Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Buß: „Gnade ist das Lächeln Gottes“

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Gedanken zu: Impulse von Stadtpfarrer Buß: „Gnade ist das Lächeln Gottes“, veröffentlicht am 29.05.21 von osthessennews.de

Darum geht es

Diesmal bietet Pfarrer Buß weitere Einblicke in die sonderbare Vorstellungswelt eines katholischen Priesters, der seine Fähigkeiten für ein göttliches Geschenk und das Lächeln seiner Mitmenschen für Ausdruck göttlicher Gnade hält.

Irgendwann während meines Studiums fiel mir ein Satz des Apostels Paulus in die Hände, der mich tief angesprochen hat: „Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin“ (1. Kor. 15,10).
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Impulse von Stadtpfarrer Buß: „Gnade ist das Lächeln Gottes“, veröffentlicht am 29.05.21 von osthessennews.de)

Wenn man bedenkt, auf welche absonderlichen Wesenszüge die verqueren Ansichten des Paulus in der Bibel schließen lassen, dann kann man wohl kaum von „Gnade“ sprechen, wenn man so ist, wie ausgerechnet er diesen Schilderungen zufolge war: Ein religiös-fundamentalistischer Fanatiker mit einer leidenschaftlichen Verachtung allem Menschlichen und Irdischen gegenüber.

Das Wesentliche verdanke ich anderen

Er führte mich nicht nur zu einer Entschleunigung des Lerntempos, sondern war gleichzeitig ein Weckruf, der mir klarmachte: das Wesentliche in meinem Leben schaffe nicht ich selbst. Das Wesentliche verdanke ich anderen.

Der Zusammenhang zwischen der Einbildung göttlicher Gnade und des Lerntempos erschließt sich mir nicht ganz. Es scheint, als habe Herr Buß hier einmal mehr die Verantwortung an seinen imaginären Himmelsherrscher abgegeben.

Zumindest sich selbst scheint er mit dieser leicht durchschaubaren Ausrede überzeugt haben zu können. Schon praktisch, so ein Theologie-Studium. Eröffnet es einem doch einen beliebig flexiblen Umgang mit der Wirklichkeit.

Das Wichtigste bekomme ich geschenkt. Allein schon mein Leben. Das habe ich nicht selbst erfunden, ich habe mich nicht selbst gemacht. Das Leben haben mir meine Eltern geschenkt. Und auch mein Leben ist für sie ein Geschenk gewesen. „Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin.“

Zunächst einmal ist das Entstehen von neuem Leben ein ganz natürlicher, biologischer Vorgang. Inwiefern bzw. für wen sich das neue Leben als Geschenk erweist, lässt sich erst rückblickend beurteilen.

Auch grausame Diktatoren, Massenmörder und Kinderschänder hatten ihr Leben geschenkt bekommen. Sind die auch durch die Gnade Gottes, was sie sind?

Fragwürdiges Geschenk

Meine Fähigkeiten, meine Begabung hier und da: nicht selbst erzeugt, sondern geschenkt. Es ist aber auch schön sich bewusst machen zu dürfen, dass mein Leben Geschenk ist.

Natürlich spielen Veranlagung und Vererbung eine Rolle für die Persönlichkeit eines Menschen. Das gilt allerdings nicht nur für Fähigkeiten und Begabung hier und da. Sondern genauso auch für Unfähigkeit und Talentfreiheit hier und da. Dieses Geschenk kann also gleichzeitig genauso eine Bürde sein.

Und umgekehrt können Menschen natürlich auch in der Lage sein, sich Fähigkeiten anzueignen, für die sie zunächst keine Begabung vererbt bekommen hatten.

Vielleicht sehen Sie das ähnlich oder genauso, wenn Sie auf Ihr Leben schauen. Jeder und jede von uns hat seine je ganz einmalige, unverwechselbare Lebensgeschichte. Und in allem liegt der Gedanke: das Wesentliche habe nicht ich selbst gemacht. Trotz aller eigenen Anstrengung und Plackerei: das Leben ist Geschenk: „Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin.“

Das sehe ich weder ähnlich, noch genauso. Den Gedanken, das Wesentliche nicht selbst gemacht zu haben, sondern der Gnade Gottes zu verdanken, halte ich für eine realitätsferne, absurde Einbildung. Eine typisch katholische, sonderbare Form der Selbsterniedrigung. Wer so denkt, spricht sich selbst seine eigenen Fähigkeiten und Gestaltungsmöglichkeiten ab. Ganz im Sinne des biblischen Paulus. Dem alles Menschliche ein Greuel war.

Klerikale Überheblichkeit

Dabei ist Gnade nicht das Abfallprodukt Gottes, sondern das Geschenk seiner liebenden Erwählung.

Ich halte göttliche Gnade für eine naive, rein menschliche Wunschvorstellung. Und eine Formulierung wie „liebende Erwählung“ für überhebliches theologisches Geblubber.

Lothar Zenetti (1926 – 2019, Priester und Schriftsteller, „Rundfunkpapst“ beim HR) formuliert es in einem Gedicht so: „Ich bin fast sicher, dass die Gnade – wenn wir schon davon reden – keine mürrische Alte ist, die, der Sache überdrüssig und ohne mich weiter anzusehen, das Gewünschte am Schalter endlich mir hinschiebt. Vielmehr ist sie das Lächeln eines Mädchens, das sich aufmerksam meines Falles annimmt und mit seinen sanften Augen, so kommt es mir vor, länger als nötig mich ansieht.“

Wenn ein katholischer Priester von sanften Mädchenaugen schwärmt, die ihn aufmerksam länger als nötig ansehen, dann kommen einem unweigerlich die Sexualverbrechen an Kindern durch katholische Priester in den Sinn. Auch wenn den bisherigen Studien zufolge öfter Jungen als Mädchen Opfer dieser Verbrecher im Namen des Herrn werden.

Wie kommt man nur auf die Idee, Zeichen von menschlicher Aufmerksamkeit oder auch Zuneigung stünden in irgendeinem Zusammenhang mit einem archaischen Wetter-Berge-Wüsten-Kriegs-Rache-Provinzialgott, den sich ein kleines halbnomadisches Wüstenvolk vor ein paar tausend Jahren aus früheren Gottesbildern zweckmäßig zurechtgeschnitzt hatte? Ein magischer Himmelsdiktator, der völlig taten- und teilnahmslos jegliches noch so schlimmste Leid einfach so geschehen lässt?

Fragwürdiges Denkschema

Aus den Zeilen Zenettis kann man die Sehnsucht nach Zuneigung eines Mannes herauslesen, der sich aus absurden Gründen zumindest offiziell für ein Leben ohne zwischenmenschliche Liebe und direkte menschliche Zuneigung entschieden hat. Und dem deshalb wohl nichts anderes übrig bleibt, als tatsächlich wahrgenommene, menschliche Aufmerksamkeit und Zuwendung als Zeichen göttlicher Gnade umzuinterpretieren.

Ich kann mir vorstellen, dass ein solches oder ähnliches Denkschema auch in den Köpfen von pädokriminellen Priestern anzutreffen ist: Stellt dieses Denken nicht auch eine Form von Entmenschlichung dar? Eine Ausrede zur moralischen Loslösung, um damit unmoralisches Verhalten zumindest vor sich selbst zu rechtfertigen?

Eine schöne Umschreibung: Gnade ist das Lächeln Gottes. Das Lächeln eines Gottes, der sich unserer ganz persönlich annimmt. Der unser Leben mit seiner Liebe umgibt.

In der irdischen natürlichen Wirklichkeit existieren praktisch unendlich viele Möglichkeiten für ein liebevolles, erfülltes Leben. Voller Nähe, Zärtlichkeit, Zuwendung, Aufmerksamkeit, Freundlichkeit, Freundschaft. Tatsächlich gezeigte und auch erwiderte Liebe in allen nur denkbaren Formen. Kein göttliches Geschenk. Sondern evolutionär entstanden.

Wäre das zölibatäre Leben nicht ein selbstgewähltes Schicksal, man könnte fast Mitleid bekommen mit Männern, die sich die fiktive Liebe ausgerechnet dieses Gottes mit seiner offensichtlichen Persönlichkeitsstörung und ständiger Abwesenheit einbilden müssen, um ihre zwischenmenschlichen Defizite zu kompensieren.

Göttliche Gnade: Lieber eingebildete Liebe als gar keine Liebe?

Andererseits könnte dieser Umstand aber auch dazu beitragen, dass es zölibatären Priestern noch schwerer fällt, sich aus ihrem Glaubensgefängnis zu befreien:

Denn genausowenig, wie Gott mangels Existenz tatsächlich irgendwen außerhalb menschlicher Wunschphantasie „mit seiner Liebe umgibt“, enttäuscht er auch irgendwen. Zumindest, solange man es schafft, den Glauben an ihn gegen die irdische Wirklichkeit, die eigene Vernunft und intellektuelle Redlichkeit zu verteidigen. Man braucht lediglich die Illusion aufrecht zu erhalten.

Diese Form der rein einseitigen, tatsächlich unerwiderten Liebe ist vergleichbar mit der Liebe des Teenagers zum Popidol – nichts weiter als eine eingebildete Wunschvorstellung. Weil er oder sie sich so sehr danach sehnt. Bei Teenagern gibt sich das für gewöhnlich irgendwann wieder. Bei Gottesgläubigen hält der Selbstbetrug mitunter ein Leben lang an.

Einmal mehr stellt sich außerdem die Frage, wie um alles in der Welt man nur auf die Idee kommen kann, dass ausgerechnet der Bibelgott irgendwelche Eigenschaften hätte (wenn es ihn gäbe), die ein Lächeln zur Folge hätten. Es sei denn, es ist das zynische Lächeln eines Sadisten, der trotz angeblicher Allmacht und Allgüte jegliches Leid taten- und teilnahmslos geschehen lässt. Und der allen, die sich von ihm nicht anlächeln lassen möchten, furchtbare ewige Höllenqualen androht.

Natürlich mag sich trotzdem jeder seinen Umgang mit der Wirklichkeit gestalten, wie es ihm gefällt. Kritikwürdig wird ein solcher Realitätsverlust erst, wenn sich dieser negativ auf das Verhalten des Betroffenen seinen Mitmenschen gegenüber auswirkt.

Aber auch ohne solche Auswirkungen möchte man in Anbetracht solcher Vorstellungen, frei nach Heinz Erhardt, trotzdem etwas schütteln. Und wenns auch nur der Kopf ist.

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