„Wenig Neues unter der Sonne“ – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 11 Min.

„Wenig Neues unter der Sonne“ – Das Wort zum Wort zum Sonntag verkündet von Benedikt Welter, veröffentlicht am 13.01.2018 von ARD/daserste.de

[…] Fester Bestandteil bei jedem Neujahrsempfang ist eine Rede; Gastgeberin oder Gastgeber blickt zurück und vor allem nach vorn. Verbreitet Zuversicht nach dem Motto „Nicht Alles, aber doch Vieles wird im Neuen Jahr besser werden.“*

Ohne nähere Erklärung, worauf diese Hoffnung beruht, handelt es sich dabei um eine Binsenweisheit. Eine leere Worthülse. Und zwar besonders dann, wenn nicht näher spezifiziert ist, worauf sich diese Aussage bezieht: Die Familie, das Unternehmen, die Innenpolitik, die Weltbevölkerung?

Natürlich wird auch im neuen Jahr vermutlich wieder einiges besser werden. Und einiges schlechter. C’est la vie.

Nichts Neues unter der Sonne

Manchmal blitzt da ein Satz in mir auf: „Nichts Neues unter der Sonne!“ (Koh 1,9) Ein Satz, der schwermütig und resigniert klingt, aus dem biblischen Buch Kohelet –Luther hat diese Sprüche-Sammlung „Prediger Salomos“ genannt.

Nichts Neues unter der Sonne
Nichts Neues unter der Sonne?

Vorab: Herr Welter, wieso haben Sie denn den Bibelvers in der Überschrift Ihrer heutigen Verkündigung nicht im Original widergegeben? War Ihnen „Nichts Neues“ dann doch etwas zu wenig, weil Sie „Wenig Neues“ daraus machten?

Die anonyme Romanfigur, auf deren Geschichte Sie sich hier beziehen, war sich jedenfalls sicher, dass es nicht nur wenig, sondern eben Nichts Neues unter der Sonne gäbe. Aber warum eigentlich?

Wie immer, wenn irgendwo Sätze aus der Bibel aufblitzen, lohnt sich ein Blick auf den Text, aus dem sie herausgepickt wurden. So auch hier.

Der Prediger, der in diesem Text zitiert wird, fasst hier zunächst in ein paar Zeilen seinen Wissensstand über einige natürliche, immer wiederkehrende, beobachtbare Abläufe zusammen: Der (vermeintliche) Lauf der Sonne, der Wasserkreislauf, die Generationen von Menschen…

Der Prediger ist sich sicher: Er weiß alles, was es über die Welt zu wissen gibt. Mehr als das, was er über die Natur weiß, gibt es nicht zu wissen. Die wissenschaftliche Erkenntnis hält er für abgeschlossen. Nichts Neues unter der Sonne.

Und dieses Wissen langweilt ihn.

Brüste und nochmals Brüste

Um seinem Leben doch noch irgendeinen Sinn zu geben, versucht er es jetzt mit den profanen, weit verbreiteten Mitteln des Lustgewinns:

  •  Ich häufte mir auch Silber und Gold an und, als meinen persönlichen Schatz, Könige und ihre Provinzen. Ich besorgte mir Sänger und Sängerinnen und die Lust der Männer: Brüste und nochmals Brüste. (Prediger 2,8 EU)

Kaum erstaunlich, dass in einer biblischen Legende Besitz und Genuss ebenfalls keine Erfüllung bringen können. Alles nichts weiter als ein Windhauch. Nichts für die Ewigkeit.

Nach ausführlicher und ellenlanger Darlegung der Nichtigkeit von menschlichem Wissen und irdischem Streben nach Glück kommt der Prediger zur Erkenntnis:

  • Nicht im Menschen selbst gründet das Glück, dass er essen und trinken und durch seinen Besitz das Glück selbst kennenlernen kann. Ich habe vielmehr beobachtet, dass dies von Gottes Verfügung abhängt. (Prediger 2,24 EU)

Darum geht es hier also: Alles menschliche Wissen und jedes irdische Glück sind nichts weiter als ein Windhauch. Hoffnung auf ein erfülltes und glückliches Leben dürfen sich nur Menschen machen, die sich dem propagierten Wüstengott unterordnen.

All we are is dust in the wind

Einerseits stimme ich dem Prediger zu: Mittel- und langfristig oder auch intergalaktisch betrachtet ist das irdische Dasein tatsächlich nichts weiter als ein Windhauch.

Mit dieser Erkenntnis komme ich allerdings zu einem anderen Schluss als der Prediger, der seine Wirklichkeit um ein imaginäres Himmelswesen erweitern muss, um schließlich trotzdem noch einen Sinn in seinem Leben finden zu können.

Die Nichtigkeit allen Seins hindert mich nicht daran, in den paar Jahrzehnten, die ich mit diesem meinem Bewusstsein und meiner Persönlichkeit hienieden unterwegs bin, ein glückliches und erfülltes Leben anzustreben. Im Gegenteil.

Ich sehe das Leben nicht als die perfide Vorprüfung eines allmächtigen Sadisten (oder wahlweise eines ignoranten Stümpers), der mich anschließend nach unbekannten Maßstäben zeitlich unbegrenzt belohnt oder bestraft.

Vielmehr akzeptiere ich die Endlichkeit meines Daseins und den Tod als die (wohl auch noch bis auf Weiteres unabdingbare) Folge allen Lebens. Ich empfinde es als äußerst befreiend, auf sämtliche Jenseitsfiktionen zu verzichten. Egal, ob es sich um eine himmlische oder höllische Ewigkeit handeln soll.

Und auch die Angst, es gäbe nichts mehr Neues unter der Sonne zu wissen, teile ich nicht. Im Gegenteil.

Der wissenschaftlichen Forschung haben wir es zu verdanken, dass die Menschheit heute über ein nie dagewesenes Wissen verfügt. Ein Wissen, von dem wie selbstverständlich auch viele derer gerne profitieren, die Wissenschaft und Fortschritt für Teufelswerk halten. Oder auch die, die modernste Technologie dazu nutzen, die Ideologie einer absurden, inhumanen Wüstenreligion aus der Bronzezeit zu verbreiten.

Es gab und gibt noch so viel Neues unter der Sonne zu entdecken, dass verglichen damit  jeder brennende Dornbusch und alle von Jesus mit Dämonen verhexten Suizid-Schweine unfassbar lächerlich erscheinen.

Brüchiges Frohes Neues Jahr

Nicht neu unter der Sonne ist wohl auch die ein bisschen krampfhafte Zuversicht: in einem „Neuen Jahr“ würde oder sollte „Vieles besser“ werden. Was bitte ist denn da „neu“ und was würde „besser“ – und wie? Dabei ist es doch eine allgemeine Erfahrung, wie brüchig jedes noch so ernst gemeinte „Frohes Neues Jahr“ ist.

Das „Frohe Neue Jahr“ ist ja auch nur ein Wunsch.  Niemand erwartet doch wohl ernsthaft, dass der Beginn eines neuen Jahres einen Einfluss darauf habe, wie froh dieses dann tatsächlich sein wird.

Anders siehts bei Leuten aus, die es zum Beispiel allen Ernstes für sinnvoll halten, andere Menschen, Tiere oder auch Feuerwehrautos zu segnen. Oder die in Gebeten einen allmächtigen Gott um etwas zu bitten.

Denn die sind mitunter sehr wohl davon überzeugt, dass ihr Allmächtiger seinen Allmachtsplan in ihrem Interesse ändert, wenn sie ihn nur darum bitten und wenn er das auch möchte. Klingt absurd? Allerdings…

Neues aus der Welt

[…] Wenn ich dann mal ein wenig über meinen Tellerrand hinaus blicke ins Große der Welt, dann entdecke ich auch wenig „Neues“: statt endlich Frieden in Krisenherden und Kriegen werden täglich neue Konflikte gemeldet.

Hier spielt der Effekt eine Rolle, dass sich schlechte Nachrichten seit jeher besser verkaufen als gute. Nachrichten über Kriege und Krisen aller Art sind deshalb in den Medien und damit meist auch in der Wahrnehmung wesentlich präsenter als positive Entwicklungen.

Dieses Phänomen lässt sich evolutionär recht einfach erklären: Unsere Vorfahren waren die, die Gefahren frühzeitig erkennen konnten. Lieber zehnmal zu viel als einmal zu wenig. Die anderen kamen nicht mehr dazu, Nachkommen zu zeugen…

Allerdings hat sich in erstaunlich vielen Bereichen auch erstaunlich vieles erstaunlich positiv entwickelt. Deshalb empfehle ich, nicht nur in einer Richtung über den Tellerrand hinauszublicken. Sondern stattdessen zu versuchen, sich ein möglichst objektives, wirklichkeitsnahes Bild zu machen.

Ein guter Startpunkt dazu ist zum Beispiel die Webseite www.ourworldindata.org.

Hier finden sich zahlreiche Informationen und Diagramme zur Entwicklung in allen möglichen Bereichen wie etwa Krieg und Frieden, Gesundheit, Politik, Erziehung, Kultur, Technologie, Umwelt und vielen mehr. Natürlich ist längst nicht alles auf einem guten Weg. Nur: In viel mehr Bereichen, als einem gemeinhin bewusst ist (und es einem dargestellt wird), gibt es sehr wohl sehr positive Veränderungen und Fortschritte.

Das bedeutet natürlich nicht, dass man die Augen vor den Problemen verschließen sollte, die die Menschheit zu bewältigen hat. Wer jedoch eine religiös erweiterte Scheinwirklichkeit für wahr hält und zum Beispiel glaubt, außerirdische Himmelswesen würden ins irdische Geschehen eingreifen, wird kaum etwas Sinnvolles zur Lösung dieser Probleme (oder auch zu sonstigen Themen außerhalb der menschlichen Phantasie) beitragen können.

Ausgerechnet Gregor der Große…

Und auch „neue Konflikte“ sind ja in Wirklichkeit nichts „Neues“ unter der Sonne. Da schreibt einer:“Überall sehen wir Krieg. Überall hören wir das Volk stöhnen. Unsere Städte sind zerstört, unsere Felder sind verwüstet, das Land ist zu einer Wüste geworden.“ (Gregor der Große: Evangelienhomilien, I, Hom. 1, 50-63.) Dieser Aufschrei stammt nicht aus Kabul 2017/2018, sondern aus Rom – im sechsten Jahrhundert, von Papst Gregor dem Großen.

Um dieses päpstliche Gejammer besser einordnen zu können, hier ergänzend ein Auszug aus dem Vorwort zum 4. Band von Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums„:

  • Papst Gregor I., „der Große“, der einzige Papst des Mittelalters und der Neuzeit mit dem Titel eines Kirchenlehrers, ist ein Law-and-order-Typ, ein Mann der doppelten Moral, der immer wieder Buße predigt und den nahe bevorstehenden Weltuntergang, selbst aber die Ausbreitung päpstlicher Macht um jeden Preis betreibt, wozu er Kerker und Folter, Geiselnahme und Plünderungen empfiehlt, doch auch mit Bestechungen, Steuererleichterungen, papalen Renten zu operieren versteht und neben all seinen Attacken auf Schismatiker, Ketzer und Heiden noch Zeit findet, Werke zu schreiben, die von Geistlosigkeit, Aberglauben, Banalität und Absurdität strotzen.(Quelle: Karlheinz Deschner: Vorwort zu: Kriminalgeschichte des Christentums – Band 4: Frühmittelalter, Rowohlt Taschenbuch Verlag)

Eine ausführliche Beschreibung des Lebens und unrühmlichen Wirkens dieses geradezu widerlichen Menschen findet der interessierte Leser dann im 7. Kapitel ab Seite 155.

Dort erfahren wir, dass ausgerechnet Gregor der Große wahrlich nicht in der Situation war, sich über irgendwelche Missstände zu beschweren. Schließlich hatte er selbst für unvorstellbar viel Leid und Elend gesorgt – aus ganz profanen Gründen.

Manchmal reicht ein skeptischer Blick nicht

„Nichts Neues…“? Doch! Wenn ich wirklich lebe und mit allen Sinnen die Welt und die Menschen um mich herum wahrnehme, werde ich auch im neuen Jahr entdecken: Dieses Leben ist immer größer, es bietet immer mehr als mein erster skeptischer Blick mich erkennen lässt.

Wenn es um Erkenntnis geht, dann ist ein zweiter und bei Bedarf auch ein dritter, vierter oder auch fünfter skeptischer Blick erforderlich und sinnvoll.

Man braucht die irdische natürliche Wirklichkeit nicht zu verlassen und/oder Vernunft, Verstand und intellektuelle Redlichkeit über Bord zu werfen, um sich der „Größe“ dieses Lebens bewusst werden zu können.

Ganz im Gegenteil: Phantasie, Kreativität, Sinn, Sinnlichkeit und Gefühle aller Art setzen nicht den Glauben an ein magisches Himmelswesen voraus. Das kriegen Menschen (und auch andere Lebewesen) ganz alleine hin.

„Gott hat in alles seine Ewigkeit gelegt“ (Koh 3,14) – so sagt das der Prediger in der Bibel. DAS macht für mich das ganz Neue, immer wieder: In Allem, was mich und die Menschen um mich herum bewegt, steckt Ewigkeit.

Genau genommen steht dort (zumindest in der aktuellen deutschen Einheitsübersetzung der Bibel):

  • Jetzt erkannte ich: Alles, was Gott tut, geschieht in Ewigkeit. Man kann nichts hinzufügen und nichts abschneiden und Gott hat bewirkt, dass die Menschen ihn fürchten. Was auch immer geschehen ist, war schon vorher da, und was geschehen soll, ist schon geschehen und Gott wird das Verjagte wieder suchen. (Koh 3,14-15 EU)

Alles nach Plan?

Mit anderen Worten: Alles, was geschieht, folgt dem Plan eines Gottes, der auch bewirkt hat, dass die Menschen ihn fürchten? Somit gehören auch alle Kriege, Krankheiten, Hungersnöte, Tsunamis, Epedemien, Waldbrände, Wirbelstürme oder Vulkanausbrüche zum göttlichen Plan. Ob damit das mit dem Fürchten gemeint ist?

Warum ein ganzes Universum, die Milliarden von Jahren, die ganze Geschichte mit den Dinosauriern, nur um schließlich irgendwann mal eine bestimmte Trockennasenaffenart zur „Krone der Schöpfung“ ernennen zu können? Und ein paar ihrer Vertreter als „auserwähltes Volk“ über die anderen zu erheben?

Wie passt diese Vorstellung, dass alles schon vorher da war zum „freien“ menschlichen Willen, mit dem der Wüstengott Jahwe die Menschen angeblich ausgestattet haben soll?

So eine frei erfundene Wirklichkeit ist schon praktisch, um alles Beliebige behaupten zu können.

Einen vergleichbaren Umgang mit der Wirklichkeit kann man antreffen, wenn man kleinen Kindern beim Spielen zusieht: „…ich wäre halt der Vater und du die Mutter. Und das wäre halt unser Kind. Ich hätte halt gerade gekocht,…“

Eine gruselige Vorstellung: Ewigkeit

„Ewigkeit“ – das hat etwas von Gültigkeit und Erneuerung.

In der menschlichen Lebenswirklichkeit kommt „Ewigkeit“ höchstens als sehr abstrakte Vorstellung (oder als die sprichwörtliche gefühlte Ewigkeit) vor. Die Wahrnehmung von Raum und Zeit ist so vertraut, dass man sich ein Fehlen dieser Faktoren praktisch nicht vorstellen kann.

Christen brauchen die Ewigkeit, weil sie dort ihren Gott und einen angeblichen postmortalen Dauerzustand von virtuellen Backups menschlicher Persönlichkeiten verorten.

Dass solche Vorstellungen schon an den einfachster Logik und an den absurden Prämissen scheitern, stört gläubige Christen meistens nicht. Ich finde es immer wieder interessant, wenn Gläubige zum Beispiel nicht das kleinste Problem damit haben, dass ihr Gott in seiner Ewigkeit – also ohne Zeit – ja gar keine Zeit hatte, die Zeit (und alles andere) zu erschaffen.

Einbildung ist auch eine Bildung

Was ich erlebe, geht nicht verloren; auch nicht, was ich erleide oder erdulde. Gott ist nichts egal, was in meinem Leben, im Leben jedes Menschen geschieht.

Der Volksmund weiß: Einbildung ist auch eine Bildung. Herr Welter, wie stellen Sie sich das konkret vor? Was bleibt Ihrer Meinung nach dereinst von Ihrer Persönlichkeit mit all Ihren gemachten Wahrnehmungen, Lebenserfahrungen, Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen, Wünschen, Ängsten, Hoffnungen… übrig?

Gehen Sie ernsthaft davon aus, es gäbe ein überirdisches Wesen, das ausnahmslos alles, was allen Menschen jemals geschehen ist oder jemals geschehen wird, mitprotokolliert? (Nebenbei: Hatte es nicht gerade noch geheißen, alles sei bereits im göttlichen Allmachtsplan festgelegt? Gott plant also etwas, um dann tatenlos an dem Elend teil zu nehmen, das er erst verbockt und dann nicht verhindert hat?)

Und dieses Wesen soll darüberhinaus also auch noch ein Verhältnis zu diesem Weltbevölkerungs-Kollektiv-Livestream haben (oder streamt es sich nur das Leben der Christen? Weil alle anderen ja sowieso verdammt sind lt. Mk 16,16?), nämlich dass es ihm nicht egal ist?

Das glauben Sie nicht wirklich, oder? Offenbar doch. Schließlich haben Sie es ja im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so verkündigt.

Was ist das denn für ein Gott, der das Leid von empfindungsfähigen Wesen (oder nur das von Menschen? Christen?) mitbekommt, dem es nicht egal ist – und der trotz angeblicher Allmacht und Allgüte nichts dagegen unternimmt? Herr Welter, mit Ihrem Gott stimmt was nicht…

Es ist nichts umsonst?

Das Leiden meines Vaters macht mich traurig; und zugleich fordert es mich und andere heraus. „Ewigkeit“ heißt dann: wo ich stumm bin und mir alles zu entgleiten droht – es ist nichts umsonst. Wo mein Vater stumm wird, was er fühlt, nicht mitteilen kann – es ist nicht verschwunden.

So hart das sicher klingen mag: Es kann tatsächlich sein, dass menschliche Persönlichkeiten mehr und mehr verschwinden. Im Diesseits. Natürlich ist es nicht umsonst, für diese Menschen da zu sein. Des Mitmenschen wegen.

Und was die Ewigkeit angeht: Nach allem, was wir heute wissen (können), ist es eine Illusion zu glauben, menschliche Persönlichkeiten würden auch losgelöst vom zugehörigen, lebendigen und funktionierenden Gehirn weiterexistieren.

Was meinen Sie: In welchem Zustand gehen menschliche Persönlichkeiten in die wie auch immer geartete Ewigkeit ein, die Ihre Religion behauptet und zwingend voraussetzt?

Angenommen, ein Alzheimerpatient stirbt nach jahrelanger schwerster Demenzerkrankung: Ist das dann sein Dauerzustand für die Ewigkeit? Nein? Sondern? Und woher wissen Sie das?

Was kurz- und mittelfristig von Menschen bleibt, ist die Erinnerung ihrer Hinterbliebenen. Und, falls zutreffend, genetische, ideelle und/oder materielle Vererbung.

Was langfristig bleibt, ist Sternenstaub. Egal, ob bzw. welche Götter jemand zeitlebens verehrt oder was jemand sonst so getan oder gelassen hat. Alles Andere ist bis zum Beweis des Gegenteils Fiktion.

ÜBER der Sonne…!?

Vielleicht gibt es wenig Neues UNTER der Sonne. Aber da ist jemand ÜBER der Sonne, der gibt mir immer wieder neue Kraft, in der ich dieses Leben annehmen und gestalten kann.

Herr Welter, Sie wissen ja sicher auch, dass wir in Wirklichkeit gar nicht UNTER der Sonne sind. Sondern wenn schon, dann NEBEN der Sonne. Einer von unvorstellbar vielen. Und wir haben heute atemberaubende Einblicke in das, was sich AUSSERHALB unseres Sonnensystems befindet.

Götter, Geister und Gottessöhne wurden bis jetzt außerhalb der menschlichen Phantasie noch nicht entdeckt. Weder über, noch unter, vor, hinter oder neben der Sonne.

Da würde der biblische Prediger aber Augen machen, Bauklötze staunen und gleichzeitig noch mit den Ohren schlackern, wenn er wüsste, was heute selbst schon kleine Kinder wissen! Da käme wohl seine ganze Erdenscheibe aus dem Gleichgewicht…

Wenn Sie öffentlich behaupten, dass da jemand ÜBER der Sonne ist (also wirklich ist, nicht etwa, dass Sie sich das so vorstellen oder so), der Ihnen immer wieder neue Kraft gibt, dann können Sie eine solche Existenzaussage ja sicher auch belegen.

Sonst könnte ich ja genauso behaupten, in meiner Garage wohne ein kleiner Drache. Und das würden Sie mir vermutlich auch nicht glauben, oder?

Ohne einen Beleg müsste man Ihnen ja unterstellen, dass Sie es, diplomatisch ausgedrückt, mit der Wahrheit nicht ganz so genau nehmen. Oder, dass Sie, Menschen – absichtlich oder nicht – in die Irre führen.

Wenn Sie das alles vielleicht gar nicht so gemeint haben sollten: Warum sagen Sie es dann? Statt einfach das zu sagen, was Sie eigentlich meinen? Vielleicht, weil Ihnen schon irgendwie bewusst ist, dass sich über etwas, das sich per Definition außerhalb der menschlichen Vorstellung („über der Sonne“) befindet, nun mal nichts Verbindliches sagen lässt? Was zur Folge hat, dass auch Ihr Gott nicht von andern Göttern oder beliebigen anderen Phantasiewesen unterscheidbar ist, weil sich redlicherweise nichts in einen ursächlichen Zusammenhang mit irgendwem oder irgendetwas dort bringen lassen kann?

Herrn Welter gibt Gott Kraft, andere lässt er verhungern

Warum Ihr imaginärer Freund Ihnen immer wieder neue Kraft gibt, während er zeitgleich anderen Menschen unvorstellbares Leid zumutet (auch solchen, die ebenfalls an ihn glauben!), können Sie ja sicher auch beantworten, oder?

Natürlich ist es Ihnen unbenommen, sich ein außerirdisches Wesen vorzustellen, das Ihnen immer wieder neue Kraft gibt. Besonders dann, wenn Sie der Meinung sind, diese Kraft zu brauchen, um Ihr Leben bewältigen zu können. Die Gedanken sind (seit Aufklärung und Säkularisierung) frei. Nicht mal Götter kennen sie. Wenn Ihnen Ihr Leben mit esoterischem Abgerglauben einfacher erscheint – warum nicht.

Und selbst wenn Kinder ihre Beziehungen zu imaginären Freunden in der Regel irgendwann im Lauf ihrer Entwicklung beenden, ist auch dies die persönliche Angelegenheit eines jeden Menschen.

Aber warum meinen Sie, das ARD-Fernsehpublikum an Ihren persönlichen Phantastereien und chronisch kultivierten Selbsttäuschungen teilhaben lassen zu müssen? Halten Sie das für irgendwie hilfreich oder gar sinnvoll?

Gegensatz: Skeptisch und hoffnungsvoll?

Skeptisch und hoffnungsvoll zugleich.

Herr Welter, Sie sollen doch nicht skeptisch sein, sondern glauben. In Ihrer Religion gilt Skeptizismus, also Zweifel als Schwäche, als Makel, als Unfrömmigkeit. Manche Ihrer Kollegen bezeichnen Zweifel als ein Werk des Teufels. Je weniger skeptisch Sie sind, desto stärker ist Ihr Glaube, desto tugendhafter sind Sie. Und da legt Ihr Gott allergrößten Wert drauf.

Haben Sie schon mal überlegt, das, was Sie für hoffnungsvoll halten, skeptisch zu hinterfragen? Und ob es nicht auch in Ihrem Leben etwas gibt, das als Basis für eine begründete Hoffnung besser taugt als ein absurdes Belohnungs-Bestrafungskonzept, wie es in den biblischen Mythen und Legenden zusammenphantasiert worden war?

Können Sie sich vorstellen, dass ein möglichst wirklichkeitskompatibles, diesseitsorientiertes Weltbild viel hoffnungsvoller sein kann als die von Menschen zu bestimmten Zwecken und aus bestimmten Ängsten und Hoffnungen heraus erfundene biblisch-christliche Wüstenmythologie?

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel mit dem Titel „Wenig Neues unter der Sonne“

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