Ein hörendes Herz – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 7 Min.

Ein hörendes Herz – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Benedikt Welter, veröffentlicht am 25.09.2021 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Pfarrer Welter wünscht Politikern ein „hörendes Herz“, meint aber wohl etwas anderes. Die Herzen seiner Vorbilder König Salomo und Dag Hammarskjöld hatten auf Gott gehört.

Mit Bezug auf die bevorstehende Bundestagswahl fragt Pfarrer Welter:

[…] Was braucht jemand, der oder die in Staat und Politik ganz vorne und ganz oben steht?

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Ein hörendes Herz – Wort zum Sonntag, verkündigt von Benedikt Welter, veröffentlicht am 25.09.2021 von ARD/daserste.de)

Zumindest in einer Demokratie braucht er zunächst mal die Fähigkeit, Leute davon überzeugen zu können, dass er bereit und in der Lage ist, ihre Interessen zu vertreten. Und davon, sich dementsprechend politisch für diese Interessen einzusetzen.

Wege zur politischen Macht

Auf das Herz hören

Dies sollte auch schon die Voraussetzung dafür sein, in Staat und Politik überhaupt erstmal nach ganz vorne und ganz oben zu kommen.

Nicht jeder hat ja Lobbynetzwerke, die einem die Türen öffnen und Posten verschaffen. Wie das zum Beispiel bei Armin Laschet in Form rechtskonservativer Kreise und ebenfalls dort angesiedelter Männerbünde der Fall war und ist.

Herrn Welters Frage zielt allerdings weniger darauf ab, wie man an die Macht kommt. Sondern darauf, welche Eigenschaften Politiker zu guten Politikern machen.

Das Gute vom Bösen unterscheiden können

Die Bibel erzählt vom Traum eines Spitzenpolitikers vor über dreitausend Jahren. Salomo, König im alten Israel, träumt eines Nachts ein Gespräch mit Gott. Er hat eine Bitte frei; und Salomo wünscht sich: „Schenke mir doch ein hörendes Herz, damit ich dein Volk Israel zu regieren verstehe und das Gute vom Bösen unterscheiden kann! Wer könnte sonst dieses mächtige Volk regieren?“

Nanu? Ob das so eine gute Idee war, ausgerechnet diesen Gott darum bitten, das Gute vom Bösen unterscheiden zu können?

Hatte sich die Menschheit laut biblischer Mythologie diese Fähigkeit nicht dadurch erworben, dass eine sprechende Schlange das „Weib“ zum Obstdiebstahl überredet hatte?

Menschliche Erkenntnis: Laut Bibel der Grund für alles Leid

Und war nicht gerade dieses Naschen vom „Baum der Erkenntnis“, das für die damals noch sehr überschaubare Menschheit entgegen des ausdrücklichen göttlichen Verbotes die Fähigkeit zur Unterscheidung von Gut und Böse zur Folge hatte der Grund für den unvorstellbar grausamen und wortwörtlich uferlosen Zorn des Gottes? Dessen Gewaltexzesse einschließlich eines globalen Genozids die Seiten des Alten Testamentes mit Legenden füllen, die ihn genau dafür rühmen und preisen?

Bittet man einen Gott, der ausgerechnet das menschliche Unterscheidenkönnen von Gut und Böse für so verwerflich hält, dass er nicht nur die Schlange, sondern gleich mal die gesamte künftige Menschheit dafür mit Schmerz und Leid bestrafen muss um eben diese Fähigkeit?

Offenbar hatte der liebe Gott zwischenzeitlich seine Einstellung mal überdacht und zumindest teilweise revidiert. Was zwar grundsätzlich begüßenswert ist, für einen allmächtigen und allwissenden Gott jedoch reichlich sonderbar erscheint:

…damit du auf das Recht hören kannst

Das gefällt Gott, und er antwortet dem Salomo: „Du hättest um langes Leben bitten können, um Reichtum oder um den Tod deiner Feinde; aber du bittest um Einsicht, damit du auf das Recht hören kannst. Deshalb werde ich deine Bitte erfüllen.“

Die spannende Frage hierbei ist, was hier konkret mit „das Recht“ gemeint sein soll. Es ist die Frage nach der Rechtsgrundlage, auf der politische oder auch juristische Entscheidungen getroffen werden.

Was König Salomo angeht, ist das natürlich das mosaische Gesetz. Also die Gesellschaftsordnung, die sich ein halbnomadisches Wüstenvolk in der ausgehenden Bronzezeit ausgedacht und mit angeblich göttlichem Ursprung legitimert hatte.

Göttliche Großzügigkeit

In der biblischen Salomo-Legende bittet Salomo also Gott darum, er, Salomo, möge „auf das Recht hören können.“ Was nichts anderes bedeutet als: Den göttlichen Geboten entsprechend zu handeln.

Da fühlt sich der liebe Gott gleich mal so geschmeichelt, dass er ihm nicht nur diesen, sondern auch noch alle möglichen anderen Wünsche erfüllt, die offenbar sonst so an ihn herangetragen werden. Weil Salomons Herz auf ihn hört.

Es kann kaum erstaunen, dass dieses „Recht“ kaum noch etwas mit dem zu tun hat, was wir heute unter „Recht“ verstehen.

Das „Salomonische Urteil“ aus heutiger Sicht

Als konkretes Beispiel für die Problematik sei auf den Aufsatz Recht und Gerechtigkeit von Gerhard Struck verwiesen. Hier erläutert der Verfasser, wie das sprichwörtlich gewordene „Salomonische Urteil“ (1. Kön 3, 16-28) aus heutiger juristischer Sicht zu bewerten ist:

  • Zu begründen ist die sprichwörtliche Begeisterung über die Gerechtigkeit des Urteils nicht, wenn man als Mensch der Moderne gelernt hat, Recht vor allem mit dem geschriebenen Gesetz, das vom Richter angewendet wird, gleichzusetzen. Es ist viel leichter zu sagen, was am Salomonischen Urteil nicht der in den letzten zwei Jahrhunderten gewachsenen Vorstellung von Rechtsanwendung entspricht als positiv zu beschreiben, welch ein Typ von Recht und Rechtsarbeit hier vorliegt und offenbar seine Berechtigung auch hat. [weiterlesen (PDF)]

    (Quelle: Gerhard Struck in HFR 8/2013 via humboldt-forum-recht.de: Recht und Gerechtigkeit, ‚Das Rechtsparadigma Konfliktmanagement, gezeigt am „Salomonischen Urteil“‚ – PDF Seite 3)

Unsere moderne Rechtssprechung basiert nicht mehr auf magisch-esoterischen Annahmen wie damals. Sie basiert auf anderen Werten und wendet andere Verfahren an als in angeblich göttlichen Offenbarungen beschrieben. Mehr dazu findet sich in der genannten Quelle.

Dag Hammarskjöld hörte auf sein Herz

Herr Welter erzählt nun vom früheren UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld. Der pietistisch-lutherisch geprägte Protestant galt als radikal-spirituell und stand wohl zeitlebens unter massivem religiösen Einfluss, besonders durch den Erzbischof Nathan Söderblom.

Hammarskjöld fühlt sich vermeintlich altertümlichen Einstellungen verpflichtet. Er versteht sein Leben und sein Amt als Dienst und – ja – als Unterwerfung unter die Aufgaben, die sich ihm stellen. In seinem Tagebuch schreibt er:

„Ich weiß nicht, wer – oder was – die Frage stellte. Ich weiß nicht, wann sie gestellt wurde. Ich weiß nicht, ob ich antwortete. Aber einmal antwortete ich ja zu jemandem – oder zu etwas. Von dieser Stunde her rührt die Gewissheit, dass das Dasein sinnvoll ist und dass darum mein Leben, in Unterwerfung, ein Ziel hat“.

Wie aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, hatte Hammarskjöld das Motiv der Unterwerfung offenbar vom religiösen in den beruflichen Bereich übertragen. Er war der Auffassung, in der UNO als Werkzeug Gottes zu handeln.

Mein Leben, in Unterwerfung

Ganz so klar wie in dem zitierten Satz dürfte die Sache für ihn wohl nicht gewesen sein: Seine Biographie und auch seine Aufzeichnungen lassen auf innere Zerrissenheit, persönliche Probleme und einen Christuskomplex schließen.

Abgesehen von dem psychsichen Leid, das er sich mit seinen Unterwerfungs- und Selbstaufopferungsvorstellungen selbst bereitet hatte und für das seine mystischen Anwandlungen sicher ein willkommenes (oder nötiges) Placebo gewesen sein dürften, kommt es freilich letztlich darauf an, wie sein Handeln ethisch zu bewerten ist.

Aber wie zuverlässig ist das eigene geistige Innenleben (das ja mit dem „Herz“ gemeint sein dürfte) als Grundlage für richtige politische oder sonstige Entscheidungen? Und vor allem: Worauf bzw. auf wen sollte dieses Herz hören?

Subjektives gedankliches „Innenleben“: Stark fehleranfällig

Natürlich hat auch alles, was sich da so im Lauf der Zeit angesammelt hat einen Einfluss darauf, wie Menschen denken und handeln.

Generell ist die menschliche subjektive Vorstellungswelt stark fehleranfällig.

Es ist zum Beispiel ein gefährlicher Trugschluss zu glauben, etwas sei nur deshalb richtig(er), weil es mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmt. Weil es die eigenen Wünsche und Hoffnungen befriedigt.

Auch ein Mangel an Information kann zu einer falschen subjektiven Einschätzung einer Sachlage führen.

Auch Selbstmordattentäter vertrauen auf ihr „hörendes Herz“

Unterwerfung, oder, weniger drastisch, Leidenschaft für etwas ist ebenfalls noch lange kein Garant für ethisch richtiges Verhalten. Und gerade dann, wenn Religion ins Spiel kommt, kann es hier schnell lebensgefährlich werden:

Jeder religiös motivierte Selbstmordattentäter hört ebenfalls auf die „Stimme seines Herzens.“ Von der er gelernt bekommen hat, sie als Stimme seines Gottes zu interpretieren. Und auch, dass er als besonders fromm und gläubig gilt, je mehr er sich um ein auf seinen Gott „hörendes Herz“ bemüht.

Er ist der festen Überzeugung, sich auf bestmögliche Art und Weise seinem Gott bzw. seinem vermeintlich göttlichen Auftrag zu unterwerfen, indem er sich und möglichst viele Ungläubige tötet.

Diese Problematik ist freilich nicht auf solche Religionen beschränkt, deren Heilsversprechen eine Belohnung für solche Handlungen in Aussicht stellt:

Mit der Religion kommt der Fundamentalismus ins Spiel – oder die Beliebigkeit

Quelle: gbs

Das biblisch-christliche Glaubenskonstrukt ist so diffus, dass sich damit praktisch jedes beliebige Verhalten göttlich „legitimieren“ lässt.

Wie ein Blick in die Kriminalgeschichte des Christentums erschreckend eindrucksvoll beweist: Eine endlose Ansammlung von Verbrechen, die von Christen verübt wurden, die alle auf ihr (vermeintlich) hörendes (oder eher: höriges) Herz gehört hatten…

Man kann und sollte sich also keinesfalls darauf verlassen, dass Menschen immer zu ethisch richtigen Schlüssen und Verhaltensweisen kommen, wenn sie denn nur auf ihr Herz hören.

Wie zuverlässig ist ein „hörendes Herz“?

Natürlich darf, kann und sollte der „gesunde Menschenverstand“ auch eine Rolle bei Entscheidungen spielen.

Und in einigen Bereichen ist eine möglichst sachliche, objektive, vernunftbasierte Herangehensweise auch gar nicht erforderlich. Politik gehört sicher nicht zu diesen Bereichen, die am besten mit „Management by heartbeat“ oder magisch-esoterischen Phantasievorstellungen bearbeitet werden sollten.

Ja, das kann auch gut gehen. Oft genug aber eben auch nicht.

Aber die Gefahr dabei ist, dass Menschen dazu neigen, ihren eigenen Verstand immer als gesund, ihre Ansichten immer als richtig wahrzunehmen. Selbst dann, wenn sie ihre innere Prägung und Haltung dazu bringt, schlimmste Verbrechen zu begehen.

Indem man als Gläubiger nun das, was man für richtig hält auf einen Gott projiziert, wird es nicht besser. Sondern sogar noch gefährlicher.

Gläubige verstärken sich damit in ihrer Gewissheit, dass ihre vermeintlich göttlichen Ansichten (die ja in Wirklichkeit ihre eigenen Ansichten sind) ja richtig sein müssen. Und freuen sich über ihr „hörendes Herz.“

Worauf sollten Politiker-Herzen hören?

Deshalb halte ich den von Herrn Welter abschließend geäußerten Wunsch zur Wahl für höchst fragwürdig:

Morgen am Wahltag geht es um Parteien und um Baerbock, Laschet und Scholz. Wir wählen Politikerinnen und Politiker und übertragen ihnen Mandate und Ämter auf Zeit. Ich wünsche allen und besonders denen, die an der Spitze stehen werden, ein hörendes Herz; oder mindestens sollten sie es sich wünschen. Und fähig sein, trotz der „Pflichten des Oberflächenlebens“ auch ein Innenleben zu haben und es zu erkunden und daraus zu leben – ähnlich vielleicht, wie es ein Dag Hammarskjöld getan hat.

Fun fact vorweg: Aus einem „hörenden Herz“, also einem Herz, das bei den beiden genannten Protagonisten auf Gott gehört hatte, wird hier plötzlich ein „Hören auf das Herz.“ Das ist keine Haarspalterei. Sondern ein weiteres Beispiel für theologisch-rhetorische Sprachtrickserei.

Netzfund

Mir wäre es lieber, wenn sich Menschen mit politischer Verantwortung bei ihren Entscheidungen an Vernunft, Fakten und an humanistisch-säkularen Werten orientieren würden als an ihren inneren Stimmen, die sie womöglich auch noch für göttliche Einflüsterungen halten.

Bei religiös geprägten (oder, im Fall Laschet, zusätzlich noch religiös ferngesteuerten) Politikern möchte ich mich nicht darauf verlassen müssen, dass diese ihre jeweilige Glaubenslehre hoffentlich so uminterpretieren, dass ein ethisch halbwegs vertretbares Welt- und Wertebild als Grundlage für ihr politisches Handeln dabei herauskommt. Zu groß ist die Zahl derer, bei denen das nicht der Fall war und ist.

Für einen Appell, dass sich auch Politiker fair und mitmenschlich verhalten sollten (falls Herr Welter eigentlich das gemeint haben sollte), ist Religion nicht nur entbehrlich. Sondern kontraproduktiv. Und einmal mehr potentiell gefährlich.

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