Liebe – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Barmherzigkeit

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Liebe – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Barmherzigkeit, verkündigt von Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am 15.2.2020 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Anders als Begriffe wie „house of love“ und „Liebe in Hochfrequenz“ vermuten lassen geht es heute um barmherzige Klosterschwestern und nicht um Bordelle.

Ein Haus der Liebe, direkt im Zentrum der Stadt. Nur Frauen leben in diesem house of love und jede lebt für die Liebe. Ich war da jetzt eine Woche lang und hab sozusagen täglich Liebe in Hochfrequenz erlebt. Und es hat mich total gepackt. Weil das, worum es da geht eine ganz eigene Kategorie von Liebe ist.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Liebe – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am 15.2.2020 von ARD/daserste.de)

Ob es Frau Behnkens Absicht war, sich mit dieser Einführung die Aufmerksamkeit derer im Publikum zu sichern, die bei Formulierungen wie „Haus der Liebe“, „house of love“, „Nur Frauen… und jede lebt für die Liebe“, „Liebe in Hochfrequenz“ und „ganz eigene Kategorie von Liebe“ eine Fernsehpredigt zum Thema Prostitution erwarten, kann man nur vermuten.

Trotzdem erscheint mir diese Vermutung ziemlich plausibel. Denn warum hätte sie ihren Beitrag über einen Klosterbesuch sonst mit einem Wording beginnen sollen, das klingt, als stamme es aus einer RTL2-Dokumentation à la „Wir verwöhnen Deutschland – der große Bordell-Check“?

In der Bibel gibt es Leidenschaft, hart wie die Unterwelt

Nein, um käufliche Liebe geht es heute nicht im „Wort zum Sonntag.“ Und auch nicht um Erotik oder Sexualität. Obwohl sogar die Bibel auch diesbezüglich einiges zu bieten hat. So lautet zum Beispiel die von Frau Behnken genannte Stelle:

Stark wie der Tod ist die Liebe, sagt die Bibel.

im „Hohelied der Liebe“ ungekürzt so:

  • Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm, denn stark wie der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt! Ihre Gluten sind Feuergluten, gewaltige Flammen. (Hoheslied 9,6 EU)

Der ganze Text ist hocherotisch. Er trieft und tropft förmlich vor erotischen Phantasien und sexuellem Verlangen:

  • Honigseim tropft von deinen Lippen, Braut, Honig und Milch sind unter deiner Zunge. Der Duft deiner Kleider ist wie der Duft des Libanon. (Hoheslied 4,11 EU)

Und wer es gerne etwas obszöner hat, wird ebenfalls in der Bibel fündig. Der schlägt dann einfach bei Hesekiel nach:

  • Und sie hatte Verlangen nach ihren Liebhabern, deren Glieder wie die Glieder der Esel und deren Erguss wie der Erguss der Hengste waren. (Hesekiel 23,20 EU)

Die Schäflein, denen das zu soft ist, lässt die katholische Kirche nicht im Regen stehen.

Natürlich nicht ganz uneigennützig: Am Verkauf von über 8.400 Buchtiteln (Stand: 2018), die der ehemals ganz und heute immernoch anteilig katholische „Weltbild-Verlag“ unter dem Stichwort „Erotik“ (genau genommen handelt es sich überwiegend um Pornographie von soft bis hard) im Angebot hat, verdient die Kirche auch heute noch gerne mit.

Aber zurück ins Kloster. Zu einer Form von Liebe, die mit Erotik und Sexualität nichts zu tun hat.

Der, den sie Gott nennen

Dieses house of love ist ein Kloster. Die Frauen: Ordensschwestern. Und viele von ihnen haben genau das erlebt: dass sie ergriffen wurden. Von einer Liebe, die ihnen so durch Leib und Seele fährt, eine so unbedingte Liebe zum Leben, zu den Menschen und zu dem, den sie Gott nennen.

Cartoon: J. Tilly
Im prähistorischen Museum. Grafik: J. Tilly

Ein geradezu verschämt hinten noch drangepappter „der, den sie Gott nennen“ ist bezeichnend für den Bedeutungsverlust der biblisch-christlichen Glaubenslehre. Es klingt hier fast so, als sei es Frau Behnken peinlich, das auch noch erwähnen zu müssen.

Dabei müsste die Reihenfolge gemäß der biblisch-christlichen Lehre genau umgekehrt sein:

  • Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.
    (Quelle: Markus 12, 30-31 EU)

Dass der Gattungsbegriff „Gott“ nur noch als Worthülse für irgendetwas verwendet wird, stört Götter mangels Existenz freilich genauso wenig wie die Reihenfolge, in der sie noch genannt werden.

Auch den biblisch-christlichen Gott nicht: Denn eifer- und rachsüchtig ist er nur auf dem Papier. Und natürlich in der Vorstellung von Gläubigen, die sich noch an dieses Papier halten.

Diese Liebe… welche Liebe?

Und die Sehnsucht, ihr ganzes Leben aus dieser Liebe zu leben oder in ihr, die hat sie ins Kloster geführt. Um sich ganz und gar auf diese Liebe konzentrieren zu können.

Mit „dieser Liebe“ kann ja eigentlich nicht die ganze Aufzählung, sondern nur die „zu dem, den sie Gott nennen“ gemeint sein. Denn natürlich können auch Anhänger anderer Götter oder glaubensfrei lebende Menschen ebenfalls von einer „unbedingten Liebe zum Leben und zu den Menschen“ ergriffen sein.

Und umgekehrt kenne ich persönlich Menschen und darunter auch Nonnen, die zwar in einer (einseitigen, eingebildeten, irrealen) innigen Liebesbeziehung mit ihrer Gottesvorstellung (oder deren Sohn, …SO a schöner Mann!) leben. Während sie das Leben im Allgemeinen und ihr eigenes Leben im Besonderen sowie ihre Mitmenschen zumindest hinter der Fassade abgrundtief verachten.

Der entscheidende Faktor für die Entscheidung, sein Leben als Nonne im Kloster zu verbringen, ist also die vermeintliche göttliche Liebe. Eine Liebe, die vergleichbar ist mit der Liebe, die ein Teenie für ihren Teenie-Schwarm (früher: Popidol, heute kanns auch ein Youtuber sein) empfindet.

Vorgeschriebene Ehelosigkeit etwas „grundlegend anderes“ als vorgeschriebener Zölibat?

Ein sehr einfaches Leben zu dem auch die Ehelosigkeit gehört. Die etwas sehr Kraftvolles und Konzentriertes sein kann. Und etwas grundlegend anderes ist, als ein vorgeschriebener Zölibat, der schon so viel Unheil angerichtet hat – aber das ist ein eigenes Thema.

Inwiefern macht es denn einen grundlegenden Unterschied, ob eine Frau Ehelosigkeit in Kauf nimmt, um Nonne in einem Kloster sein zu können – oder ob ein Mann zölibatär lebt (oder zumindest so tut als ob), um den Beruf des katholischen Priesters ausüben zu dürfen?

Sicher finden sich Männer, die ihr zölibatäres Priesterdasein als „etwas sehr Kraftvolles und Konzentriertes“ empfinden und bei denen der beruflich bedingte Verzicht auf Sexualpartner*innen keine dauerhaften Schäden verursacht.

Und genauso sicher finden sich aber auch Priester, bei denen genau das der Fall ist. Einschließlich des vielfachen Unheils, das (unter anderem auch) daraus entstehen kann. Für die Priester selbst. Aber natürlich auch für andere Menschen.

Die Ehelosigkeit dürfte für die Ordensfrauen genauso vorgeschrieben sein wie der Zölibat für katholische Priester: Beide müssen diese Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit in Kauf nehmen, wenn sie dieses Leben führen möchten.

Und deshalb ist es bei den Nonnen eben nicht „grundlegend anders“ als bei den Priestern.

Das belegen auch die Berichte der Menschen, die unter systematischer sexueller Gewalt leiden mussten, die von Nonnen verübt worden war. Und die sehr wahrscheinlich auch heute noch verübt wird.

Sisters of mercy: Barmherzigkeit ist nicht Ohne…

Frau Behnken berichtet nun von einer Einrichtung eines Klosters, in der sich die Nonnen mit persönlichem Einsatz um Menschen mit Problemen aller Art kümmern.

Hier kann man sein, mit all seinem Glanz und all seinem Elend. Mancher kriegt hier wieder Boden unter die Füße. Viele nicht. Aber das lässt sich hier ein kleines bisschen besser ertragen. Es ist eine ganz eigene Kategorie von Liebe, die ich hier erlebe. Die Ordensschwestern nennen sie: Barmherzigkeit. Ein grundsätzlich zärtlicher Blick auf jeden Menschen, der jeden so wie er ist, mit Achtung betrachtet.

Barmherzigkeit reklamiert die christliche Kirche gerne als die „praktische Form der Nächstenliebe“ für sich.

Die Begründung, warum man sich so verhalten solle, ist auch gleich schon der erste Kritikpunkt: Weil Gott sich angeblich barmherzig verhalten würde, sollten sich die Menschen auch so verhalten.

Mit anderen Worten: Der Aufruf zu Barmherzigkeit wird mit der angeblichen Barmherzigkeit eines magischen Himmelswesens begründet. Ein Wesen, das allerdings der menschlichen Fiktion entsprungen ist. Und nur in dieser als kollektive (Wunsch-)vorstellung existiert.

Da sich Götter mangels Existenz aber nicht nur nicht barmherzig, sondern überhaupt nicht verhalten und weil es ja auch für Anhänger anderer Götter oder glaubensfrei lebende Menschen viele gute Gründe gibt, sich mitmenschlich zu verhalten, ist diese Begründung denkbar unbrauchbar.

Barmherzigkeit kann alles Mögliche bedeuten

Ein weiterer Kritikpunkt zum Thema Barmherzigkeit: Dieser Begriff ist so ungenau und unscharf definiert, dass man praktisch alles Beliebige als „Werk der Barmherzigkeit“ bezeichnen kann.

Hier sind besonders die so genannten „Sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit“ zu nennen, die sich die katholische Kirche ausgedacht hat:

  1. Unwissende lehren
  2. Zweifelnde beraten
  3. Trauernde trösten
  4. Sünder zurechtweisen
  5. Beleidigern gern verzeihen
  6. Lästige geduldig ertragen
  7. Für Lebende und Verstorbene beten
    (Quelle: erzbistum-koeln.de)

Bei den meisten dieser Werke geht es um die Verbreitung der eigenen Glaubenslehre, also um das Missionieren. Ausnahmslos jedes soziale Engagement katholischer Einrichtungen verfolgt laut bischöflicher Anweisung die Missionierung als übergeordnetes, eigentliches Ziel.

Wess‘ Brot ich ess‘, des‘ Lied ich sing…

Wie ich aus Gesprächen mit Leuten, die in kirchlichen Einrichtungen tätig sind weiß, wird dieser Missionierungsauftrag von immer mehr Kirchenangestellten oft nur noch in einem Umfang erfüllt, der gerade so erforderlich ist, um nicht aufzufliegen.

Die nach wie vor überproportionale Präsenz kirchlicher Träger in der sozialen Dienstleistungsbranche zwingt Angestellte von Einrichtungen dieser Branche nicht selten geradezu zu diesem Verhalten: Wess‘ Brot ich ess‘, des‘ Lied ich sing…

Das ist besonders dann der Fall, wenn Angestellte keine Möglichkeit haben, zu einer Einrichtung zu wechseln, die nicht in kirchlicher Trägerschaft ist. Und die deshalb ihren Angestellten auch nicht vorschreibt, welche Götter sie zu verehren haben und mit welcher Glaubenslehre sie ihre Klienten „beglücken“ sollten.

Barmherzigkeit kann Burn out begünstigen

Und schließlich kann „Barmherzigkeit“ auch dann problematisch werden, wenn Mitarbeiter in sozialen/pflegerischen Berufen meinen, ihre Arbeit müsse zwangsläufig von Barmherzigkeit geprägt sein, um gut zu sein. Das bedeutet nicht, dass sie das nicht sein kann. Aber eben nicht zwangsläufig.

Wer meint, mit allen seinen Klienten immer auch persönlich mitleiden zu müssen, der steigert damit sein Risiko für all das, was unter dem Begriff burn out zusammengefasst wird.

Im Falle eines Klosters stelle ich mir es besonders dann besonders schwierig vor, wenn es einer Nonne nicht mehr gelingt, die Kollektiveinbildung vom barmherzigen Gott für sich persönlich aufrecht zu erhalten und sie aber trotzdem weiterhin in dieser Gemeinschaft im Sozialbereich arbeiten möchte.

Und wenn dann nicht nur die kollektiv vorgegebene, fragwürdige berufliche Motivation („Barmherzigkeit“), sondern auch noch der fiktive göttliche Liebes- und Partnerschaftsersatz auf dem Spiel stehen, dann dürfte die Ent-Täuschung im wahrsten Wortsinn umso größer ausfallen. Wenn sie denn jemals einsetzen sollte.

Ende der Frauenorden in Deutschland wird absehbar

So kann es kaum erstaunen, dass die Zahl der Frauen, die sich für diese Lebensführung entscheiden, seit Jahren kontinuierlich abnimmt:

Grafik: Frauenorden in Deutschland
Frauenorden in Deutschland. Grafik: fowid.de

Dazu kommt, dass schon im Jahr 2015 über 86% aller Nonnen schon über 65 Jahre alt waren. Im Mittel sterben jeden Tag drei Ordensschwestern, aber nur jeden fünften Tag kommt eine Novizin hinzu (Quelle: ebenda).

Das FOWID-Team kommt dehalb zu dieser Einschätzung:

  • Es ist ein Sterbeüberschuss von im Mittel rund 1.000 Nonnen pro Jahr, so dass absehbar ist, wann sich die Frage stellt, ob es überhaupt noch Ordensschwestern in Deutschland gibt.
    (Quelle: fowid.de: Frauenorden in Deutschland)

Barmherzige Augen

Mir geht da auch die Seele auf und tut das unglaublich gut, so angesehen zu werden, mit barmherzigen Augen. Die Kraft dazu und die Befähigung, sagen Jeanne und die Ordensschwestern, erhalten sie im Gebet und dem Wissen, dass sie selbst genauso angeschaut werden, von dem, den sie Gott nennen.

Liebe oder Barmherzigkeit?Wenn die Ordensschwestern wissen könnten, dass ein bestimmter Wetter-Berge-Wüsten-Kriegs-Rachegott, den sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten sie wirklich tatsächlich anschaut, dann bräuchten sie ja gar nicht mehr an ihn zu glauben. Nicht gerade ideal für eine Glaubensgemeinschaft…

Gerade für jemanden, der sonst vielleicht überhaupt keine Sozialkontakte hat, dürfte es freilich vermutlich ziemlich egal sein, ob ihn jemand seinetwegen „mit barmherzigen Augen“ anschaut. Oder ob die Einbildung eines barmherzigen Gottes der Grund dafür ist.

…und zum Abschluss noch eine radikal zärtliche Liebes-Nebelkerze…

Die Liebe ist stark, wie der Tod, sagt die Bibel. Sie macht nicht immer alles wieder heile. Aber sie ist so radikal zärtlich, dass es das Leben vollkommen auf den Kopf stellen kann.

Nee nee, Frau Behnken. Liebe an sich muss keineswegs immer radikal zärtlich sein. Die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt!, sagt die Bibel.

Liebe kann alles Mögliche sein. Sogar eine völlig einseitige Einbildung.

Eine radikal zärtliche Liebe, die das Leben vollkommen auf den Kopf stellen kann ist vor allem eins: Eine rhetorische Nebelkerze, die im Grunde überhaupt nichts besagt.

 

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