Himmlischer Videobeweis – Wort zum Wort des Bischofs Rainer Woelki

Lesezeit: ~ 6 Min.

Himmlischer Videobeweis – Wort zum Wort des Bischofs Rainer Maria Kardinal Woelki, veröffentlicht am 1.7.2018 von domradio.de

Quelle: domradio.de

An und für sich sind die Videobotschaften von Rainer Maria Kardinal Woelki es nicht wert, dass man sich mit ihnen inhaltlich auseinandersetzt.

Warum ich es trotzem tue? Weil ich es für wichtig halte darüber aufzuklären, wofür unser Staat Steuergelder ausgibt. Und darüber, auf welcher absurden, vernunft- und realitätsbefreiten Weltsicht der klerikale Anspruch beruht, sich in das Leben aller Menschen einmischen zu dürfen.

Stichwort Videobeweis

[…] Was der Schiedsrichter aus seiner Perspektive nicht sehen konnte, beweist heutzutage der Videobeweis.*

VideobeweisUnabhängig davon, was Fußballkenner (und solche, die sich dafür halten) vom Videobeweis halten: Hier kommt modernste Technik zum Einsatz, die der menschlichen Wahrnehmung überlegen ist. Ob das nun dem Fußball insgesamt zuträglich ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

Herr Woelki hat so jedenfalls wiedermal ein keyword in seiner Verkündigung untergebracht, das aufgrund der gerade stattfindenden Weltmeisterschaft vielleicht doch noch irgendwen dazu bringt, sich seine Videobotschaft anzuschauen.

Das reale Leben

In meinem realen Leben muss ich ohne Videobeweis klar kommen.

Was Ihnen als gläubigem Christen ja sehr leicht fallen sollte, Herr Woelki. Denn schließlich müssen Sie ja nicht nur ohne Video-, sondern ohne jeglichen Beweis auskommen, um die christliche Mythologie für wahr halten zu können. Ich fände es mal interessant zu erfahren, inwieweit Sie Ihre religiös erweiterte Scheinwirklichkeit auch zu Ihrem realen Leben zählen?

Selbst wenn ich im Rückblick manches vielleicht lieber anders machen würde. Denn mein reales Leben läuft in Echtzeit ab. Ich kann mein Leben nicht zurückspulen. Alles was ich gesagt oder getan habe, ist erstmal Fakt.

Fakt ist lediglich, dass Sie etwas gesagt oder getan haben. Das, was Sie gesagt haben, wird dadurch noch lange nicht zum Fakt.

Auch ein Fußballspiel läuft in Echtzeit ab. Es lässt sich genausowenig zurückspulen wie Ihr Leben. Zurückspulen lässt sich die Aufzeichnung einer Spielsituation – genauso wie auch Ihre Videoverkündigungen.

Der Unterschied: Die Nachspielzeit beim Fußball gibts wirklich…

Hoffen auf Gottes großzügiges Erbarmen

Aber ich kann im Nachhinein zu der Ansicht kommen, dass ich einen Fehler gemacht habe. Dann kann ich mich entschuldigen und darum bemühen, den Fehler wieder gut zu machen. Als Christ hilft mir dabei die Beichte: Wenn mir meine Fehler wirklich leidtun, darf ich auf Gottes großzügiges Erbarmen hoffen. Mit Gottes Hilfe kann ich dann den Reset-Knopf drücken und den Neustart wagen.

Ich gehe davon aus, dass Sie als Kardinal der katholischen Kirche mit „Gott“ den biblisch-christlichen Gott Jahwe meinen. Wie stellen Sie sich das konkret vor: Der allmächtige Allgütige, der aufgrund dieser Eigenschaften sowieso alles weiß und der sich in jeder Hinsicht ausschließlich gütig zeigt, hat Sie so geschöpft, dass Sie Fehler begehen. Er muss also schon immer gewusst haben, dass Sie gar nicht anders können als Fehler zu begehen.

Jetzt macht es eben dieser Gott davon abhängig, ob Ihnen Ihre Fehler wirklich leidtun, ob er sich großzügigerweise Ihrer erbarmt oder nicht? Und das wissen Sie dann noch nicht mal, weil er Sie darüber ja zeitlebens im Unklaren lässt? Während er stattdessen aber offenbar von Ihnen erwartet, dass Sie zeitlebens darauf hoffen? Ich halte diese Vorstellung für absurd und grotesk – eines vernünftigen Menschen genauso unwürdig wie eines allmächtigen Gottes.

Entweder, dieser Gott war nicht in der Lage zu einer fehlerfreien Schöpfung. Dann wäre er nicht allmächtig. Oder aber er spielt seine fiesen Spielchen mit den Vertretern seiner bevorzugten Trockennasenaffenart, der er sich vor 2000-5000 Jahren mal indirekt offenbart haben soll und auf deren Imaginierungs- und Überlebenskünste er sich seitdem verlässt. Dann wäre er kaum als allgütig zu bezeichnen.

Was ist das großzügige Erbarmen eines Allmächtigen wert?

Ist es nicht vielmehr so, dass sich Christen durch die Beichte ein wohliges Gefühl verschaffen? Weil sie sich, nachdem sie ihre Verfehlungen einem Priester (der damit ja – meistens jedenfalls – gar nichts zu tun hat), verraten haben, einbilden können, Gott persönlich hätte sich jetzt deswegen ihrer erbarmt?

Ich halte dies für eine reichlich arrogante Einbildung, die man kaum einem ansonsten vermutlich vernünftig denkenden Erwachsenen im 21. Jahrhundert zutrauen würde.

Sollten von Menschen begangene Fehler tatsächlich das Interesse von irgendwelchen Entitäten außerhalb der menschlichen Wahrnehmung (die zudem die gleichen Wertmaßstäbe verwenden müssten wie die Menschen) erwecken und sollten diese Entitäten ihr „Erbarmen“ dann tatsächlich davon abhängig machen, ob jemandem seine Fehler leid tun, dann spielt das für uns schlicht keine Rolle. Es wäre deren Problem, nicht unseres.

Eine Hoffnung auf das Erbarmen eines Gottes, der sich per Definition der menschlichen Wahrnehmung entzieht, ist nicht mehr als eine (auto-)suggestive Selbsttäuschung.

Deshalb kann man die ganze großzügiges-Erbarmen-Gottes-Kiste einfach ersatzlos streichen und sich auf das Erkennen und nach Möglichkeit Wiedergutmachen von Fehlern beschränken. Im Diesseits.

Statt auf großzügige göttliche Barmherzigkeit kann man darauf hoffen, dass eine Entschuldigung oder sonstige Wiedergutmachung von dem oder den Betroffenen angenommen wird. Denn das ist es, was zählt.

Angenehmer Nebeneffekt:

Die latente, mehr oder weniger nagende Ungewissheit, ob die Hoffnung auf das göttliche Erbarmen denn auch erfüllt wird oder nicht, fällt damit einfach weg. Zweifel an dieser sind mehr als angebracht: Bislang kann niemand nachweisen, dass tatsächlich irgendein Gott (oder gar noch ein bestimmter Gott) sein Herz der fremden [also der jeweils eigenen] Not geöffnet und sich ihrer mildtätig angenommen (Definition „Barmherzigkeit“ lt. Wikipedia) hat.

Denn diese Illusion erscheint nur oberflächlich betrachtet hoffnungsvoll. Bei Licht betrachtet stehen jeder Hoffnung auf göttliches Erbarmen stets die Ungewissheit und die biblische Strafandrohung gegenüber.

Natürlich kann man trotzdem auf sowas hoffen – aber wie hoffnungslos muss man sein,  um das tun? Und vor allem: Was an dieser fiktionären Vorstellungswelt ist so bedeutsam, dass ein vom Staat fürstlich bezahlter Kirchendiener diese in Videobotschaften verkündigen muss?

„Durch und durch“

Gott selber braucht übrigens keinen Videobeweis. Er kennt mich und mein Leben durch und durch. Er weiß um meine Stärken und Schwächen.

Was allein nur diese eine Behauptung, es gäbe da einen magischen Himmelszauberer, der das Leben aller Menschen „durch und durch“ kennt und auf dessen Erbarmung wir angewiesen sind besonders bei Kindern, aber auch bei Menschen jeden Alters an psychischen Schäden schon verursacht hat, lässt sich nur erahnen.

Und dass die Beichte mit der Annahme eines allwissenden Gottes erst recht zur Farce wird, dürfte Sie vermutlich kaum stören, Herr Wölki, richtig?

Unser Vater im Himmel muss mir am Ende meines Lebens daher auch nicht wie der Videoschiedsrichter meine Fouls und Fehler aufzeigen. Ich weiß doch in der Regel schon hier und heute, wo ich auf Abwegen unterwegs war – wo ich gesündigt habe und Gottes gute Wege verlassen habe.

Es gibt wohl keinen Weg, der nicht schon als „Gottes guter Weg“ ausgegeben wurde. Auch Kreuzritter, Inquisitoren und Hexenverbrenner waren felsenfest davon überzeugt, auf Gottes guten Wegen unterwegs gewesen zu sein. Natürlich hieb- und stichfest biblisch begründet. Sobald Götter ins Spiel kommen, ist völliger Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet. Das Fehlen einer verlässlichen, eindeutigen Grundlage ist einer der Hauptgründe dafür, dass das Christentum moralisch orientierungslos ist.

Das heißt natürlich nicht, dass nicht auch Christen wissen können, wie sie sich verhalten sollten. Nur: Aus ihrem Glauben bzw. aus dessen biblischer Grundlage können sie dieses Wissen nicht haben. Vielmehr müssen sie umgekehrt ihre ethischen Standards in ihren Glauben hineininterpretieren. Um dann so zu tun, als sei ihre Glaubenslehre der moralische Kompass, an dem sie ihr Verhalten ausrichten.

Wissen oder Glauben, Herr Woelki?

Aber ich weiß auch ohne jeden Videobeweis, dass Jesus Christus, der Sohn Gottes für uns Menschen gestorben ist.

Herr Woelki, das glauben Sie vielleicht. Von „wissen“ spricht man, wenn etwas nachweislich tatsächlich so ist. Und zwar unabhängig davon, ob es jemand glaubt oder nicht.

Valide Beweise gibt es nicht mal für die Existenz eines Menschen, nach dessen Vorlage der biblische Romanheld Jesus Christus erfunden worden war. Subjektive Empfunden taugen als Wissensgrundlage genausowenig wie vormittelalterliche Mythen und Legenden.

Oder worauf gründet Ihr diesbezügliches Wissen noch? Woher wollen Sie wissen, dass es diesen Gott gibt, dass er einen Sohn hat und dass dieser „für uns Menschen gestorben ist“? Sie wissen es nicht. Sie tun nur so, als wüssten Sie es.

Damit führen Sie sich selbst und durch Ihre Videobotschaften und sonstigen Verkündigungen auch andere Menschen in die Irre.

Die „unendliche Liebe Gottes“

Auf diese unendliche Liebe Gottes vertraue ich – und in dieser Liebe Gottes dürfen wir alle leben bis ans Ende der Zeit!

Gerade hatten Sie doch noch behauptet: „Wenn mir meine Fehler wirklich leidtun, darf ich auf Gottes großzügiges Erbarmen hoffen.“ Nun gibt es sicher Menschen, denen ihre Fehler – ganz unabhängig von einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion – nicht leid tun.

Und natürlich gibts auch Menschen, die niemals von Jehowa & Sohn gehört haben. Ist es nicht ziemlich unfair, dass ihr allmächtiger allgütiger Schöpfer denen seine unendliche Liebe vorenthält, indem er sich ihnen nicht offenbart?

Mit Ihrem Vertrauen auf „diese unendliche Liebe Gottes“ scheint es ja nicht allzuweit her zu sein, wenn Sie auf grenzenloses göttliches Erbarmen hoffen müssen. Und ganz abgesehen davon: Wie kommen Sie denn auf das schmale Brett, ausgerechnet diesem Gott, der als die unangenehmste Gestalt menschlicher Fiktion gilt „unendliche Liebe“ anzudichten? Ich weiß ja nicht, wie viel Sie so mitbekommen von der Welt, aber haben Sie sich mal umgeschaut…?

Warum zeigt Ihr Gott Ihrer Meinung nach manchen Menschen, selbst solchen, die fest auf ihn hoffen, seine unendliche Liebe, indem er sie qualvoll verhungern oder bei Naturkatastrophen leiden und sterben lässt?

Und was meinen Sie konkret mit „Ende der Zeit“? Wissen Sie da auch Näheres? Oder geben Sie auch hier nur wieder vor, Dinge zu wissen, die Sie gar nicht wissen können?

„Videobeweis“ für Glaubensgewissheiten

Um nochmal auf Ihr Bild vom Videobeweis zurückzukommen: Hier ist es ja die Objektivität der Aufzeichnung, die zur Bestätigung einer Entscheidung herangezogen wird. Oder eben auch zur Revision einer Entscheidung, nämlich dann, wenn der Schiedsrichter sieht, dass er sich bei seiner ersten Entscheidung getäuscht hatte.

Übertragen auf gläubige Menschen könnte man diese nun auffordern, ihre Glaubensgewissheiten kritisch und objektiv zu überprüfen. Und diese zu revidieren, sollten sie sich im Licht der Vernunft betrachtet als falsch herausstellen.

Ein Gläubiger, der seine Glaubensgewissheiten kritisch hinterfragt und danach trotzdem an ihnen festhält, verhält sich wie ein Schiedsrichter, der trotz Videobeweis auf die Gültigkeit seiner nachweislich falschen Entscheidung besteht.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte und der Videoclip stammen von dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag auf domradio.de

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