Es wird! – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Evolution

Lesezeit: ~ 6 Min.

Es wird! – Das Wort zum Wort zum Sonntag von Gereon Alter (kath.) zum Thema Evolution, veröffentlicht am 14.7.2017 von ARD/daserste.de

[…] Warum reiben sich derart viele Politiker an einer Lehre, die unter Naturwissenschaftlern doch mittlerweile allgemein anerkannt ist? Reicht es denn nicht, dass die katholische Kirche sich an ihr die Hörner abgestoßen hat und in einem mühsamen Prozess lernen musste, dass Darwins Lehre doch gar nicht im Widerspruch zu ihrer eigenen religiösen Weltdeutung steht? Dass es sich vielmehr um zwei verschiedene Blickwinkel auf ein und dasselbe Geschehen handelt?

Die Evolution ist mittlerweile nicht nur unter Naturwissenschaftlern, sondern allgemein allgemein anerkannt. Menschen, die heute noch die Evolution trotzdem nicht anerkennen, berufen sich ausnahmslos auf religiöse Schöpfungsmythen. Die sie für wahrer (oder zumindest für ihre Zwecke geeigneter) halten als die belegbare Faktenlage.

Flat Earth SocietyDie Evolution heute noch in Frage zu stellen ist in etwa so absurd wie wenn man daran festhalten würde, die Erde sei eine Scheibe. Oder die Sonne drehe sich um die Erde. Beides Erkenntnisse, für die ungezählte Menschen von Vertretern der christlichen Kirche hingerichtet worden waren.

Mühsam war es für den aufgeklärten, rational denkenden Teil der Menschheit, die katholische Kirche mit den besseren Argumenten und offensichtlichen Beweisen davon zu überzeugen, dass ihre Schöpfungslehre nicht mehr als ein ein unhistorischer, irrationaler und von Menschen erdachter Mythos war und ist.

Von wegen „Hörner abgestoßen.“ „Den Zahn gezogen“ trifft es wohl eher.

Darwins Theorie von der Evolution löste christliche Wahrheiten in Luft auf

EvolutionNatürlich steht Darwins Erkenntnis im Widerspruch zur religiösen „Weltordnung“ der katholischen Kirche. Denn schließlich lösten sich durch Darwins Evolutionstheorie gleich mehrere wichtige Grundlagen des christlichen Schöpfungsmythos in Luft auf.

Der mühsame Prozess, den Widerspruch zwischen der Evolutionstheorie und dem christlichen Weltbild zu bewältigen war kein Lernprozess. Sondern ein Umdefinierungsprozess. Ganze Heerscharen von Theologen waren lange Zeit damit beschäftigt, ihren vererbten absurden biblischen Schöpfungsmythos so umzudeuten, dass der immer krasser werdende Widerspruch zur Faktenlage irgendwie einigermaßen erträglich wurde.

Und so kamen allerlei rhetorische Tricksereien zum Einsatz. Derer sich bis heute die Leute bedienen, die einerseits an der Bedeutsamkeit der biblischen Geschichten festhalten wollen oder müssen. Und die andererseits trotzdem auch noch rgendwie ernst genommen werden möchten.

Die Formulierung „zwei verschiedene Blickwinkel auf ein und dasselbe Geschehen“ ist eine solche Formulierung. Solche Formulierungen werden gern verwendet um den Eindruck zu erwecken, diese beiden Sichtweisen seien gleichberechtigte und sogar widerspruchsfreie Möglichkeiten, die Entstehung und Entwicklung des Lebens auf der Erde zu erklären.

Schöpfung? Mythos! …aber an den Schöpfer glauben wir weiterhin!

Das ist natürlich nicht der Fall: Die Evolution ist ein zigtausendfach belegtes und weltweit immer schlüssiger nachweisbares Phänomen. Der biblische Schöpfungsmythos ist menschliche Fiktion. Basierend auf dem Wissensstand eines Wüstenvolkes aus der Bronzezeit.

Also von Menschen, die sich jeden Abend wunderten, wohin die Sonne verschwindet. Und die hofften, dass sie am Morgen wieder erscheinen möge. Was hätten diese Menschen damals wohl zum heute bekannten Stammbaum des Lebens gesagt?

Obwohl Kirchenvertreter, die nicht als komplette Realitätsverweigerer gelten möchten, heute die Evolution meist anerkennen, halten auch diese trotzdem oft noch an der biblischen Idee eines Schöpfergottes fest.

Denn diesen Schöpfer kann man nicht so ohne Weiteres zur Metapher für irgendetwas erklären. Auch dann nicht, wenn das Konzept einer Schöpfung längst als nicht mit Logik und Faktenlage vereinbar entzaubert ist.

Vorstellung vs. Faktenlage

[…] Wer bestehende Machtverhältnisse legitimieren will, der hat es leichter mit einem Gott, der die Welt geschaffen hat wie sie nun mal ist, als mit der Vorstellung, dass alles im Werden ist und dass dieses Werden von ganz vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst wird.

Auch diese Formulierung hat Herr Alter vermutlich kaum zufällig genau so gewählt. Denn in Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Der Schöpfergott ist nur eine menschliche Vorstellung. Entstanden aus Unwissen und Angst. Die Evolution läuft auch unabhängig davon so ab, wie sie heute beobacht-, erklär- und beweisbar ist.

So übrigens verstehen moderne christliche Theologen Schöpfung: dass Gott die Welt werden lässt und dass er uns Menschen an diesem Werden beteiligt.

Hier zeigt sich ein krasser und problematischer Unterschied zwischen Wissenschaft und Theologie. Denn während sich ein wissenschaftlich-rationaler Standpunkt durch neue Erkenntnisse jederzeit auch grundlegend verändern kann und bisher sicher geglaubte Erkenntnisse schlagartig hinfällig werden können, dauert es bei theologischen „Erkenntnissen“ immer sehr lange, bis diese mal verändert oder aufgegeben werden. Wenn überhaupt und dann nur notgedrungen.

Noch schlimmer: Auf Grundlage der biblischen Mythen- und Legendensammlung können Gläubige auch dann noch praktisch jeden beliebigen Standpunkt religiös „begründen“, wenn andere Theologen ihre Geschichten zum aktuellen Wissensstand schon halbwegs kompatibel gemacht haben.

Machterhalt und Warnlichter

Das aber klingt sehr nach Mitverantwortung und Mitbestimmung. Nicht gut für die, denen es vor allem um Machterhalt geht.

Wie zum Beispiel der katholische Kirche dereinst, als es galt, sich trotz Darwins Evolutionstheorie noch wenigstens etwas Relevanz zu bewahren.

Deshalb gehen bei mir Warnlichter an, wenn Politiker meinen, sich zu Anwälten einer bestimmten religiösen Weltanschauung machen zu müssen.

Und bei mir gehen Warnlichter an, wenn Kirchenangestellte meinen, sich in Dinge einmischen zu müssen, die das Leben aller Menschen betreffen. Die Kirche lebt gerade davon sehr gut. Dass Politiker meinen, sich zu Anwälten einer bestimmten religiösen Weltanschauung (natürlich nur der eigenen) machen zu müssen.

Vor allem, wenn sie dabei weder aus der Geschichte lernen noch sich mit der aktuellen theologischen Lehre auseinandersetzen.

Wie schon geschrieben: Es ist völlig einerlei, was die aktuelle theologische Lehre behauptet. Denn solange die Bibel als das angebliche „Wort Gottes“, also als übergeordnete und endgültige Wahrheit zur Verfügung steht, können auch Fundamentalisten und Spinner jede noch so absurde Ansicht biblisch legitimieren.

Kein Gott hat sich jemals dazu geäußert, wie Menschen seinen vermeintlichen Willen definieren. Das Spektrum reicht von Nächstenliebe bis Völkermord.

Verzweckung und Missbrauch: Immer die Anderen

Das riecht mir dann doch zu sehr nach Verzweckung und Missbrauch von Religion.

Eine „Verzweckung“ oder auch ein „Missbrauch“ von Religion wird immer gerne dann angeführt, wenn jemand die Religion für Zwecke einsetzt, die nicht den eigenen Wunsch- oder Wertevorstellungen entsprechen. Denn selbstverständlich verzweckt ja auch Herr Alter die Religion – zum Beispiel zum Broterwerb. Angekreidet wird diese Verzweckung allerdings immer nur Anderen.

Genauso skeptisch bin ich allerdings, wenn religiöse Menschen Auffassungen vertreten, die jeder naturwissenschaftlichen Einsicht widersprechen.

Dieser Skeptizismus wäre doch ein guter Einstieg, diesen Auffassungen mal genauer auf den Grund zu gehen. Wer schon das christliche Weltbild als nicht realitätskompatibel durchschaut hat, könnte auch noch einen Schritt weiter gehen. Und mal überlegen, wie sinnvoll, wahrscheinlich und plausibel die darauf basierende christliche Heilsgeschichte dann nur sein kann. Viel Erfolg!

Glaube und Vernunft?

Für mich gehört beides zusammen: die Theologie und die Naturwissenschaft. Der Glaube und die Vernunft.

Ist Glaube demnach unvernünftig? Warum sollte man dann überhaupt glauben?

Wenn ich als Christ glaube, dass Gott uns Menschen geschaffen hat, dann glaube ich, dass er auch unsere Vernunft und unseren Wissensdrang geschaffen hat. Dann glaube ich, dass er auch die Naturwissenschaften werden ließ, auf dass wir uns ihrer bedienen und durch sie immer mehr begreifen, wie groß und wunderbar Gottes Schöpfung ist.

…und schon ist die Glaubenswelt wieder in Ordnung. Hier bedient sich Herr Alter seinerseits einer Verzweckung und eines Missbrauchs: Einer Verzweckung der wissenschaftlichen Erkenntnis. Er verwendet sie, um damit die Existenz des von ihm angenommenen Gottes zu untermauern.

In der Bibel steht, dass Gott die Welt in sechs Tagen geschaffen hat und dass er am siebten Tag geruht hat. Ist das wörtlich zu verstehen? Natürlich nicht. Denn es widerspricht jedweder naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Aber am siebten Tag zu ruhen und Gott mal wieder dafür zu danken, wie wunderbar unsere Welt geworden ist, ist trotzdem gut.

Es ist kaum vorstellbar, dass dieser Satz anno 2017 von einem erwachsenen, ansonsten vermutlich aufgeklärten und rational denkenden Menschen öffentlich verkündigt wird. Und das in mehrfacher Hinsicht.

Ockhams Rasiermesser

Nicht nur der Schöpfungsmythos widerspricht jedweder naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Sondern auch ein Schöpfer selbst. Denn jeder Erklärungsversuch, in dem ein Schöpfer vorausgesetzt wird, ist bis zum Beweis des Gegenteils immer unplausibler als Erklärungen, die ohne einen „übernatürlichen“ Einfluss auskommen. Hier kommt „Ockhams Rasiermesser“ einmal mehr zum Einsatz.

Und die einzig redliche Antwort auf Dinge, die die Wissenschaft noch nicht erklären kann, ist: „Wir wissen es (noch) nicht.“

Selbst, wenn man auch die Existenz Gottes aufgibt und sie stattdessen vielleicht auch zur Metapher entkräftet, so verkennt die Aufforderung, diesem Gott für eine wunderbare Welt zu danken die Tatsache, dass diese Welt eben auch alles andere als „wunderbar“ ist.

Nicht nur un-, sondern sogar höchst widersinnig ist es, einer Gottheit mit den Eigenschaften, die sie laut biblischer Aussage haben soll, anzunehmen oder ihr gar zu danken. Denn laut Bibel ist Gott allmächtig, allgütig und allwissend. Drei Eigenschaften, die sich schon per se logischerweise ausschließen.

Unterlassene Hilfeleistung

Und gesteht man ehrlicherweise ein, dass die Welt eben nicht nur wunderbar, sondern gleichzeitig auch voller Leid und Elend ist, dann gibt es wahrlich keinen Grund, einem Schöpfer für sein fehlerhaftes Flickwerk auch noch zu danken.

Einem Schöpfer, der laut biblischer Aussage schon einmal keine andere Möglichkeit sah, als fast das komplette von ihm geschöpfte Leben durch Ertränken zu vernichten.

Gäbe es diesen allmächtigen Schöpfer tatsächlich, dann wäre er höchstens wegen unterlassener Hilfeleistung anzuklagen. Statt ihm für irgendetwas zu danken. Da aber außer menschlicher Wunschvorstellung nichts für die Existenz von Göttern spricht, kann man seine Freizeit getrost auch mit anderen Dingen verbringen als mit auf imaginäre Wesen projizierten Selbstgesprächen. Wenn man möchte.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema Evolution.
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