Schaut hin! – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 7 Min.

Schaut hin! – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Ilka Sobottke und Wolfgang Beck, veröffentlicht am 15.5.2021 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Live aus dem Glashaus interpretieren Ilka Sobottke und Wolfgang Beck diesmal das Motto des 3. Ökumenischen Kirchentages. Schaut hin! heißt es freilich nur bei den anderen. Dabei gäbe es im eigenen Laden mehr als genug, wo dringend mal genauer hingeschaut werden müsste…

Gläubige und Zweifelnde… und Glaubensfreie?

Ilka Sobottke: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, wir stehen hier in Frankfurt am Main. Eigentlich sollten an diesem Wochenende tausende Junge und Alte, Gläubige und Zweifelnde zum Ökumenischen Kirchentag hier sein.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Schaut hin! – Wort zum Sonntag, verkündigt von Ilka Sobottke und Wolfgang Beck, veröffentlicht am 15.5.2021 von ARD/daserste.de)

Ob Frau Sobottke Menschen, die weder gläubig noch zweifelnd, sondern schlicht glaubensfrei sind und trotzdem das Motto „schaut hin!“ ernst nehmen vergessen hat, bewusst nicht dabei haben will oder ob diese in ihrer Weltanschauung gar nicht existieren, darüber kann man nur spekulieren.

Wolfgang Beck: Diese Tische zeigen uns, wie wichtig es trotzdem ist zusammen zu kommen. „Schaut hin!“ ist das Motto dieses Kirchentags.

Inwieweit Tische und Stühle uns zeigen, wie wichtig es trotzdem ist zusammen zu kommen, war zumindest in der heutigen kirchlichen Dauerwerbesendung „Wort zum Sonntag“ nicht ersichtlich.

Respekt!

Ilka Sobottke: Uns ist das so wichtig, dass wir hier zusammen sind als evangelische Pfarrerin und katholischer Pfarrer. Schaut hin!

Wow, Respekt! Über die nach wie vor unüberwindbaren konfessionellen Grenzen hinweg! Ohne sich die Köpfe einzuschlagen!

Und dann auch noch ein Mann UND eine Frau! Die laut der von diesem Mann vertretenen Lehre aufgrund ihres Geschlechts gar nicht befähigt ist, Backoblaten genauso wirksam zu verzaubern wie nur Männer das können! Ja da schau her! Das ist schon eine besondere Erwähnung wert.

Immerhin schlagen sich andernorts Menschen bis heute noch die Köpfe ein, weil sie sich nicht auf eine gemeinsame Auslegung ihrer Märchen einigen können.

Schaut hin – aber bitte nicht auf uns!

Wolfgang Beck: Das ist der dritte Kirchentag, bei dem Christ*innen unterschiedlicher Kirchen das Gemeinsame betonen. Das ist uns wichtig – denn das gibt es derzeit viel zu selten. Politische Konflikte, wie gerade in Israel und Palästina, eskalieren. Wer nur auf sich schaut, nimmt auch vieles um sich herum nicht wahr.

Und wer auf andere schaut, kann damit auch prima den Blick weg von den eigenen Baustellen lenken. Dabei gibt es gerade auch im Zusammenhang mit den Kirchen und auch speziell mit dem Ökumenischen Kirchentag so vieles, wo ein gründlicher Blick dringend erforderlich ist.

Stattdessen kritisieren Frau Sobottke und Herr Beck Impfdrängler, den Umgang mit Obdachlosen – und den Kapitalismus, der in Frankfurt in Form von „glänzenden Fassaden“ sichtbar ist.

Diese Kritik ist sicher wichtig und größtenteils auch berechtigt. Nur wird sie hier im Namen und Auftrag von Institutionen geäußert, die ihrerseits selbst erstmal vor der eigenen Kirchentüre zu kehren hätten, bevor sie sich trotz der moralischen Orientierungslosigkeit ihres biblisch-christlichen Fundamentes als Hüter der Moral in Szene setzen.

[…] Ilka Sobottke: „Schaut hin!“ ist deshalb auch eine notwendige Provokation: die Wirklichkeit ist oft verstörend anders als wir sie uns zurechtlegen. Also: schau nicht nur dahin, wo alles in dein Konzept vom Leben passt. Und lass dich nicht von Fake News verführen.

…sagt ausgerechnet die Frau, die hauptberuflich Fake News verbreitet, die ihr ins Konzept passen und die den klaren Blick auf die Wirklichkeit mit magisch-esoterischer Mythologie und absurden Behauptungen vernebeln.

Und das scheint ihr genausowenig bewusst zu sein wie ihrem Kollegen Beck:

Wolfgang Beck: Schau nicht nur dahin, wohin dein Blick gelenkt werden soll: auf die Glasfassaden der Bankentürme oder auf die Erzählungen von den glanzvollen Karrieren. Schau auch auf die Menschen im Schatten.

Auf welche Erzählungen lenken Sie denn den Blick, Herr Beck? Auf ein unmenschliches und ungerechtes Belohnungs-Bestrafungskonzept, bei dem Menschen aufgrund ihres Glaubensbekenntnisses belohnt oder bestraft werden.

Abschied von optimistischen Träumen

Ilka Sobottke: Wer hinter die Fassaden schaut, für die wird es unbequem. Dann muss ich mich von optimistischen Träumen verabschieden: Vom Traum, mit ein bisschen Anstrengung kann es hier doch jeder zu was bringen.

Haben Sie auch schon mal einen Blick hinter die eigenen religiösen Fassaden gewagt, Frau Sobottke? Offenbar nicht. Denn Sie halten ja an Ihren Träumen, die Ihnen vermutlich optimistisch erscheinen weiter fest…

Wolfgang Beck: Schau hin – Wer zur Seite blickt, der beginnt geradeaus zu denken. Dem und der fällt auf, dass das Leben nicht funktioniert, wenn es in allen Bereichen der Gesellschaft mit den Logiken des Marktes und des Wettbewerbs gestaltet wird.

Von den Erfolgen der „Logiken des Marktes und des Wettbewerbs“ profitieren die Kirchen hierzulande so umfassend und millionenschwer, dass eine Kapitalismuskritik seitens der Kirche immer wie blanker, heuchlerischer Hohn klingt.

Großspurige Versprechen

Ilka Sobottke: Ich kann nicht hinsehen, ohne in Bewegung zu kommen: für die unter den Brücken, für die vergessenen Kinder. Schau hin, mir macht das Wut und Mut. Ich will nicht nur hinsehen, sondern auch etwas ändern. Ich will nach Gelegenheiten zur Gemeinschaft suchen, gerade zwischen Menschen, die unterschiedlicher Meinung sind. Sich an einen Tisch setzen, miteinander sprechen, aufeinander hören, das sind vielleicht die größten Herausforderungen dieser Zeit.

Frau Sobottke, wenn es Ihnen tatsächlich ein Anliegen ist, sich mit Menschen auseinanderzusetzen, die (zumindest in bestimmten Bereichen) nicht Ihrer Meinung sind, dann hätten Sie dazu zum Beispiel nach jedem „Wort zum Sonntag“ die Möglichkeit dazu. Die Kommentarfunktion finden Sie unterhalb aller unserer Beiträge.

Ihre bisher hier gezeigte Gesprächsbereitschaft weckt allerdings starke Zweifel an der Aufrichtigkeit Ihres hier geäußerten Vorsatzes, miteinander sprechen zu wollen.

Wolfgang Beck: Wenn ich wirklich hinschaue und ehrlich zu mir selbst bin, habe ich schon begonnen zu handeln.

Diese Aussage halte ich für geradezu grotesk, wenn sie von jemandem geäußert wird, der selbst nicht in der Lage oder willens ist, zwischen religiöser Wunschphantasie und Realität zu unterscheiden.

Andererseits stimme ich grundsätzlich zu: Wer als religiös Gläubiger wirklich genau hinschaut und aber unter allen Umständen vermeiden möchte (oder, berufsbedingt, vermeiden muss), tatsächlich beginnen zu handeln (also die daraus folgenden Konsequenzen zu ziehen), der darf und kann nicht ehrlich zu sich sein.

Die Ehrlichkeit zu sich selbst muss dort enden, wo der Glaube beginnt. Solange hier jemand „wirklich hinschaut“, ohne anschließend zu handeln, war (noch) nicht ehrlich zu sich selbst. Weil er weiterhin Dinge für wahr halten muss, die bis zum Beweis des Gegenteils nicht wahr sind.

Schaut hin: Wir sind die Guten!

Das gilt auch für das Zusammenarbeiten der christlichen Kirchen – untereinander und mit allen anderen. Sich gegenseitig eben nicht zu ignorieren oder abzugrenzen, sondern anzuschauen und das Liebenswerte und Wertvolle an den Anderen zu entdecken, das wäre nicht nur Christ*innen zu wünschen.

Die Abgrenzung der eigenen Gruppe (=ingroup) gegen alle anderen (=outgroup) ist fundamentaler Bestandteil monotheistischer Religionen: Wir, das „auserwählte Volk Gottes“ gegen alle anderen, die wegen ihres „falschen“ Glaubens nicht auserwählt wurden und deshalb auch nicht auf „Erlösung“ oder sonstige göttliche Unterstützung hoffen dürfen.

Ein Blick in die Kriminalgeschichte des Christentums zeigt, dass sich Christen über viele Jahrhunderte hinweg nicht an die neutestamentarische Aufforderung gehalten hatten, auf Gewalt gegen Un- und Andersgläubige zu verzichten, um so dereinst genug Raum für den Zorn Gottes (Römer 12,19) zu lassen.

Solche Religionen schaffen künstliche Gräben zwischen Menschen. Je ernster Monotheisten ihre Religionen und die darin enthaltenen Gut-Böse-Dualismen nehmen, desto tiefer und unüberwindlicher sind diese Gräben.

Und umgekehrt: Je weiter sich Gläubige von ihren archaischen und unmoralischen Glaubenslehren befreien, desto besser gelingt es, diese künstlich angelegten Gräben zu überwinden. Nicht noch mehr Religion, sondern mehr Menschlichkeit schafft die Brücke zwischen „wir“ und „euch“.

Fatale Auswirkungen – bis heute

Frank-Walter Steinmeier - Quelle: Pixabay
Foto: Christian Bueltemann via Pixabay

Wer meint, das archaische Stammesdenken eines halbnomadischen Wüstenstammes aus der ausgehenden Bronzezeit habe auf die heutige Wirklichkeit so wenig Auswirkung wie die Gesellschaftsordnung der Azteken oder der alten Ägypter, der irrt:

Wie fatal sich diese dem Monotheismus innewohnende Abgrenzung auch außerhalb der Kirche auswirken kann, zeigt sich an der Rede von Frank-Walter Steinmeier zum Ökumenischen Kirchentag 2021.

Hier kam genau diese Abgrenzung so deutlich zum Vorschein, dass sich die Frage stellt, inwieweit Steinmeier als Bundespräsident noch tragbar ist:

  • Ein Bundespräsident sollte alle Bürgerinnen und Bürger repräsentieren, doch Frank-Walter Steinmeier sprach bei der Eröffnung des Ökumenischen Kirchentags als „engagierter Christ“, der sich parteiisch auf die Seite der Kirchen stellt und die zunehmende Religionsabstinenz in der Bevölkerung als Gefahr begreift. „Dies lässt Zweifel an Steinmeiers Eignung für das höchste Staatsamt aufkommen“, meint der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon.
  • […] [Michael Schmidt-Salomon:] „Wer im Zusammenhang mit der Säkularisierung von einem ‚Brandbeschleuniger‘ spricht, gibt zu erkennen, dass er diesen ‚Brand‘ löschen will. Ein ‚Zurück zur Normalität‘ bedeutet für den Bundespräsidenten offenbar eine Wiederherstellung der christlichen Vormachtstellung in Politik und Gesellschaft. So etwas kann Frank-Walter Steinmeier natürlich als Privatperson denken, er darf es als Bundespräsident aber nicht öffentlich äußern. Denn als höchster Repräsentant des Staates sollte er sich weltanschaulich neutral verhalten. Die Verfassung verbietet es ihm, einseitig Partei für eine Religion zu ergreifen – auch nicht für das Christentum!“
    (Quelle: hpd.de: Kirchentagsrede des Bundespräsidenten stößt auf Kritik – „Nicht der Präsident aller Deutschen“)

…aber nur, solange es nicht um uns geht…

Ilka Sobottke: Mitten in dieser konfliktreichen Zeit geht es also darum die Augen zu öffnen, schaut hin! Dann gelingt es vielleicht, mit denen, die ganz anders denken, neu zusammen zu kommen. Das wünschen wir Ihnen anlässlich des Ökumenischen Kirchentags.

Frau Sobottke, auf dem 3. Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt hatten Sie ja die Gelegenheit, mit denen, die ganz anders denken, neu zusammen zu kommen.

Die Kunstaktion 11tes-gebot.de war zum Kirchentag ebenfalls in Frankfurt.

Mit mehreren Skulpturen machte das Team, ganz im Sinne des Kirchentag-Mottos „schaut hin“ auf kirchliche Themen aufmerksam, die erst durch „Blicke von außen“ ans Licht gekommen waren. Und zu denen es nach wie vor großen Gesprächs-, Erklärungs- und vor allem Handlungsbedarf gibt:

Frau Sobottke, hatten Sie diese Gelegenheit zum Gespräch mit Andersdenkenden denn genutzt? Wenn ja, zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen?

Määääh!

Bleiben Sie behütet.Einen guten Sonntag.

Frau Sobottke, gerne nehme ich Sie beim Wort. Und biete Ihnen einmal mehr an, ins Gespräch zu kommen:

Sie gehen also offenbar davon aus, dass Menschen behütet sind (Schafe schauen meines Wissens nur sehr selten das „Wort zum Sonntag“).

Wie stellen Sie sich diese „Behütung“ konkret vor? Und wie erklären Sie zum Beispiel einem Menschen, der unter den Trümmern seines Hauses, das gerade durch ein Erdbeben eingestürzt ist seine letzte Atemzüge macht, dass er von Ihrem lieben Gott (ich gehe mal davon aus, dass sie den meinen) behütet ist?

Was könnte Ihren Gott davon abbringen, Menschen zu behüten? Und meinen Sie, er lässt sich durch Ihre Fernseh-Botschaft vom 3. Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt umstimmen?

Falls ja, wäre es dann nicht sinnvoller gewesen, Sie hätten dieses Schlusswort Herrn Beck überlassen? Sie wissen ja sicher, dass Ihrem lieben Gott laut seines eigenen „Wortes“ Frauen in Männerkleidern ein Gräuel sind. Und sollten Sie als Frau nicht sowieso schweigen vor der Versammlung? Oder ist das Wort Gottes von euch ausgegangen? Na siehste…

Vielen Dank an Ingo Eitelbach von der gbs-Regionalgruppe Schleswig-Holstein für die Bilder aus Frankfurt!

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