Umgang mit Senioren – das Wort zum Wort zum Sonntag

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Umgang mit Senioren – Das Wort zum Wort zum Sonntag von Christian Rommert, Bochum, veröffentlicht am 14.4.2018 von ARD/daserste.de

Mein Blick auf alte Menschen hat sich in den letzten Monaten sehr verändert. Über ein Jahr lang habe ich einen Freund auf seiner letzten Reise begleitet. 83 Jahre war er alt. Dann musste er seine Wohnung aufgeben. Er war gezwungen, in ein Pflegeheim zu gehen. Ich habe das miterlebt.

Der ganze Schmerz über den Verlust von geliebten Erinnerungen, die er nicht mitnehmen konnte, weil kein Platz war. Der Schmerz über den Verlust von Privatsphäre. Wenn ich ihn besucht habe, hörten wir vom Flur ständig irgendwelche Geräusche. Oft saßen wir zusammen und irgendein Mitbewohner, irgendeine Mitbewohnerin kam ungefragt in sein Zimmer. Weil sie verwirrt waren. Er erzählte mir, wie es ihn störte, dass er nicht mehr allein duschen durfte. Selbst da immer jemand dabei!*

Keine Frage: Der Umzug in ein Altenheim kann ein starker Einschnitt im letzten Lebensabschnitt sein. Ich weiß aus eigener Berufserfahrung, dass Menschen sehr unterschiedlich mit dieser Veränderung umgehen.

Unterschiedliche Wahrnehmung

Die Bandbreite reicht dabei von Senioren, die den Umzug ins Altenheim tatsächlich als den größten Horror empfinden. Bis hin zu Menschen, die im Altenheim regelrecht aufblühen. Die vielleicht Jahre oder Jahrzehnte vorher keine oder nur kaum Ansprache hatten. Oder die eine professionelle pflegerische Unterstützung, etwa beim Duschen, nicht vorrangig als Verletzung ihrer Intimsphäre, sondern als wertvolle Hilfe empfinden.

Und natürlich gibt es ohne Frage auch Unterschiede, was die Altenpflegeeinrichtungen angeht. Die Einrichtung und auch das Personal haben großen Einfluss darauf, ob sich die Bewohner eher als Gefängnisinsassen, als Krankenhauspatienten oder als Hotelgäste fühlen. Grundlegend spielt hierfür auch die Frage eine Rolle, welchen Stellenwert Gesellschaft und Politik der Altenpflege einräumen. Bestimmte Rahmenbedingungen sind unerlässlich, um Senioren auch im Altenheim ein Leben in Würde zu ermöglichen.

Mag sein, dass der Freund von Herrn Rommert seinen Umzug und sein Leben im Altenheim tatsächlich so furchtbar wie beschrieben empfunden hatte. Trotzdem sei angemerkt, dass für gewöhnlich niemand gezwungen wird, in ein Pflegeheim zu gehen. Schon gar nicht in ein bestimmtes. Es ist sicher sinnvoll, sich beizeiten verschiedene Einrichtungen anzuschauen, um sich selbst einen Eindruck zu machen.

Darüber, inwieweit eine Unterstützung beim Duschen aus pflegerisch-medizinischer Sicht im Interesse des Bewohners erforderlich war oder auch, inwieweit das Pflegepersonal sich bemühte, so viel Privatsphäre wie möglich zu ermöglichen, um den Bedürfnissen der Senioren im Rahmen der stationären Rahmenbedingungen gerecht zu werden, berichtet Herr Rommert nichts. Würde ja auch nicht ins gewünschte Schreckens-Szenario passen.

Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang

Manchmal haben wir auch über das Sterben gesprochen. Diesen letzten großen Verlust. Er war auch Christ und wir beide kannten diesen Vers aus der Bibel: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das wir weise werden.“

Weise bedeutet im biblischen Kontext, erfolgreich dabei zu sein, die biblische Mythologie auch wider besseres Wissen für wahr zu halten. Wie wir an anderer Stelle in der Bibel erfahren, ist der Weisheit Anfang die Furcht des Herrn:

  •  Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang. / Wahrhaft klug sind alle, die danach tun. Sein Lob bleibet ewiglich. (Psalm 111,10 LUT)

Allerdings rät die Bibel auch davon ab, in dieser Welt weise zu sein. Ein weiterer Hinweis darauf, dass mit Weisheit in der Bibel nicht Wissen und Erkenntnis, sondern Glaube gemeint ist:

  • Niemand betrüge sich selbst. Wer unter euch meint, weise zu sein in dieser Welt, der werde ein Narr, dass er weise werde. (1. Kor 3,18 LUT)

Und auch diese Bibelsprüchlein seien in diesem Zusammenhang genannt:

  • Sprich nicht: Wie kommt’s, dass die früheren Tage besser waren als diese? Denn du fragst das nicht in Weisheit. (Prediger 7,10 LUT)
  • Die Furcht des HERRN ist Zucht, die zur Weisheit führt, und ehe man zu Ehren kommt, muss man Demut lernen. (Sprüche 15, 33 LUT)

Leben mit einer vermeintlich hoffnungsvollen Illusion

[…] Doch das Problem meines Freundes war aber gar nicht so sehr das Sterben. Er lebte mit der Hoffnung, dass es für ihn in Gottes Welt weiter geht.

Wenn man ignoriert, dass diese Hoffnung (nach evangelischem Verständnis gar ausschließlich) von einem allmächtigen Gott abhängt, der in Anbetracht der täglich erlebbaren Wirklichkeit keinesfalls als allgnädig bezeichnet werden kann, und wenn man weiter ignoriert, dass eine wie auch immer geartete ewige postmortale Weiterexistenz einer menschlichen Persönlichkeit in „Gottes Welt“ völlig absurd und unplausibel ist, dann kann man vermutlich auch aus dieser Einbildung Hoffnung schöpfen.

Wobei man dabei freilich auch darauf hoffen muss, dass sich der eifersüchtige, unergründliche Gott diesmal an sein Versprechen hält. Und dass es tatsächlich genügt, an ihn geglaubt zu haben und getauft gewesen zu sein, um in die himmlische Herrlichkeit in Endlosschleife aufgenommen zu werden.

Mir persönlich erscheint die Vorstellung, dass das Leben mit dem Tod endet nicht nur wesentlich plausibler, sondern auch viel tröstlicher als jede wie auch immer geartete Jenseitsfiktion.

Das Problem für ihn war das Altwerden – vor dem Sterben! Herr, lehre uns bedenken, dass wir alt werden müssen, auf das wir weise werden!

Auch durch das wunschgemäße Umformulieren der zitierten Bibelstelle wird es nicht besser. Die Beschwernisse des Alters scheinen dem Schöpfer allen Lebens entweder egal zu sein. Oder er, der Allmächtige, hat das alles absichtlich genau so und nicht anders arrangiert.

Vielleicht hätte sich der Freund von Herrn Rommert besser mal für die katholische Variante des christlichen Glaubens entschieden. Dann hätte er sein Leid zur frommen Tugend erklären können. Das Leid zum göttlichen Geschenk umdeklarieren. Mitleiden mit dem Gekreuzigten. Demütig die göttliche Prüfung bestehen. Für begangene Sünden sühnen. Und so weiter.

Auf einmal wird alles endlich

Denn auf einmal wird alles endlich: Nicht nur das Leben. Auch meine persönliche Freiheit, meine Mobilität, meine Intimität, meine Gesundheit, meine Freundschaften, meine Beziehungen sind endlich. Von einem Moment auf den anderen zu sterben, das wäre gar nicht das Schlimmste gewesen, aber die kleinen tägliche Abschiede. Das war, was ihm Not bereitete.

Eine klare, möglichst wirklichkeitskompatible, diesseitsorientierte und nicht durch religiöse Gottes- und Jenseitsphantasien vernebelte Sicht auf die Dinge kann meiner Erfahrung nach helfen, die diversen Endlichkeiten und Unwägbarkeiten des Lebens besser zu bewältigen.

Als wenn man sich noch zusätzlich – bewusst oder unbewusst – etwa mit der Frage quälen muss, wie das gerade erlebte Leid mit der Vorstellung von einem allmächtigen allgnädigen Gott zusammenpassen soll.

[…] „Herr, lehre uns bedenken, dass wir alt werden müssen.“ Das macht mich in meiner Situation betroffener als das Nachdenken über das Sterben. Wie will ich alt werden? Wie will ich mit den Menschen, die um mich herum alt werden, umgehen?

Der eigene Tod ist ja sowieso kein Grund, betroffen zu sein:

  • So ist also der Tod, das schrecklichste der Übel, für uns ein Nichts: Solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr. Folglich betrifft er weder die Lebenden noch die Gestorbenen, denn wo jene sind, ist er nicht, und diese sind ja überhaupt nicht mehr da. (Epikur (341 – 270 v.u.Z.)

Kein Herr lehrt uns zu bedenken, dass wir alt werden müssen. Sondern Erfahrung, Vernunft und Verstand.

Wenn Postboten Senioren betreuen…

[…] Postbotinnen und Postboten sollen in Zukunft bei alten Menschen nach dem Rechten sehen. Es soll regelmäßige Haustürgespräche geben und bei Bedarf und im Notfall werden Ansprechpersonen informiert. Die Post versucht gezielt, Freiwillige dafür zu werben. Also Menschen, die Nachbarschaftshilfe leisten können. Freiwillige, die ältere Menschen im Haushalt unterstützen wollen, sie beraten oder einfach Zeit mit ihnen verbringen. Das ist doch ein guter Anfang.

Ich halte diese Entwicklung für bedenklich. Vor allem bin ich mir nicht sicher, wohin dieser Anfang führen soll.

In erster Linie geht es – wen wundert’s – um Geld. Mit Briefpost lässt sich immer weniger verdienen.  Und deshalb ist die Post ständig auf der Suche nach neuen Einnahmequellen. Die Zahl der Senioren steigt stetig. Ein riesiger Markt, den es zu erschließen gilt:

  • Gegen eine noch unbestimmte Gebühr sollen Briefträger alle paar Tage kurz mit den Rentnern sprechen und dann eine beruhigende SMS an Angehörige senden oder im Notfall die Johanniter-Sanitäter rufen. (Quelle: spiegel.de)

Einsparpotential bei der Betreuung von Senioren

Und umgekehrt wittern die Krankenkassen hier eine große Chance, noch weitere Pflegekosten einzusparen:

  • Die Krankenkasse AOK sehe dadurch eine Möglichkeit, Pflegekosten zu sparen und unterstützt die Wohlfahrtsvereine mit 80.000 Euro. (Quelle: spiegel.de)

Es geht hier also ganz offensichtlich nicht etwa darum, ein gut funktionierendes Pflegesystem mit professionell ausgebildeten und anständig bezahlten Kräften um eine Zusatzleistung von pflegerisch nicht ausgebildeten Postboten mit irgendwie ehrenamtlicher Attitüde zu ergänzen. Sondern um ein ganz banales Einsparpotential im ambulanten Pflegebereich.

Eine solche Entwicklung als guten Anfang zu bezeichnen und andererseits Defizite in der stationären Altenpflege anzuprangern passt nicht wirklich gut zusammen.

Ich würde es für einen guten Anfang halten, wenn Pflegende endlich den Status und vor allem die Bezahlung bekämen, die ihrer Arbeit angemessen ist.

In diesem Zusammenhang sind auch die Kirchen zu kritisieren, die bis heute durch ihr Parallel-Arbeitsrecht eine solche Entwicklung  behindern.

Ein paar Abschiede weniger?

Meinem Freund hätte das sicherlich gefallen. Ich – ich würde mich freuen, wenn solch ein Service erprobt und etabliert ist, wenn ich einmal alt bin. Das wären ein paar Abschiede weniger!

Eingangs hatte Herr Rommert geschrieben, dass sein Freund gezwungen war, ins Altenheim zu gehen. Da ihn wohl kaum eine Person dazu gezwungen hatte, dürfte es wohl sein Gesundheitszustand gewesen sein, der einen Umzug in ein Pflegeheim unumgänglich gemacht hatte. Offenbar war ja nicht mal mehr eine ambulante Pflege möglich. In einem solchen Fall hätte ein Postbote wohl kaum wirklich weiterhelfen können.

Ein erster Versuch, Postboten in der Betreuung von Senioren einzusetzen, war gescheitert:

  • Die Post, die wegen des schwindenden Briefgeschäfts ständig nach neuen Einnahmequellen sucht, hatte bereits 2014 ein ähnliches Projekt im Ruhrgebiet gestartet. Wegen geringen Kundeninteresses stellte der Konzern es nach mehreren Monaten wieder ein. (Quelle: spiegel.de)

Gut aufgehoben?

[…] Mein Freund ist jetzt bei Gott. Dort ist er gut aufgehoben.

Bei allem Verständnis für Ihre Trauer, Herr Rommert: Wie stellen Sie sich das konkret vor? Glauben Sie allen Ernstes, von Menschen bliebe nach deren Tod sowas wie ein virtuelles Persönlichkeitsbackup übrig, das jetzt irgendwo zeitlich unbegrenzt als solches herumschwirrt? Was macht Sie so sicher, dass Sie das so schreiben, als würden Sie es wissen können?

Und als ob nicht die Annahme eines jenseitigen Weiterlebens nicht schon absurd genug wäre: Sie geben vor zu wissen, dass er dort „gut aufgehoben“ sei. Da wäre ich mir ausgerechnet bei diesem Gott nicht allzu sicher…

Hätten Sie geschrieben: „Ich hoffe,…“ oder „Ich glaube,…“ oder „Ich bilde mir ein,…“ – aber „ist jetzt bei Gott“ und „…ist gut aufgehoben“?! Sie scheinen sich ja ziemlich sicher zu sein, dass sich niemand mehr darum schert, was Sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so alles behaupten, wenn der Samstag lang ist.

 

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema Umgang mit Senioren.

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