Das Wort zum Wort zum Sonntag: Haussegen

Lesezeit: ~ 7 Min.

Das Wort zum Wort zum Sonntag: Haussegen, verkündigt von Ilka Sobottke, veröffentlicht am 17.7.21 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Die Flutkatastrophe nutzt Frau Sobottke, um Menschen zur Umkehr zu bewegen, damit Gott sie in Zukunft wieder vor den Folgen ihres sündhaften Verhaltens beschützen möge.

Herr Christ nun breit die Arme aus und segne unser liebes Haus, bewahre uns vor Brand und Flut … und wehr der Sünde diese Schwelle.

Ein alter Haussegen von früher gesprochen beim Schritt über die Türschwelle. Im Rahmen an der Wand, eingeritzt in den Türbalken.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Wort zum Sonntag: Haussegen, verkündigt von Ilka Sobottke, veröffentlicht am 17.7.21 von ARD/daserste.de)

Türschwellen hatten in allen möglichen Kulten schon immer verschiedenste magisch-esoterische Bedeutungen. Kaum erstaunlich, dass auch der christliche Aberglaube hier vertreten ist.

Auch wenns nichts hilft, kann es ja auch nicht schaden, neben den Knoblauch zur Vampirabwehr auch noch ein Kreuzchen und ein Weihwassertöpfchen zu hängen. Für den ambulanten Wasserzauber zwischendurch.

Oder den im Türbalken eingeritzten Abwehrzauber gegen Wotan und Werwölfe noch mit einem christlichen frommen Spruch zu ergänzen. Viel hilft viel – wenn in diesem Fall natürlich auch nur in der Einbildung.

Haussegen und Knoblauch: Aus der Mode gekommen

Ist aus der Mode gekommen.

…genau wie der Knoblauch zur Abwehr böser Geister auch.

Weil die Menschen irgendwann angefangen hatten, ihre magisch-esoterischen auf realitätskompatible Weltanschauungen umzustellen.

Weil zumindest manchen von ihnen bewusst geworden war, dass weder Götter, noch Knoblauchzehen tatsächlich vor Schaden schützen:

Bewahre uns vor Brand und Flut. Eine Ahnung, dass wir oft ausgeliefert sind – so sehr wir unser Leben in der Hand haben wollen. Bewahre uns.

Die Vorstellung, eine solche Bitte sei tatsächlich geeignet, um Menschen vor tatsächlichem Schaden zu bewahren, zeugt von Unwissenheit über die tatsächlichen Ursachen und Zusammenhänge.

Solange nichts passiert, deuten Abergläubige das als Beweis für die Wirksamkeit ihrer diversen Schutzzauber. Und für den Fall, dass trotz Knoblauch ein Vampir vorbeischaut oder dass trotz göttlicher Beschwörungsformel das Haus abbrennt oder von einer Flut weggespült wird, haben sie natürlich ebenfalls Bewältigungsstrategien entwickelt.

Flutkatastrophe wegen fehlender Haussegen?

Und dann passiert das Gegenteil: Menschen flüchten auf Dächer, Tausende mussten in Sicherheit gebracht werden vor Flüsschen die zu reißenden Strömen wurden. Menschen sterben, auch beim Versuch andere zu retten; Weggerissen von den Wassermassen, überrascht im Schlaf, in ihren eigenen Häusern. Hunderte werden noch immer vermisst, die Zahl der Toten steigt ständig. Wo das Wasser abfließt: Verwüstung und Tote. Es ist noch nicht vorbei.

Ob zwischen dem aus der Mode gekommenen christlichen Haussegen und den Zerstörungen durch die Überschwemmungen ein Zusammenhang besteht, verrät Frau Sobottke nicht. Diesen Schluss überlässt sie der Phantasie ihres Publikums. Ihre Schuldzuweisung wird sie gleich noch unverfänglich religiös verziert präsentieren.

In früheren Zeiten (und in manchen besonders konsequent christlichen Regionen auch heute noch) war der Fall klar: Mit Naturkatastrophen bestraft der liebe Gott das Verhalten von Menschen, das Priester für sündhaft halten.

Wie etwa in Großbritannien, wo Bischöfe die Flutkatastrophe von 2007 zur göttlichen Strafe für „Unmoral und Gier“ erklärt hatten. Oder bei den religiös komplett Verstrahlten in den USA anlässlich der Zerstörung ganzer Landstriche durch Hurrikans:

  • TV-Prediger Jim Bakker sagte, Gott habe ‚Harveys‘ Fluten gesandt. Als Strafe, vor allem für Houston. Als ‚Irma‘ auf die USA zuzog, warnte Pastor Kevin Swanson davor, Abtreibungen und Homo-Ehe zu legalisieren. Man müsse sie für illegal erklären. Dann werde Gott den Hurrikan von den USA weglenken.
    (Quelle: rtl.de. Nach Hurrikan ‚Harvey‘ und ‚Irma‘: Amerikaner glauben nicht an Klimawandel, sondern an Strafe Gottes)

So absurd dieser Schwachsinn auch klingen mag: Frau Sobottkes amerikanische Berufskollegen können ihre Standpunkte problemlos biblisch untermauern. Ohne dabei groß etwas verbiegen zu müssen: Diese Vorstellungen entsprechen genau dem, was die biblische Mythologie über diesen Gott berichtet.

Religiöse Instrumentalisierung von Naturkatastrophen

Fatal sind solche Aussagen in mehrfacher Hinsicht: Zum Einen schürt es den Hass auf Menschen, deren Verhalten überhaupt nichts mit der Katastrophe zu tun hat.

Und zum Anderen entlasten sie Menschen davon, Verantwortung für ihr eigenes Verhalten zu übernehmen, das tatsächlich negative Auswirkungen auf die Klimaentwicklung hat.

Neben den unmittelbar schädlichen Auswirkungen von Religion gibt es auch einen Impact durch religiöse Ideologien, dessen potentiell gefährliche Folgen nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich sind.

Bei Frau Sobottke sind es nicht Abtreibungen oder Ehen gleichgeschlechtlicher Partner, die die Flutkatastrophe ausgelöst haben. Aber sehr wohl die „Sündigkeit“ der Menschheit, wie wir gleich noch sehen werden.

…nicht sicher, nirgends?

Was hilft?
Wer will das ertragen, dass wir nicht sicher sind, nirgends?

Was tatsächlich hilft, ist zunächst mal eine Weltanschauung, die möglichst mit der irdischen Realität übereinstimmt.

Die Einsicht, dass (wohl auch noch bis auf Weiteres) ausnahmslos jedes Leben irgendwann endet, muss nicht zur Folge haben, in einen Fatalismus („…nicht sicher … nirgends“) zu verfallen.

Trotz des Wissens, dass das Leben nach wie vor lebensgefährlich sein kann, ist es der Menschheit gelungen, in praktisch allen Bereichen mit tatsächlich wirksamen Methoden für mehr Sicherheit zu sorgen, als das jemals zuvor der Fall war. Seit Beginn der Menschheit.

Auch wenn wir gegen Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Erdbeben und andere Unwägbarkeiten (noch) keine wirksamen Gegenmittel zur Verfügung haben, können Wissenschaftler heute durch wissenschaftliche Erkenntnis und Methoden wie Messung und Beobachtung bevorstehende Katastrophen im Idealfall frühzeitig genug registrieren oder prognostizieren. Und es damit Menschen ermöglichen, sich noch rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Dass dies auch heute noch nicht immer gelingt heißt nicht, dass es nicht und nirgends gelingt.

Sicherer denn je

Wir tun so viel, um uns abzusichern, zu versichern.

Schild Hessische BrandversicherungsanstaltUnd deshalb, neben anderen Faktoren, hat sich die Lebenserwartung des Menschen auch fast verdreifacht seit der Zeit, in der die Menschen noch jede Katastrophe als gottgegebenes (und, laut Aussage ihrer Priester, verdientes) Schicksal hinnahmen. Statt sich zu überlegen, mit welchen Mitteln sie sich tatsächlich wirksam dagegen absichern könnten.

Versicherungen sorgen heute dafür, dass Menschen, die alles verloren haben, trotzdem nicht um ihre Existenz bangen müssen.

Denn anders als Götter bieten Versicherungen tatsächlich wirksame Hilfe. Unabhängig davon, ob jemand daran glaubt. Gleiches gilt für mitmenschliche Hilfe.

Selber schuld

Wer will das ertragen, bittere Erkenntnis: dass wir selbst es sind, die immer neue Gefahren auslösen. Durch unseren Umgang mit unserer Welt, der Schöpfung.

Ob Menschen die Konsequenzen ihres Handelns ertragen wollen, steht erstmal nicht zur Debatte. Es bleibt ihnen, zumindest in der aktuellen Situation, wohl nichts anderes übrig…

Mittel- (und immer weniger lang-)fristig wird man sich dann schon die Frage stellen müssen, ob man das in Zukunft ertragen (oder seinen Nachkommen hinterlassen) will.

Theologen reden von Schuld, ja von Sünde, wenn Menschen aus Selbstsucht die Welt, Gottes Schöpfung, gefährden. Wissenschaftler sagen dazu: menschenverursachter Klimawandel. Dessen Konsequenzen: Extremwetter. Hitze. Starkregen. Überflutungen.

Welchen Sinn hat eine theologische Umdeutung menschlichen Fehlverhaltens zur Sünde?

Dieses Verhalten ist doch nicht deshalb falsch, weil es eine angeblich göttliche Schöpfung gefährdet. Eine Schöpfung, die, nebenbei bemerkt, ja genau so und nicht anders geschöpft worden wäre, wie sie ist. Wenn sie denn, einschließlich der selbstsüchtigen Trockennasenaffen, tatsächlich das Werk des behaupteten Gottes wäre.

Klimaschädliches Verhalten ist deshalb falsch, weil Menschen damit ihren eigenen Lebensraum (und den aller Sauerstoff verstoffwechselnden Lebewesen) gefährden. Der Planet Erde kommt genauso auch ohne Menschen aus, wie er ohne Dinosaurier auskommt.

Durch das Konzept der Sünde wird menschliches Fehlverhalten in einen Zusammenhang mit dem jeweils geglaubten Gott gebracht. Das eröffnet dem Gläubigen die Möglichkeit, sich durch die Beteuerung seiner Unterwerfung (Schuldbekenntnis Gott gegenüber) von seiner Schuld vermeintlich freisprechen (erlösen) lassen zu können. Statt sein Verhalten aus ganz eigennützigen Erwägungen kritisch zu hinterfragen und ggf. zu ändern.

Solidarität statt Haussegen

Was hilft? Menschen halten zusammen. Aufopferungsvolle Hilfskräfte. Eindrucksvolle Solidarität. Einer bietet sein Haus an als Unterkunft. Andere bringen Essen, Medikamente, fahren Leute dahin, wo sie Hilfe finden.

Keine Frage: Mitmenschlicheit und Unterstützung helfen den Menschen, die in der Flutkatastrophe ihr Hab und Gut verloren haben. Gegen den menschlich verursachten Anteil der Ursachen für die Überflutungen hilft das jedoch nichts.

Haben wir vergessen, dass Sicherheit nicht selbstverständlich ist?
Was hilft? In anderen Zeiten wussten Menschen mehr davon, dass Sicherheit nicht selbstverständlich ist. Sie wandten sich Gott zu. Was hilft? Beten? – jetzt!?

In anderen Zeiten konnten die Menschen auch noch nicht ansatzweise so viel Sicherheit genießen wie heute.

Durch die Erfindung von Göttern konnten Priester den Gläubigen eine Antwort auf die quälende Frage liefern, warum sie vor Katastrophen nicht verschont geblieben waren: „Gott will es so und du bist selbst schuld.“

Eine gleichsam unsinnige wie einträgliche Strategie.

Die rhetorische Frage, ob Beten jetzt helfen würde, bleibt, vermutlich wohlweislich um die aus christlicher Sicht unangenehme Wahrheit, unbeantwortet.

Zweckmäßige Umdeutung eines Haussegens

‚Wehr der Sünde‘ – bittet der Haussegen, vielleicht erinnert er uns daran, dass wir, jede und jeder etwas tun können für unsere Welt.

Genau daran erinnert dieser Haussegen eben nicht. Denn diese Bitte richtet sich ja eben nicht an uns Menschen. Sondern an den biblisch-christlichen Halb- bzw. Drittelgott Jesus. Der möge „die Sünde“ von „unserem lieben Haus“ fernhalten!

Der zitierte Haussegen liefert auch gleich noch ein Argument, mit dem man den Gottessohn zu überzeugen versuchte:

…und da ist es ja wohl nicht zu viel verlangt, dass sich Jesus auch mal ein bisschen um den Gebäudeschutz kümmert…

Zeit der Umkehr?

Wehr der Sünde – Jetzt ist die Zeit der Umkehr! Für Häuser und Menschen die darin wohnen. Für die Welt, das große Haus der Menschheit und der ganzen Schöpfung. Das Haus für das wir Gott bitten: Breit‘ die Arme aus und segne unser liebes Haus, bewahre uns vor Brand und Flut.

In religiösem Kontext ist mit Umkehr die Umkehr zum Götterglaube gemeint.

Die Logik dahinter: Fehlverhalten ist deshalb falsch, weil es eine Sünde gegen Gott darstellt. Eine Sünde ist deshalb schlecht, weil sie eine Entfernung von Gott zur Folge hat. Diese Entfernung von Gott erfordert eine Umkehr zu Gott. Somit wird die Umkehr zu Gott als (einzig) wirksames Mittel gegen die „Sünde“ dargestellt.

Diesen ganzen religiös-nebulösen Firlefanz kann man sich auch ganz einfach komplett sparen. Und die Sache rational-naturalistisch angehen:

  • Menschen können mit ihrem Verhalten zur Zerstörung und zur Erhaltung ihres Lebensraumes beitragen. Im höchstpersönlichen und im Interesse aller weiteren Sauerstoff verstoffwechselnden Mitlebewesen sollten sie sich so verhalten, dass sie zur Erhaltung und nicht zur Zerstörung ihres Lebensraumes beitragen.

Fertig. Ganz egal, an welche Götter, Schöpfungs- oder sonstige Mythen jemand glaubt oder nicht glaubt.

Man könnte fast Mitleid bekommen mit Frau Sobottke, die versuchen muss, diesen ganz einfachen und offensichtlichen Zusammenhang irgendwie mit dem absurden biblisch-christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzept mehr schlecht als recht in Einklang zu bringen.

Kostet nix, bringt nix: Gottes Segen

Wohl als kleinen Ausgleich für ihre Schuldzuweisung bittet Frau Sobottke jetzt noch ausgerechnet den Gott um seinen „Segen“, der die Menschen ihrer Glaubenslehre zufolge mit diesem zerstörerischen Potential ausgestattet hat und dem menschliches Leid völlig am allmächtigen Allerwertesten vorbeizugehen scheint:

Heute Nacht will ich Gott bitten um seinen Segen und ihm alle anvertrauen, deren Seele voller Schrecken ist, alle, die jemanden vermissen, die Vater oder Mutter, Bruder oder Kind verloren haben. Ich bitte Gott um seinen Segen und seine Begleitung für alle, die noch in Furcht sind. Ich bitte Gott um das Leben der Verletzten und der Vermissten. Herr Christ nun breit‘ die Arme aus und segne unser liebes Haus. Segne und bewahre alle die hier leben!

Schon oft habe ich Berufschristen die Frage gestellt, wie sie sich die Wirkungsweise einer solchen Segnung konkret vorstellen.

Wer von seinem Gott einen solchen Segen erbittet, der muss ja davon ausgehen, dass der allmächtige allgütige allgegenwärtige ewige Gott seinen ewigen Allmachtsplan womöglich ändert, wenn man ihn nur inständig (am besten mit entsprechender Qualifikation) darum bittet. Wenn er schon nicht von alleine auf die Idee kommt, etwas gegen das Leid empfindungsfähiger Lebewesen zu unternehmen. Trotz Allmacht und Allgüte.

Fazit

Mit ihrer heutigen Fernsehpredigt beweist Frau Sobottke einmal mehr, dass es praktisch nicht mehr möglich ist, das biblisch-christliche Glaubenskonstrukt noch als irgendwie relevant für die Lebenswirklichkeit der Menschheit im 21. Jahrundert verkaufen zu können. Und genau das scheint das Hauptanliegen im „Wort zum Sonntag“ zu sein.

Statt zum Beispiel der Zusage einer finanziellen Unterstützung (die für die Kirche auch im Millionenbereich problemlos aus der Portokasse möglich wäre) der Menschen, die von den Überflutungen betroffen sind, gibts einen augenscheinlich nutzlosen Haussegen und eine Umdeutung menschlichen Fehlverhaltens zur „Sünde.“

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