Mikroabenteuer – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Mikroabenteuer – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Stefanie Schardien, veröffentlicht am 18.7.2020 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Diesmal nutzt Frau Schardien den Umstand, dass dieses Jahr Coronabedingt für viele ihrer Zuschauer “Urlaub vor der Haustüre” angesagt ist, um eine eigentlich völlig entbehrliche religiöse Botschaft ins öffentlich-rechtliche Fernsehen zu bringen.

In altbekannter Manier gehts auch diesmal wieder mit der emotionalen Aufladung der Probleme los, die vielen Menschen dieses Jahr ihre Sommerlaune trübt.

Von hier aus schlägt Frau Schardien nun den Bogen zu den Zuständen während des 30jährigen Krieges:

[…] Vergewaltigungen, Plünderungen, Millionen sterben. In jedem Dorf, in jeder Stadt. Keine Sicherheit.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Mikroabenteuer – Wort zum Sonntag, verkündigt von Stefanie Schardien, veröffentlicht am 18.7.2020 von ARD/daserste.de)

Dass es sich bei diesem Krieg um einen Konfessionskrieg gehandelt hatte, darauf geht Frau Schardien freilich nicht ein:

  • Am 23. Mai 1618 fliegen drei kaisertreue Katholiken – aus dem Fenster einer Burg in Böhmen. Hinausgeworfen von aufgebrachten Protestanten.
  • „Meint ihr, dass ich hergekommen bin, Friede zu bringen auf Erden? Ich sage nein: sondern Zwietracht.“
  • Der Zweite Prager Fenstersturz. Die drei Katholiken überleben, doch ihr Sturz ist der Auslöser für eine europäische Kettenreaktion: für den Dreißigjährigen Krieg. Dreißig Jahre Protestanten gegen Katholiken. Ein Krieg um die wahre Konfession.
  • „Ich bin nicht gekommen, Friede zu senden. Sondern das Schwert.“
    (Quelle: deutschlandfunk.de: Religion im Dreißigjährigen Krieg – „Die wohlverdiente Strafe Gottes“ von Christian Röther)

Geh aus mein Herz und suche Freud…

Stattdessen pickt sie sich eines ihrer Lieblingslieder heraus, das zu dieser Zeit entstanden war und in kitschig-verklärten Worten die Schönheit der Natur zum Vorgeschmack auf die himmlische Herrlichkeit umdeklariert:

[…] Und dann schreibt Paul Gerhardt von der schönen Sommerzeit. Und von der Suche nach der “Freude an deines Gottes Gaben”. Strophenlang schickt er sein Herz auf Entdeckungsreise nach draußen.

…während zeitgleich mindestens 5 Millionen Menschen durch einen Krieg sterben, der dadurch ausgelöst wurde, dass sich Protestanten und Katholiken über die Frage, wer denn nun die biblisch-christliche Mythologie “richtiger” verstanden hätte gegenseitig abschlachteten. Die hatten sich auch auf der Suche nach der “Freude an deines Gottes Gaben” gewähnt.

Gerhardts Erholungskonzept

Und ich hab es dann auch mal ausprobiert, Gerhardts Erholungskonzept. Genau hinschauen, hinhören: Blumen, Wasser, Bienen, Bäume im vollen Laub. Und sich daran freuen, was einfach so vor uns liegt. Und dabei auftanken.

In dem Lied geht es darum, die Schönheit der Natur in einen Bezug zum biblischen Schöpfergott und zur mythologischen Vorstellung einer jenseitigen himmlischen Herrlichkeit zu setzen.

Für einen Naturgenuss ist ein solcher Zusammenhang allerdings nicht nur unnötig, sondern sogar hinderlich: Weil mit der himmlischen Herrlichkeit ja auch immer die allerschlimmsten Höllendrohungen einhergehen, die man dann irgendwie bewältigen muss. Zum Beispiel durch Weglassen.

Glaubenskriege, Höllendrohungen und alles andere, was nicht in Frau Schardiens Wunschträume vom “lieben Gott” passt: All das lässt sie einfach weg. Übrig bleibt:

Ein Dauergeschenk Gottes, quasi frei Haus geliefert

Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie Gläubige es schaffen, sich die irdische und ihre religiös-mythologisch erweiterte Wirklichkeit mit einer Selbstverständlichkeit so zurechtbiegen, wie es ihnen gefällt.

[…] Wandern, radeln, paddeln. Mikroabenteuer sagt man dazu heute. Paul-Gerhardt-Plan heißt das bei mir. Aber egal wie wir es nennen: Wichtig ist, was dabei passiert. Dass die Seele sich erholt, weil solche Mikroabenteuer die Dauerschleife an düsteren Gedanken unterbrechen.

Wie schon geschrieben: In dem Kirchenlied geht es darum, die natürlichen Sommerfreuden in einen religiösen Kontext zu setzen.

Es geht hier nicht um erholsame Mikroabenteuer, mit denen sich Menschen just for fun eine Abwechslung vom Alltag verschaffen.

Worum es eigentlich geht

Sondern darum, dass die zunächst ausführlich geschilderten angenehmen Wahrnehmungen in der Natur (Strophe 1-7) Menschen in ihrem Glauben an Gott bestärken sollen (Hervorhebungen von mir):

  1. Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
    hier trage dieses Leibes Joch,
    auch nicht gar stille schweigen;
    mein Herze soll sich fort und fort
    an diesem und an allem Ort
    zu deinem Lobe neigen.
  2. Hilf mir und segne meinen Geist
    mit Segen, der vom Himmel fleußt,
    daß ich dir stetig blühe;
    gib, daß der Sommer deiner Gnad
    in meiner Seele früh und spat
    viel Glaubensfrüchte ziehe.
  3. Mach in mir deinem Geiste Raum,
    daß ich dir werd ein guter Baum,
    und laß mich Wurzel treiben.
    Verleihe, daß zu deinem Ruhm
    ich deines Gartens schöne Blum
    und Pflanze möge bleiben.
  4. Erwähle mich zum Paradeis
    und laß mich bis zur letzten Reis
    an Leib und Seele grünen,
    so will ich dir und deiner Ehr
    allein und sonsten keinem mehr
    hier und dort ewig dienen.

    (Quelle: Wikipedia)

Bei aller Unterwürfigkeit scheint sich der Verfasser dieser Zeilen interessanterweise sicher zu sein, dass er schon jetzt “zu deinem Ruhm […] deines Gartens schöne Blum und Pflanze” sei. Zumindest bittet er in der Strophe 14 nicht darum, dies zu werden, sondern es zu bleiben.

Wunderbare Schöpfung, quasi frei Haus zu Füßen gelegt

Erholung meinte früher „gesund werden“, “heil werden”. Paul Gerhardt hat entdeckt: Was die Seele heilt, ist die Unterbrechung. Oder wohl noch besser: das Unterbrochen werden durch diese wunderbare Schöpfung, die mir quasi frei Haus zu Füßen gelegt wird. Das ist für mich ein Dauergeschenk Gottes.

...und sehet die Lilien!Frau Schardien, wie gelingt es Ihnen, den Glauben an einen allmächtigen und allgnädigen Schöpfergott mit Ihrem Wissen, Ihrer Vernunft und Ihrer intellektuellen Redlichkeit unter einen Hut zu bekommen?

Wie schaffen Sie es, den Umstand offenbar einfach zu ignorieren, dass das, was Sie für die “wunderbare Schöpfung” Ihres Gottes halten, zum allergrößten Teil alles andere als “wunderbar” ist? Und zwar unabhängig davon, ob Sie mit “wunderbar” “mir unerklärlich” oder “überwältigend schön” meinen?

Beim lieblichen Vogelgezwitscher der Nachtigall geht es nicht um die abendliche Unterhaltung von Menschen. Und auch nicht um die Verkündigung göttlicher Herrlichkeit. Sondern in erster Linie um Revierkämpfe. Und um Einladungen von Vögeln zum Vögeln.

Auch die Blumen leisten sich den Luxus von farbigen Blüten nicht, um damit Menschen einen Vorgeschmack auf das Paradies zu verschaffen. Sondern um Insekten zwecks Bestäubung anzulocken.

Sind Parasiten, Zecken, Viren… auch Dauergeschenke Gottes?

Zur “wunderbaren Schöpfung”, die Ihnen “quasi frei Haus zu Füßen gelegt wird” gehört dann unter anderem auch der Loa loa Fadenwurm. Auch bekannt und gefürchtet als Augenwurm, weil dieser Parasit bevorzugt die Augäpfel seines menschlichen Wirtes, in dessen Unterhautfettgewebe er sich gerne aufhält zur Eiablage verwendet.

Weniger exotisch, aber ebenfalls zumindest aus menschlicher Sicht sicher alles andere als wunderbar sind zum Beispiel Zecken, die lebensbedrohliche Krankheiten wie die Borreliose übertragen können. Schon ein kurzer Spaziergang über eine Zeckenverseuchte Wiese kann genügen, um sich zu infizieren.

Was hat sich Ihr Schöpfergott dabei gedacht, Frau Schardien? Falls Sie sich von dem zugegeben polemischen Titel nicht abschrecken lassen, finden Sie in dem wirklich lesenswerten Buch “Gott ist ein Arschloch” noch hunderte weitere Beispiele für Schöpfungspannen (aus menschlicher Sicht) aller Art.

100% gottloser Naturgenuss

Das soll Menschen freilich nicht davon abhalten, sich an den Dingen, die die Evolution hervorgebracht hat und die für Menschen beglückend sein können zu erfreuen und die Natur zu genießen – im Großen und im Kleinen.

Nur hat das alles eben nichts mit irgendwelchen Provinzial-Wüstengöttern zu tun, die sich die Menschen in der Bronzezeit mangels besseren Wissens zusammenphantasiert hatten.

Im Gegenteil: Die irdische natürliche Wirklichkeit ist um Lichtjahre faszinierender als der absurde biblische Schöpfungsmythos, der letztlich nur den vergleichsweise geringen Wissens- und Erkenntnisstand eines primitiven Volkes widerspiegelt, das sich damals die Welt noch nicht anders erklären konnte.

Mein Blick wird abgelenkt von mir selbst zu den anderen kleinen und großen Geschöpfen und vor allem zum Himmel hin. Dann reicht es auch wieder mit der Energie für andere und anderes.

Frau Schardien, bei dieser Interpretation passt dann aber Ihr gewähltes Lieblingslied inhaltlich nicht wirklich. Denn in diesem geht es ja gerade darum, den Blick von der Betrachtung der Natur hin zur Selbstbetrachtung der eigenen Rolle als von Gott abhängiges Geschöpf (beginnend ab der 11. Strophe) zu lenken.

Inwiefern gibt Ihnen denn die Betrachtung vor allem des Himmels “Energie für andere und anderes”? Ist Ihr Gott in Ihrer Vorstellung jetzt doch irgendwo im Himmel zuhause? Eine Vorstellung, die Gläubige in anderen Zusammenhängen gerne als “naive Vorstellung” empört zurückweisen? Weil ihr Gott ja natürlich nicht “droben im Himmel” wohnen würde?

Frau Schardien, wieviel Zeit nehmen Sie sich eigentlich jeweils für die Vorbereitung einer Fernsehpredigt? Und wie hoch ist nochmal Ihre Gage pro Sendung?

Fazit

Um die Schönheit der Natur zu genießen, braucht es keine Schöpfungsmythen und Jenseitsphantasien, sondern eine aufmerksame Wahrnehmung, verbunden mit einer emotionalen Schwingungsfähigkeit.

Oder, um mit Douglas Adams zu sprechen:

  • “Genügt es denn nicht, dass ein Garten schön ist, ohne dass man unbedingt glauben muss, dass Feen darin hausen?”
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