Geht so das neue Normal? – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Umdenken, verkündigt von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht von ARD/daserste.de am 24.7.2020
Darum geht es
„Umdenken und Verhalten ändern“ fordert Pfarrer Beck von denen, die keine Coronabedingten Einschränkungen mehr akzeptieren wollen. Allerdings macht er seine eigene Argumentation zunichte, indem er sein katholisches Glaubenskonstrukt ins Spiel bringt und dem Umstand ignoriert, dass dieser Appell genauso auch der Kirche gilt.
Dr. Beck: Schwer genervt und wirklich verärgert
Fernsehpfarrer Dr. Beck ist nach eigener Aussage schwer genervt und ärgert sich wirklich. Huiuiui. Dann schießen Sie mal los, Herr Beck!
Grund seines Ärgers sind die Menschen, die in seinen Augen durch ihr Verhalten einen weiteren glimpflichen Verlauf der Corona-Krise gefährden. Indem sie sich nicht (mehr) an die nach wie vor bestehenden Regeln zur Eindämmung der weiteren Verbreitung des Corona-Virus halten. Und die sich so verhalten, als sei nichts gewesen. Oder schon alles überstanden.
Als Ursache für dieses Verhalten macht Beck den Umstand aus, dass viele Menschen „eben immer wieder in die gewohnten Verhaltensmuster“ zurückfallen würden:
Das lässt sich beim Umgang mit der Klimaproblematik beobachten und jetzt eben auch in der Corona-Pandemie.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Geht so das neue Normal? – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Umdenken, verkündigt von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht von ARD/daserste.de am 24.7.2020)
Mit dem „Gewohnheitstier“ hat der Volksmund eine eigene Metapher für die menschliche Schwerfälligkeit geschaffen, das eigene Verhalten oder die eigenen Ansichten zu ändern, wenn es im eigenen oder im Interesse der Mitlebewesen sinnvoll, erforderlich oder aus ethischen Gründen geboten sein sollte.
Gewohnheitstiere
Dass sich ausgerechnet ein Priester im Allgemeinen und dann ein katholischer im Besonderen über Menschen beschwert, die nicht willens oder in der Lage sind, aus eigenem Antrieb ihre Ansichten und damit ihr Verhalten zu ändern, erscheint geradezu paradox: Gerade die Religion ist es doch, die das Festhalten an offenkundig falschen Behauptungen und daraus resultierendes unsinniges Verhalten (wie zum Beispiel Gebete) in Form des religiösen Glaubens institutionalisiert und ritualisiert hat.
Nicht nur Religionen bedienen sich der unredlichen Methode des Glaubens, um ihre Anhänger bei der Stange zu halten und um sie zu manipulieren. Die selben Strategien lassen sich auch bei populistischen Volksvertretern beobachten. So erstaunt es kaum, dass sich die Trumps und Bolsonaros dieser Welt zur Erreichung ihrer Ziele synergetischer Effekte bedienen, indem sie religiöse Aspekte zur Legitimierung ihres Machtanspruches instrumentalisieren.
Dennoch waren es ursprünglich sicher die Religionen (genauer: diejenigen, die sich als dazu berufene Priester und Propheten ausgaben), die das Fürwahrhalten von unbegründeten Behauptungen auch wider besseres Wissen nicht nur in Kauf genommen und gefordert, sondern gar zur frommen Tugend („Glaubensstärke“) erhoben hatten. Zur unabdingbaren Voraussetzung, um auf das angebotene Heilsversprechen zumindest hoffen zu dürfen.
Gerade die katholische Kirche bietet ihren Schafen (die ebenfalls im Ruf stehen, Gewohnheitstiere zu sein) ein reiches Sammelsurium an Ritualen, Gebeten und Zeremonien, mit denen das, was nach katholischen Maßstäben „normal“ ist immer und immer wieder tradiert und verfestigt wird. Um jedes Umdenken am besten schon im Keim zu ersticken. Dieser verordnete Denkverzicht geht bis zu den biblischen Geboten zurück und ist damit fundamental in der biblisch-christlichen Lehre verankert.
Früher „normal“ – heute grotesk absurd
Mit dem heutigen Erkenntnis- und Wissensstand noch an Vorstellungen wie etwa der eines personalen Schöpfergottes, einer „Seele“ oder eines „Jenseits“ im religiösen Sinn festhalten zu wollen, erscheint geradezu grotesk absurd.
Gleiches gilt für die in der biblischen Mythologie enthaltenen Moralvorstellungen, die aus heutiger Sicht schon an ihren Prämissen scheitern und die auch inhaltlich längst überholt sind.
Kein Wunder, waren sie doch ursprünglich zur einfacheren Führung eines primitiven Hirtenvolkes in der ausgehenden Bronzezeit konzipiert worden. Und nicht zur Beantwortung ethischer Fragen, die die Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert betreffen.
Trotzdem bleibt Berufschristen nichts anderes übrig, als die Absurditäten ihres archaischen Glaubenskonstruktes auf Biegen und Brechen weiter mit in die Zukunft zu schleifen. Schließlich basiert alles, was die christliche von anderen Weltanschauungen unterscheidbar machen kann, auf diesen Behauptungen. Die sich aber eben längst als nicht zutreffend (=falsch) und/oder als längst überholt erwiesen haben. Setzen sie doch immer die Anerkennung eines bestimmten Wetter-Berge-Wüsten-Kriegs-Rachegottes voraus, den sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten.
Die wohl beliebteste Bewältigungsmethode besteht darin, diesen Aspekt einfach zu ignorieren. Statt die eigenen Glaubensgewissheiten und auch die Belastbarkeit dieser Gewissheiten als Grundlage für ethische Standards kritisch und vor allem konsequent zu hinterfragen, kritisiert man lieber die Unfähigkeit der Anderen, wenn es um mangelnde Bereitschaft zum Umdenken geht.
Wie bringt man Menschen zum umdenken?
Immerhin scheint Herrn Dr. Beck bewusst zu sein, dass ein Umdenken Voraussetzung für eine Veränderung sein muss:
Wie bringt man Menschen zum umdenken?
Eine, wie ich finde essentielle Frage. Ein Teil der Antwort steckt schon in der Frage: Denken. Genauer: Sich seines Verstandes zu bedienen. Dinge kritisch zu hinterfragen. Sicher Geglaubtes aufzugeben, wenn es sich als falsch herausstellt. Die Konsequenzen neuer Erkenntnisse zu akzeptieren, auch wenn es zunächst schwer fallen mag. Sich seiner Sache nie zu sicher zu sein. Gewissheiten regelmäßig auf Übereinstimmung mit der Wirklichkeit und auf Plausibilität hin zu hinterfragen.
Was das Umdenken in Sachen Religion angeht, bieten wir mit dem Online-Projekt wenigerglauben.de einige Tools, die helfen sollen, einen solchen Umdenkprozess anzustoßen.
Je komplexer das Problem, desto höher der Energieaufwand
Was ein Umdenken ungemein erschweren kann, ist der Umstand, dass menschliche Gehirne nicht wirklich auf den Umgang mit komplexen Problemen spezialisiert sind.
Es bedeutet für das Gehirn einfach einen enormen Energieaufwand, sich einen halbwegs objektiven Überblick über ein so komplexes Thema wie etwa den Klimawandel zu verschaffen, um dann im nächsten Schritt die Notwendigkeit für ein Umdenken und eine daraus resultierende Verhaltensänderung (an-)erkennen zu können.
Das Bestreben menschlicher Organismen, möglichst energiesparend zu arbeiten, hat sicher dazu beigetragen, dass Menschen überhaupt erst angefangen haben Dinge zu glauben, statt ihnen auf den Grund gehen zu wollen.
Der Liedermacher Robert Long hatte es sehr treffend so formuliert:
- Es ist nun leider, wie es ist:
Der Mensch glaubt lieber jeden Mist,
bevor er den Verstand bemüht,
denn selber Denken, das macht müd‘.
(Robert Long: Jesus führt)
Dazu kommen noch eine ganze Reihe weiterer Faktoren, die ein Umdenken erschweren. Wie zum Beispiel Denk- und Wahrnehmungsfehler aller Art.
Mäßig erfolgreiche Propheten
Nachdem er bei seiner Einleitung den Zusammenhang zwischen seiner Kritik und seiner eigenen Glaubensideologie konsequent ausgeklammert hatte, muss Herr Dr. Beck jetzt natürlich doch noch irgendwas mit Religion bringen:
[…] In den alten biblischen Texten ist das Problem auch schon bekannt. Die Propheten des Alten Testaments versuchen es durch drastische und provokative Appelle. Aber auch ihr Erfolg ist meist mäßig.
Natürlich und aus gutem Grund ist der Erfolg prophetischer Appelle in der biblischen Mythologie „meist“ nur „mäßig.“ Das liegt aber nicht daran, dass sich diese Stammesführer damals nicht durchsetzen konnten. Sondern daran, dass diese Narrative eine andere Aussage transportieren sollten.
Egal, wie energisch und mit welch drastischen Androhungen und Maßnahmen die Propheten und Anführer auch versuchten, ihr Volk zum Umdenken zu bewegen: Eine tatsächliche Veränderung fand erst statt, nachdem sich Gott himself einmischte.
Die Aussage dieser Legenden: Nur Gott allein hat die Macht, Menschen dazu zu bringen, ihr Verhalten tatsächlich, und zwar natürlich immer in seinem Sinne zu ändern.
Im Alten Testament ist hier exemplarisch die Befreiung aus der Ägyptischen Herrschaft zu nennen. Hier wird detailliert geschildert, wie Gott die Demonstration seiner Macht und Überlegenheit eindrucksvoll inszeniert und sogar noch dafür sorgt, dass dies mit so viel Leid wie möglich verbunden ist.
Als weiteres Beispiel sei noch das Märchen vom Goldenen Kalb genannt, dem die Kollegen vom Ketzerpodcast gerade ein hörenswertes Segment gewidmet hatten.
Alte Gewohnheiten…
Alte Gewohnheiten zu überdenken ist eine wichtige Fähigkeit
Auch diese Zwischenüberschrift aus der Feder oder aus dem Mund eines katholischen Priesters klingt von außen betrachtet geradezu paradox: Sogar einem Atheisten kommt da unweigerlich das biblische Bild vom Balken im eigenen Auge in den Sinn.
Herrn Dr. Beck scheint nicht aufzufallen, dass dies genauso auch und gerade erst recht für seinen eigenen Berufsstand gilt.
Wie er es wohl schafft, es mit seinem Gewissen und seiner intellektuellen Redlichkeit zu vereinbaren, Menschen einzureden, sie seien unwürdig und der einzige Weg, wieder menschliche Würde zu erlangen, sei die Erlösung durch seinen Gott? So wie es jeder Priester in jedem Gottesdienst behauptet?
Was bedeutet Buße im religiösen Sinn?
Nachdem sich der Rückgriff auf das Alte Testament als unbrauchbar erwiesen hat, versucht Herr Dr. Beck, einen weiteren Anknüpfungspunkt anzubringen:
[…] Im christlichen Glauben baut das gemeinsame Leben darauf auf, dass Menschen umdenken. Umkehr, „Metanoia“, so heißt das in den biblischen Texten. Wer nicht in der Lage ist, im eigenen Leben immer wieder neue Prioritäten zu setzen und das bisher Normale in Frage zu stellen, wird nicht zu einem solidarischen und christlichen Leben finden.
Im christlichen Glauben baut das gemeinsame Leben, genauer: das Leben innerhalb der christlichen Gemeinschaft darauf auf, dass Menschen eben nicht umdenken, sondern an der Glaubenslehre unbeirrt (sic!) festhalten sollen.
„Metanoia“, also „Buße“ ist gerade immer dann angesagt, wenn Menschen beginnen, umzudenken und ihre Glaubensgewissheiten in Frage zu stellen. Denn gerade das gemeinsame Festhalten an der Glaubenslehre ist ja das identitätsstiftende Merkmal, mit dem sich die Glaubensgemeinschaft über Glaubensfreie und Andersgläubige meint erheben zu können.
In der katholischen Kirche bedeutet Buße die „Teilhabe am Leid Christi“, das Bekenntnis der völligen Abhängigkeit von der angeblichen göttlichen Erlösung.
Zumindest für alle Nicht-Katholiken ist dieser Aspekt somit völlig irrelevant.
Es erscheint geradezu paradox, Menschen mit einem Argument zum Umdenken bewegen zu wollen, das aus einem Appell zum Denkverzicht besteht.
Allgemeine Verunsicherung
Es braucht diese Fähigkeit, sich in den Gewohnheiten verunsichern zu lassen.
Herr Dr. Beck, bitte sprechen Sie diesen Satz doch mal laut aus, bevor Sie sich das nächste Mal mit einem Bitt- oder Dankgebet an Ihre Gottesvorstellung wenden. Und berichten Sie dann bitte mal in Ihrer nächsten Fernsehpredigt darüber, wie sich das für Sie angefühlt hat.
[…] Wer sich einen gelungenen Urlaub nur mit Party und Massenbesäufnis vorstellen konnte, wird umdenken müssen. Wer sich ein gelungenes Wochenende nur mit vielen Menschen auf engstem Raum vorstellen konnte, wird umdenken müssen. Wer meint, dass Alltagsregeln wie Gesichtsmasken und Abstand, nur für die anderen gelten und er sich lachend und achselzuckend darüber hinwegsetzen kann, wird umdenken müssen.
Ich ergänze: Wer meint, ein unmoralisches und unmenschliches Belohnungs-Bestrafungskonzept, das auf einer absurden archaischen mythologisch-esoterischen Grundlage basiert legitimiere einen Kirchenkonzern im 21. Jahrhundert, die Freiheit aller Menschen unter Ausnutzung millionenschwerer staatlicher Alimentierung und beispielloser Sonderprvilegierung unwidersprochen einschränken zu können, wird umdenken müssen.
Auch wer meint, dass die Menschen noch in Zukunft auf die Legende von der christlichen Moral hereinfallen werden, wird umdenken müssen.
Und wer meint, dass ein undemokratisches, theokratisches, Geschlechterdiskriminierendes Patriarchiat wie die katholische Kirche (dank göttlicher Führung?) auf alle Ewigkeit gegen die Weiterentwicklung der Menschheit gefeit sei, wird umdenken müssen.
Armutszeugnis
Wer dieses Umdenken nicht leistet, stellt sich selbst ein Armutszeugnis aus und stellt die Gesellschaft vor die Frage, wie sich solidarisches Handeln deutlicher einfordern lässt.
Offenbar ist Herrn Dr. Beck auch hier wieder nicht bewusst, dass dies genauso auch für Glaube und Kirche gilt. Allerdings würde er vermutlich auch nicht eingestehen, dass auch das Handeln der Kirche in vielen Bereichen alles andere als solidarisch ist.
Religiös begründete Übergriffigkeiten zum Beispiel in Sachen Abtreibung, selbstbestimmtes Sterben oder Diskriminierungen von Frauen oder aufgrund der sexuellen Orientierung stehen in Konkurrenz zu Solidarität. Auch in vielen anderen Bereichen verfolgt die Kirche zweiffellos ihre eigenen und nicht die Interessen der Allgemeinheit.
„Geht so das neue Normal?“, hatte Herr Dr. Beck seine heutige Verkündigung überschrieben. Ob es der katholischen Kirche noch rechtzeitig und vor allem aus eigenem Antrieb gelingen wird, zu dem, was heute „normal“ ist aufzuschließen, halte ich für eher unwahrscheinlich.
Zeichen von charakterlicher Größe
Umdenken und Verhalten ändern – das ist anstrengend und nervig. Es ist aber auch ein Zeichen von charakterlicher Größe! Wär‘ doch mal was, mit so einer Haltung zu beeindrucken.
Wer bei anderen Menschen charakterliche Größe anmahnt, tut immer gut daran, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen und mit seiner eigenen Haltung zu beeindrucken.
Mit seiner heutigen Fernsehpredigt belegt Herr Dr. Beck einmal mehr, wie irrelevant der religiöse Beitrag zu gegenwärtigen Themen geworden ist.
Die Rezeption der alttestamentarischen Narrative verfehlt, weil diese ja extra konstruiert wurden, um damit die menschliche Abhängigkeit und göttliche Überlegenheit darzustellen.
Biblische Myhten und Legenden, in denen Menschen überhaupt irgendetwas bewirken, dienen stets als Demonstration göttlicher Macht und Einflussnahme: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. (Mt 12,30)
Und auch das Konzept der Buße im religiösen Sinn ist in diesem Zusammenhang ebenfalls bedeutungslos, ja sogar kontraproduktiv für eine wirksame Argumentation. Weil es hier ja eben nicht um Umdenken, sondern um eine Rückkehr zum „rechten Glauben“ geht. Was nur mit einem Denkverzicht einher gehen kann.
Einen schönen Sonntag!
…gar kein Segen diesmal? …kein Wunder, dass es heute blitzt und donnert…
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