Gottes erster Sinn – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

Gottes erster Sinn – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Benedikt Welter, veröffentlicht am 25.12.2021 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Pfarrer Welter scheint zu nicht zu bemerken, dass Schwärmereien eines katholischen Priesters für körperliche Nähe eines Kleinkindes, das "nur Liebe ist und Liebe geben kann" einen widerwärtigen Beigeschmack haben.

Einen guten und gesegneten Weihnachtsabend, verehrte Damen und Herren.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Gottes erster Sinn – Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Benedikt Welter, veröffentlicht am 25.12.2021 von ARD/daserste.de)

Triggerwarnung: In diesem Beitrag geht es u.a. um sexualisierte Gewalt pädokrimineller Priester.

Herr Welter, es mag Ihnen entgangen sein oder vielleicht haben Sie es auch erfolgreich verdrängt, deshalb hier eine kurze Zusammenfassung:

Die katholische Kirche, in deren Namen und Auftrag Sie vor der Kamera stehen, steckt in einem beispiellosen Skandal, von dem in rund 10 Jahren wohl erst ein Bruchteil des eigentlichen Ausmaßes bekannt geworden ist.

Die Spitze des Eisberges

Dabei geht es um sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Kinder, die von katholischen Priestern, Kirchenfunktionären und anderen Berufsgläubigen über Jahrzehnte systematisch vergewaltigt worden waren.

Wie sich nach und nach herausstellt, bietet die katholische Kirche ein Millieu, das für potentielle Täter besonders attraktiv ist: Wo bekommt man schon so einfach praktisch unkontrollierten Zugriff auf Kinder, denen man als Priester zudem eine besondere Autorität vorgaukeln kann?

Und wo kann man davon ausgehen, dass die noch so schlimmsten Verbrechen von der Kirche systematisch vertuscht, die Opfer ihrem Schicksal überlassen und die Täter einer Strafverfolgung entzogen werden, wenn doch mal etwas ans Licht kommen sollte?

…und kein Ende in Sicht

Herr Welter, die katholische Kirche kann gemäß Gerichtsurteil straffrei als „Kinderfickersekte“ bezeichnet werden.

Der bisherige Umgang mit diesem Skandal ist nichts anderes als eine Verhöhnung der Opfer. Die einzige Sorge der Führungsriege scheint das Ansehen der Kirche zu sein, das unter diesen Verbrechen und dem schändlichen Umgang der Kirche damit leidet.

Ihre Kirche konnte und kann bis heute nicht glaubhaft darlegen, dass nicht auch heute noch eine überproportionale Anzahl an pädokriminellen Sexualstraftätern als Priester getarnt ihr Unwesen treibt und eine Gefahr für Kinder darstellt, die dem Zugriff dieser Menschen ausgesetzt sind.

Fast alles ist zu ertasten und mit der Haut zu spüren

Herr Welter, sicher haben Sie keine Sekunde und nicht im Entferntesten darüber nachgedacht, wie Ihre nun folgenden Schwärmereien über die ersten haptischen Erfahrungen von Kleinkindern klingen, wenn man sie unter den gerade geschilderten Aspekten betrachtet:

Es ist des Menschen erstes Sinnes-Organ. Schon beim Embryo im Mutterschoß ist der angelegt. Etwa im zweiten Monat der Schwangerschaft: Der Tastsinn. Noch ungeboren tastet der kleine Mensch sich bereits in die ihm noch unbekannte Welt hinein: kann sie fühlen und empfinden. Taktil – nennt das die Wissenschaft. Und dann, nach der Geburt, kommt mehr hinzu: haptisches Tasten: Anrühren, Berühren, Empfinden und Erspüren – der erste Sinn des Menschen; schon IM Mutterleib und erst recht dann in dieser Welt: Fast alles ist zu ertasten und mit der Haut zu spüren: Wärme oder Kälte, Nähe oder Schmerz.

Berührung

Haben Sie gerade die arte-Themenwoche zum Thema „Berührung“ nachgeholt, Herr Welter? Viele Ihrer Formulierungen legen diese Vermutung nahe…

All das wäre für sich genommen natürlich ein sehr spannendes und interessantes Thema.

Irritierend und, wie wir gleich noch sehen werden äußerst fragwürdig empfinde ich es erst, wenn ausgerechnet ein katholischer Priester seine Gedanken dazu ausbreitet.

Wir Christenmenschen

Heute feiern wir Christenmenschen, dass Gottes Sohn geboren ist.

Gibt es auch Christen, die keine Menschen sind? Achso – es geht ja heute um die vermenschlichte Ausgabe Ihrer Gottesvorstellung. Da kann eine solche Ergänzung nicht schaden.

Die feuchten Nasen von Ochs und Esel

Was für ein Tastsinn hat sich wohl in diesem Kind ausgeprägt: Hat er die Sorge der Mutter gespürt, dass sie wegen ihrer unverheirateten Schwangerschaft ausgeschlossen werden könnte? Hat er sich herangetastet an die unruhigen Nächte des Josef? Und an dessen Träume von Engeln und deren seltsamen Botschaften?

Der Tast-Sinn von Jesus Gottessohn ist mir in diesem Jahr ein sehr weihnachtlicher Gedanke. Ich stelle mir vor, wie taktil dieses Christkind unterwegs ist: mit wieviel Freude spürt er die Haut der Mutter, und wie beruhigt ihn ihr Atem auf seiner Stirn; bald hat er sicher in ihr Haar gegriffen und an die feuchten Nasen von Ochs und Esel, wenn er in ihrer Futterkrippe lag…

Wenn ein katholischer Priester erzählt, wie er sich vorstellt, wie ein Kleinkind an die feuchten Nasen von Ochs und Esel greift, dann wird mir schlecht.

Touched for the very first time…

Es bedarf nicht viel Phantasie und auch keiner vorsätzlich unterstellenden Absicht sich vorzustellen, wie Ihre pädokriminellen „Brüder im Nebel“ versuchen, mit solchen Phantasien ihre Sehnsüchte bestenfalls zu unterdrücken – und schlimmstenfalls in die Tat umzusetzen.

Auch die weiteren Ausführungen erscheinen höchstens oberflächlich betrachtet harmlos:

Doch: Bethlehem war ihm sicher schon von Anfang an zu klein. Dieses Kind ertastet viel mehr. Es fühlt die Angst eines noch ungeborenen Kindes zusammen mit der Angst seiner Mutter auf einem Schlauchboot im Mittelmeer. Das Jesus-Kind spürt, wie ein Kind seine Oma tröstet, die es im Seniorenheim besucht. Das Christkind ertastet den Schmerz, den Menschen im Ahrtal und an der Erft fühlen, denen ihr Weihnachten so ganz ganz anders geworden ist. Das Kind spürt weit über seine kühle Krippe hinaus auch, was Sie und mich bewegt, weil das alles mit Corona schier kein Ende nimmt.

Klar: Bei Herrn Welter geht es hier nicht um ein reales Kind. Sondern um den mythologischen Gottessohn aus der biblisch-christlichen Mythologie.

Dem kann man natürlich alles Beliebige andichten. Den kann man alles Beliebige spüren lassen.

Aber: Ist das auch allen Ihren Berufskollegen klar, Herr Welter? Schließlich leben die ja, wie alle, die ihren Glauben ernst nehmen, in einer Mischwirklichkeit aus religiöser Wunschvorstellung und irdischer Wirklichkeit.

Potentiell gefährlicher Realitätsverlust

Ist bei denen nicht zu befürchten, dass sie nicht vielleicht auch mal echte Kinder zu ihren ganz persönlichen „Heilsbringern“ umfunktionieren?

Dass sie es, kraft ihres Priesteramtes, auch mal echten Kindern ermöglichen, viel mehr von ihrem persönlichen Leid zu ertasten? Damit das Kind mal spürt, was sie so bewegt?

Aus Schilderungen von Menschen, die Opfer sexualisierter Gewalt durch Kirchenpersonal wurden ist bekannt, dass die Täter nicht selten auch Drohungen, falsche Versprechen und Rechtfertigungen aus dem religiösen Kontext verwendeten, um ihre Opfer gefügig zu machen oder um sie zum Schweigen zu zwingen.

Und genau deshalb escheint mir diese Vermutung gar nicht weit hergeholt. Sondern erschreckend plausibel.

Gottes erster Tastsinn

Das inmitten der Heiligen Nacht neugeborene Kind ist Gottes erster Tastsinn. Ich darf es Gottes Sohn nennen.

Mit Weihrauchschnüffeln allein schafft man es aber nicht, sich solche Sätze auszudenken, oder?

Der unendliche göttliche Himmel tastet sich in der Haut dieses Kindes an die Haut der Menschen heran – sie mag verhärtet sein oder verhärmt, zartbesaitet und liebevoll empfindend. In der Haut dieses Kindes will Gott trösten und heilen und zutiefst mitfühlen.

Ich wiederhole mich, aber: So ignorant und/oder arrogant kann man doch nicht sein, um nicht spätestens beim nochmal Durchlesen zu bemerken, dass es einen widerwärtigen Beigeschmack hat, wenn ein katholischer Priester davon schwärmt, wie sich etwas in der Haut eines Kindes an die Haut der Menschen herantastet („sie mag verhärtet sein oder verhärmt, zartbesaitet und liebevoll empfindend“)?

Herr Welter, Sie liefern hier eine Sammlung von Formulierungen, die man sich zurechtlegen würde, wenn man den pädokriminellen Anteil des Klerus diskreditieren wollen würde. Und Sie scheinen das nicht ansatzweise zu bemerken.

Wenn Götter feiern, dann richtig

„Gott hast sich ein Fest bereitet, das es in seinem Himmel nicht gab: Gott wird Mensch“ – hat der Theologe Karl Rahner einmal gesagt.

Tja – er versteht zu feiern, der liebe Gott. Da gehts dann schon mal mit Kreuzschmerzen und drei Tage Koma aus…

Gott bereitet sich dieses Fest; dabei tastet er sich mit großer Liebe an mein unfestliches Leben heran und an das so alltägliche Leben aller Menschen; und macht es sich zu eigen.

Herr Welter, wenn Sie ernsthaft der Meinung sind, eine höhere magische Himmelsmacht würde sich Ihr unfestliches Leben zu eigen machen, wäre es dann nicht vielleicht mal eine gute Idee, sich mal an eine professionelle psychologische oder psychotherapeutische Hilfe „heranzutasten“, um in Ihrem Duktus zu bleiben?

Religiöses Ringelpietz mit Anfassen

Gottes Fest mit jedem Menschen auf dieser Erde ist an Weihnachten eröffnet. Nichts und niemand lässt ihn unberührt und unertastet.

Religiöses Ringelpietz mit Anfassen? Blicken Sie noch durch, wer da wen berührt und ertastet? Oder gehen hier gerade Ihre geheimsten Phantasien mit Ihnen durch? Eine Sehnsucht nach Nähe, aber eben nicht nur als feuchter Traum, sondern in echt, in Form von körperlicher Berührung?

Falls ja: Wieso haben Sie sich dann ausgerechnet für den einzigen Beruf entschieden, der Ihnen eine zölibatäre Lebensweise vorschreibt?

Und weil es so tastend begonnen hat und damit so unbeholfen und zart, betrifft mich die Weihnacht umso mehr.

Die Chancen stehen gut, mit einer professionellen Unterstützung (wieder) zu einem halbwegs wirklichkeitskompatiblen Weltbild zu gelangen. Sie könnten (wieder) lernen, zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu unterscheiden. Zwischen dem, was Sie tatsächlich betrifft. Und dem, was Sie sich nur ausmalen und einbilden.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie trotz Zölibat Möglichkeiten haben, echte zärtliche Berührungen auszutauschen – mit echten Erwachsenen und in beiderseitigem Einverständnis. Ihre Schilderungen, speziell die Projizierung dieser Berührungs-Sehnsüchte auf ein Kleinkind legen für mich die Vermutung nahe, dass das möglicherweise nicht der Fall ist.

Das ist mein Wunsch auch für Ihr Weihnachten: Dass Sie fühlen, wie Gottes Sohn sich an Ihr Leben und Ihr Fühlen herantastet: liebevoll, vor allem liebevoll. Denn dieses Christuskind kann nur Liebe sein und Liebe geben.

Igitt.

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4 Gedanken zu „Gottes erster Sinn – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Das Jesuskindlein war in seiner Krippe wenigstens vor einem sicher: Missbrauch durch katholische Priester. Die gab es damals nämlich noch nicht.

    Ansonsten stellt sich tatsächlich die Frage, ob gewisse gesellschaftliche Diskussionen und Entwicklungen für Pfarrer Welter und Co. inhaltlich überhaupt verständlich und nachvollziehbar sind – oder ob sie sich in einem fiktiven Lalaland verbarrikadiert haben, das gegen jede Form von Empathie abgesichert ist.

    AWQ: Gut gemacht!

    Antworten
  2. GRUSELIG!!!

    Meine Fresse, was geht denn da ab?!

    „Willst du nicht auch mal ganz zärtlich und liebevoll meine einäugige Hosenschlange berühren, die sich gerade verhärmt, äh, ich meine natürlich verhärtet an dich herantastet…“

    Es braucht wirklich nicht viel Fantasie, sich auszumalen, dass diverse Priester beim Gedanken an feuchte Eselsnasen bereits nen Ständer in der Hose haben.

    Einmal rückwärts durch die Geisterbahn der menschlichen Psyche!

    Antworten
  3. Sich mit solchem Geschwafel und einer abstrusen Phantasie an die Öffentlichkeit zu wagen, zeugt nicht nur von Ignoranz für die Wirklichkeit, sondern auch von Impertinenz. Es ist einfach nur widerlich, was einem Pfarrer schon zu einem neugeborenen Kind einfallen kann. So etwas kann sich ja weiterentwickeln… Welchem Gehirn entspringen solche Gespinste?
    Ist das dann die Spiritualität, die angeblich Humanisten, die in der realen Welt leben, nach Ansicht der doch noch irgendwie Gläubigen, nicht haben?
    Diese Kirchenleute scheinen unterfordert zu sein. Und hier scheint das leidige Thema wieder mal vom Verkündiger mit Genuss ausgereizt zu werden.Mir war jedenfalls nach dem Lesen der Zitate schlecht. Wer sind eigentlich die Zuschauer*innen? Gut, dass von AWQ auch zum 301. Mal diese Verlogenheit aufgedeckt wurde.

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