Suchet der EU Bestes! – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Suchet der EU Bestes! – Das Wort zum Wort zum Sonntag, gesprochen von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 1. April 2017 von ARD/daserste.de

Doch wenn in diesen Tagen die Austrittsverhandlungen mit der britischen Regierung beginnen, macht mich das auch einfach traurig. So eng sind doch die Geschichten unserer Länder und Kulturen miteinander verbunden, dass ein Zurück ziemlich verrückt erscheint.

Genauso verrückt erscheint es mir, wenn jemand, der in einer religiös erweiterten Scheinwirklichkeit lebt, diese als relevant für das weltpolitische oder gesellschaftliche Geschehen im 21. Jahrhundert zugrunde legt.

Viel mehr rückwärtsgewandtes „Zurück“ geht ja eigentlich nicht. Das wird auch im heutigen Wort zum Sonntag einmal mehr deutlich. Denn die von Herrn Dr. Beck herausgepickte Bibelstelle erscheint in einem ganz anderen Licht, wenn man den Kontext betrachtet.

Das Beste der EU

Die längste jemals erreichte Friedensphase relativiert für mich wirklich alle anderen Krisensymptome und Kuriositäten.

Hierzu halte ich es einmal mehr für sinnvoll, sich die 6 grundlegenden europäischen Werte** in Erinnerung zu rufen. Einer der Bausteine ist die Säkularisierung. Also die Trennung von Kirche und Staat.

Dass ausgerechnet das Christentum heute versucht, sich als Friedensbewegung zu profilieren, war erst möglich (bzw. erforderlich) geworden, nachdem die Kirche durch Säkularisierung und Aufklärung entmachtet worden war.

In der Bibel heißt es bei dem Propheten Jeremia: „Sucht der Stadt Bestes!“ (Jer 29,7).

Auf genau diese Bibelstelle könnten sich auch die austrittswilligen Briten berufen. Sie meinen, durch den Austritt aus der EU das für sie Beste zu finden. Denn natürlich möchten sie auch weiterhin von den vielen Vorteilen profitieren, die die EU auch ihnen zu bieten hat.

…dass ihr nicht weniger werdet

Die Bibelstelle, aus der Herr Dr. Wolfgang Beck hier zitiert, enthält recht fragwürdige Aussagen, die dem Autor aber offenbar nicht in den Kram gepasst hatten. Und die er deshalb nicht herausgepickt hat (Hervorhebungen von mir):

  • Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. […]***

Es geht also offenbar darum, dass das auserwählte Volk dieses Gebiet besetzen soll. Und nicht explizit um ein friedliches Miteinander. Sondern darum, dass der HERR sich davon augenscheinlich eine Ausdehnung seines Machtbereichs verspricht.

Dann präsentiert sich der HERR aber erstmal als Bringer von Frieden, Zukunft und Hoffnung. Natürlich nur für sein auserwähltes Volk:

  • Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. […]

…so friedlich gehts dann aber doch nicht zu. Denn erstmal müssen die Feinde vernichtet werden. Wenn dieser HERR also friedliche Gedanken für sein Volk hat, dann verhält er sich seinen vermeintlichen Feinden (also denen, die ihn nicht anerkennen) gegenüber wie ein gestörter, brutaler, widerwärtiger Sadist, wie wir gleich sehen werden.

Aber dieser Prophet Jeremia hat offenbar klar, dass niemandem geholfen ist, wenn nur das Schlimme und das Ärgerliche im Blick ist.

…und will hinter ihnen her sein mit Schwert, Hunger und Pest

Nein. Der Prophet Jeremia hat offenbar klar, dass sich sein HERR persönlich um das Schlimme und Ärgerliche kümmert:

  • ja, so spricht der HERR Zebaoth: Siehe, ich will Schwert, Hunger und Pest unter sie schicken und will sie machen wie die schlechten Feigen, davor einem ekelt zu essen, und will hinter ihnen her sein mit Schwert, Hunger und Pest und will sie zum Bild des Entsetzens machen für alle Königreiche auf Erden, zum Fluch, zum Grauen, zum Hohn und zum Spott unter allen Völkern, wohin ich sie verstoßen werde, weil sie meinen Worten nicht gehorchten, spricht der HERR, der ich meine Knechte, die Propheten, immer wieder zu ihnen gesandt habe. Aber ihr wolltet nicht hören, spricht der HERR.

Starker Tobak. Und schon erscheint das mit dem „Besten der Stadt“ und den friedlichen Gedanken in einem ganz anderen Licht…

Diese ganze Geschichte legt die Vermutung nahe, dass hier einfach nur ein kleines, benachteiligtes Völkchen seine Wünsche und Hoffnungen auf seinen vermeintlichen überirdischen Machthaber projiziert. Aber damit nicht genug:

Vernichtung der Feinde ist Chefsache

Was dagegen schnell aus dem Blick gerät, sind die Dinge, die ganz gut laufen.

Zum Beispiel die Vernichtung der Feinde. Denn das ist Chefsache. Und damit diese Dinge, die ganz gut laufen nicht vergessen werden, legt der HERR noch nach:

  • So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, wider Ahab, den Sohn Kolajas, und wider Zidkija, den Sohn Maasejas, die euch Lügen weissagen in meinem Namen: Siehe, ich will sie geben in die Hand Nebukadnezars, des Königs von Babel. Der soll sie totschlagen lassen vor euren Augen, sodass man ihre Namen zum Fluchwort machen wird unter allen Weggeführten aus Juda, die in Babel sind, und sagen: Der HERR tue an dir wie an Zidkija und Ahab, die der König von Babel im Feuer rösten ließ, weil sie eine Schandtat in Israel begingen und trieben Ehebruch mit den Frauen ihrer Nächsten und predigten Lüge in meinem Namen, was ich ihnen nicht befohlen hatte. (Quelle der Bibelstellen: Jer 29 Einheitsübersetzung)

Nebenbei gefragt: Woran lässt sich erkennen, ob jemand Lüge oder „Wahrheit“ im Namen des HERRN predigt? Besonders heute, wo Gott es ja offenbar vorzieht, Abstand davon zu nehmen, sich (auch) diesbezüglich selbst zu äußern?

Der EU Bestes – für wen?

Mit dem Propheten Jeremia ließe sich programmatisch sagen: „Sucht der EU Bestes!“

Genauso programmatisch ließe sich mit dem Propheten Jeremia auch sagen: „Sucht in der EU das für euch Beste!“

Und einmal mehr stellt sich die Frage, was sich Menschen überhaupt davon versprechen, in Mythen und Legenden über einen widerwärtigen, inhumanen, kriegs-, rach- und eifersüchtigen, selbstgerechten HERRN, den sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten, nach für die gegenwärtige Zeit bedeutsamen Weisheiten zu suchen.

Ist es nicht auch für den Wetter-Berge-Wüsten-Kriegs-Rache-Lieben Gott Jahwe höchste Zeit, seinen vielen Kollegen in den (nicht wohlverdienten) Ruhestand zu folgen? Ich meine, es ist allerhöchste Zeit.

Vielleicht ist der nun eingeläutete Brexit ja ein Impuls, sich der Großartigkeit der EU klar zu werden.

Vielleicht ist die Großartigkeit der EU ja ein Impuls, sich endlich von der Vorstellung, religiöse Legenden seien heute noch von außergewöhnlicher Bedeutung zu befreien. Von einer Ideologie, die für mehr Leid und Trennung unter Menschen gesorgt hat als irgendetwas sonst. Und sich sowohl dem Ernst der Lage, aber eben auch deren realen Chancen und Möglichkeiten bewusst zu werden.

Die Vorstellung eines HERRN, der ein bestimmtes Volk bevorzugt behandelt und sich selbst um die Vernichtung seiner eigenen Feinde (oder sind es vielleicht doch die Feinde des Volkes, das sich diesen HERRN ausgedacht hat?) kümmert, halte ich im Zusammenhang mit aktuellen Themen wie der EU für geradezu grotesk absurd.

An Beispielen wie dem heutigen „Wort zum Sonntag“ zur EU wird deutlich, dass es immer weniger gelingt, den archaischen biblischen Partikularismus so umzubiegen, dass er irgendwie mit unseren modernen ethischen oder gesellschaftlichen Standards kompatibel zu sein scheint.

Wer, außer jemand, der damit sein Geld verdient, hat davon noch einen Nutzen? Wenn sich das zugrundeliegende Schriftstück auch immer für das jeweils genaue Gegenteil jeder Aussage als Quelle verwenden lässt?

Und einmal mehr erscheint mir dieses Vorgehen wie der Versuch, die Anleitung für eine Dampfmaschine so umzuinterpretieren, dass sie als Handbuch für ein Spaceshuttle taugt.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Beitrag.
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*** Quelle der Bibelstellen: Jer 29 Einheitsübersetzung

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