Auf der Webseite wählerisch-sein.de betreibt das Evangelisch-Lutherische Landeskirchenamt Sachsens laut eigner Darstellung eine „Guerilla-Kampagne für mehr Wahlbeteiligung & Demokratie.“
Ein zum Download angebotenes, 6seitiges PDF-Dokument legt jedoch die Vermutung nahe, dass es sich in Wirklichkeit um einen Versuch handelt, die bevorstehende Wahl zu nutzen, um die Bibel als noch irgendwie relevant für unsere heutige Gesetzgebung darzustellen.
Für diese Vermutung spricht auch das Formular, über das man sich an diesem Projekt beteiligen kann. Denn hier soll man angeben, von welchem Text aus dem Grundgesetz oder aus der Bibel man sich zur Entscheidung, wählen zu gehen habe inspirieren lassen.
Und in der Projektbeschreibung lesen wir, mit welchem Selbstverständnis die Macher von wählerisch-sein.de auftreten (Hervorhebung von mir):
Mit dieser Aktion soll zur Wahlbeteiligung für die Bundestagswahl am 24. September motiviert werden. Die Statements beziehen sich auf Aussagen des Grundgesetzes und der Bibel, die thematisch einander zugeordnet sind. Ohne Hinweis auf Parteien und Programme wird damit eine doppelte Aufmerksamkeit erzielt:
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Wichtige Grundlagen und Prinzipien der freiheitlich – demokratischen Grundordnung werden ins Bewusstsein gerufen.
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Die Verkoppelung mit biblischen Texten macht deutlich, auf welchem Fundament diese Werte stehen.
(Quelle: wählerisch-sein.de)
Damit ist die Absicht klar definiert. Doch um den Anschein zu erwecken, biblische Texte seien die Fundamente unseres Grundgesetzes, muss man vor allem eins sein: Äußerst wählerisch.
Herausgekommen ist eine Bibelversauswahl, die wählerisch-sein.de die Platin-Rosine am Band 2017 für außergewöhnlich umfangreiche Rosinenpickerei eingebracht hat.
In diesem Beitrag wollen wir zeigen, dass sich die gewählten Bibelstellen, wenn überhaupt nur dann mit unserem Grundgesetz in Verbindung bringen lassen können, wenn sie aus dem biblischen Zusammenhang herausgepickt werden. Bei fast allen Stellen handelt es sich um Texte, in denen lediglich ähnliche Wörter vorkommen wie im jeweiligen GG-Artikel.
In den kommenden Tagen stellen wir die im PDF-Dokument genannten Gesetzesartikel, die dazu von wählerisch-sein.de gewählten Bibelverse und unsere Einschätzung dazu vor.
Alle Beiträge auf einer Seite gibts auch schon vorab als kompletten Artikel auf einer Seite.
Die Platin-Rosine am Band 2017 für wählerisch-sein.de
Wenn man sich die Mühe macht und die gewählten Bibelstellen in ihrem Kontext betrachtet, so bekommt „wählerisch-sein.de“ eine ganz neue Bedeutung. Denn die Verantwortlichen für dieses Projekt mussten äußerst wählerisch sein, um zumindest den Anschein zu erwecken, die Bibel sei für unsere heutige Gesllschaftsordnung noch irgendwie relevant.
Bei diesem Anschein bleibt es allerdings, wie diese Betrachtung zeigen sollte.
Denn die Stellen, die sich mit viel Phantasie und Umdeutung mit den jeweiligen Gesetzestexten in Verbindung bringen lassen, erscheinen durchweg in einem anderen Licht, wenn man den umgebenden Text betrachtet, aus dem sie herausgepickt wurden.
Zu allen Stellen finden sich in der Bibel auch andere Stellen, mit denen sich meist auch das genaue Gegenteil der gewünschten Aussage „belegen“ lässt.
Und schließlich finden sich bei wählerisch-sein.de auch Bibelstellen, bei denen ich beim besten Willen keinen Zusammenhang zu den Gesetzesstellen erkennen kann.
Insgesamt ist dieses Projekt für mich ein offensichtlicher Beleg dafür, wie irrelevant biblische Texte für die heutige Zeit sind.
Vielen Dank an „Scrutator – ungeschminkte Bibelkritik“ für die Unterstützung!
Scheiße
Hallo Herr Niedermeier,
besten Dank für Ihre ausgesprochen erhellende und im besten Sinne aufklärerische Darstellung. Sie zeigt in aller Deutlichkeit an einem aktuellen und konkreten Beispiel, wie beliebig und inhaltsleer christliche Positionen zu Fragen von Moral und Gerechtigkeit in aller Regel sind. Zur Abrundung könnte man noch auf die fundamentalistischen Evangelikalen in den USA verweisen: Diese bekämpfen seit Jahrzehnten so erbittert wie ausdauernd jede säkular-rechtsstaatliche Interpretation der Verfassung als Gotteslästerung bzw. Werk des Satans. Basis für diesen heroischen Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist natürlich die Bibel. Was denn auch sonst?
Hallo Herr Edmüller, vielen Dank für das Lob und für die Ergänzung dieses Aspektes. Den Nährboden für diesen Fundamentalismus düngen auch alle Light- und Wischi-Waschi-Christen, wahrscheinlich ohne sich dessen bewusst zu sein.