In unsere Zeit – Gedanken zu NACHGEDACHT 204

Lesezeit: ~ 6 Min.

Gedanken zu NACHGEDACHT 204: In unsere Zeit…, Originalartikel verfasst von Christina Lander, veröffentlicht am 04.12.16 von Osthessennews

[…] Warum sprechen wir überhaupt von Zeit?

Das kommt darauf an, aus welcher Perspektive man sich diesem Begriff nähert. Denn es gibt sehr viele Bereiche, in denen Zeit eine wichtige Rolle spielt: Zeit als physikalische Größe? Ihre Bedeutung in der Philosophie, Psychologie oder Biologie? Zeit in Bezug auf Kultur, Soziologie, Literatur?

Eine gute Ausgangsbasis, um mehr über die Zeit zu erfahren, bietet Wikipedia.

Kann Zeit etwas wollen?

Will sie [die Zeit] Eingrenzung, Bestimmung, Hektik, nur weil sie erbarmungslos weiterläuft?

Zeit(Ausnahmsweise mal eine) Gegenfrage: Will die Schwerkraft, dass alles, was auf Erden schwerer als Luft ist, zu Boden fällt? Ich meine, das ist keine Frage des Willens einer bestimmten physikalischen Größe. Sondern das ist einfach so.

Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft: Die Zeit verfolgt kein erkennbares Ziel. Sie ist damit genauso wenig barmherzig (oder erbarmungslos) wie alle anderen physikalischen Größen auch.

Die Frage ist nicht, was die Zeit will. Sondern vielmehr, wie Menschen mit der Unumkehrbarkeit der zeitlichen Abfolge umgehen.

Die von der Autorin genannten Überlegungen beziehen sich auf genau diese Fragen: Wie empfinden Menschen Zeit? Wie nutzen sie ihre Lebenszeit? Es handelt sich dabei also nicht um die Zeit an sich. Sondern um deren subjektive Wahrnehmung. Und die kann natürlich individuell sehr unterschiedlich sein.

Einige Eckdaten: Die Ausgangssituation

Hilfreich für einen sinnvollen Umgang mit der Zeit könnte es sein, sich zunächst die Ausgangssituation gemäß des heutigen Wissensstandes in Erinnerung zu rufen. Oder sie kennenzulernen:

  • Die Einteilung der Zeit in Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtausende ist eine von Menschen festgelegte Maßeinheit. Diese orientiert sich an der ungefähren Dauer eines Herzschlages, die etwa einer Sekunde entspricht.
  • Die Bereiche, in denen sich Zeit anders als in der irdischen, wahrnehmbaren Wirklichkeit verhält, liegen (noch) außerhalb der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit. Und spielen deshalb für den alltäglichen Umgang mit Zeit praktisch keine Rolle.
  • Es existieren noch andere Konzepte, um Zeiträume zu beschreiben. So gliedert zum Beispiel die geologische Zeitskala die Erdgeschichte in Äon, Ära, Periode, Epoche und Alter.
  • Um sich sonst unvorstellbar große Zeiträume besser vorstellen zu können, kann man das gesamte Erdzeitalter auf einen Tag umrechnen. Legt man die Entstehung der Erde auf 00:00:00 Uhr eines Tages, so hätte der Homo sapiens erst um 23:59:56 Uhr erstmals die irdische Bühne betreten. Die meiste Zeit ihres Bestehens war die Erde also tatsächlich „wüst und leer.“

Ewigkeit = Zeitlosigkeit?

  • Der Begriff „Ewigkeit“ stand ursprünglich einfach nur für einen sehr langen Zeitraum. Die Umdeutung dieses Begriffes zur „Zeitlosigkeit“ geht auf Augustinus zurück. Es handelt sich bei der Ewigkeit also nicht um eine physikalische, sondern um eine theologische Definition. Und so wundert es kaum, dass die Ewigkeit im Christentum eine wichtige Rolle spielt: Man verspricht Gläubigen die ewige himmlische Herrlichkeit und droht Un- und Andersgläubigen mit ebenso ewiger Bestrafung durch Höllenqualen.

Zeit in der Bibel

[…] Bei meinen Gedanken über die Zeit ist mir aber auch noch dies eingefallen.

„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. – […]

Betrachtet man die Zeit aus biblischer Sicht, so stößt man auf viele Ungereimtheiten. An diesen lässt sich erkennen, dass die anonymen Verfasser der biblischen Mythen und Legenden noch sehr vage Vorstellungen von Zeit gehabt haben müssen.

Da sind Menschen 500 Jahre und älter – vom sprichwörtlich „biblischem Alter“ ist ja sogar heute noch im alltäglichen Sprachgebrauch manchmal die Rede. Auch Menschen mit schwach ausgeprägtem Sinn für die Realität, die das Alter der Erde mit 6000 Jahren angeben, berufen sich heute noch auf die Bibel, um diese irrwitzige Annahme zu „begründen.“

Zeitangaben suggerieren Authentizität

Zeitangaben erfüllen einen wichtigen Zweck. Etwas, das einem bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum zugeordnet werden kann, lässt sich wesentlich besser überprüfen, als etwas, was mit „es war einmal…“ oder „vor langer, langer Zeit,…“ beginnt.

Wie sehr Behauptungen durch eine zeitliche Fixierung an Glaubwürdigkeit gewinnen können, lässt sich eindrucksvoll am Beispiel der literarischen Kunstfigur Jesus Christus erkennen.

Um dessen Mythen und Legenden glaubwürdiger erscheinen zu lassen, bediente man sich mehrerer Tricks, für die Zeit eine wichtige Rolle spielt.

1. Der Realitätstrick

Als Vorlage für den Gottessohn verwendete man einfach einen Menschen, der möglicherweise tatsächlich gelebt haben könnte. Da von diesem historisch möglicherweise belegbaren Jesus keine Zeitzeugenberichte existieren (ein starkes Indiz für die geschichtliche Bedeutungslosigkeit dieser Person), konnten die anonymen Bibelschreiber schon wenige Jahrzehnte nach der mutmaßlichen Hinrichtung des jüdisch-aramäischen Wanderpredigers diesem eine Biographie zusammenschreiben, die mit dem Leben der tatsächlichen Person außer einem ähnlichen Namen und wenigen anderen Eckdaten nichts gemein hat.

Man verwendete einfach die mündlichen Überlieferungen des überwiegend analphabetischen, einfachen Hirtenvolkes aus der Wüste. Und reicherte dieses Gerüst mit allerlei Mythen und Legenden an, um die angebliche Göttlichkeit zu belegen.

2. Der Lebenslauf-Trick

Der zweite Trick besteht darin, dass die Geschichten über Jesus von den Autoren in eine zeitliche Abfolge gebracht worden waren. Ausnahmslos alles, was an Wundersamem über Jesus zu lesen ist, findet sich auch in Mythen und Legenden früherer „Gottessöhne.“ Und trotzdem erscheint diese Geschichtensammlung in der Bibel authentischer – weil sie ja so dargestellt werden, als handle es sich dabei um Ereignisse, die in einer zeitlichen Abfolge geschehen seien.

Bibelforscher können heute erstaunlich präzise belegen, wie die Evangelien entstanden. So finden sich im ältesten Text noch verhältnismäßig viele Stellen, die Jesus als Mensch beschreiben. Als jemand, dessen Lebenslauf mit Motiven aus früheren Mythen und Legenden angereichert worden war.

Da alle weiteren Evangelien auf dem Urtext basieren, lässt sich gut nachvollziehen, wie die menschliche, irdische Seite immer weiter in den Hintergrund und die übermenschliche, göttliche Seite in den Vordergrund gerückt worden war.

Speiste Jesus zunächst noch „viele“, waren es später „alle.“ Heilte er erst einen Kranken, waren es später zwei. Mindestens.

Durch diese sprachliche Überhöhungen wurde aus Jesus von Nazaret im Lauf der Zeit der biblische Jesus Christus. Bis hin zu dessen Vergöttlichung. Diese war auch noch aus einem anderen Grund erforderlich, der ebenfalls mit Zeit zu tun hat.

Jesus hatte sich geirrt

Denn wie die Bibel berichtet, hatte Jesus offenbar eine recht genaue Vorstellung, wann die von ihm angekündigte Ankunft seines Herren zu erwarten sei: Zeitnah. Äußerst zeitnah.

  • Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft. (Mt 24,34 EU)

Heute, knapp 2000 Jahre später, können wir mit Fug und Recht behaupten, dass er sich damit ganz offenbar gründlich geirrt hatte.

Die Zeit verging. Die Mitglieder der jüdischen Endzeitsekte warteten und warteten – doch Gott wollte einfach nicht erscheinen. Und so machte man kurzerhand den Verkünder zum Verkündeten. Als solcher durfte er natürlich nicht mehr nur Mensch gewesen sein. Er musste selbst Gott werden. Bis heute glauben Menschen diese absurde, völlig unlogische Geschichte.

Es begab sich aber zu der Zeit…?

Die von der Autorin erinnerte Bibelstelle „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging,…“ lässt sich historisch nicht belegen. Es ist ziemlich sicher ausgeschlossen, dass es diese Volkszählung überhaupt gegeben hat. Wozu dann aber der ganze Aufriss?

Vielmehr deutet alles darauf hin, dass auch diese Geschichte so konstruiert wurde, dass sie einen bestimmten Rahmen für den fiktiven Lebenslauf des Jesus Christus ergab.

Gleiches gilt für die angeblichen Stammbäume Jesus. Mit denen belegt werden sollte, dass Jesus ein Nachkomme des König Davids gewesen sein soll. Also eines Herrschers, der zur Zeit von Jesu Geburt schon 1000 Jahre tot war. Aus diesem Grund musste der Geburtsort von Jesus nach Betlehem verlegt werden.

Was sich in der Bibel wie ein chronologischer Lebenslauf liest, ist in Wirklichkeit eine Legendensammlung, die nachträglich in eine zeitliche Abfolge gebracht worden war. Was nicht passte, wurde passend gemacht. Episoden wurden hinzugedichtet, weggelassen, umformuliert und ausgeschmückt, dass sie wie die Biographie eines echten Menschen erscheinen.

Die biblische „Verewigung“ der Geburt von Jesus war auch deshalb erforderlich, um seine göttliche Abstammung zu „beweisen.“ Dass einem Geist die Rolle des Erzeugers zukam, der seinerseits, genauso wie auch der Sohn, je ein Drittel eines dreifaltigen Gottes sein soll, schien damals niemandem verdächtig vorgekommen zu sein.

3. Der Prophezeiungstrick

Und schließlich trifft man im Neuen Testament immer wieder auf Stellen, an denen sich scheinbar Prophezeiungen aus dem Alten Testament erfüllen. Auf Menschen, die die Geschichten im Neuen Testament für wahr hielten, musste das mächtig Eindruck gemacht haben.

Doch auf die Idee, dass die Geschichte auch einfach so hätte gefälscht sein können, dass es so aussieht, als hätten schon die Propheten in der Bronzezeit das Erscheinen von Jesus angekündigt, scheinen sie nicht gekommen zu sein.

Kollektiv-Phantasie: Alle Jahre wieder…

Dieses kleine Kind kommt jedes Jahr wieder, immer wieder in unsere Zeit und möchte uns unser Leben, unsere Zeit, mit Sinn erfüllen.

Bei so wichtigen Punkten wie dem, was unser Leben mit Sinn erfüllt, halte ich es für wichtig, ganz besonders kritisch und genau hinzuschauen. Und schaut man genau hin, fällt schnell auf, dass „dieses kleine Kind“ eben nicht „jedes Jahr wieder“ „in unsere Zeit“ kommt und irgendetwas „möchte.“

Der historische Jesus von Nazaret ist, wie jeder andere Mensch auch, höchstens ein einziges Mal auf die Welt gekommen.

Wenn der biblische Jesus Christus alle Jahre wieder auf die Welt kommt, dann höchstens in der Phantasie von Menschen. So ähnlich wie Aschenputtel, die ja auch jedes Jahr wieder kommt, um ihre drei Nüsse abzuholen.

Welchen besonders bedeutsamen Sinn ausgerechnet eine Phantasiefigur aus dem Vormittelalter dem Leben von Menschen im 21. Jahrhundert bringen soll, erschließt sich mir nicht. Dass es nicht nur mir so geht, zeigt sich auch in der Tatsache, dass immer weniger Menschen noch ihre kostbare Lebenszeit damit verbringen möchten, in archaischen Mythen und Legenden einen Sinn erkennen zu wollen.

Was ja nicht heißt, dass man sich von diesen Geschichten nicht inspirieren lassen kann – aber dafür gibt es auch noch viele andere Bücher, die um Längen lesenswerter sind als die Bibel, das am meisten überschätzte Buch der Welt.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.
**Wir haben keinen materiellen Nutzen von verlinkten oder eingebetteten Inhalten oder von Buchtipps.

FacebooktwitterredditpinterestlinkedintumblrmailFacebooktwitterredditpinterestlinkedintumblrmail

Deine Gedanken dazu?

Fragen, Lob, Kritik, Ergänzungen, Korrekturen: Trage mit deinen Gedanken zu diesem Artikel mit einem Kommentar bei!

Wenn dir der Artikel gefallen hat, freuen wir uns über eine kleine Spende in die Kaffeekasse.

Ressourcen

Gastbeiträge geben die Meinung der Gastautoren wieder.

Wikipedia-Zitate werden unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike veröffentlicht.

AWQ unterstützen

Jetzt einfach, schnell und sicher online bezahlen – mit PayPal.

Wir haben, wenn nicht anders angegeben, keinen materiellen Nutzen von verlinkten oder eingebetteten Inhalten oder von Buchtipps.

Neuester Kommentar