Danke allen, die mit Ausdauer „stören“! – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

Danke allen, die mit Ausdauer „stören“! – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Wolfgang Beck, veröffentlicht am 20.2.2021 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Pfarrer Beck bedankt sich bei den Christen, die meinen, die Kirche mit ihrer Kritik nachhaltig verändern zu können, statt konsequenterweise direkt auszutreten. Zur Relativierung klerikaler Verbrechen liefert er eine haarsträubende biblische Rechtfertigung.

Wenn nur die Schafe nicht wären!

Dass die Kirche, in diesem Fall speziell die Kirchenleitung dafür mehr als genug gute Gründe liefert, ist auch Herrn Beck bewusst. In Anlehnung an ein Gedicht von Enzensberger vermutet er, dass auch einige Bischöfe lieber lammfromme Schäfchen statt Kritiker mit eigener Meinung in ihrer Herde hätten:

[…] In meiner katholischen Kirche scheint manch Bischof zurzeit auch zu denken: „Wenn nur die Leute nicht wären!“ – Ständig fragen sie drängelnd nach, kritisieren andauernd, lassen ihrer Meinung freien Lauf. Schreiben Artikel und Kommentare und kritisieren die Kirchenstruktur, die einem selbst doch so vertraut ist.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Danke allen, die mit Ausdauer „stören“! – Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Wolfgang Beck, veröffentlicht am 20.2.2021 von ARD/daserste.de)

Mit der Ironie, mit der Hans Magnus Enzensberger sich und seine eigenen Weltverbesserungsvorstellungen dichterisch auf die Schippe genommen hatte, hat klerikale Überheblichkeit freilich nichts zu tun. Für Bischöfe, die so denken, sind Leute ein ganz handfestes Problem. Obwohl sie selbst von den Vorteilen der Demokratie profitieren, legen sie alles daran, Demokratie in ihrer Kirche zu verhindern.

Dabei sind natürlich absolut sicher, dass sie absolut richtig liegen. Also das genaue Gegenteil von der ironischen Selbstkritik Enzensbergers.

Selbstironie funktioniert nur, wenn sie vom Betroffenen selbst geäußert wird. Und eben nicht über Betroffene erzählt wird.

„Diese Leute“ können ziemlich lästig sein. Und ich muss bei all dem gestehen, dafür bin ich richtig dankbar! Nur so kann sich etwas verändern, kann sich etwas verbessern.

Diese Dankbarkeit wird nichts daran ändern, dass die katholische Kirche in ihrem Kern alles andere als eine basisdemokratische Vereinigung ist und wohl auch so schnell auch keine werden wird.

Katholische Kirche im Dilemma

Das Dilemma, in dem sich die katholische Kirche zumindest hierzulande bezüglich ihrer Zukunft befindet, hatte ich schon mehrfach beschrieben. Kurz zusammengefasst:

Entweder, sie hält an ihren Strukturen und Dogmen fest. Dann wird das für immer mehr Gläubige der Grund für den Kirchenaustritt werden. Weil es ausgerechnet die katholischen Alleinstellungsmerkmale sind, deren Inkompatibilität mit der Lebenswirklichkeit von Menschen im 21. Jahrhundert immer mehr Menschen bewusst wird.

Wo in Sachen Demokratisierung der heilige Hammer hängt bzw. wo der katholische Frosch die Locken hat, zeigte gerade eben erst wiedermal der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer seinen aufmüpfigen Unteranen auf dem synodalen Holzweg in Form eines Briefes an seinen Vorstandskollegen Bätzing:

Quelle: katholisch.de
Quelle: Screenshot katholisch.de

Sicher dürfte auch einem Bischof Voderholzer die großflächige und gerade wiedermal rasant fortschreitende Erosion des klerikalen Machtgefüges bewusst sein. Sein Standpunkt, so verzweifelt er von außen betrachtet erscheinen mag, entspricht dabei der Linie des Vatikan.

Würde die katholische Kirche anfangen, ihre Grundsätze, sowohl strukturelle als auch inhaltliche, aufzuweichen oder gar aufzugeben, blüht ihr das gleiche Schicksal, das die Evangelische Kirche Deutschlands schon ereilt hat: Ein Verschwinden in der Beliebig- und Bedeutungslosigkeit.

Verbrecher: Gottgefällig und sympathisch?

Um der Verdorbenheit und Machtversessenheit seiner Vorgesetzten wenigstens irgendetwas Positives anzudichten, bedient sich Pfarrer Beck der biblischen Mythologie – mit einem geradezu absonderlichen Fazit:

Natürlich weiß ich, dass schon in den biblischen Texten immer wieder erzählt wird, wie Gott Menschen in besondere Dienste beruft. Mithilfe von Mose befreit er zum Beispiel sein Volk aus der Sklaverei. Mit Hilfe der Propheten und Prophetinnen bringt er sein Volk immer mal wieder in die richtige Spur. Und das sind alles keine Heldengeschichten. Mir gefällt, dass dieses Muster sich in meiner Kirche und ihrem Verständnis von Ämtern besonders erhalten hat: dass Gott sich schwache Typen aussucht, um durch sie den Menschen nahe zu sein. Moses war eigentlich ein Verbrecher. Die Propheten und Prophetinnen häufig Feiglinge, nicht selten auch korrupt. Immer wieder Typen wie zum Verzweifeln. Wer nicht direkt darunter zu leiden hat, kann es sogar sympathisch finden.

Wie kann man Menschen, die ihre Verbrechen womöglich selbst damit rechtfertigen, dass Gott sie nun mal extra wegen ihrer Schlechtigkeit ausgewählt habe, um durch sie den Menschenen besser nahe sein zu können auch noch sympathisch finden? Oder auch Menschen, die klerikale Verbrechen bzw. bischöfliches Fehlverhalten mit einer so dermaßen grotesken Begründung zu relativieren versuchen?

Die fiktiven Wünsche, Absichten und Handlungen fiktiver magischer Wesen sind irrelevant, wenn es um ganz reale Verbrechen aller Art geht. Dass sich jemand für göttlich auserwählt hält oder so bezeichnet wird, macht ihn kein bisschen sympathischer, wenn sein Verhalten nicht tolerierbar ist. Das Gegenteil ist der Fall.

Verbrechen sind keine Schwäche. Sondern Verbrechen.

Kirche ohne Klerus?

Aber ich ahne schon, wie viele da angesichts der Kirche von heute aufstöhnen und sagen: „Die machen es mir mit ihren Skandalen, mit ihrer Männerwirtschaft und ihrer Unbelehrbarkeit ja besonders schwer, zu glauben.“ – „Ohne dieses „Bodenpersonal“ Gottes könnte ich mit der Kirche vielleicht noch etwas anfangen – aber mit ihnen? Nein, danke.“ Das denken derzeit wohl viele.

Und noch mehr denken derzeit wohl: Mit dieser Organisation möchte ich nichts mehr zu tun haben. Ich müsste mich ja schämen, damit auch nur in Verbindung gebracht zu werden. Und auf keinen Fall möchte ich diese Organisation auch noch finanziell unterstützen.

Das jedenfalls lässt die aktuelle Austrittswelle vermuten, die man in biblischer Sprache wohl als Exodus bezeichnen könnte.

Hindernisse auf dem Holzweg

Ich kann diesen Frust verstehen, wenn in Köln und an vielen anderen Stellen Vertrauen verloren geht, dann stehen wir Kleriker vielen einfach nur im Weg. Das ist fast tragisch, weil doch vermutlich jeder von ihnen – von uns – auch mal angetreten ist, um Menschen zu Gott hinzuführen anstatt ihnen im Weg zu stehen.

Vielleicht merken auch einfach nur immer mehr Gläubige, dass sie zu einem solchen Gott gar nicht hingeführt werden möchten? Entweder, weil sie die Absurdität einer Gottesvorstellung im Allgemeinen oder die Armseligkeit des biblisch-christlichen Gottesbildes im Besonderen durchschaut haben? Oder weil sie sich längst ihr eigenes Privat-Gottesbild zusammengebastelt haben, das dann mit dem Bibelgott Jahwe & Sohn höchstens nur sehr abstrakt etwas zu tun hat?

Paradoxerweise stehen Berufschristen den Menschen auf dem Weg zu Gott umso mehr im Weg, je strikter sie sich an die Vorgaben und Dogmen ihres religiösen Glaubenskonstruktes halten.

Eine Frage der Perspektive

Ich kann ihnen versichern: Ich als Pfarrer und Christ kann mich schon sehr über andere ärgern. Auch über Bischöfe, wenn sie ein abgehobenes Amtsverständnis zeigen. Oder wenn sie herumlavieren, mithilfe von Juristen, um bloß keinen Fehler zugeben oder ihren Posten zur Verfügung stellen zu müssen.

Diesen Ärger kann ich nicht teilen.

Im Gegenteil: Diese Bischöfe treiben durch ihr Verhalten die Schäfchen effektiver aus der Kirche als alle Aufklärer zusammen. Das rechtfertigt freilich nicht die begangenen, ermöglichten oder vertuschten Verbrechen, ist aber zumindest ein positiver Nebeneffekt.

Groteskes Schuldeingeständnis

Zugleich weiß ich natürlich, dass ich selbst für Andere auch ein Ärgernis bin. Ich störe ja mit meiner Schwäche auch Menschen auf ihrem persönlichen Weg. Das muss ich ehrlich auch bei mir selbst sehen. Das ist sehr bitter!

Welche Schwäche meinen Sie hier, Herr Beck? Inwiefern sehen Sie sich als Ärgernis? Für welche Menschen? Auf welchem Weg?

Meinen Sie vielleicht Ihre Schwäche beim vernünftigen Umgang mit der irdischen Wirklichkeit, weil Sie im 21. Jahrhundert noch an ein imaginäres tripolares Götterwesen glauben? Und halten Sie sich vielleicht deshalb für ein Ärgernis für Andere, weil Sie ihnen durch das Propagieren von magisch-esoterischem Glauben und kritiklosem Fürwahrhalten von unbeweisbaren Behauptungen auf dem Weg hin zu kritisch-rationalem Denken im Weg stehen?

Das würde ich als respektablen Erkenntnisfortschritt bezeichnen, wenn es so wäre.

Oder wollten Sie nur in gut katholischer Manier eine nicht näher definierte persönliche „Schwäche“ im Sinne eines Schuldeingeständnisses, wofür auch immer, beisteuern? Um sich vielleicht als einen auch ein bisschen schlechten und damit gemäß Ihrer gerade gelieferten biblischen Begründung sympathischen Gottesmann zu präsentieren?

Realistischer Blick?

Dieser realistische Blick auf mich selbst ist vielleicht ein ganz guter Impuls für die Fastenzeit, die gerade angefangen hat. Und gleichzeitig kann ich mich mit der Haltung mancher Bischöfe nicht abfinden, wenn sie tricksen und schummeln statt aufzuklären und sich ernsthaft um Menschen zu kümmern, die zu Opfern wurden.

Ohne eine nähere Erklärung, welche persönliche Schwäche Sie hier bei sich sehen und inwiefern Sie sich für ein Ärgernis halten, würde ich diese Aussage nicht als realistischen Blick, sondern als das Gegenteil bezeichnen: Ein Vernebelungsmanöver, ein nichtssagendes Lippenbekenntnis.

Fest steht: Dass sich ein katholischer Priester heute öffentlich so deutlich gegen einige seiner Vorgesetzten positioniert, wäre noch vor wenigen Jahren wohl undenkbar gewesen.

Und fest steht auch: Dass dies heute offenbar folgenlos möglich ist, ist kein Verdienst der Kirche selbst.

Wess‘ Brot ich ess‘, …

Es scheint Herrn Beck auch nicht weiter zu kümmern, dass er sein Gehalt ja von dem Kirchenkonzern bezieht, deren Funktionäre er hier kritisiert. Und nicht von Synodaler-Weg-Jogger*innen und Maria 2.0-Aktivist*innen. Bei denen ich mich nach wie vor frage, auf welchem Posten die eigentlich kämpfen.

Offenbar kann er sich sicher sein, ausreichend Rückendeckung von der bischöflichen Fraktion zu erhalten, die nicht mit katholischen Grundsätzen, sondern in erster Linie mit Farblosigkeit, Schwammigkeit und Indifferenz am liebsten als Phrasendrescher auf unverfänglichen Allgemeinplätzen in Erscheinung tritt, wie etwa der Fuldaer Bischof Gerber.

Oder, und das erscheint mir am wahrscheinlichsten: Unterschiedliche innerkirchliche Standpunkte interessieren einfach niemanden mehr.

Allen dankbar?

Deshalb bin ich allen dankbar, die immer wieder laut sagen, dass es so nicht weitergeht.

Immer gerne. An mangelnder oder zu leiser Kritik solls mal nicht scheitern. Daran liegt’s nicht, Herr Beck.

Auch wenn der Dank, wie aus der abschließenden Konkretisierung hervorgeht, offenbar nur den kritischen Stimmen innerhalb der katholischen Herde gelten soll:

Vielleicht ist auch das einfach mal dran: Ich sage einfach mal ganz herzlich all denen Danke, die die Kirche nicht verlassen und die unermüdlich in ihr für notwendige Unruhe sorgen. Danke allen, die als Journalisten und Journalistinnen oder in den kirchlichen Gremien und initiativen beständig für Reformen eintreten und sich nicht leicht aus der katholischen Kirche herausdrängen lassen. Danke all denen, die unbequem sind und – wo nötig – stören.

Penisbischof in Köln
Quelle: 11tes-gebot.de via Facebook

Ich fände es mal interessant zu erfahren, wie sich Herr Beck eine wie auch immer „reformierte“ katholische Kirche in 5, 10 oder 20 Jahren vorstellt. Und woran diese dann noch erkenn- und unterscheidbar sein wird.

Genauso interessant fände ich eine Prognose jener Kirchenfunktionäre, denen es nicht im Traum einfallen würde, ohne Zwang irgendetwas zu verändern, was dem überaus einträglichen Fremdfinanzierungsmodell abträglich sein könnte.

Und die offenbar immernoch ernsthaft daran glauben, eine „Neuevangelisierung“ und Gottvertrauen seien die Mittel der Wahl, um die katholische Kirche auch weiterhin künstlich am Leben und dazu noch ausreichend viele Schäfchen bei der Stange zu erhalten.

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1 Gedanke zu „Danke allen, die mit Ausdauer „stören“! – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Man gebe dem Affen Zucker…

    Wenn man schon die wachsende Anzahl an Kritikern nicht mehr leugnen kann, dann lobt man sie stattdessen für ihr Tun.
    Vielleicht lassen sich ja durch dieses Scheinmanöver der eine oder andere davon abhalten, engültig auszutreten.

    Brot und Spiele…

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