Verstand angemessener, sich dieses Verstandes zu bedienen und sich rational mit der irdischen Realität auseinanderzusetzen, statt an das Wirken imaginärer Wesen und ähnlichen Nonsens zu glauben.

*Der als Zitat gekennzeichnete Abschnitt stammt aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag auf fragen.evangelisch.de

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