Neuer Himmel, Neue Erde – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Youtube von Benedikt Welter, veröffentlicht am 01.06.2019 von ARD/daserste.de
Wäre Gott ein „Youtuber“ – also so einer wie „Rezo“, der seit vierzehn Tagen politisch Furore macht? Okay – klingt schräg. Aber es wäre eine interessante Vorstellung: einmal himmlischen Klartext zu hören zum Zustand unserer Welt und Gesellschaft. Fakten, Thesen, Argumente – und Belege im Anhang. Und dann: Alles klar?
Tja. Der liebe Gott, zumindest der Gott, an den ich als Christ glaube, mag es da doch etwas komplizierter. Da sind Worte und Geschichten, durch die er zu mir und zu allen spricht. Aber die sind eher nicht youtube-like. Zumindest nicht im Sinne von: „Alles-klar-Klartext – ohne Widerspruch“. (Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Neuer Himmel, Neue Erde – Das Wort zum Sonntag zum Thema Youtube von Benedikt Welter, veröffentlicht am 01.06.2019 von ARD/daserste.de)
Vorab: Schon allein die Anerkennung der potentiellen Existenz anderer Götter zählt als schwer wiegender Verstoß gegen die entsprechenden biblischen Gebote. In anderen Religionen oder Konfessionen wäre ein Satz wie „…zumindest der Gott, an den ich als Christ glaube…“ undenkbar.
Tja. Der liebe Gott, an den Christen glauben, ist (bei den katholisch Abgebogenen sogar dogmatisch festgelegt) ja allmächtig, allwissend und allgütig. Dass sich diese Eigenschaften logisch betrachtet gegenseitig ausschließen, stört sie meist nicht. Genausowenig wie der Umstand, dass die Vorstellung, genau dieser Gott (der fast immer den gleichen Namen trägt wie der Gott, den schon die Eltern verehrten) spräche durch „Worte und Geschichten“ zu Menschen nicht von einer (mitunter wahnhaften) Einbildung zu unterscheiden ist.
Ausflug in die christliche Phantasiewelt
Begeben wir uns kurz in die christliche Phantasiewelt. Also dorthin, wo sich, ähnlich wie in der Märchenwelt, Wunsch und Wirklichkeit beliebig vermischen können. Und überlegen wir dann, was Herrn Welters Behauptung, sein Gott möge es „…da doch etwas komplizierter“ konsequenterweise bedeuten würde:
Wir tun also einfach mal so, als gäbe es dieses allmächtige, also in seinen Handlungsmöglichkeiten durch nichts und niemanden eingeschränkte Wesen tatsächlich. Laut Bibel hätte dieser Gott obendrein ein Interesse am irdischen Geschehen. Und sogar eine bestimmte Vorstellung bezüglich des Idealzustandes unserer Welt und Gesellschaft. Klar: Wer allwissend ist, der wüsste natürlich auch, wie eine Welt und Gesellschaft ist. Und wie sie sein sollte:
Denn dazu kommt ja noch seine angebliche Eigenschaft der Allgüte. Dies würde bedeuten, dass alles, was Gott tut oder lässt, Ausdruck seiner Güte sein müsste. Ja sogar: Nur sein kann. Gott kann gar nicht anders. Denn sonst wäre er ja nur fallweise gütig. Und nicht allgütig.
Allgütig – aber nicht zu allen
Nach biblisch-christlicher Aussage bezieht sich das all- in allgütig allerdings nicht etwa auf alle Menschen oder Lebewesen. In den Genuss dieser unbedingten Güte kommen ausschließlich jene, die bereit sind, sich diesem Gott bedingungslos zu unterwerfen. Damit ist diese Güte freilich nicht mehr unbedingt, sondern sehr wohl an eine Bedingung geknüpft. Nämlich die der exklusiven und möglichst vollständigen, widerspruchslosen Unterwerfung unter diesen allgnädigen Gott.
Denn Teil des allgütigen Allmachtsplanes scheint ja genauso auch die Bestrafung Un- und Andersgläubiger durch unvorstellbar grausame, zeitlich unbegrenzte Dauerfolter mit furchtbaren Höllenqualen bei vollem Bewusstsein für ihren Un- oder Andersglauben zu sein.
Ein glaubender Mensch könnte einwenden: Na und? Betrifft mich ja nicht, juckt mich also nicht. Und auch wenn sie es selten so direkt aussprechen, ist genau diese überhebliche und abwertende Denkweise bei nicht wenigen der Gläubigen, mit denen ich mich in den letzten Jahren unterhalten habe, genau so (mehr oder weniger bewusst) verankert.
Fassen wir einige Eigenschaften des biblisch-christlichen Gottesbildes kurz zusammen: Als Christ glaubt man an einen allmächtigen Gott, der weiß, wie die Welt ist und wie sie sein sollte und der sich zumindest seinen Anhängern gegenüber allgütig verhält.
…er hätte es besser können müssen
Wie sollte sich ein Gott unter diesen Umständen rechtfertigen können, wenigstens seinen Anhängern gegenüber nicht völlig eindeutigen und unmissverständlichen Klartext zu reden? Womit entschuldigt er den von ihm gewählten Plan, seine Heilsbotschaft auf eine so fehleranfällige Art und Weise unters Volk zu bringen, wie er es der biblischen Mythologie zufolge getan haben soll? Vermittels von Mythen und Legenden? Die deshalb wahr sein sollen, weil in ihnen zu lesen ist, sie seien wahr?
Menschen dazu zu bringen, sich ein paar absurde Geschichtchen auszudenken und später aufzuschreiben, in denen davon berichtet wird, dass sich der Schöpfer des Universums irgendwann in der ausgehenden Bronzezeit mal ein paar Vertretern eines analphabetischen Wüstenvölkchens mitgeteilt haben soll und später dafür zu sorgen, dass Menschen ein paar höchst widersprüchliche und historisch nicht belegbare Gottessohnmythen ausdenken und aufschreiben, um sich danach komplett zurückzuziehen und darauf zu hoffen, nicht in Vergessenheit zu geraten, halte ich für eine höchst fragwürdige Methode.
Warum verlässt sich Gott auf die Methode des Glaubens? Wenn es ihm doch ein Anliegen sein müsste, dass seine Nachricht auch wirklich ankommt? Schließlich geht es um Leben und Tod!
Und immerhin haben wir es hier nicht mit irgendwem zu tun. Sondern mit dem einzigen Allmächtigen. Dem Schöpfer des Himmels und der Erde.
Kommunikation ist nicht Gottes Stärke
Wie stümperhaft die Übermittlung der göttlichen Offenbarung tatsächlich war, belegt zum Beispiel die 10bändige „Kriminalgeschichte des Christentums. “ Darin sind viele der zahllosen großen und kleinen Verbrechen dokumentiert, die von Menschen im vermeintlichen Namen und Auftrag des lieben Gottes schon begangen wurden. Menschen, die allesamt felsenfest davon überzeugt waren, durch ihr Handeln jeweils exakt den vermeintlichen Willen des lieben Gottes erfüllt zu haben. Und zwar egal, ob sie Menschen im Namen Gottes geliebt oder getötet haben.
Ein weiterer Beleg für die göttliche Unfähigkeit, sich klar und unmissverständlich auszudrücken, ist die große Schar der Theologen. Die ihren Broterwerb seit Jahrhunderten eben dieser Schwammigkeit, Unklarheit und Unabänderbarkeit biblischer Mythen und Legenden verdanken.
Solange sie noch jemanden finden, der sie dafür bezahlt, konnten und können sie ihre Lebenszeit damit verbringen, die jeweils gerade aktuellen ethischen Standards immer und immer wieder in die immer gleichen archaischen biblischen Mythen hineinzubasteln. Dazu entnehmen sie diese Standards dem ansonsten höchst verpönten „Zeitgeist“ und schustern sie ihrem „heiligen Geist“ zu. Um sie fortan, meist mit 1-2 Jahrhunderten Verspätung, als genuin christliche Errungenschaft zu verkaufen.
…doch etwas komplizierter?
Der liebe Gott ist kein Freund der klaren Worte. Laut Herrn Welter mag er es stattdessen „doch etwas komplizierter.“ Das würde bedeuten, dass Gott das Leid (auch das seiner eigenen Anhänger), das die von ihm bevorzugte komplizierte und äußerst missverständliche „Ansprache“ zur Folge hat, entweder billigend in Kauf nimmt. Dann wäre er nicht allgütig zu bezeichnen. Sondern als Sadist.
Oder, wenn es so wäre, dass er sich gerne für alle Menschen unmissverständlich mitteilen wollen würde, dies aber nicht kann: Dann wäre er nicht allmächtig.
Wer allmächtig, allwissend und allgütig ist, kann sich mit „kann ich nicht“, „weiß ich nix von“ oder „will ich nicht“ nicht herausreden, wenn es darum geht, das Leid zumindest seiner Homies zu verhindern oder zu mindern.
Die Bewältigungsstrategie Gläubiger, mit diesen Widersprüchen umzugehen, lautet meiner Erfahrung zufolge nicht selten: „Is halt so.“ Schon praktisch (wenngleich intelektuell auch nicht wirklich befriedigend), wenn man an einen Gott glaubt, dessen Wege eben unergründlich sind, wenns rational eng wird. Geheimnis des Glaubens und so…
Was haben Youtube und Bibel gemeinsam?
Etwas von youtube haben diese Worte und Geschichten über Gott aber doch: sie malen Bilder aus Sprache. Starke Bilder.
Youtube ist lediglich ein Medium. Ein Kanal, um alles Beliebige zu veröffentlichen. Auf Youtube kann jeder (noch) quasi alles Beliebige veröffentlichen. Auch den größten Unsinn.
Die zum heutigen Thema „Youtube“ zurechtgebogene Analogie ist in etwa so sinnvoll wie zum Beispiel: „Etwas von Büchern haben diese Worte und Geschichten über Gott aber doch: sie malen Bilder aus Sprache.“
Für einen inhaltlichen Vergleich mit den biblischen Narrativen wären stattdessen zum Beispiel Märchenbücher geeignet. Oder Phantasy-Filme. Wenns etwas moderner sein soll.
Welters Faible für apokalyptische Dystopie
Besonders gefallen mir die im letzten kleinen Büchlein der Bibel. Das heißt Offenbarung des Johannes oder kurz: Apokalypse. Da gibt es Bilder, die den Schrecken malen: von verhungernden Menschen, von Menschen, die im Krieg zerrissen werden; von einer Natur, die komplett zur Wüste wird.
Ich möchte Herrn Welter nicht unterstellen, dass sein besonderes Gefallen tatsächlich den drastischen, furchtbaren Schilderungen in der Apokalypse gilt. Auch wenn er die biblische Schilderung dieser unvorstellbar brutalen und sadistischen Gewaltorgie zumindest an dieser Stelle ausdrücklich in seine besondere Gefallensbekundung mit einschließt. Aber wer weiß…?!
Moment, mag jemand einwenden: „Dazu braucht‘s doch keine biblischen Bilder. Das haben wir ja Tag für Tag auf dem Schirm: Hunger und Krieg. Und die Natur, die bald zerstört sein wird, wenn nicht endlich was geschieht. Dazu braucht es deine Bibel-Apokalypse nicht.
Ich wende etwas anderes ein: Die in der Johannesoffenbarung enthaltenen biblischen Bilder beschreiben nicht das nun mal offenbar natürlicherweise in einer Welt mit empfindungsfähigen Lebewesen vorhandene und vielfältige Leid, von dem der liebe Gott seine bevorzugte Trockennasenaffenart in seiner unendlichen Güte befreit.
Erst wird vernichtet. Dann erlöst
Vielmehr geht es hier um Maßnahmen, die vom lieben Gott him-/her-/itself zunächst mal gezielt in Auftrag gegeben werden. Um danach erst den übrig gebliebenen Rest zu erlösen. Maßnahmen, deren Schilderung vermuten lässt, dass der Autor wohl ein sadistischer Psychopath auf Droge gewesen sein muss.
Seit Aufkommen dieser Endzeitschilderungen konnten und können Gläubige zu jeder Zeit fest überzeugt sein: All das täglich erlebbare Leid ist bereits Teil der in der Bibel angekündigten Apokalypse. Leid, das sie als untrügliches Zeichen für das vermeintlich unmittelbar bevorstehende Ende der Welt zu erkennen meinen. Eine Erfüllung der biblischen Prophezeiungen. Auch derer von Jesus. Der sich mit seiner Behauptung, das Ende stünde unmittelbar bevor, augenscheinlich gründlich geirrt hatte.
Ein Blick in die Geschichte bis in die heutige Gegenwart beweist, dass es eine clevere Idee war, in der biblischen Dystopie auf genaue Zeitangaben zu verzichten. Denn so lässt sich diese Erwartung zeitlich praktisch unbegrenzt, zumindest solange, wie nötig ausdehnen.
Hat das „Jüngste Gericht“ schon begonnen?
Und während zum Beispiel die Nachfahren der Kelten überwiegend aufgehört haben, sich davor zu fürchten, dass ihnen eines Tages der Himmel auf den Kopf fallen könnte, werden die Christen, die ihre biblisch-christliche Grundlage noch ernst nehmen, wohl bis zum sprichwörtlichen Sankt-Nimmerleinstag davon ausgehen und so tun, als ob die vom biblischen Romanheld Jesus Christus als unmittelbar bevorstehend angekündigte Apokalypse wahrscheinlich gerade schon angefangen haben muss.
Oder zumindest, dass der in der Bibel beschriebene Weltuntergang jetzt aber wirklich jeden Moment startet.
Kurioserweise ist vielen Christen heute gar nicht mehr bewusst, worauf genau sie sich da eigentlich die ganze Zeit wie bekloppt freuen sollen. Nämlich darauf, dass ihr Gott zunächst mal alle ihre Feinde vernichten und dauerbestrafen wird. Was in vergangenen Zeiten sicher als Unique Selling Point Teil jeder christlichen Verkündigung gewesen sein dürfte, taucht heute höchstens noch in fundamentalistischen Religiotenkreisen (eine Bezeichnung, die ich nur sehr sporadisch, dann aber ganz gezielt verwende) auf.
Wobei sich umgekehrt freilich auch längst nicht nur im Spektrum z. B. evangelikaler Spinnergruppen glühende Befürworter der Vorstellung finden, alles Leid sei bereits Teil von Gottes gerechter Strafe.
Da wird dann zum Beispiel ein Orkan, der eine ganze Region zerstört schon mal als Strafe Gottes für Homosexualität gedeutet. Auch das beinhaltet das christliche Spektrum.
Schau mal hin!
Schau doch hin: Junge Menschen treibt die Angst vor der zerstörten Natur seit Wochen auf die Straßen. Sehr viele Wahlberechtigte in Europa hat es letzten Sonntag dazu bewegt, ihre Stimme den Parteien zu geben, die mehr dagegen tun wollen.“
Ja, schau mal hin. Möglichst ohne religiöse Vernebelung. Da fangen Menschen an, sich dafür einzusetzen, dass die Welt auch in Zukunft ein für Lebewesen (genauer: für Sauerstoff verstoffwechselnde Säugetiere) geeigneter Lebensraum bleibt. Dazu braucht es keine absurden biblischen Vernichtungs- und Weltuntergangsmythen. Da genügt sogar schon ganz banaler Eigennutz.
[…] Johannes betreibt dabei keine Zukunftsforschung. Sondern mitten in seinen Bildern von Bedrängnis, Elend und Leid hat er zugleich eine Vision.
Nochmal, weil die Darstellung von Herrn Welter gar so verzerrt ist: In der biblischen Johannesoffenbarung wird Bedrängnis, Elend und Leid beschrieben, dass Gott persönlich absichtlich veranlasst. Er ist es, der die apokalyptischen Reiter schickt, die die Menschheit nach und nach mit unvorstellbarer Grausamkeit und gnadenloser Härte vernichten.
Und das wäre nicht das erste Mal: Laut biblischer Mythologie hatte sich der Allgütige ja schon einmal so über seine eigene Schöpfung geärgert, dass er offenbar keine andere Wahl mehr hatte, als sie fast vollständig zu eliminieren.
In der Darstellung von Herrn Welter fehlt dieser ja nicht gerade unbedeutende Aspekt völlig.
Nicht nur Gleichgültigkeit, sondern proaktive Vernichtung
Es ist ja nicht etwa nur so, dass sich Gott aus unerfindlichen Gründen offenbar Zeit lässt (und damit auf unbestimmte Zeit auch davon absieht, reales Leid, auch das seiner Anhänger, zu verhindern), bis er dann irgendwann doch mal Gnade walten lässt.
Nein: Erst lässt er gründlich, perfide und gnadenlos vernichten. Bevor er danach dann erst den Rest erlöst.
Dass man mit solch absurden und vor allem höchst unmenschlichen Moralvorstellungen heute kaum noch was anfangen kann, liegt auf der Hand. Außer vielleicht, um einem wahnsinnigen Diktator bei der Machtergreifung zu unterstützen. Wie zum Beispiel in Brasilien gerade zu beobachten.
Für diese Unbrauchbarkeit spricht auch der Umstand, dass Herr Welter die eigentliche Kernaussage der Johannesoffenbarung völlig verzerrt und verdreht darstellt. Und zwar so, dass seinem Gott gar nicht erst die Rolle des Vernichters, sondern gleich nur die des Erlösers zukommt.
Zwischenfazit: Ein Narrativ wie die biblische Apokalypse ist zur Ableitung von ethischen Standards für die Menschen in offenen und freien Gesellschaften im 21. Jahrhundert unbrauchbar.
„Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; … Ich sah die Heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen … Gott, wird bei (den Menschen) sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.“
Stellen wie diese sind bei den Christen, die gerne an einen lieben Gott glauben möchten, sehr beliebt.
Biblische Rosinchen
Solange man noch die Vorstellung hat, es sei nicht nur möglich, sondern sogar höchst erstrebenswert, den Tod zu überwinden (warum auch immer), mag dies freilich ein äußerst verlockendes Versprechen sein. Theologen haben ein ganzes Arsenal an rhetorischen Strategien entwickelt, mit denen sie die Frage zu bewältigen versuchen, warum Gott erstmal auf unbestimmte Zeit Trauer, Klage und Mühsal zulässt. Und dieses dann spätestens dereinst sogar noch selbst gezielt verursacht, um danach erst die Tränchen seiner Schäfchen zu trocknen.
Nun sei es freilich jedem selbst überlassen, wie er sich seine Wirklichkeit zusammenbastelt. Wem die Minderung von Leid allerdings tatsächlich ein Anliegen ist, der kann nicht erwarten, dass er von irgendwem ernst genommen wird, wenn er dazu sein Vertrauen auf das Eingreifen eines magischen Himmelwesens setzt, das sich Menschen in der Bronzezeit aus Unwissenheit und Angst als hoffnungsvoll und gerecht erscheinende Illusion ausgedacht hatten.
Das ist doch wirklich eine Vision, die diesen Namen verdient; mir gibt sie zweierlei: Erstens: den Mut, mein Hier und Heute ernst zu nehmen. Was ich als notwendig erkenne, auch anzupacken. Und dazu gehört ganz gewiss auch, mich zu fragen, wie ich lebe im Zusammenhang des Ganzen von Menschheit und Erde und Schöpfung.
Was ist mit den auf vielen Buchseiten geschilderten Visionen, die dieser Vision in der biblischen Offenbarung voraus gehen? Verdienen die diesen Namen auch?
Ausgerechnet die Johannes-Offenbarung…
Natürlich finde ich es prima, wenn Herr Welter sein „Hier und Heute“ ernst nimmt und anpackt.
Wie er sich diesen, aufs Diesseits gerichteten Pragmatismus ausgerechnet aus dem biblischen Narrativ, in dem der liebe Gott zunächst mal seine Schöpfung mit den grausamsten Methoden, die man sich damals wohl vorstellen konnte, schön langsam zu Tode quält, ableiten kann, erschließt sich mir allerdings nicht.
Denn nimmt man die Bibel beim Wort, so hat die Menschheit nicht die geringste Chance, sich gegen die göttlichen Folterangriffe zur Wehr zu setzen. Und auch, was die Zukunft angeht, ist der Mensch vollständig dem göttlichen Goodwill ausgeliefert.
Der „neue Himmel und die neue Erde“ kommen laut Bibel – natürlich von Gott. Und natürlich nicht etwa von seinen Anhängern. Oder gar von allen Menschen.
Menschen mindern Leid, Götter nicht
Auch in diesem Fall hilft wieder ein nicht religiös vernebelter Blick auf die irdische natürliche Wirklichkeit, um hier klarer zu sehen: Dass unzählige Faktoren, die der Menschheit früher unabwendbares und unvorstellbares Leid beschert hatten heute entweder ganz eliminiert oder zumindest stark vermindert werden konnten, haben wir keinen Götterwesen zu verdanken. Sondern Menschen, die sich eben nicht damit zufrieden gegeben hatten, dass Gottes leidvolle Wege eben unergründlich seien.
Zweitens gibt sie mir Hoffnung: Trotz aller Zerstörung und Selbstzerstörung, zu der ich und wir Menschen fähig sind – Gott schenkt uns Gegenwart und Zukunft.
Was Zerstörung angeht, kann die Menschheit dem Bibelgott nichtmal ansatzweise das Wasser reichen.
Wir erinnern uns:
Der Gott, von dem hier die Rede ist, hatte laut biblischer Mythologie praktisch seine komplette Schöpfung (zumindest die Arten, die in oder auf Salzwasser nicht überleben) schon mal ersäuft. Mehr Zerstörung geht ja praktisch nicht. Wenn noch irgendetwas übrigbleiben soll.
Gegenwart und Zukunft haben auch alle Menschen, die an keine oder an andere Götter glauben. Dabei handelt es sich nicht um ein göttliches Geschenk.
Wenn dieser Gott allmächtig ist, gehören dann nicht auch Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche und was es noch alles an zerstörerischen, nicht von Menschen verursachten Naturkatastrophen gibt zu seinen guten Gaben?
Wie kann ein erwachsener Mensch im 21. Jahrhundert ernsthaft öffentlich so tun, als könne dieser Gott ein Hoffnungsträger sein? Zumal ein Mensch, der von Berufs wegen ja mit dem katastrophalen biblischen Gottesbild vertraut sein sollte?
Andererseits: Wer sich als Fan ausgerechnet der Johannesoffenbarung outet, der hat möglicherweise andere Vorstellungen davon, wie die Welt sein sollte als die Menschen, die diese Schilderungen furchterregend und geradezu widerwärtig unmenschlich empfinden.
Rational gelähmt – oder religiös verstrahlt…
Zu guter Letzt konstruiert Herr Welter noch ein falsches Dilemma:
Hätte ich nur den Schrecken vor Augen, also nur den wissenschaftlich durchgecheckten Blick in den Abgrund: ich wäre gelähmt; vielleicht gerade noch dazu fähig, mich für den Augenblick anzustrengen. Aber diese Bilder, diese Vision: von einem Neuen Himmel und einer Neuen Erde, die geben Hoffnung und schenken Luft zum Atmen.
Mit anderen Worten: Ohne eine Realitätsflucht in religiöse Phantasiewelten mit Göttern, Geistern und Jenseits scheint Herrn Welter die Realität im Diesseits unerträglich zu sein.
Dabei ist doch ein möglichst klarer Blick auf die Welt die allererste Voraussetzung, um bestehende Probleme möglichst genau und zutreffend zu erkennen und um vorhandene Chancen gezielt nutzen zu können. Gerade dieser wichtige, letztgenannte Aspekt fehlt bei Herrn Welter völllig.
…oder nichts von beidem
Dass es ausgerechnet die Menschen sind, die sich rational mit den irdischen Problemen auseinandersetzen, die effektiv zu einer Verbesserung beitragen können, scheint Herrn Welter nicht bekannt oder bewusst zu sein.
Denn Hoffnung können natürlich auch die Menschen haben, die sich nicht weigern, die irdische Wirklichkeit als solche und ohne religiöse Vernebelung anzuerkennen.
Deren Hoffnung besteht nicht aus absurden, von frühzeitlichen Menschen erdachten göttlichen Vernichtungs- und Erlösungsmythen. Diese Leute hoffen und vertrauen darauf, dass die Menschen ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten nutzen, um die Welt für alle Lebewesen gesünder und fairer zu gestalten.
Dafür, dass Menschen dazu in der Lage sind, gibt es unzählige Beispiele. Die aber in religiösen Verkündigungen so gut wie nie auftauchen. Weil Götterphantasien dafür nicht gebraucht werden.
Wozu noch die Welt retten?
Was ich und andere jetzt tun, um die Welt zu retten, wird nicht umsonst sein; auch wenn es nur wenig zu sein scheint.
Mal ganz provokativ gefragt: Wozu denn die Welt retten, Herr Welter? Wenn Sie an die in der Offenbarung in Aussicht gestellte göttliche Erlösung glauben, dann müssten Sie ja konsequenterweise auch an die diesem Gnadenakt vorausgehende brutale, langsame Vernichtung durch eben diesen Gott glauben. Den Gott, von dem Sie sich einbilden, dereinst erlöst zu werden.
Und müssten Sie sich nicht konsequenterweise über alles freuen, was Sie als Zeichen eben dieser Vernichtung deuten können? Wenn Sie auf eine himmlische Herrlichkeit hoffen, der zwangsläufig die Zerstörung der Erde als Lebensraum vorausgehen muss, was motiviert Sie dann daran, die Welt retten zu wollen? Wovor und wozu denn eigentlich retten? Um die Erlösung und damit die Beendigung des Leides noch etwas hinauszuzögern?
Haben Sie jemals überlegt, ob Sie Ihr Engagement zur Weltrettung auch anders begründen könnten als mit Hilfe von verzerrten und verbogenen biblischen Narrativen?
Seht, ich mache alles neu! …und vorher vernichte ich alles.
„Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal….Seht, ich mache alles neu!“
Vielleicht wäre Gott ja doch ein guter „Youtuber“; einer gegen die Zerstörung und für die Rettung der Welt.
Herr Welter, darf ich Sie daran erinnern, dass Sie sich in Ihrer heutigen TV-Predigt auf die Offenbarung des Johannes berufen? Also auf das biblische Kapitel, in dem Gott das Leben auf der Welt zunächst auf unvorstellbar grausame Art und Weise quält, zerstört, vernichtet? Um danach die, die bereit waren, sich ihm zu unterwerfen, dann vor sich selbst und seinem eigenen Zorn zu retten?
Wobei die Geretteten ihre himmlische Herrlichkeit in dem Wissen genießen, dass alle Un- und Andersgläubigen zeitgleich (sofern man diesen Begriff in Zusammenhang mit einer Ewigkeit überhaupt verwenden kann) für ihren Un- und Andersglauben zeitlich unbegrenzt mit physischen und psychischen Höllenqualen bei vollem Bewusstsein dauergefoltert werden? Von dem selben Gott, der ihnen die Tränchen trocknet?
Solange Sie zur Begründung Ihres Standpunktes noch die biblisch-christliche Mythologie anführen, nehme ich Ihnen nicht ab, dass es Ihnen primär um die Weltrettung (was auch immer Sie damit konkret meinen) geht. Sondern darum, eben diese Mythologie, die die Grundlage Ihres Broterwerbs darstellt, künstlich am Leben zu erhalten. Denn nicht zuletzt hängt ja auch Ihr Broterwerb davon ab, dass noch genügend Menschen diesen bizarren Geschichten noch irgendeine Bedeutung für ihre Lebenswirklichkeit beimessen.
Alles neu?
Das von Menschen erfundene Versprechen eines ebenso von Menschen erfundenen Götterwesens, „alles neu“ zu machen, mag Ihnen persönlich vielleicht beruhigend oder hoffnungsvoll erscheinen. Bei Licht betrachtet führen Sie sich (und Ihr unkritisches Publikum) damit an der Nase herum und in die Irre.
Das finde ich besonders deshalb so problematisch, weil damit an sich gute Absichten und Argumente sofort angreifbar werden, sobald magische Wesen dafür eine Rolle spielen.
Wenn Sie eine magische Wirklichkeitserweiterung wie das christliche Belohnungs-Bestrafungskonzept benötigen um darauf zu kommen, was Sie tun und was Sie lassen sollten, dann ist das Ihre Sache.
Nur: Was erwarten Sie sich von Ihrer Verkündigung? Dass sich auch nur ein einziger Mensch, der nicht sowieso auch vorher schon Ihre religiöse Vorstellungen mit Ihnen geteilt hatte, ausgerechnet durch die Offenbarung des Johannes würde überzeugen lassen, ab sofort mit Ihnen die Welt zu retten? Das glauben Sie ja wohl selber nicht.
Wozu dann aber die ganze Verkündigung?
Wäre Gott ein guter Youtuber?
Wie oben schon angedeutet: Allein der Umstand, dass jemand Youtube nutzt, um seine Botschaft ans Publikum zu bringen, sagt noch nichts über die Sinnhaftigkeit dieser Botschaft aus. Im Gegenteil.
Natürlich reden manche auf Youtube tatsächlich fundierten und begründeten Klartext. Gleichzeitig senden andere mit voller Überzeugung solch hanebüchenen Bullshit, dass man es kaum für möglich halten mag. Youtube ist nicht nur eine (noch verhältnismäßig) freie Plattform der Meinungsfreiheit. Sondern auch ein Magnet für Mitglieder des Dunning-Kruger-Clubs. Und deren Fans.
Würde heute zum Beispiel jemand via Youtube verkünden, er sei der jetzt endlich doch zurückgekommene Gottessohn. Und selbst, wenn er dies mit dazu passend herausgepickten Bibelsprüchlein klipp und klar „beweisen“ könnte: Es würde ihm wohl niemand abnehmen. Erst recht nicht, wenn die einzige Quelle für diese Behauptung ein Youtube-Film ist.
Leute, die wie Herr Welter ihr Geld mit der Verbreitung des christlichen Glaubens verdienen, sollten mehrfach am Tag ihren Gott aufrichtig anflehen. Dass er unter keinen Umständen jemals tatsächlich nachweislich in Erscheinung treten möge. Weder auf Youtube. Noch sonst wo.
Denn ab diesem Moment müsste ja niemand mehr an diesen Gott glauben. Mit Göttern lässt sich nur so lange Geld verdienen, wie sie sich ihre Existenz nicht nachweisen lässt.
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