Es reicht! – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Anti-Missbrauchsgipfel

Lesezeit: ~ 5 Min.

Es reicht! – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Anti-Missbrauchsgipfel, gesprochen von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 23.02.2019 von ARD/daserste

Papst FranziskusIn seiner heutigen Fernsehpredigt lässt Herr Dr. Beck sein Publikum wissen, dass er ungeduldig auf konkrete Ergebnisse vom „Anti-Missbrauchsgipfel“ in Rom wartet.

Also auf ein klares, unmissverständliches Statement des Papstes, wie die katholische Kirche mit den weltweit tausenden Fällen von Sexual-Gewaltstraftaten durch Kirchenangestelle an Kindern und Jugendlichen umgeht.

Und wie sie es wirksam schaffen will, dass die katholische Kirche künftig kein Millieu mehr ist, in dem solche Straftaten überproportional oft verübt werden. Dabei lehnt sich Herr Dr. Beck erstmal weit aus dem Fenster:

Wer dieses System weiter unterstützt…

[…] Wer dieses System weiter unterstützt, verstärkt damit den Eindruck von einer Kirche als Täterorganisation – auch wenn es aus der vordergründigen Sorge geschieht, die Kirche zu schützen. Und die Neigung dazu ist erstaunlich fest etabliert.*

Mit „dieses System“ meint Herr Dr. Beck natürlich nicht die katholische Kirche per se. Sondern nur bestimmte Strukturen und Verhaltensweisen. Die er wie folgt beschreibt:

Längst ist klar, dass es in der katholischen Kirche – wenn auch nicht nur dort – Missstände auf verschiedenen Ebenen gibt: von Machtmissbrauch bis zu sexualisierter Gewalt. Es sind nicht nur die Taten von Klerikern, die sich unmittelbar an Kindern und Ordensfrauen schuldig gemacht haben. Es sind auch die Taten von den Verantwortlichen in der Leitung der Kirche, in den Diözesen und Ordensgemeinschaften, – derjenigen, die vertuscht haben. Es sind aber auch die Taten derer, die den Opfern nicht glauben und dadurch die Opfer erneut zu Opfern machen. Es sind diejenigen, die den Kopf in den Sand stecken und einfach abwarten wollen, die sich gegen klare Veränderungen wenden und ein System von Abhängigkeiten, von intransparenten Sonderwelten, von klerikalem Machtstatus betreiben.

Ob Herr Dr. Beck tatsächlich davon ausgegangen war, der Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan würde mit halbwegs akzeptablen Ergebnissen enden? Und was bedeutet es für ein System, wenn es Missstände systematisch ermöglicht und begünstigt? Dazu später mehr.

Anti-Missbrauchsgipfel: Satz mit X

Darüber, dass die Ergebnisse vom Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan definitiv nicht auch nur ansatzweise befriedigend waren, wurde in den Medien bereits ausführlich berichtet, zu Beispiel:

  • ZEIT: Das System katholische Kirche ist krank
  • SPON: Presseschau zum Antimissbrauchsgipfel – „Die Kirche steht vor der Kernschmelze“
  • WELT: Ein Workshop in Bewusstseinsbildung. Das reicht nicht
  • Anne Will: Krisengipfel im Vatikan – wie entschlossen kämpft die Kirche gegen Missbrauch? (Video verfügbar bis 24.02.2020)
  • SZ: Missbrauchsgipfel – Fromme Floskeln helfen niemandem

Das mediale Fazit am kürzesten auf den Punkt gebracht hatte es Heribert Prantl ebenfalls in der Süddeutschen: Es reicht nicht. Amen.

Und auch seitens der klerikalen Führungsriege in Deutschland darf Herr Dr. Beck nach dem Anti-Missbrauchsgipfel offenbar kaum eine Unterstützung erwarten, die seiner Ungeduld gerecht würde:

Neues aus dem Sumpf

Wer diesen schäbigen Sumpf nicht austrocknet oder es auch nur halbherzig tut, wird – um es klar zu sagen – selbst zum Vertuschungstäter!

Meme Kardinal MarxDass man nicht die Frösche fragen darf, wenn man einen Sumpf austrocknen möchte, ist eine Binsenweisheit. Aber genau darauf läuft das zum Anti-Missbrauchsgipfel angekündigte „Engagement“ der deutschen Bischöfe hinaus.

Bischof Oster etwa forderte eine eigene kirchliche Gerichtsbarkeit für Missbrauchsfälle.

Und auch Herr Marx hatte schon bei Veröffentlichung der Studie wissen lassen, dass er es „gar nicht ausschließen“ wolle, dass sich die Kirche bei der Aufklärung klerikaler Verbrechen auch vom Staat „helfen lassen“ wolle. Welch großzügige Geste.

Wie ist die These von Herrn Dr. Beck, dass jeder, der dieses System unterstütze, den Eindruck von der Kirche als Täterorganisation verstärke nun zu betrachten, angesichts dieser, alles andere als befriedigenden Ergebnisse?

Dass der „Jahrtausend-Skandal“ die Austrittszahlen unter den Mitgliedern nach oben getrieben hat, ist schon jetzt deutlich zu erkennen:

  • SPON: Austrittswelle nach Missbrauchsskandal – Katholische Kirche verliert rund 118.000 Mitglieder

Die katholische Kirche befindet sich in einem Dilemma:

Hält sie weiterhin an ihren undurchsichtigen, undemokratischen, patriarchialischen Machtstrukturen fest, wird sie früher oder später an der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts scheitern. Weil eine solche Organisation in einer offenen und freien Gesellschaft nur noch schwer tolerierbar ist.

Geschweige denn, dass eine solche Organisation noch mit großem Zulauf rechnen darf. Zumindest in Gegenden, in denen Menschen das christliche Belohnungs-Bestrafungskonzept als absurde menschliche Fiktion durchschaut haben.

Würde die katholische Kirche hingegen tatsächlich grundlegende Veränderungen durchführen, dann würde ihr das gleiche Schicksal drohen, das die evangelische Abteilung schon ereilt hat: Das Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit.

Und genau dieses Risiko dürfte den Verantwortlichen in der katholischen Kirche sehr wohl bewusst sein. Der Machtverlust selbst durch massiven Mitgliederschwund dürfte deutlich geringer ausfallen als der Machtverlust, mit dem eine Aufgabe der eigenen Macht- und Organisationsstrukturen, die ja Voraussetzung für die völlig unverhältnismäßige staatliche finanzielle Alimentierung und die umfangreiche Sonderprivilegierung sind verbunden wäre.

Austreten? Sofort. Aber als Priester…?

Kirchenaustritt 2019Dass immer weniger Christen noch Mitglied in der katholischen Kirche sein wollen, ist heute besser den je nachvollziehbar. Wie aber sieht es bei Angestellten der katholischen Kirche aus? Für die steht ja schließlich nicht nur ihr Gewissen auf dem Spiel. Sondern auch noch ihre berufliche Existenz.

Die stehen vor dem gleichen Dilemma wie ihre Arbeitgeberin: Wenn sie ihren Beruf behalten möchten, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als genau das zu tun, was Herr Dr. Beck kritisiert: Das System durch ihre berufliche Tätigkeit weiter zu unterstützen. Und zwar so, wie es ist.

Wer heute noch katholischer Priester ist, unterstützt mit seiner Arbeit ein System, das sich aus den genannten Gründen so schnell nicht so grundlegend ändern wird, wie es erforderlich wäre.

Ein System, auf das ein Priester praktisch genauso wenig Einfluss hat wie die Schäfchen der Herde. Weshalb auch das Argument: „Ich bleibe in der Kirche, um sie zu verändern“ (oder, noch drastischer, „Ich trete mit 61 wieder in die katholische Kirche ein, um sie zu verändern“, wie es eine Frau, die ab dem Alter von 9 Jahren mehrfach von einem katholischen Priester vergewaltigt worden war in der Sendung „Anne Will“ erklärt hatte) ins Leere läuft. Weil die katholische Kirche keine Demokratie, sondern eine patriarchiale Wahl-Monarchie ist.

Veränderung in der Kirche fand und findet stets ausschließlich durch Druck von außen statt. Von sich aus hat die Kirche keinen Grund, irgendetwas zu verändern, was einen Verlust an Macht und/oder Geld zur Folge haben könnte.

Die ganze zur Schau gestellte Betroffenheit und Ungeduld wird dadurch unglaubwürdig. Denn die Strategie: „Ich räume einfach mal großmütig alle Fehler ein, zeige mich betroffen – und mache dann genauso weiter wie bisher“ ist nur allzu gut bekannt. Spätestens jetzt kann ich es nicht mehr nachvollziehen, wie jemand noch guten Gewissens Mitglied in der katholischen Kirche sein kann.

…auch aus Verbundenheit mit der Kirche

[…] Und es braucht ambitionierte Verantwortliche in der Politik, die auch aus Verbundenheit mit der Kirche endlich Modelle für ihre externe Kontrolle entwickeln und diskutieren.

Herr Dr. Beck, Deutschland ist (jedenfalls auf dem Papier) ein Säkularstaat. Es ist doch gerade das, was Sie als „Verbundenheit mit der Kirche“ umschreiben, was eine effektive externe Kontrolle und angemessene juristische Verfolgung der kriminellen Vorgänge innerhalb der katholischen Kirche (statt, wie vom Papst empfohlen, Buße und Gebet) angeht erschwert oder ganz verhindert.

Wenn das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten intern zu regeln solche Folgen wie den Sexualstraftatsskandal hat, dann haben die Kirchen meiner Meinung nach dieses Recht spätestens jetzt verspielt. Wie auch jegliches „Wohlwollen“ staatlicherseits.

Ja, ich bin ungeduldig! Und wenn ein verantwortlicher Wissenschaftler der genannten Studie vor wenigen Tagen öffentlich sagt, dass die Probleme des Missbrauchs nicht bloß der Vergangenheit angehören, sondern immer noch aktuell Menschen zu Opfern von Übergriffen und Gewalt werden, dann bewahre uns Gott vor zu viel Geduld. Sie wäre ein Hohn!

Herr Dr. Beck, ein Hohn ist es, als erwachsener, ansonsten aufgeklärt denkend und geistig gesunder Mensch ein angeblich sowieso allmächtiges und allwissendes magisches Himmelswesen um irgendetwas zu bitten. Genauso wie es auch ein Hohn ist, wenn der Papst anordnet, als Reaktion auf das Bekanntwerden der systematischen Verbrechen in seinem Kirchenkonzern zu beten. Und Gott um Buße zu bitten.

Am morgigen Sonntag werden die Bischöfe in Rom nach Ergebnissen und konkreten Schritten gefragt. Ich hoffe, sie bitten nicht um Geduld.

Herr Dr. Beck, haben Sie eine Erklärung, warum Ihr Gott Ihre an ihn gerichtete Bitte offensichtlich nicht erhört hat? Warum die „Freunde des Teufels“, wie Ihr Oberhaupt die Kirchenkritiker (und nicht etwa die Täter und Vertuscher!) gerade bezeichnet hat nach wie vor allen Grund haben, die katholische Kirche zu kritisieren? Und zwar erst recht nach dem Anti-Missbrauchsgipfel?

Weiterführende Links

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Anti-Missbrauchsgipfel der katholischen Kirche im Februar 2019.

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2 Gedanken zu „Es reicht! – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Anti-Missbrauchsgipfel“

  1. Solange Herr Beck Kirchenmitglied bleibt unterstützt er das von ihm kritisierte System. Für einen auf Basis seiner eigenen Argumentation eigentlich zwingend erforderlichen Austritt fehlt ihm offensichtlich der Mumm. Darum wird weiterhin folgenlose Betroffenheitsrheotrik praktiziert (auch noch auf Steuerzahlerkosten) und dadurch die Kritik am systematischen Missbrauch relativiert („Wir haben es ja erkannt und tun was!“). Durch und durch beschämend und ein sehr „schönes“ Beispiel für die moralische Orientierungslosigkeit des Christentums.

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    • Er sah seine Frau, erkannte sie und lachte mit ihr. Sie gebar ihm xxx Söhne…
      Lasset die Kinder zu mir kommen damit ich sie erkenne und mit ihnen lache……

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