Hochzeitsmahl bei Gott – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Sterbebegleitung, gesprochen von Lissy Eichert (kath.), veröffentlicht am 20.04.2019 von ARD/daserste.de
In ihrer diesjährigen Ostermontag-Fernsehpredigt versucht Frau Eichert einmal mehr den Glauben an ihren Gott an etwas darzustellen, das den Gläubigen nützen kann. Von dem Mythos, dass Gläubige ihres Glaubens wegen „leichter sterben“ würden, zehrt die Kirche bis heute. Und um genau diesen Mythos geht es diesmal.
Mit Jesus ein Bierchen zischen. Oder zwei.
Los gehts mit einem Beispiel, dass diese These belegt:
In seiner Kluft – Lederhose, Basecap, Sonnenbrille – stand Max meist ganz hinten in unsrer Kirche. Breitbeinig, die Arme verschränkt, seine Tattoos gut sichtbar, um den Hals ein etwa 20 cm großes Holzkreuz. Oft hing er mit den Kumpels von der Straße ab; zischte ein Bierchen. Oder zwei.
Dann lag er im Sterben. […] Das große Kreuz lag auf seiner Brust. Mit der anderen Hand hielt er sich an diesem Stück Holz fest. „Ich will noch nicht, aber ich muss wohl“, sagte er. […] „Die freuen sich auf Dich, da oben“, sagte ich. Und er: „Ich weiß.“
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Hochzeitsmahl bei Gott Das Wort zum Wort zum Sonntag, gesprochen von Lissy Eichert (kath.), veröffentlicht am 20.04.2019 von ARD/daserste.de)
Kaum erstaunlich, dass jemand, der – womöglich zeitlebens – mit einem 20cm großen Holzkreuz um den Hals unterwegs war, auch am Ende seines Lebens nicht noch schnell auf die Idee kommt, dass die Annahme, es gäbe irgendwelche „da oben“, die sich freuen, ihn nach seinem Tod begrüßen zu dürfen ungefähr so plausibel ist wie etwa die Vorstellung, es sei der Klapperstorch, der die Menschenbabies bringt.
Sterbebegleitung: Höchst individuell
Es ist jedem Menschen zu wünschen, dass er gerade am Ende seines Lebens die Begleitung bekommt, die er sich wünscht. Wie diese Begleitung konkret aussieht, ist natürlich eine höchst individuelle Angelegenheit. Für gläubige Menschen ist es sicher hilfreich, wenn jemand für sie da ist, der in der gleichen religiös verzierten Vorstellungswelt daheim ist.
Wer hingegen keinen religiösen Beistand wünscht, sollte auch vor Kreuzen, Pfarrern, Salbungen, Gebeten und was noch so alles zur christlichen Sterbebegleitung gehört verschont bleiben. Diesen Wunsch kann und sollte man schon frühzeitig dokumentieren.
Wobei es angeblich selbst heute noch Fälle von „Nottaufen“ geben soll, wie sie zum Beispiel im Hospiz der Frau Anjezë Gonxhe Bojaxhiu (besser bekannt als „Mutter Teresa“, aber auch „Todesengel von Kalkutta“) an der Tagesordnung waren.
Ganz besonders wichtig finde ich es, an dieser Stelle einmal mehr darauf hinzuweisen, dass die persönliche Selbstbestimmung auch in der Sterbephase nicht eingeschränkt werden darf. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Frage, ob sich jemand religiösen oder religionsfreien Beistand wünscht, Sondern auch, was die Selbstbestimmung über das eigene Lebensende angeht.
§217 vor dem Bundesverfassungsgericht
Zum Glück wurde gerade der §217 StGB vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Somit besteht jetzt berechtigte Hoffnung, dass dieser Paragraph, der eine kompetente Freitodbegleitung unter Strafe stellt, wieder durch eine zeitgemäße Regelung ersetzt wird, denn:
- Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1965 darauf hingewiesen, dass nur ein Staat, der das Gebot der weltanschaulichen Neutralität beachtet, eine „Heimstatt“ aller Bürgerinnen und Bürger sein kann. Genau dies aber wurde bei der Verabschiedung von § 217 StGB ignoriert. Denn dieser Paragraph privilegiert die Sittlichkeitsvorstellungen einer religiösen Minderheit und diskriminiert all jene, die diese Vorstellungen nicht teilen. Man mache sich diese Ungeheuerlichkeit bewusst: Während 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für mehr Selbstbestimmung am Lebensende plädierten, beschlossen deren parlamentarische Vertreter die massive Beschneidung dieses Selbstbestimmungsrechts, indem sie kompetente Freitodbegleitungen unter Strafe stellten.
(Quelle: hpd.de: Stellungnahme von Michael Schmidt-Salomon vor dem Bundesverfassungsgericht „§ 217 StGB dient nicht dem Lebensschutz, sondern selbsternannten Lebensschützern!“)
Davon völlig unberührt bleibt freilich die Berechtigung und Notwendigkeit zum Beispiel der Palliativversorgung. Wer – aus welchen Gründen auch immer – sein Leben unter allen Umständen bis zum sprichwörtlich bitteren Ende auskosten oder auch durchleiden möchte, sollte auch dabei die bestmögliche Unterstützung erhalten. Nur, und hier wiederhole ich mich gerne, kann und darf dies nicht die einzig mögliche Option für alle Menschen sein.
Leben bis zuletzt? Leiden bis zuletzt!
Aber zurück zu Frau Eichert und ihrer magisch-mythologisch erweiterten Weltsicht. Genauer: Mit einem Zitat eines Mannes, der sich mit Sterbebegleitung auskennt:
„Sterben kann eine schöne Zeit sein. Eine, auf die man sich freuen kann, wie auf eine Hochzeit.“ Das sagt der Leiter des Neuköllner Hospizes.
Kaum erstaunlich, dass der hier zitierte Herr Schlachter das Sterben romantisiert. Wie in diesem Interview zu erfahren ist, möchte Herr Schlachter nämlich nicht, dass in seinem Hospiz selbstbestimmtes Sterben eine Option wird. Sein Motto lautet: Leben bis zuletzt!
Er selbst wolle allerdings „…nicht sieben Jahre in einem Pflegeheim in einem Bett liegen“. Was freilich im Widerspruch stehen könnte zu seinem Wunsch, man solle seinem Sterben einen „natürlichen Verlauf“ lassen. Denn auch ohne lebensverlängernde Medikamente, deren schnelle Absetzung er sich für sich selbst wünscht, kann dem Sterben eine jahrelange Leidensphase vorausgehen.
Treffender als Leben bis zuletzt! wäre dann das Motto: Leiden bis zuletzt!
Sterben Gläubige „leichter“?
Der Mann hat Nerven! Sterben ist ja nun wirklich alles andere als ein Grund zur Freude. Alles loslassen müssen, wofür ich gelebt habe. Angst haben. Hilflos sein.
Das kommt, wie so oft im Leben, darauf an. Wie sehr unterschiedlich der Umgang von Menschen mit ihrem eigenen Tod sein kann, weiß ich aus eigener beruflicher Erfahrung, zu der auch Sterbebegleitung gehörte: Das Spektrum reicht von jahrelanger verzweifelter Todessehnsucht bis hin zu erbittertem Widerstand bis zum letzten Atemzug.
Aber was ist dran am Mythos, gläubige Menschen würden „leichter sterben“?
- Fromme Menschen tun sich nach Erfahrungen des Palliativmediziners Lukas Radbruch nicht leichter mit dem Sterben als weniger gläubige Patienten. „Wir erleben es, dass Menschen mit tiefer Religiosität genauso mit dem Schicksal hadern wie andere – oder vielleicht sogar mehr“, sagte der Leiter der Klinik für Palliativmedizin an der Uniklinik Bonn der Bonner Kirchenzeitung „PROtestant“ (Osterausgabe). Die zentrale Frage sei, ob jemand im Frieden mit sich selbst sei. (Quelle: evangelisch.de: Palliativmediziner: Frömmigkeit macht Sterben nicht leichter)
Wie in einer religiösen Veröffentlichung kaum anders zu erwarten, kann religiöser Glaube trotz dieser Einschätzung zumindest bedingt von Nutzen sein:
- „Wenn der Glaube dazu führt, dass man im Frieden mit sich selbst lebt und weiß, dass alles irgendwie einen Sinn hat, dann kann er eine wertvolle Ressource sein.“
(Quelle: ebenda)
Auch ein Sinn, der bei Licht betrachtet schlicht un-sinnig ist, mag Menschen tröstlich erscheinen können, zumal dann, wenn sowieso das letzte Stündlein geschlagen hat und es faktisch keinen Unterschied mehr macht, wie plausibel und wirklichkeitskompatibel eine Vorstellung oder Einbildung tatsächlich ist.
Tödliche Hochzeit
Der Hospizleiter vergleicht die Zeit des Sterbens mit der Vorfreude auf eine Hochzeit.
Ob er das mit der Hochzeit nur allgemein als Beispiel oder in dem von Frau Eichert nun interpretierten Sinn gemeint hatte, geht aus dem Interview nicht hervor:
Hochzeit. Zwei trauen sich, gemeinsam durchs Leben zu gehen. Ein Wagnis, klar. Wird das Versprechen ewiger Liebe und Treue halten? Garantie gibt’s ja nicht. Und doch glauben da zwei fest an ihre Liebe. Trauen sich zu, einander gut zu sein. Und die Hand des anderen nicht loszulassen, auch wenn es schwer wird.
Wenn das kein Glück ist!
Religionsverkünder bemühen die Liebe zwischen Menschen gerne für einen Vergleich mit der Liebe zwischen Menschen und ihrem Gott. Warum diese Argumentation nicht greift, ist in diesem Beitrag nachzulesen und muss deshalb an dieser Stelle nicht nochmal wiederholt werden.
Hochzeit ist auch ein Bild für den Himmel, das Leben nach dem Tod. In der Bibel wird das Leben bei Gott mit einem Hochzeitsmahl verglichen: Mit Gott und allen, die mir vorausgestorben sind, am Tisch sitzen. Essen, Trinken, Lachen. Wiedersehen feiern. Zum Beispiel mit Max.
Und zum Beispiel mit dem niemals exkommunizierten Katholiken Adolf Hitler. Nicht aber zum Beispiel mit Anne Frank, die Gott laut biblisch-christlicher Logik aufgrund ihres falschen Glaubens konsequenterweise in den ewig brennenden Schwefelsee geworfen haben müsste. Dazu gleich mehr.
Die Hochzeit als Bild für das himmlische Jenseits ist gut nachvollziehbar: Wer Menschen mit fiktiven postmortalen Belohnungen und Bestrafungen zu einem bestimmten Verhalten bringen möchte, hat allen Grund, die jeweiligen Jenseitszustände so herrlich (bzw. so drastisch) wie nur irgend vorstellbar zu beschreiben.
Oh stille mein Verlangen, du Seelenbräutigam…
Und so erfahren wir aus den „heiligen Schriften“ der abrahamitischen Religionen viel über die Sehnsüchte und Ängste der Menschen zu der Zeit, als diese Schriften verfasst worden waren.
Es scheinen dies gewesen zu sein: Fressen, saufen, vögeln (umschreiben als „Hochzeit – oh stille mein Verlangen, du Seelenbräutigam…„, oder, je nach Religion, eben in Form von Sex mit 72 Jungfrauen, die nach ihrer Entjungferung auf wundersame Weise direkt wieder zur Jungfrau werden, bevor das Ganze von vorne beginnt, immer und immer wieder…).
Der Haken an der Sache: Wer sich zu Lebzeiten nicht vom richtigen lieben Gott hatte lieben lassen wollen, den erwarten laut biblisch-christlicher Lehre die furchtbarsten Höllenqualen, die man sich damals eben so vorstellen konnte. Glücklich kann sich schätzen, wer sein Lebtag vor einer Konfrontation mit dieser abstoßenden Gottesvorstellung verschont geblieben war.
Zur einfacheren Führung eines primitiven Wüstenvolkes mögen solch abstruse Hirngespinste noch funktioniert haben. Wie sich erwachsene, geistig gesunde Menschen, die in einem Säkularstaat mit Schulpflicht aufgewachsen sind mit solchen Vorstellungen heute noch zum Beispiel über die Kränkung, die die Endlichkeit des eigenen Daseins verursachen kann hinwegtrösten können, ist mir schleierhaft.
Keine Klage, keine Trauer, kein Schmerz – für die Einen. Für alle Anderen: Ein brennender Schwefelsee
Aber es geht:
Ja, ich glaube daran. Weil Gott uns versprochen hat, dass der Tod nicht mehr sein wird, keine Klage, keine Trauer, kein Schmerz. (vgl. Offb 21, 4ff). Dass Gott selbst alle Tränen trocknen wird.
Frau Eichert, dann glauben Sie auch daran, was in der von Ihnen zitierten Bibelstelle unter dem ebenfalls in der Quellenangabe erwähnten „ff“ zu lesen ist? Also nur zwei, drei Zeilen später?
- Aber die Feiglinge und Treulosen, die Befleckten, die Mörder und Unzüchtigen, die Zauberer, Götzendiener und alle Lügner – ihr Los wird der See von brennendem Schwefel sein. Dies ist der zweite Tod. (Offb 21, 8 EU)
Wenn Sie, wie Sie ja selbst betonen, tatsächlich daran glauben, wäre es dann nicht allein schon aus Mitmenschlichkeit geboten, dass Sie die Menschen, die Ihre Gotteseinbildung nicht teilen und die deshalb nach dieser Ihrer Glaubensüberzeugung eine göttlich veranlasste Endlos-Dauerfolter im brennenden Schwefelsee erwartet, darüber informieren?
Oder mehr noch, dass Sie mit wirklich allen Mitteln versuchen müssten, Sie zur unbedingten Unterwerfung an Ihren Gott zu bewegen? Um ihnen ihr unvorstellbar leidvolles Schicksal zu ersparen?
Das tun Sie jedoch nicht. Diese unmissverständliche Androhung unvorstellbar brutaler Bestrafung, die ja auf den weit überwiegenden Teil der Menschheit zutreffen würde (wäre sie real), halten Sie nicht mal für erwähnenswert!
Wo bleibt hier die christliche Nächstenliebe?
Dass Sie die Geschichte mit dem brennenden Schwefelsee als ewige Endlagerstätte für Un- und Andersgläubige verschweigen, kann aus meiner Sicht nur zwei mögliche Gründe haben: Entweder ist Ihnen das Schicksal Ihrer glaubensfreien bzw. andersgläubigen Mitmenschen egal. Oder aber, Sie geben nur vor, an die Eigenschaften und Absichten des in der von Ihnen zitierten Bibelstelle Gottes zu glauben.
Wenn Sie daran glauben, dass Ihr Gott Ihnen die Tränchen wegtupft, weil das so in der Bibel steht, dann müssen Sie konsequenterweise auch mit der gleichen Begründung davon ausgehen, dass zum Beispiel ich im brennenden Schwefelsee bei vollem Bewusstsein vor mich hin köchele, während Sie auf dem Schoß Ihres Gottes sitzend (oder während einer zeitlich unbefristeten Hochzeitsnacht?) die Ewigkeit genießen. Na prima. Und dabei habe ich mich zeitlebens darum bemüht, die Welt durch Aufklärung ein bisschen friedlicher, fairer, vernünftiger zu machen.
Frau Eichert, abgesehen davon, dass schon allein die Vorstellung eines Jenseits einen Abgleich mit der Wirklichkeit nicht übersteht: Selbst wenn Sie die biblische Mythologie, auf die Sie sich hier berufen nur als eine Art Metapher betrachten sollten, die Ihre moralischen Ansichten widerspiegelt, so wird es dadurch kein bisschen besser.
Ein Gott, der die Unterwerfungsbereitschaft der von ihm zu seiner eigenen Verehrung geschöpften Trockennasenaffen zum Kriterium dafür macht, ob er diese nach ihrem Tod belohnt oder bestraft, ist …. – suchen Sie sich bitte selbst ein passendes Adjektiv.
Was gelten göttliche Zusagen?
Wobei Sie ja davon überzeugt zu sein scheinen, dass zumindest die Bibelstellen, die Ihnen in den Kram passen eben nicht nur metaphorisch, sondern ganz konkret gemeint sein sollen:
Und das Schönste: Diese Zusage Gottes gilt nicht erst für später, im Himmel, sie gilt hier und jetzt. Was für ein Glück für uns: neues Leben, das schon heute beginnt.
Diesem Versprechen traue ich. Und deshalb stehe ich für Ostern. Auch wenn die Welt voller Leid und Tod, voller Karfreitag, ist: Ich stehe dafür, dass Gott Versprechen erfüllt. Auch wenn ich das nicht immer gleich erkenne.
Woran erkennen Sie denn, wenn Ihr Gott mal ein Versprechen erfüllt hat? Und woran erkennen Sie, dass es tatsächlich Ihr Gott war? Und nicht irgendeiner der vielen anderen tausend Götter, die sich Menschen schon ausgedacht haben? Oder nochmal irgendein ganz anderer, den sich bisher noch niemand ausgedacht hat und der, wie Ihr Gott auch, bislang noch niemals tatsächlich nachweisbar in Erscheinung getreten ist?
Anhänger aller möglichen Götter waren und sind schon immer fest davon überzeugt, dass ihre Götter manchmal ihre Versprechen erfüllen. Woran können diese Menschen erkennen, dass es in Wirklichkeit gar nicht der von ihnen angenommene, sondern ein ganz anderer Gott war, der hier am Werk war?
Frau Eichert, mit Ihrem heutigen „Wort zum Sonntag“ stellen Sie sich selbst bzw. Ihrer intellektuellen Redlichkeit ein äußerst fragwürdiges Zeugnis aus.
Zusagen von Göttern gelten genauso viel oder wenig wie zum Beispiel die Zusage von Paulchen Panther: „Heute ist nicht alle Tage. Ich komm‘ wieder, keine Frage.“
Ihre Behauptungen über Ihren Gott und dessen Eigenschaften beruhen auf einer Mythen- und Legendensammlung aus der Bronzezeit und aus dem Vormittelalter. Auch Ihren Gott und dessen Eigenschaften haben sich Menschen ausgedacht. Aus Unwissenheit, Angst und Hoffung. Beweisen Sie mir gerne das Gegenteil.
Und damit wollen Sie anderen Menschen Mut machen, sich nicht vor dem Tod zu fürchten? Ernsthaft?
Glaube ist Privatsache, keine Rechtsgrundlage
Nochmal, um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich ist es Ihre höchstpersönliche Privatangelegenheit, wie Sie sich Ihre Wirklichkeit zusammenbasteln. Es kann Ihnen völlig egal sein, wie absurd, naiv, aber auch höchst unmenschlich ich Ihre Ansichten bei Licht betrachtet finde.
Dank Aufklärung und Säkularisierung, die diese Freiheiten gegen den erbitterten Widerstand der von Ihnen vertretenen Kirche durchgesetzt hatten, genießen wir heute und hierzulande mehr Gedanken- Meinungs- und Redefreiheit denn je.
Ein Problem entsteht erst in dem Moment, in dem jemand meint, auf Grundlage dieses archaisch-absurden biblisch-christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzeptes dafür sorgen zu können, dass mein Recht auf Selbstbestimmung eingeschränkt wird. Denn biblische Mythen können nicht zur Begründung von Gesetzen herangezogen werden. Nicht in einem Staat, der zumindest laut Verfassung ein Säkularstaat ist.
Im Sterben hielt Max meine Hand. Drückte sie sanft und fest zugleich. Mit der anderen Hand umfasste er das Kreuz. Ein Moment voller Nähe. Dankbarkeit. Und Mut.
Schön für ihn, dass er offenbar im Moment seines Todes die Begleitung hatte, die er sich gewünscht hatte. Dass er neben einem Todesfolterungssymbol auch noch eine menschliche Hand hatte, die er halten konnte.
Gottes Liebe ist stärker als der Tod. Und Gottes Rache auch.
Mein Freund war entschlossen, sich trotz aller Ungewissheit in Gottes offene Arme zu werfen. Er vertraute darauf: der Tod ist nicht das Ende. Das Beste liegt immer noch vor uns. Weil Gottes Liebe stärker ist als der Tod.
Bleibt nur zu hoffen, dass Ihr Freund in die Religion hineingeboren worden war, die den richtigen Gott verehrt. Was statistisch gesehen sehr, sehr unwahrscheinlich ist. Denn in fast allen Religionen ergeht es den jeweils Andersgläubigen nach deren Tod richtig übel. Nicht nur den biblisch-christlichen Wüstengott Jahwe hatten sich Menschen als eifersüchtigen Rachegott ausgedacht.
Aber auch der hoffnungsvolle Aspekt derer, die sich „auf der richtigen Seite“ wähnen, erscheint bei Licht betrachtet äußerst fraglich.
Wäre Ihr Freund in einem anderen Teil der Erde geboren und aufgewachsen, dann hätte er wahrscheinlich genauso felsenfest zum Beispiel darauf vertraut, jeden Moment zur nächsten Reinkarnation anzutreten. Oder darauf, jetzt endlich Sex mit 72 Jungfrauen zu haben, nach dem er sich ein Leben lang so sehr gesehnt hatte.
Das alles wäre für einen Zeugen Jehovas völlig egal Der würde stattdessen darauf vertrauen, zu den 144.000 Menschen zu gehören, die ewiges Leben im Himmel erlangen, als Mitkönige Christi im Königreich Gottes.
Als Pastafari hingegen müsste er sich um eine himmlische Obergrenze überhaupt keine Gedanken machen. Denn Anhänger der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters erwartet nach ihrem Tod eine Stripperfabrik mit Biervulkan.
Bitte behalten Sie Ihre Segnungen für sich, Frau Eichert.
Ich wünsche Ihnen gesegnete, herzensfrohe Ostern.
Da bei einer Segnung Ihr Gott eine Rolle spielt (der, der mich Ihrer Glaubensüberzeugung zufolge in den ewig brennenden Schwefelsee steckt), möchte ich von Ihnen keine gesegnete Ostern gewünscht bekommen.
Schon gar nicht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und damit auf meine eigenen Kosten. Wenn Sie das Bedürfnis haben, andere Menschen an Ihren realitätsbefreiten und gleichzeitig höchst unmenschlichen Phantasievorstellungen teilhaben zu lassen, dann tun Sie das bitte auf eigene Kosten.
Hintergrund meiner Bitte ist nicht, dass mich die Strafandrohung Ihres Gottes in irgendeiner Weise beeindruckt. Sondern vielmehr, dass Sie einen Gott propagieren, der zurecht als „der unangenehmste Charakter menschlicher Fiktion“ bezeichnet wird. Und dass es Ihnen völlig egal zu sein scheint, dass Ihr Gott nicht nur Liebe, sondern auch furchtbarste Qual und Folter für Menschen bereithält, je nachdem, ob sie sich ihm zu Lebzeiten unterworfen hatten oder nicht.
Frau Eichert, hätten wir Ihnen nicht 2017 schon die „Goldene Rosine am Band“ für Ihre besondere Meisterschaft im biblischen Rosinenpicken verliehen, wir würden es spätestens jetzt tun.
Statt eines Segenswunsches hier noch ein Buchtipp des gerade verstorbenen Arztes Uwe-Christian Arnold zum Thema:
Uwe-Christian Arnold / Michael Schmidt-Salomon
Letzte Hilfe. Ein Plädoyer für das selbstbestimmte Sterben
Selbstbestimmung darf nicht enden, wenn es um das Sterben geht. Dies ist das Credo des Berliner Arztes Uwe-Christian Arnold. Seit vielen Jahren begleitet er schwer leidende Menschen, die beschlossen haben, selbstbestimmt aus dem Leben zu gehen. Er kennt ihre Schicksale und ihre Motive. Dieses Buch ist ein Bericht aus erster Hand für alle, die sich über das heikle Thema Sterbehilfe eine Meinung bilden wollen. Ein leidenschaftliches Plädoyer für das Recht auf Letzte Hilfe. (Quelle: Klappentext, Zit. n. rowohlt.de)
Rowohlt Verlag 2014, 240 Seiten
Hardcover, 18,95 € (ISBN: 978-3498096175)
E-Book, 16,99 € (ISBN 978-3-644-04421-0)
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