Selig an der Theke? – Das Wort zum Wort zum Sonntag, Thema: Kneipe als Segensort

Lesezeit: ~ 7 Min.

Selig an der Theke? – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Kneipe als Segensort von Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am 16.2.2019 von ARD/daserste.de

Beim heutigen Wort zum Sonntag frage ich mich einmal mehr: Was will, diesmal Frau Behnken, ihrem Publikum diesmal eigentlich konkret mitteilen?

Als Studentin habe ich oft in Kneipen gejobbt – so echte Kneipen, wie sie sein müssen, mit abgenutzten Holzmöbeln, und die nach Bier und Pommes riechen und jeden Abend hängen dieselben Typen am Tresen. […] Hier haben alle Platz: Gebrochene und Glückliche. Und darum sind Kneipen noch viel mehr: Sie sind Segensorte.*

Was Kneipen auszeichnet, ist die Mischung aus Geselligkeit, Gleichgültigkeit und Alkohol: Man kann sich hier wohlfühlen, wenn man sich mit Freunden oder zumindest mit Gleich- oder Ähnlichgesinnten trifft. Oder auch genau umgekehrt – weil das eigene Schicksal und die eigene Biographie den restlichen Gästen ja völlig egal sind, solange man sie nicht damit behellligt.

Die wohl deutlichste Parallele zum Thema Kneipe und Glauben dürfte zwischen Alkoholkonsum und religiöser Segenseinbildung bestehen: Beides führt zu einer bestenfalls irgendwie hoffnungsvoll erscheinenden Illusion. Die Einbildung verfliegt, sobald der Konsument wieder nüchtern oder der Gläubige ent-täuscht ist.

Die Hoffnung, dass sich durch Alkohol tatsächlich etwas ändert ist genauso illusorisch wie die Hoffnung, ein allmächtiger Gott, dem das irdische Geschehen trotz angeblicher Allmacht und Allgüte augenscheinlich völlig egal ist, würde unter bestimmten Umständen seinen allgütigen Allmachtsplan ändern. Was eine Segnung im religiösen Sinn bei Licht betrachtet ja bedeuten würde.

Ob es das ist, was Frau Behnken mit ihrem Kneipen-Glaubensvergleich ausdrücken möchte? Wohl eher nicht.

In der Kneipe mit Jesus

Der geht es wohl eher darum, ihre fitkive Kneipenbekanntschaft Jesus als besonders (mit-)menschlich darzustellen:

Segensorte: Da hätte auch Jesus gut reingepasst, dem ja vorgeworfen wurde, dass er ein Fresser und Weinsäufer gewesen sei. Damals gab es ja auch schon sowas wie Kneipen und Tavernen. Und da werden sie sich auch getummelt haben, so wie heute: Menschen mit ihren Geschichten.

Also genau die Menschen, die besonders empfänglich für Heilsversprechen aller Art gewesen sein dürften. Wo hätte der biblische Romanheld auch sonst neue Kundschaft für seine jüdische Endzeit-Splittersekte aquirieren sollen?

Und jetzt wird es dann doch noch interessant:

Göttliche Maßstäbe

Kein Hochglanzleben, kein gelungenes Leben – nach den Maßstäben der Gesellschaft. Auch alles Andere als gesund und erstrebenswert. Aber trotz allem vielleicht ein gesegnetes Leben nach den Maßstäben Gottes. Weil der mit anderen Augen guckt.

Was wäre von den moralischen Standards eines wohlgemerkt allmächtigen Gottes zu halten, wenn nach dessen Maßstäben auch ein aus menschlicher Sicht nicht erstrebenswertes Leben ein gesegnetes Leben sein kann? Welche Message steckt hinter einer solchen Behauptung? Finde dich mit deiner beschissenen Situation ab – das ist alles gottgewollt und passt schon so? Und wenn du das glaubst, dann ist dein Leid plötzlich nicht mehr unbegreiflich, sondern hat doch einen Sinn, auch wenn du den nicht verstehst?

A propos Maßstäbe Gottes: Den „Maßstab Gottes“, zumindest den des biblisch-christlichen Gottes finden wir in der Bibel, zusammengefasst bei Mk 16,16:

  • Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden. (Mk 16,16 LUT)

Was ist das für ein Gott, der das Leid und Elend der von ihm bevorzugten Trockennasenaffenart angeblich „mit anderen Augen“ völlig passiv betrachtet, statt aktiv etwas dagegen zu unternehmen? Während er gleichzeitig allen, die nicht bereit sind, sich ihm zu unterwerfen auch noch mit zeitlich unbegrenzter physischer und psychischer Dauerfolter durch Höllenqualen bei vollem Bewusstsein droht?

Mit solchen Typen möchte man wahrlich nichts zu tun haben. Die möchte man nicht mal in der Kneipe treffen…

Segnung: Wirkungslose Zeremonie

Der Fresser und Weinsäufer Jesus hat mit genau solchen gegessen und getrunken: mit den Traurigen und Gescheiterten. Und er hat sie gesegnet. Und für manche wird das Leben irgendwann wieder gut. Und für manche nicht.

Genau. Eine Segnung ist Humbug. Und hat, abgesehen vielleicht vom Placebo-Effekt für den Segnenden und ggf. für auch für den Gesegneten, keinen nachweisbaren Einfluss auf das irdische Geschehen.

Frau Behnkens Feststellung bestätigt, dass ein Segen in etwa so bedeutsam und sinnvoll ist wie die alte Wetterregel: „Kräht der Gockel auf dem Mist, ändert sich’s Wetter, oder es bleibt wie’s ist.“ Unerschütterliches Vertrauen in einen Gott, der es auch noch mit einem persönlich gut meint sieht wahrlich anders aus…

Das völllig freimütige Einräumen der Unsinnigkeit der eigenen Behauptungen zählt zum Repertoire theologisch-rhetorischer Strategien. Was freilich fehlt ist die Benennung der sich daraus ergebenden Schlussfolgerung: Eine Segnung mag vielleicht gut gemeint sein, ist aber nachweislich sinnlos. Weil sich schon die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht mit der irdischen Wirklichkeit in Einklang bringen lassen würden.

Viel zu kurz ist das Minutenglück…

Kneipen sind Segensorte, weil es hier okay ist, schräg, einsam, auch mal betrunken oder traurig zu sein. Weil ich mit meiner eigenen Brüchigkeit und Traurigkeit hier sein darf. Weil ich hier sehe und lerne: das ist unsere Sehnsucht, funktioniert aber eben oft nicht, dass alles im Leben super ist: Liebe, Arbeit, Gesundheit, Lebensglück. Das gibt es nur für Momente.

Heilsverkäufer wie Frau Behnken tun gut daran, ihrer potentiellen Kundschaft immer wieder vor Augen zu führen, wie trostlos und traurig ihr irdisches Dasein im Grunde doch ist.

Nebenbei: Man kennt das auch aus einer anderen Branche: Ein Versicherungsvertreter wird ja auch eher auf alle mögliche Risiken hinweisen als auf eine objektive, faktenbasierte Risikoeinschätzung. Auch für populistisch agierende Politiker gehört das Schüren von Ängsten zum täglichen Handwerk; einer von vielen Gründen, warum monotheistisch-religiöse und gewisse politische Ideologien so gut miteinander harmonieren.

Zurück zum Thema: Wer ist wohl empfänglicher für Heilsversprechen, seien sie noch so absurd und unplausibel: Jemand, der mit sich und seiner Umwelt überwiegend, zumindest aber mittel- und langfristig im Reinen ist?

Oder doch eher jemand, der die Einstellung von Frau Behnken teilt? Und der irdisches Glück, falls überhaupt vorhanden, für eine flüchtige Angelegenheit, beschränkt auf Momente, betrachtet?

Wieso korreliert weltweit der Index für Wohlstand und Zufriedenheit mit einem niedrigen klerikalen Einfluss auf die Gesellschaft? Oder Umgekehrt: Wieso haben Kirchen besonders dort Zulauf, wo es Menschen noch (oder wieder, wenn vielleicht auch nur gefühlt) schlechter geht als anderswo?

In der Kneipe ist dein Schicksal egal. Für Gott auch.

So gesehen trifft der Vergleich hier tatsächlich zu: Weder in der Kneipe, noch für Gott spielt es irgendeine Rolle, wie es mir geht.

Nur finde ich die Vorstellung eines gleichgültigen Gottes alles andere als „segensreich“ im Sinne von irgendwie hilfreich oder tröstlich. Zeigt der Vergleich doch vielmehr, dass alles ganz danach aussieht, als gäbe es den behaupteten Gott gar nicht. Also in Echt, außerhalb menschlicher Einbildung und Phantasie.

Aber auch das ist sehr wahrscheinlich nicht das, was Frau Behnken in der heutigen Verkündigungssendung zum Ausdruck bringen möchte. Nur: Was ist es dann?

Kneipen sind Segensorte, weil es hier okay ist, dass das Leben eben so ist, wie es ist: Manchmal glücklich. Manchmal kaputt. Echtes Leben, jenseits bunt-glücklich -gefotoshopter Fassaden. Hier gibt es einen Platz, an dem ich in Ruhe den ganzen Abend in mein Bierglas gucken kann, wenn ich will. An dem jede und jeder sein darf.

Was soll das denn mit „Segen“ zu tun haben? Segnung im religiösen Sinn spielt hier eben keine Rolle. In Kneipen kann man die irdische, ungeschminkte, mal schöne, mal hässliche, natürliche, diesseitige Wirklichkeit erleben. Hier braucht es eben keine falschen Heilsversprechen oder absurde Strafandrohungen.

Deshalb halte ich die Bezeichnung einer Kneipe ausgerechnet als „Segensort“ für so sinnvoll wie zum Beispiel die Aussage: „Gott sei Dank bin ich Atheist.“

Brüchig. In den Augen Gottes: Gesegnet.

Jede und jeder ein Ebenbild Gottes, genau so, wie er oder sie ist. Wir brauchen das so sehr, dass uns einer so sieht: als Ebenbild des Göttlichen. Und das mit allem, was das Menschsein jetzt gerade ausmacht. Brüchiges. In den Augen Gottes: Gesegnet.

Jede und jeder? Also ist Gott demzufolge auch Massenmörder, Drogendealer, Vergewaltiger, Kinderschänder, Kriegsverbrecher, Waffenschieber, erfolgreicher Inquisitor, rücksichtsloser Ausbeuter, skrupelloser Cum-Ex-Betrüger, populistischer Lügenverbreiter,…? Genau so?

Spricht das dann nicht vielmehr dafür, dass nicht Gott den Menschen nach seinem Vorbild erschuf? Sondern umgekehrt dafür, dass sich Menschen ihre Götter nach ihren eigenen Wünschen, Ängsten und Hoffnungen ausgedacht hatten?

Frau Behnken, wenn Sie persönlich „das so sehr“ brauchen, dann ist das freilich Ihre Angelegenheit. Den meisten Menschen auf diesem Planeten ist es indes völlig wurscht, ob sie irgendwer als Ebenbild eines Wetter-Berge-Wüsten-Kriegs-Rache- und heute lieben Gottes, den sich ein primitives Wüstenvolk mit absurden Eigenschaften und mehr als fragwürdigen Moralvorstellungen in der Bronzezeit ausgedacht hatte ansieht oder nicht.

Im Gegenteil: Ich zum Beispiel verbitte es mir, mit dem biblisch-christlichen Gott, der wohl unangenehmsten Figur menschlicher Fiktion verglichen zu werden. Und ich möchte auch nicht als dessen Ebenbild angesehen werden.

Die allermeisten Menschen brauchen diese Vorstellung genauso wenig wie Sie vermutlich die Vorstellung brauchen, das Ebenbild von Gaia zu sein. Oder von Dionysos bzw. Bacchus. Um thematisch beim Bild von der Kneipe zu bleiben.

Kommt sowas von sowas?

Frau Behnken, wie ist es um Ihr Selbstwertgefühl bestellt, wenn es für Sie von offenbar grundlegender Bedeutung („…wir brauchen das so sehr…“) ist, sich einzubilden, jemand würde Sie als das Ebenbild eines magischen Himmelwesens ansehen? Könnte es sein, dass genau eine solche, sich selbst gering schätzende Selbstwahrnehmung die Folge erfolgreicher christlicher Indoktrination ist?

Und ist Ihnen wirklich nicht bewusst, wie unvorstellbar zynisch, arrogant und absurd Ihre Vorstellung, Leid und Elend (von Ihnen mit dem Begriff „Brüchiges“ vernebelt) gehöre zum Heilsplan Ihrer Gottesvorstellung, auf Menschen wirken dürfte, die vielleicht ein bisschen mehr auszuhalten haben als der halbwegs gesunde, mitteleuropäische Durchschnittsverdiener? Offenbar ist es das nicht…

Gesegnete sind die, die uns zeigen, dass wir es brauchen, mit Augen der Nächstenliebe und Barmherzigkeit angeschaut zu werden – und wenn es nur ein kurzer Augenblick an der Theke ist.

Nein, die sind nicht gesegnet. Sondern ganz einfach nur (mit-)menschlich bzw. Mitleid erregend (es ist mir nicht so ganz klar, wen Sie hier konkret meinen). Und in manchen Fällen sind Menschen vielleicht auch einfach nur neugierig auf spannende Geschichten über menschliche Abgründe und grausame Schicksale.

Selig in der Kneipe?

Ähnlich einem Lied aus meiner Kneipenzeit: Die in sich Verkrochenen, die Abgebrochenen, die Ausgegrenzten, die Gebückten – selig sind sie!

In der Kneipe mit JesusWas genau Reinhard Mey unter „selig“ versteht, geht aus dem hier zitierten Text nicht hervor; außer Spekulationen und wunschgemäßer Interpretationen einiger Kirchenangestellten, die diesen Text trotz der ersten Strophe, in der es um einen alkoholabhängigen Pfarrer geht gerne für ihre Zwecke verwenden, lässt sich dazu online leider nichts finden.

Gerade wegen der Schwammigkeit des Begriffes halte ich eine „Seligpreisung“ von gesellschaftlich ausgegrenzten (oder sich selbst ausgrenzenden) Menschen für problematisch.

Unweigerlich kommt mir da zum Beispiel der als „Mutter Teresa“ bekannte „Todesengel von Kalkutta“ in den Sinn. Also die Frau, die menschliches Leid zur frommen christlichen Tugend erhoben hatte. Oder auch all jene, die jegliches irdische Leid mit dem angeblichen Heilsplan eines ebenso angeblichen höheren Wesens begründen und rechtfertigen.

Wäre es nicht klarer, ehrlicher, eindeutiger und deshalb letztlich auch mitmenschlicher, auf religiös belegte Begrifflichkeiten zu verzichten, wenn es um Menschen und um deren ganz reale Schicksale geht?

Sonst könnten Fernsehpfarrerinnen noch auf die Idee kommen, eine Kneipe als Segensort zu bezeichnen. Und damit für noch mehr Verwirrung und rhetorische Vernebelung sorgen. Statt zum Beispiel konkrete Vorschläge zu nennen, wie man Menschen in schwierigen Situationen wirksam helfen kann. Oder auch nur, um Menschen dazu anzuregen, sich wiedermal bei einem Glas Bier zusammenzusetzen…

Dass eine Segnung nichts hilft, hatten Sie ja immerhin schon eingeräumt, Frau Behnken. Und mehr als Bierseligkeit dürften Sie in einer Kneipe vermutlich auch nicht antreffen.

Wenn Sie Kneipen gemütlich finden, wäre vielleicht die „Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters“ die bessere Religionswahl für Sie. Als Pastafari dürfen Sie auf ein Jenseits mit Strippermanufaktur und Biervulkan hoffen. Diese „Kneipe“ könnte man dann tatsächlich als Segensort bezeichnen.

Biereluja!

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.

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