„Gott existiert nicht“ – Neujahrsempfang: „Hat die Wissenschaft Gott begraben?“, Gedanken zum Vortrag von Dr. Jürgen Spieß

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„Gott existiert nicht“ – Neujahrsempfang: „Hat die Wissenschaft Gott begraben?“, Originalartikel über einen Vortrag von Dr. Jürgen Spieß verfasst von Marion Eckert, veröffentlicht am 10.01.17 von Osthessennews

In der Christlichen Tagungsstätte sprach er [Dr. Jürgen Spieß] von einer neuen Generation von Skeptikern und (Natur-) Wissenschaftlern, die die Welt vom Glauben befreien wollen. „Bei ihnen wird die Gottesfrage zu einer Frage der Wissenschaft.“ Ihr bekanntester Vertreter sei der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins, der in seinem Weltbeststeller „Der Gotteswahn“ zu dem Schluss kommt: „Gott existiert mit ziemlicher Sicherheit nicht.“

Die Frage, ob Götter existieren, wäre völlig einerlei, wenn es nicht Menschen gäbe, die so tun, als gäbe es Götter. Den Erkenntnisstand, über den die Menschheit heute verfügt, verdanken wir nun mal den wissenschaftlichen Methoden der Erkenntnisgewinnung. Auch wenn diese Erkenntnisse nicht immer allen Menschen in den Kram passen.

Während sich indessen die Theologie seit eh und je mit ihren selbst erfundenen Scheinproblemen befasst. Probleme, bei denen schon die Voraussetzungen lediglich behauptet sind. Und deshalb geglaubt werden müssen.

Wer Wissenschaft, Philosophie und Kunst hat, braucht keine Religion.

Wissen ist das Gegenteil von religiösem Glauben

EinerleiEine wissenschaftliche Herangehensweise ermöglicht eine immer umfassendere und genauere, aber immer ergebnisoffene Annährung an die Realitiät. Statt Behauptungen wider besseres Wissen oder zumindest ohne jeglichen Beleg für wahr zu halten, hinterfragt ein kritisch denkender Mensch, wie plausibel eine Behauptung ist. Dabei unterscheidet er zwischen „gesichertem Wissen“, Hypothesen, Theorien und Modellen.

Ein wissenschaftlicher Standpunkt ist ergebnisoffen. Das heißt, Erkenntnisse gelten nur, bis sie durch neuere Erkenntnisse widerlegt werden. Es handelt sich also um eine ständige Annäherung. Und nicht um eine dogmatisch festgelegte, unabänderbare, meist schon längst als falsch entlarvte „Wahrheit“, wie es bei religiösen Lehren der Fall ist.

Gläubige Menschen geben oft an, dass sie sich absolut nichts vorstellen können, was sie in ihrem Glauben erschüttern könnte. Für einen rational denkenden Menschen würde ein einziger seriöser Beweis genügen, um die Existenz des jeweils behaupteten Gottes zumindest nicht mehr auszuschließen.

Umgekehrt wird dieser Mensch aber eben auch nicht einfach so tun, als gäbe es überirdische, unsichtbare und nicht nachweisbare Phantasiewesen. Und dies ist der Hauptkritikpunkt an Religion: So zu tun, als gäbe es Gott.

Dr. Jürgen Spieß bedient sich altbekannter rhetorischer Tricks

Spieß könne sich dieser Aussage nicht anschließen. Es gebe Themen, auf die die Wissenschaft keine Antwort geben könne, wie Fragen der Schönheit, der Ehtik und die der Religion.

Selbstverständlich kann die Wissenschaft Antworten auf Fragen wie die der Schönheit, der Ethik und die der Religion geben. Damit ist diese Behauptung inhaltlich falsch. Die wissenschaftliche Erkenntnis über die Religion ist, dass sie nichts weiter als ein sozio-kulturelles, rein von Menschen erschaffenes, mythomotorisches Phänomen ist. Dieses Ergebnis dürfte Herrn Dr. Jürgen Spieß aber nicht allzu gut in den Kram passen.

Deshalb ist es nicht weiter erstaunlich, dass auch Herr Dr. Jürgen Spieß sich der längst bekannten und x-fach widerlegten Bewältigungsstrategien bedient, auf die man immer wieder trifft. So auch hier. Würde man fälschlicherweise unterstellen, die Wissenschaft könne auf die genannten Fragen tatsächlich keine Antworten geben, so würde es sich dabei um ein „Argumentum ad ignorantiam„** handeln. Also um ein Argument, das an Nichtwissen appelliert. Durch Nichtwissen wird eine beliebige Behauptung nicht plausibler. Es belegt nur, dass man etwas einfach (noch) nicht weiß.

Und es geht direkt weiter mit einer ebenfalls leicht durchschaubaren Scheinargumentation:

Zwar sei Gott durch seine Menschwerdung in Jesus Christus datierbar und lokalisierbar geworden, doch zugleich sei er nicht greifbar oder messbar.

Nicht mal das Leben des Menschen, dem die christliche Gottessohnlegende übergestülpt wurde, ist einwandfrei datier- und lokalisierbar. Wer durch diesen Menschen ganz sicher weder datier- noch lokalisierbar wurde, ist Gott. Genauso „plausibel“ könnte man behaupten, durch Osiris seien der Erdgott Geb und die Himmelsgöttin Nut datierbar und lokalisierbar geworden.

Jesus, weder die historisch möglicherweise belgbare Person, noch die biblische Phantasiefigur, machen einen Gott datier- oder lokalisierbar. Die Taktik, Jesus je nach Bedarf als Mensch, als Gottessohn oder auch als zweites Drittel von Gott selbst zu behaupten, wird immer wieder gern angewendet, um augenscheinliche Widersprüche zu umschiffen.

Vorgeben, etwas zu wissen, was man nicht weiß

„Er hat die Welt geschaffen, er steht ihr gegenüber“, sagte Spieß.

Wer solches behauptet, gibt vor, Dinge zu wissen, die er nicht wissen kann. Genauso sinnvoll könnte ich behaupten, Rumpelstilzchen habe die Welt geschaffen und steht ihr gegenüber. Oder DAye9r4o. Eine solche Behauptung kommt deshalb einer intellektuellen Bankrotterklärung gleich.

Über etwas oder jemand, was ich als nicht greifbar oder messbar behaupte, kann ich alles Beliebige behaupten. Abgesehen von einem möglicherweise irgendwie zu erkennenden Unterhaltungswert sind solche Aussagen aber nicht nur sinnlos, sondern widersinnig. Sicher dürfte das Herrn Dr. Spieß auch bewusst sein, dass damit die Frage, wer denn dann den Schöpfer geschöpft haben soll, auch noch nicht beantwortet wird. Und tatsächlich:

Wissenschaftlich bewiesen werden könne das aber nicht, zumindest nicht mit den heute zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Methoden. „Die Existenz Gottes ist wissenschaftlich nicht beweisbar, es gibt keinen rein logischen Beweis“, so Spieß.

Es gibt nicht nur keinen „rein logischen“, sondern gar keinen seriösen Beweis, dass auch nur einer der tausenden von Menschen schon behaupteten Götter existieren. Keinen einzigen.

Damit wiederspricht Herr Dr. Spieß übrigens seiner vorherigen Aussage, Gott sei in Jesus Christus datierbar und lokalisierbar geworden. Denn das wurde er eben nicht. Und so bleibt auch der christliche Wetter-Berge-Wüsten-Kriegs-Lieber-Gott Jahwe weiterhin die schlechte Hypothese, die er schon immer war. Ein Schicksal, das er mit allen anderen Göttern teilt, die sich die Menschheit schon ausgedacht hatte.

In die Bestätigungsfehler-Falle getappt

Gerne werden Dinge, die wissenschaftlich nicht erklärt werden können Gott oder einer höheren Macht zugeschrieben. „Auf diese Weise wird Gott zu einem Lückenbüßergott gemacht“, fasste Spieß zusammen. Doch je mehr die Wissenschaft erklären könne, desto kleiner werde diese Lücke für Gott. „Das ist ein falscher Ansatz“, sagte Spieß. „Gott ist kein Lückenbüßergott. Ich glaube nicht an Gott, wegen der Dinge, die ich nicht verstehen kann, sondern wegen der Dinge, die ich verstehe. […]

Weder die Wissenslücken, noch die Dinge, die wir verstehen, rechtfertigen die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen der Wirklichkeit und einem überirdischen Wesen.

Wie Herr Dr. Jürgen Spieß ja selbst einräumt, ist die von ihm für wahr gehaltene Gottheit weder wissenschaftlich-logisch beweisbar, noch greif- oder messbar. Und kann deshalb nur behauptet werden. Oder geglaubt. Sie ist damit nicht von einem beliebigen Hirngespinst unterscheidbar. Was nicht heißt, dass die Vorstellung von Gott als mythomotorisches Phänomen nicht existiert – aber eben ausschließlich in den Köpfen von Menschen.

[…] Je mehr ich von der Welt verstehe, desto beeindruckter bin ich von Gott, dieser Intelligenz, die hinter allem steht.“

Hier haben wir einen klassischen Bestätigungsfehler, auch bekannt als confirmation bias. Es handelt sich dabei um den wohl am häufigsten anzutreffenden Denkfehler im Zusammenhang mit religiösen Vorstellungen. Auch jedes vermeintlich „in Erfüllung“ gegangene Gebet ist ein Beispiel für diesen Denkfehler.

Denn praktisch jeder Gläubige versucht ja, in allen möglichen Wahrnehmungen eine Bestätigung für die Existenz seines Gottes zu erkennen. Weil es sich nun mal bestens bewährt hat, die Plausibilität einer Behauptung zu prüfen, indem man überprüft, was diese bestätigt. Obwohl religiöser Glaube ja gerade verlangt, bestimmte Behauptungen ohne jede Bestätigung für wahr zu halten.

Geht man dabei jedoch von falschen, weil nur ebenfalls nur behaupteten oder geglaubten Voraussetzungen aus (Gott existiert), dann tappt man in die Bestätigungsfehlerfalle. So auch hier.

Damit ist auch diese Aussage als Scheinargumentation recht einfach zu durchschauen.

Klassischer Fehlschluss

So seien Glaube und Wissenschaft keine Gegensätze, sondern durch die Wissenschaft könne die Großartigkeit und Einzigartigkeit dieses Gottes immer deutlicher wahrgenommen und verstanden werden.

Glaube ist das Wahrhalten von Dingen, die man nicht weiß. Somit ist Glauben natürlich der genaue Gegensatz eines wissenschaftlichen, rationalen, ergebnisoffenen Standpunktes.

Durch wissenschaftliche Erkenntnis kann nicht die Großartigkeit und Einzigartigkeit von erfundenen Phantasiewesen immer deutlicher wahrgenommen und verstanden werden. Vielmehr verstärken ausnahmslos alle wissenschaftliche Erkenntnisse die Unwahrscheinlichkeit von Götterwesen. Und wieder schlägt der klassische Bestätigungsfehler, die kognitive Verzerrung zu.

Am Beispiel eines Flugzeugs verdeutlichte es Spieß: Je mehr man verstehe, welche technischen Entwicklungen und Findigkeiten notwendig seien, um ein Flugzeug fliegen zu lassen, desto beeindruckter sei man in der Regel.

Beeindruckt ist man davon, dass Menschen durch rationales, wissenschaftliches Nachdenken und effektives Handeln in der Lage sind, Flugzeuge zu konstruieren. Ein Flugzeug ist somit ein Beleg für die menschliche Fähigkeit, die natürlichen Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu nutzen.

Nicht durch starken Glauben, sondern durch eine rationale Vorgehensweise und durch einen evolutionären Entwicklungsprozess (Beobachtung, Versuch, Verbesserung) gelang es Menschen, Flugzeuge abheben zu lassen.

Un-intelligentes Design

Genauso sei es mit dem Kosmos und dem Leben, sei es mit Gott. „Es ist unfassbar, wie gut alles konstruiert ist. Gerade deshalb kann ich an Gott glauben. Die Wissenschaft kann dazu führen, groß von Gott zu denken.“

Dieser kreationistisch anmutende Ansatz verfehlt ebenfalls sein Ziel, Gott zu beweisen. Längst nicht alles ist „gut konstruiert“. Ganz im Gegenteil: An allen Ecken und Enden finden sich Belege dafür, dass ein Schöpfer, sollte es ihn denn entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch gegegben haben, alles andere als intelligent und geschickt gewesen sein muss. Die Faktenlage schließt einen intelligenten Designer, der zudem ja auch noch allmächtig, allwissend und allgütig sein soll, aus. Und würde vielmehr für einen dilletantischen Pfuscher sprechen.

Wenn es für Dr. Jürgen Spieß unfassbar ist, wie gut alles konstruiert ist, dann ist sein Gott eben doch wieder genau der „God of the gaps“, also der Lückenbüßer-Gott, von dem er sich kurz vorher noch distanziert hatte.

Indem Herr Dr. Jürgen Spieß den Spieß umdreht und statt der Wissenslücken die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Gottesbeweis erklärt, bleibt seine Argumentation trotzdem wertlos. Denn das, was für ihn unfassbar ist, ist nun mal (noch) unfassbar. Und das, was fassbar ist, lässt sich erklären und auf die jeweils vorausgegangenen Ursachen zurückführen.

Entstehung von Göttervorstellungen

Früher fürchteten sich die Menschen in ihren Höhlen vor dem Donner. Sie konnten sich dessen Ursache einfach nicht erklären, weil sie noch nicht über das Wissen verfügten, wie Donner entsteht. Deshalb erfanden sie einen Gott, den sie zum Verursacher des Donners erklärten. Da wir heute die tatsächlichen Ursachen von Donner kennen, wird Donner nur noch selten als Gottesbeweis genannt.

Wer heute noch behaupten würde, Donner seien Nachrichten göttlichen Ursprungs, würde kaum noch erwarten können, von irgendwem ernstgenommen zu werden. Genausowenig kann Herr Dr. Jürgen Spieß erwarten, dass jemand seine Behauptungen ernst nimmt. Das Nichtverstehen der Komplexität des Universums oder der Funktionsweise evolutionärer Vorgänge belegt lediglich eben dieses Nichtverstehen.

Wobei gerade die Funktionsweise der Evolution nicht nur sehr gut erforscht und x-tausendfach belegt ist, sondern auch noch zumindest in ihren Grundlagen heute schon Vorschulkindern problemlos vermittelt werden kann und sollte. Statt Kinder auch im Jahr 2017 noch mit inhumanen, absurden Göttermythen und Schöpfungslegenden in die Irre zu führen.

Widerlegung des Design-Argumentes

Wer wie offenbar auch Herr Dr. Jürgen Spieß tatsächlich glaubt, der Kosmos und das Leben sei „gut konstruiert“, findet zum Beispiel hier und hier die Widerlegung dieses Arguments. Die Widerlegungen weiterer „Gottesbeweise“ finden sich zum Beispiel hier.

Doch das könne nur, wer an Gott glaube.

Warum sollte man das tun? Warum sollte man etwas für wahr halten, was bis zum Beweis des Gegenteils nun mal nicht wahr ist? Cui bono?

Spieß sprach von Wissenschaftlern, die durch die wissenschaftliche Beschäftigung mit er Welt zum Glauben an Gott kamen. Genauso gebe es eben auch Wissenschaftler, die nicht an Gott glauben.

Diese Aussage, die eigentlich nichts aussagt, ist auch insofern fragwürdig, als dass es für „Gott“ keinerlei verbindliche und allgemein anerkannte Definition gibt. Etwas wird nicht dadurch wahr, dass es jemand für wahr hält, indem er daran glaubt. Die Schwerkraft wirkt auch unabhängig davon, ob jemand an sie glaubt oder nicht.

Fazit

Ja, die Wissenschaft hat Gott begraben. Gott existiert bis zum Beweis des Gegenteils mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht.

Weder durch Wissenslücken, noch durch wissenschaftliche Erkenntnisse wird die Existenz eines überirdischen Wesens plausibel. Und die Existenz eines solchen Wesens mit den Eigenschaften, das es gemäß christlicher Lehre haben soll, ist zum Glück ganz ausgeschlossen.

Die Argumentation von Dr. Spieß beruht auf altbekannten Denkfehlern und Argumentationstricks:

  • Argumentum ad ignorantiam:

    • Die Wissenschaft kann auch nicht alles erklären (die Religion kann indes gar nichts erklären)…
    • Das, was ich nicht weiß, bestätigt mich darin, dass es den von mir angenommenen und behaupteten Gott geben muss (erst von Dr. Spieß als ungültiges Argument abgelehnt („Lückenbüßergott“), dann aber doch verwendet („…unfassbar, wie gut alles konstruiert ist“)
  • Vorgeben, etwas zu wissen, was man nicht weiß:
    • Gott wurde durch Jesus datierbar und lokalisierbar
    • Gott hat die Welt geschaffen und steht ihr gegenüber
  • Bestätigungsfehler:

    • Das, was ich weiß, bestätigt mich darin, dass es den von mir angenommenen und behaupteten Gott geben muss
  • Design-Argument:
    • Das Universum und das Leben sind so komplex, dass es nicht „einfach so“ entstanden sein kann (kann es augenscheinlich doch)
  • Immunisierung gegen Kritik:
    • Gott ist nicht greif- und messbar
    • Gott ist wissenschaftlich oder logisch nicht beweisbar (und damit allerdings auch völlig beliebig definierbar und nicht von einem Hirngespinst oder einer Wahnvorstellung unterscheidbar; durch solche Festlegungen entzieht man sich einer sachlichen Diskussion)

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.
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