In einem Leserbrief in der Fuldaer Zeitung vom 19.11.2016 schlägt ein Leser vor, beim Sexualkunde-Unterricht den „Schöpfer“ einzubeziehen.
Mit „Schöpfer“ meint er offenbar den abrahamitisch-christlichen Wetter-Berge-Wüsten-Kriegs-Lieber-Gott Jahwe, von dem in der Bibel die Rede ist. Denn zur Untermauerung seiner Überlegung nennt er etliche Bibelstellen, die er passend aus den biblischen Mythen und Legenden herausgepickt hatte.
Sogar auf die Frage, warum man das denn überhaupt tun sollte, hat er die passende Bibelstelle parat: Laut Bibel sollte ein Volk seinen Gott befragen (Jes. 8,19).
Da aber noch niemals wenigstens einer der vielen tausend Götter, die sich die Menschen schon ausgedacht haben, jemals irgendetwas tatsächlich mitgeteilt hat, bleiben nur gezielt ausgewählte Bibelstellen. Oder genauer: deren Interpretation. Dies soll dann als angeblicher Wille Gottes gelten.
Schöpfungsmythen sind längst als solche entlarvt
Natürlich kann man sich vorstellen, dieser besagte Gott habe etwas geschöpft. Allerdings scheitert man mit dieser Vorstellung an der irdischen Wirklichkeit. Denn in dieser sind Schöpfungsmythen längst als solche entlarvt.
Wir verfügen heutzutage über weit bessere Theorien über die Entstehung des Universums als ausgerechnet die, ein bestimmtes überirdisches Wesen habe hierbei seine Finger oder was auch immer im Spiel gehabt.
Und mehr als Denkmodelle, also Hypothesen oder Theorien gibt es bislang noch nicht, wenn es um die Frage nach der Existenz aller Dinge geht. Wissen kann man hier nur, dass man (noch) nichts (oder zumindest längst nicht alles) weiß.
Trotzdem einfach so zu tun, als sei das Märchen vom Schöpfer wahr, ist unredlich und unvernünftig. Unerklärbarkeit rechtfertigt weder einen Gott, noch macht es ihn erforderlich.
Was den biblischen Jahwe angeht: Den hatten sich Menschen in der Bronzezeit als kleinen Provinzialgott ausgedacht. Einer von unzählig vielen. Und nicht wirklich bedeutsam in der Mythologie dieser Zeit. Die Menschen fühlten sich von ihm beschützt. Sie stellten sich vor, dass er sie im Kampf gegen ihre Feinde unterstützen würde. Erst nach und nach wurde aus dem Wüstengott Jahwe, dem die Menschen ursprünglich die Göttin Aschera als Ehefrau dazuerfunden hatten, der angeblich „liebe Gott“, wie ihn auch die Christen bis heute verehren.
Während dieser Verwandlung wurden ungezählte Millionen von Menschen in seinem vermeintlichen Namen und Auftrag verfolgt, gefoltert und ermordet.
Gibts gar nicht? Egal…
Da auch Jahwe trotz angeblicher Allmacht und Allgüte noch niemals seine Absichten und Forderungen seriös belegbar bekannt gegeben hat, tun Menschen wie der Leserbriefschreiber einfach so, als handle es sich bei den biblischen Geschichten tatsächlich um den Willen des behaupteten Gottes. Der die ihm zugesprochenen Eigenschaften hat und Absichten verfolgt.
Die einzige Grundlage für diese kühnen Behauptungen ist die Bibel. Die ihrerseits nur Behauptung ist. Nicht Beweis.
Kurz zusammengefasst: Nicht Gott hat die Menschen nach seinem Abbild erschaffen. Sondern Menschen haben sich ihre jeweiligen Götter jeweils nach ihren Wünschen, Ängsten und Sehnsüchten selbst erschaffen. Und natürlich zu ihren sehr weltlichen Zwecken. Noch kein Gott hat sich jemals darüber beschwert oder auch nur dazu geäußert.
Dieser Schöpfer soll nun also in den Sexualkunde-Unterricht eingebunden werden. Weil in einer vormittelalterlichen Geschichtensammlung behauptet wird, er sei es gewesen, der Mann und Frau erschaffen habe.
Abgesehen von religiös-fundamentalistischen Spinnern wird wohl kaum jemand heute noch ernsthaft davon ausgehen, dass die biblische Schöpfungsgeschichte ein historischer Tatsachenbericht ist. Natürlich lässt sich in dieses absurde Inzest-Märchen vom über 800 Jahre alten Adam und der aus dessen Rippe erschaffenen Eva im Paradies so ziemlich alles hineininterpretieren, was einem so in den Sinn kommt. Nur: Welche Bedeutung sollen diese Interpretationen für die Sexualkunde im 21. Jahrhundert noch haben?
Sexualkunde: Schöpfer oder Klapperstorch?
Was unterscheidet Schöpfungsmythen vom Klapperstorch, der die Kinder bringt? – Das mit der Schöpfung hatten sich die Menschen früher ausgedacht als Klapperstorch, Osterhase und Zahnfee. Was den Schöpfergott kein bisschen plausibler oder wahrscheinlicher macht als die anderen Phantasiegestalten.
Weiter fragt der Leserbriefschreiber, ob Gott uns denn nicht gerne bewahren wollen würde, wie er auch Lot errettet hatte. Dazu verweist er auf diese Bibelstelle (Hervorhebung von mir):
- Auch die Städte Sodom und Gomorra hat er eingeäschert und zum Untergang verurteilt, als ein Beispiel für alle Gottlosen in späteren Zeiten. (2. Petr. 2,6 EU)**
Hier zeigt sich Jahwe von seiner gewohnt rachsüchtigen, brutalen und inhumanen Seite. Als ein Gott, der die Menschen, die nicht an ihn glauben, vernichtet. Und zwar deswegen, weil sie nicht an ihn glauben. Als Beispiel für alle Gottlosen in späteren Zeiten. Überschrieben ist dieses Kapitel mit: Das drohende Gericht über die Irrlehrer.
Gott: Gerechter Retter und Richter?
Als weiterer „Beweis“, dass Gott es doch gut mit den Menschen (also natürlich nur mit denen, die an ihn glauben) meint, nennt der Schreiber diese Bibelstelle:
- Den gerechten Lot aber, der unter dem ausschweifenden Leben der Gottesverächter litt, hat er gerettet; […] (2. Petr. 2,7 EU)
Wie immer, wenn Bibelstellen für eine gewünschte Aussage herausgepickt werden, lohnt sich auch hier ein Blick auf den umgebenden Text. Denn so gehts weiter (Hervorhebungen von mir):
- Der Herr kann die Frommen aus der Prüfung retten; bei den Ungerechten aber kann er warten, um sie am Tag des Gerichts zu bestrafen, besonders die, die sich von der schmutzigen Begierde ihres Körpers beherrschen lassen und die Macht des Herrn verachten. (2. Petr 2,9-10 EU)
Hier steht, dass der Herr erretten kann. Aber nicht, dass er es auch tut. Aber warum bestraft Gott die Ungerechten eigentlich nicht gleich? Ganz einfach: Weil sich nun einfach mal nicht erkennen lässt, dass Ungerechte zuverlässig bestraft werden. Deshalb wird die Bestrafung einfach auf den Zeitpunkt eines „jüngsten Gerichts“ verlegt.
Und auch hier steht wieder, wer als „ungerecht“ gilt und deshalb von Gott bestraft werden wird: Wer seine Sexualität auslebt und wer – wen wunderts – diesen Gott nicht anerkennt.
Ohne Flecken, Falten oder andere Fehler: Die Frau aber ehre den Mann
Die letzte herausgepickte Bibelstelle passt nur bei oberflächlicher Betrachtung zur Sexualkunde:
- Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, (Eph 5,25 EU)
Sie erscheint in einem anderen Licht, wenn man sie im Kontext liest (Hervorhebungen von mir):
- Einer ordne sich dem andern unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus.
22 Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn (Christus);
23 denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist; er hat sie gerettet, denn sie ist sein Leib.
24 Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, sollen sich die Frauen in allem den Männern unterordnen.
25 Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat,
26 um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen.
27 So will er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos.
28 Darum sind die Männer verpflichtet, ihre Frauen so zu lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst.
(Eph 5,21-28 EU) - Was euch angeht, so liebe jeder von euch seine Frau wie sich selbst, die Frau aber ehre den Mann. (Eph 5,33 EU)
Die Liebe zur Frau wird hier also nur als Analogie zur angeblichen Liebe von Christus zur Kirche beschrieben.
Das hier beschriebene Verhältnis von Unterwürfigkeit und Abhängigkeit mag den Zuständen des Vormittelalters entsprechen. Mit den heutigen Vorstellungen über Verhältnisse gleichberechtigter Partner haben solche Ansichten zum Glück nichts mehr zu tun.
Genausowenig mit der krankhaften Sexualmoral, die spätere Kirchenlehrer in die Bibel hatten einfließen lassen. Diese Ideen entsprechen der soziokulturellen Entwicklungsstufe des Vormittelalters. Sie sind heute bedeutungslos. Außer natürlich für Leute, die diese längst überholten Moralismen auch im 21. Jahrhundert noch für irgendwie bedeutsam halten. Und deshalb solche Leserbriefe zur Sexualkunde verfassen.
Weitere Bibelstellen für die christliche Sexualkunde
Abschließend noch exemplarisch einige Bibelstellen, die ebenfalls zum Thema Sexualkunde und Sexualmoral gepasst hätten. Aber die der Leserbriefschreiber aus irgendwelchen Gründen nicht herausgepickt hat:
- Wenn ein Mann eine Frau geheiratet und mit ihr Verkehr gehabt hat, sie aber später nicht mehr liebt und ihr Anrüchiges vorwirft, sie in Verruf bringt und behauptet: Diese Frau habe ich geheiratet, aber als ich mich ihr näherte, entdeckte ich, dass sie nicht mehr unberührt war!, wenn Vater und Mutter des Mädchens dann das Beweisstück ihrer Unberührtheit holen und zu den Ältesten der Stadt ans Tor bringen und der Vater des Mädchens den Ältesten erklärt: Ich habe diesem Mann meine Tochter zur Frau gegeben, aber er liebt sie nicht mehr, ja er wirft ihr jetzt Anrüchiges vor, indem er sagt: Ich habe entdeckt, dass deine Tochter nicht mehr unberührt war!; aber hier ist das Beweisstück für die Unberührtheit meiner Tochter!, und wenn sie das Gewand (aus der Hochzeitsnacht) vor den Ältesten der Stadt ausbreiten, dann sollen die Ältesten dieser Stadt den Mann packen und züchtigen lassen. Sie sollen ihm eine Geldbuße von hundert Silberschekel auferlegen und sie dem Vater des Mädchens übergeben, weil der Mann eine unberührte Israelitin in Verruf gebracht hat. Sie soll seine Frau bleiben. Er darf sie niemals entlassen. Wenn der Vorwurf aber zutrifft, wenn sich keine Beweisstücke für die Unberührtheit des Mädchens beibringen lassen, soll man das Mädchen hinausführen und vor die Tür ihres Vaterhauses bringen. Dann sollen die Männer ihrer Stadt sie steinigen und sie soll sterben; denn sie hat eine Schandtat in Israel begangen, indem sie in ihrem Vaterhaus Unzucht trieb. Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen.
(5. Mo 22, 13-21 EU)
Das Böse aus Israel wegschaffen
- Wenn ein Mann dabei ertappt wird, wie er bei einer verheirateten Frau liegt, dann sollen beide sterben, der Mann, der bei der Frau gelegen hat, und die Frau. Du sollst das Böse aus Israel wegschaffen. (5. Mo 22,22 EU)
- Wenn ein unberührtes Mädchen mit einem Mann verlobt ist und ein anderer Mann ihr in der Stadt begegnet und sich mit ihr hinlegt, dann sollt ihr beide zum Tor dieser Stadt führen. Ihr sollt sie steinigen und sie sollen sterben, das Mädchen, weil es in der Stadt nicht um Hilfe geschrien hat, und der Mann, weil er sich die Frau eines andern gefügig gemacht hat. Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegschaffen.
- Wenn der Mann dem verlobten Mädchen aber auf freiem Feld begegnet, sie fest hält und sich mit ihr hinlegt, dann soll nur der Mann sterben, der bei ihr gelegen hat, dem Mädchen aber sollst du nichts tun. Bei dem Mädchen handelt es sich nicht um ein Verbrechen, auf das der Tod steht; denn dieser Fall ist so zu beurteilen, wie wenn ein Mann einen andern überfällt und ihn tötet. Auf freiem Feld ist er ihr begegnet, das verlobte Mädchen mag um Hilfe geschrien haben, aber es ist kein Helfer da gewesen. (5. Mo 22, 23-27 EU)
- So ist die Ehefrau durch das Gesetz an ihren Mann gebunden, solange er am Leben ist; wenn ihr Mann aber stirbt, ist sie frei von dem Gesetz, das die Frau an den Mann bindet. (Röm 7,2 EU)
-
Bist du an eine Frau gebunden, suche dich nicht zu lösen; bist du ohne Frau, dann suche keine. Heiratest du aber, so sündigst du nicht; und heiratet eine Jungfrau, sündigt auch sie nicht. Freilich werden solche Leute irdischen Nöten nicht entgehen; ich aber möchte sie euch ersparen. Denn ich sage euch, Brüder: Die Zeit ist kurz. Daher soll, wer eine Frau hat, sich in Zukunft so verhalten, als habe er keine, […] (1. Kor 7,27-29 EU)
- Ein Mann, der mit der Frau seines Nächsten die Ehe bricht, wird mit dem Tod bestraft, der Ehebrecher samt der Ehebrecherin. (3. Mo 20,10 EU)
Fazit
Wer mehr darüber erfahren möchte, was es mit der christlichen „Sexualmoral“ auf sich hat, dem sei das Buch „Das Kreuz mit der Kirche – Eine Sexualgeschichte des Christentums“ von Karlheinz Deschner empfohlen.*
Um nochmal auf die Anregung des Leserbriefschreibers einzugehen: Nein, man sollte keinen Schöpfer in die Sexualkunde einbeziehen. Und auch in keinen anderen Unterricht.
Oder genauer gesagt: In gar nichts, was mit der irdischen Wirklichkeit zu tun hat. Und gleich zweimal nicht in irgendetwas, was das Leben aller Menschen betrifft, also auch derer, die gar nicht oder nicht mehr an Götter glauben.
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**Bibelstellen mit der Quellenangabe EU: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.
Aha - Frau Kiess redet sich ein, Ihr Gott meine es gut mit "uns". Schon mal was von der Theodizee-Problematik…