Gedanken zu NACHGEDACHT 191 – NEIN sagen lernen!?, Originalbeitrag verfasst von Christina Lander, veröffentlicht am 04.09.16 von Osthessennews
[…] Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten, warum wir Ja sagen. Zum Ersten können wir positiv motiviert sein, weil wir gerne helfen. Zum Zweiten können wir aber auch von negativen Gefühlen angetrieben werden: weil wir Angst haben, wir würden dann in der Sympathie nach unten rutschen, wenn wir die Erfüllung der Bitte abschlagen.*
Dem aktuellen Stand der Hirnforschung*** zufolge ist jede Entscheidung, die Menschen treffen, das Ergebnis von Prozessen, die das Hirn schon „für uns“ erledigt hat. Und zwar Millisekunden, bevor uns eine Entscheidung als solche bewusst wird.
Wie eine Entscheidung ausfällt, ob wir in einer bestimmten Situation Ja oder Nein sagen, hängt somit von der Prägung unseres Unterbewusstseins ab. Diese Prägung ist es, die unsere Persönlichkeit maßgeblich ausmacht. Niemand kann sich gegen die Prägung seines Unterbewusstseins für oder gegen etwas entscheiden.
Die Illusion der freien Willensentscheidung
Was wir als „freie Willensentscheidung“ wahrnehmen, ist in Wirklichkeit nur das Ergebnis von einer ganzen Kette an Prozessen, die dieser Entscheidung vorangegangen sind. Das Unterbewusstsein greift zur Beurteilung einer Wahrnehmung auf die ihm zur Verfügung stehenden gespeicherten Informationen zu.
Zu allererst ist zu klären, ob eine soeben wahrgenommene Situation einen Reflex erfordert, zum Beispiel Wegrennen oder Zuschlagen. Weil akute Lebensgefahr besteht. Ist diese Gefahr ausgeschlossen, nimmt sich das Hirn etwas mehr Zeit, um sich näher mit der Situation zu befassen. Trotzdem erfolgt die Verarbeitung in der Regel unfassbar schnell, besonders wenn man bedenkt, wie komplex diese Abläufe sind.
Um diese enorme Verarbeitungsgeschwindigkeit überhaupt leisten zu können, bedient sich das Hirn einiger Tricks. So vergleicht es einen neuen Sinneseindruck zum Beispiel mit ähnlichen, früheren Wahrnehmungen. Es versucht, in Wahrnehmungen schon bekannte Muster zu erkennen, was die Beurteilung wesentlich vereinfacht.
Wenn sich eine bestimmte Reaktion auf eine ähnliche Situation früher schon mal bewährt hatte, spricht vieles dafür, dass sie auch diesmal wieder die „best practise“ sein dürfte.
Wenn zum Beispiel etwas mit hoher Geschwindigkeit auf mich zufliegt, hatte es sich in der Vergangenheit sicher schon mal bewährt, erstmal in Deckung zu gehen. Auch wenn es sich diesmal vielleicht nur um einen harmlosen Schneeball handelt.
Dies alles geschieht wiegesagt, bevor uns die Entscheidung als solche bewusst wird. Für uns fühlt es sich so an, als hätten wir die Entscheidung „aus freien Stücken“ getroffen. Das ist, wie gerade beschrieben, wenn überhaupt nur bedingt der Fall. Denn letztlich ist jede Entscheidung ja schon gefallen, bevor sie uns bewusst wird. Als Ergebnis eines sehr komplexen Informations-Verarbeitungsvorganges, den unser Unterbewusstsein schon für uns erledigt hat.
Der „freie Wille“ als Voraussetzung für religiöse „Logik“
Diese Erkenntnisse der Hirnforschung haben weit reichende Folgen. So ist zum Beispiel das Konzept eines angeblich freien menschlichen Willens damit hinfällig.
Laut christlicher Lehre hat Gott ja die Menschen angeblich mit einem freien Willen ausgestattet, der es ihnen ermöglichen soll, sich auch gegen Gott entscheiden zu können. Das würde nur dann Sinn ergeben, wenn Menschen tatsächlich in der Lage wären, Entscheidungen zu treffen, die nicht durch die Prägung ihres Unterbewusstseins determiniert sind.
Weil aber genau das der Fall ist, ist auch eine Entscheidung für oder gegen Gott immer die Folge eines gedanklichen Prozesses, dessen Ergebnis das Unterbewusstsein unserem Bewusstsein als „freie Entscheidung“ präsentiert. Wie diese Entscheidung ausfällt, hängt von der Prägung unseres Hirns ab.
Dass die Freiheit des Willens nicht der natürlichen Faktenlage entspricht, ist nichts Neues. Schon Friedrich Wilhelm Nietzsche schreibt in Menschliches, Allzumenschliches II – Kapitel 5:
- Die Lehre von der Freiheit des Willens ist eine Erfindung herrschender Stände. (Quelle: gutenberg.spiegel.de)
Warum das so ist und wer von dieser „Lehre“ profitiert, ist ein interessantes Thema, das allerdings den Rahmen dieses Beitrages sprengen würde.
Ja sagen, weil es (auch) mir nutzt
Zurück zum eingangs genannten Beispiel: Es könnte auch noch andere Gründe geben, warum sich jemand dazu breitschlagen lässt, etwa eine zeitraubende oder nervige Arbeit zu übernehmen, wenn er darum gebeten wird.
Zum Beispiel könnte jemand auch aus Eigennutz „ja“ sagen. Nämlich dann, wenn er sich einen Vorteil für sich davon verspricht. Und sei es nur Anerkennung oder das gute Gefühl, jemandem geholfen zu haben. Jede noch so altruistische Handlung bringt auch immer dem einen Nutzen, der sich so verhält. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang oft auch die Reziprozität. Gemeint ist damit die menschliche Eigenschaft, immer auf einen Ausgleich bedacht zu sein: Ich gebe dir etwas, jetzt bist du mir etwas schuldig! – „Du hast was gut bei mir!“
Ein Problem ist natürlich darin zu sehen, dass man schnell als egoistisch gelten könnte.
Genauso könnte man auch den als egoistisch sehen, der von mir verlangt, etwas zu tun, was er eigentlich selber tun müsste. Der von mir erwartet, dass ich meine eigenen Interessen in seinem Interesse hintan stelle.
Nein sagen auf dem „kleinen Dienstweg“
Zur Klärung solcher Fragen hat die Evolution die Menschen mit einer tollen Fähigkeit ausgestattet. Man spricht einfach darüber! Die allermeisten Alltagsthemen dieser Art lassen sich auf diesem einfachen Weg schnell und unkompliziert lösen.
Wie sich jemand entscheidet, hängt von so vielen Faktoren ab, dass es hierzu keine verbindliche Faustregel gibt. Zu diesem Schluss kommt ja auch die Autorin.
Es ist nicht immer leicht, richtig zu entscheiden. Aber unser Bauchgefühl kann helfen: Mir sagt es sehr oft, ob ich gerade jemandem helfe, der wirklich meine Hilfe braucht.
Auch das „Bauchgefühl“ wird uns präsentiert mit freundlicher Unterstützung des Hirns. Intuition ist ein spannendes Thema, zu dem es sicher noch viel zu entdecken gibt. Auch für intuitive Entscheidungen spielen wieder das Unterbewusstsein und seine Prägung die Hauptrolle.
Auch das „Bauchgefühl“ beruht auf der Prägung des Hirns
Wer zum Beispiel von klein auf gelernt hat, dass es immer belohnt (materiell oder durch Lob und Anerkennung) wird, wenn man zu allem „Ja und Amen“ sagt, wird dieses Verhalten später schwerer ablegen können als jemand, der beigebracht bekommen hatte, dass es genauso wichtig und auch legitim ist, auch auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Und eine Berücksichtigung dieser einzufordern.
Zur Persönlichkeitsentwicklung auf dem Weg zum Erwachsensein gehört auch dazu, sich der eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden und sich dagegen zu wehren, ausgenutzt zu werden.
Dazu ist es wichtig, den Unterschied zwischen Egoismus und Eigennutz zu kennen. Wer in einem Wertesystem aufgewachsen ist, in dem Märtyrertum als große Tugend bewertet wird, neigt eher dazu, sich selbst auch so zu verhalten. Auch dann, wenn es zu seinen eigenen Lasten geht.
An diesem Beispiel lässt sich auch die Problematik des Begriffes „Nächstenliebe“ gut darstellen. Es ist weder realistisch, noch erforderlich, alle Mitmenschen zu lieben. Ein realistisches, erstrebenswertes Ziel könnte hingegen sein, sich den Mitmenschen gegenüber fair zu verhalten. Und diese Fairness auch von anderen einzufordern.
Egal, ob ein Liebesverhältnis besteht oder nicht. Denn während man aus Liebesgründen möglicherweise schon mal bereit ist, die Bedürfnisse des oder der Anderen über die eigenen Interessen zu stellen, ist dies im alltäglichen mitmenschlichen Umgang nicht immer unbedingt sinnvoll.
Nein sagen lernen
Zum Glück gibt es heute viele Möglichkeiten, sich auch in diesem Bereich jederzeit weiterzuentwickeln. Wer sich also unsicher ist, was das Nein sagen angeht, kann sich ganz unkompliziert weiterbilden.
So kann zum Beispiel Lektüre dazu beitragen, die eigenen vorhandenen Wertmaßstäbe wiedermal kritisch zu überdenken. Zum Thema „Nein sagen“ gibts etliche Bücher und auch online gibts interessante Anleitungen und Hintergründe, zum Beispiel:
- Karsten Noack: 5 Tipps und 7 Beispiele wie Sie Nein-sagen lernen
- „Nein“ sagen – charmant aber bestimmt
*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.
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***Meine Aussagen geben meinen aktuellen Wissensstand wider. Wer neuere Informationen hat, möge bitte gerne die entsprechenden Quellen mitteilen.
!!! „Und den Auftrag der Schulen, diese Werte, ihre Ursprünge und Grundlagen, auf denen sie basieren zu lehren, statt Kinder…