Vergesst das nicht! – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pastor Christian Rommert, veröffentlicht am 4.9.2021 von ARD/daserste.de
Darum geht es
Die Hilfsbereitschaft, von der Pastor Rommert bei einem Besuch im Ahrtal erfährt, etikettiert er mit entsprechenden Formulierungen zur Glaubensreklame um.
Zu Besuch im Ahrtal
Herr Rommert war ins Ahrtal gefahren, wo eine Überschwemmung vor einigen Wochen ganze Ortschaften praktisch unbewohnbar gemacht hatte.
Ob er sich dort auch an den wohl noch länger andauernden Aufräum- und Renovierungsarbeiten beteiligt hatte, oder ob er seine Freundin vom Roten Kreuz bei der Versorgung der Menschen unterstützt hatte geht aus seiner Erzählung nicht hervor.
Dass er den Leuten dort Unterstützung in finanzieller Form überbracht hat, ist jedenfalls unwahrscheinlich: Schließlich ist es die evangelische Landeskirche, die über rund 10 Milliarden Euro (Quelle) jährlich verfügt. Und nicht der, Achtung, Oxymoron: Freikirchler Rommert.
Der gibt sich mit einem (ev.) hinter seinem Namen zwar als „evangelisch“ zu erkennen. Beim Gebaren der evangelischen Landeskirche, zum Beispiel wenn es um eine nennenswerte Spende für die Leute im Ahrtal geht, ist er bei Bedarf dann aber fein raus.
Zuschauerbefragung beim „Wort zum Sonntag“
Teil seines Besuches im Ahrtal war jedenfalls eine Befragung der betroffenen Anwohner:
Ich habe Menschen in einer Region der Flutkatastrophe, im Ahrtal, besucht. „Was soll ich als Pastor in einem Wort zum Sonntag sagen – angesichts der Flut?“ Das war meine Frage. „Im Fernsehen, wenn Sie dort das ‚Wort zum Sonntag‘ sprechen dürften, was würden Sie gerne sagen?“
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Vergesst das nicht! – Wort zum Sonntag, verkündigt von Pastor Christian Rommert, veröffentlicht am 4.9.2021 von ARD/daserste.de)
Die nun folgenden Schilderungen lassen sich kurz zusammenfassen: Die befragten Leute würden gerne dazu aufrufen, nicht vergessen zu werden. Und sie möchten den vielen Helfern danken.
Religiöse Themen wie zum Beispiel die Frage, die sich eigentlich jedem Gläubigen aufdrängen müsste, warum der liebe Gott die Zerstörung ihrer Ortschaften trotz angeblicher Allmacht und Allgüte nicht verhindert hatte fehlen genauso wie Dankesgebete für irgendwelche positiven Ereignisse, die von Gläubigen auch noch in den schlimmsten Katastrophen für die Existenz und die Gnade ihres Gottes zu dessen Verteidigung vorgebracht werden. Wie wenn zum Beispiel ein ganzes Dorf, nicht aber die Kirche zerstört wurde. Auf wundersame Weise…
Auch eine Bitte um göttliche Unterstützung und ein diesbezüglicher Aufruf zum Gebet scheint den betroffenen Leuten gerade kein Anliegen zu sein. Dabei wäre eine christliche Verkündigungssendung doch prädestiniert für einen solchen Appell…
Vielleicht haben auch die letzten Gläubigen unter den Betroffenen gerade bemerkt, dass Gebete nichts nutzen. Nicht mal das eigens verfasste Hochwasser-Fürbitt-Gebet der evangelischen Kirche Rheinland. Das bleibt genauso unerhört und damit nutzlos (zumindest in Bezug auf die behauptete/erhoffte Wirkung), wie wenn der Papst persönlich zum Gebet und Fasten für Afghanistan aufruft.
Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit
Bei allen von Pastor Rommert genannten Aussagen geht es um menschliche Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit dafür:
Und für mich leuchtet etwas auf, zwischen Trümmern und Chaos, was manchmal verschüttet ist unter Wohlstand und Neid. Etwas, das wir manchmal übersehen im Alltag: echte Mitmenschlichkeit! Nächstenliebe!
Mit dem gerne und oft irrtümlich christlich konnotierten Begriff „Nächstenliebe“ teasert Pastor Rommert schon mal an, was gleich noch viel deutlicher folgen wird: Eine religiöse Vereinnahmung der Hilfsbereitschaft, von der die Leute Herrn Rommert berichtet hatten.
Die ganze Zeit bin ich unterwegs und erfahre Geschichten der Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit, höre von echten Engeln.
Von echte Engeln? Nein, Herr Rommert. Von echten Menschen.
Echte Engel? Echte Menschen!
Engel ist (lt. Wikipedia) „…eine Gattungsbezeichnung für himmlische Wesen (Geistwesen).“ Wie man die Echtheit von Engeln untersuchen kann, verrät Pastor Rommert nicht.
Er meint damit freilich wahrscheinlich auch kein fiktives Himmelsgeflügel. Sondern eben hilfsbereite Menschen. Deren Hilfsbereitschaft er durch diese Formulierung zur Reklame für sein Glaubenskonstrukt vereinnahmt.
Ein Bauunternehmer hat einfach ein Stück der Straße wieder hergestellt. Ein paar Frauen haben oben in der Kirche ein riesiges Lager für Hilfsgüter. Ein Polizist, der in Afghanistan war, sich mit Krisen auskennt, brachte schon in den ersten Stunden der Katastrophe seine Erfahrung hier ein. Gute Samariterinnen und Samariter, die einfach geholfen haben.
Wenn die Priester schon tatenlos vorbeigehen (Lk 10,31), dann müssen eben Leute ran, die tatsächlich anpacken und helfen. Wobei deren Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, anders als in der biblischen Legende dafür keine Rolle spielt.
Wie war das noch gleich mit dem Samariter?
Mit der Geschichte vom „barmherzigen Samariter“ wollen Christen gerne belegen, dass ihr biblischer Christus den Begriff der Nächstenliebe damit auf alle Menschen ausgedehnt hätte.
Glaubwürdig wäre diese Interpretation, wenn die Samaritaner nicht, genau wie die Juden auch, ebenfalls aus dem Volk Israel hervorgegangen wären.
Wäre es dem anonymen Bibelschreiber mit Pseudonym Lukas darum gegangen, Jesus mit dieser Geschichte eine wirklich universelle Nächstenliebe predigen zu lassen, dann hätte er erst recht statt eines Samariters einen Helfer auftreten lassen müssen, der eben gerade nicht ebenfalls „dem Stamme der Israeliten zugehörig“ war.
So wird die Nächstenliebe zwar immerhin über die eigene jüdische Glaubensgemeinschaft hinaus ausgeweitet. Was gläubigen Juden zur damaligen Zeit schon revolutionär erschienen sein musste. Oder eher blasphemisch.
Beim biblischen Jesus endet die Nächstenliebe in dieser Geschichte aber nur eine Ebene tiefer: Beim gemeinsamen Stamm, innerhalb dessen sich beide Glaubensgemeinschaften, Judentum und Samaritertum entwickelt hatten. Und die beide den gleichen Gott verehren.
Mitmenschlichkeit! Nächstenliebe! Und Pflichtbewusstsein
Auch viele Menschen von Bundeswehr, THW, Feuerwehr, Polizei und den Hilfsorganisationen, die oft am Rand der Erschöpfung gearbeitet haben. Mitmenschlichkeit! Nächstenliebe!
…und natürlich auch einfach: Pflichtbewusstsein.
Das Engagement von Helfern, die ihrem Berufsethos entsprechend versuchen, bestmöglich zu helfen, ist genauso zu würdigen wie das der Leute, die dies aus Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe tun. Eine Verwechslung von Pflichtbewusstsein und Nächstenliebe kann gerade in sozialen Berufen oft dazu führen, dass die dort Tätigen „ausbrennen.“
Als wir dann aus dem Tal fahren, meine Begleiterin und ich, sage ich: „Ich fühl mich durch diesen Tag gerade total beschenkt!“
Wie schön für Sie, Herr Rommert! Dann wars ja doch für irgendwas gut…?
Ebenbilder Gottes?
Inmitten der Verwüstung, des Baulärms und des Geruchs nach Moder und Schlamm habe ich etwas wie eine Predigt erlebt, eine Mut machende Predigt, eine Botschaft des Lebens: hier gab es Menschen, die einfach Gutes getan haben, die gut waren. Im besten Sinne. Ebenbilder Gottes.
Nicht Götter haben Menschen „nach ihrem Ebenbild“ geschaffen. Sondern genau umgekehrt.
Der in der Bibel als allmächtig und allgütig beschriebene Gott, von dem Christen glauben, dass er mitunter seinen ewigen Allmachtsplan ändert, wenn man ihn inständig und unterwürfig darum bittet, hatte jedenfalls offensichtlich keine Veranlassung, die Flutkatastrophe zu verhindern. Auch an den Aufräumarbeiten hat er sich bislang nicht beteiligt. Was wegen seiner Allmacht ein Kinderspiel und wegen seiner Allgüte ja eigentlich zu erwarten gewesen wäre.
Er hat, auch diesmal wieder, nicht nur nichts Gutes getan. Sondern, wie immer, einfach gar nichts, um irgendein Leid zu vermindern oder zu verhindern. Dabei müsste sich ja gerade dieser Gott mit Flutkatastrophen bestens auskennen.
Dieser Gott verhält sich gerade so, als gäbe es ihn überhaupt nicht.
Christliche Arroganz und Ignoranz
Und deshalb halte ich es für einen Ausdruck christlicher Arroganz und Ignoranz, Menschen, die tatsächlich, sei es aus beruflichen oder mitmenschlichen Gründen anderen Menschen effektiv helfen, als „Ebenbild“ eines und dann auch noch ausgerechnet dieses Gottes zu bezeichnen.
Denn diese Menschen gibt es, anders als diesen Gott, tatsächlich. Und diese Menschen helfen, anders als dieser Gott, tatsächlich. Ganz unabhängig davon, ob und wenn, an welche Götter sie glauben.
Diese Menschen glänzen durch Mitmenschlichkeit. Und eben nicht durch irgendeine Ähnlichkeit mit einem augenscheinlich gleichgültigen oder sadistischen Gott.
Für die Anerkennung dieses mitmenschlichen Engagements ist es nicht erforderlich, ein solches Verhalten noch mit religiösem Schnickschnack (Engel, Samariter, Predigt, Ebenbild Gottes…) zu verzieren.
Vielmehr muss sich Herr Rommert vorwerfen lassen, die Situation der von der Flutkatastrophe betroffenen Leute für seine Glaubensreklame instrumentalisiert zu haben. Indem er suggeriert, mitmenschliches Verhalten habe etwas mit Religion, Glaube oder Gottesebenbildlichkeit zu tun.
Wer die Menschen im Ahrtal unterstützen möchte, sollte darauf achten, dass seine Spende auch tatsächlich in voller Höhe bei denen ankommt, die sie benötigen. Den Umweg über Kirchenkassen kann und sollte man sich dabei sparen und stattdessen direkt spenden, zum Beispiel hier.
… und in den Nachbargemeinden feiern die Christenmenschen garantiert Dankgottesdienste, dass der liebe Gott ihre Häuser nicht unter Wasser gesetzt hat. Egal was passiert oder der liebe Gott macht, zulässt oder nicht macht: Gottesdienst geht immer. Dafür gibt`s ja auch Profis wie Pastor Rommert.