Big Five Advent – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Stefanie Schardien, veröffentlicht am 03.12.2022 von ARD/daserste.de
Darum geht es
Wir werfen heute einen näheren Blick auf fünf Dinge, die Frau Schardien als die interessantesten „Big 5“ des Advents präsentiert.Licht
1. Licht! Die Millionen von Kerzen und Sterne haben ihren Ursprung in der christlichen Botschaft vom kleinen Stall. Wer Lichter aufgestellt hat, wollte daran erinnern: Bald kommt das Jesuskind, Gottes Licht in der Welt an! Advent heißt Ankunft! Besonders im finsteren Dezember und bei den düsteren Nachrichten tut mir das Licht überall gut: Es wird wieder hell, versprochen! Und wenn jetzt Stromsparen wichtig ist – dann darf es auch gern etwas weniger sein. Jesus kam ja …. als Licht und nicht als Lichterkette in die Welt.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Die Top Five des Advents – Wort zum Sonntag, verkündigt von Stefanie Schardien, veröffentlicht am 03.12.2022 von ARD/daserste.de)
Ein tatsächliches Geburtsdatum des biblischen Jesus ist nicht bekannt. Erst im Zuge der Konstantinischen Wende, also im 4. Jahrhundert war das Datum zweckdienlich auf den 25. Dezember festgelegt worden.
Die biblischen Schilderungen rund um die Geburt von Jesus hält die kritische Bibelforschung heute praktisch einstimmig für für frei erfunden. Das Thomasevangelium („Kindheitsevangelium“) mit skurrilen und absurden Kindheitslegenden hatte man lieber erst gar nicht in den biblischen Kanon aufgenommen.
Zweckdienlicher Termin
Zweckdienlich war die Wahl des Datums deshalb, weil die Zeit nach der Wintersonnwende schon seit jeher ideal geeignet war, um als Schamane oder Priester das Fußvolk mit dem „Geheimwissen“ zu beeindrucken, dass die Dunkelheit ab jetzt wieder abnehmen würde.
Und speziell für das Christentum zweckdienlich, weil man so die vielen schon etablierten Feier-Rituale anderer Religionen und Kulte prima für die eigenen Zwecke kapern konnte. Wie etwa den Feiertag des Sol Invictus, also des Unbesiegten Sonnengottes:
- „Nach feierlichem Herkommen pflegten die Heiden am 25. Dezember das Geburtsfest des Sonnengottes … zu feiern und zur Erhöhung der Festlichkeit Lichter anzuzünden. An diesen festlichen Bräuchen liessen sie auch das Christenvolk theilnehmen. Da nun die Lehrer der Kirche die Wahrnehmung machten, dass die Christen an diesem Feste hiengen, kamen sie nach reiflicher Erwägung zu dem Entschluss, an diesem Tag… fortan das Fest des wahren Aufgangs (dh. Geburt), am 6. Januar aber das Fest der Erscheinung (Epiphanie) zu feiern.„
(Quelle: Syrischer Scholiast bei Dionysius bar Salibi siehe Giuseppe Simone Assemani: Bibliotheca orientalis Clementino-Vaticana. Band 2: De scriptoribus Syris monophysitis. Rom 1721, S. 164 (Digitalisat) = CIL I², S. 338 f. (Digitalisat), Übersetzung Hermann Usener: Sol Invictus. In: Rheinisches Museum für Philologie. Band 60, 1905, S. 466. Zit. n. wikipedia.de)
So viel zum Thema Licht: Alles nur geklaut….
Wer schon immer mal wissen wollte, warum ein Teil unserer Monate falsch benannt ist und warum Weihnachten zu Mittwinter gefeiert wird, kann sich in diesem Beitrag vom MGEN-Podcast schlau machen:
Adventskranz
2. Der erste Adventskranz war …keine Deko, sondern eine Art Kalender, ein Vorläufer vom Adventskalender. Und er war kein Kranz, sondern ein Rad mit bis zu 24 Kerzen, für jeden Wochentag rote, für die Sonntage weiße! Erfunden hat ihn 1839 der Hamburger Diakoniegründer Johann Hinrich Wichern. Er hat Kindern aus schwierigen Verhältnissen ein Zuhause gegeben und ihnen den Advent als Wartezeit anschaulich gemacht. So, wie wir das heute auch mit Adventsandachten tun oder mit Konzerten oder Adventskalendern: Immer mal innehalten und etwas Frohes, Friedliches mit der Zeit anfangen. Menschen treffen, Musik hören oder gar selbst singen.
So fortschrittlich die Adventskranz-Innovation von Johann Hinrich Wichern gewesen sein mag, so rückständig war sein bis zum Beweis des Gegenteils faktisch falsches und in moralischer Hinsicht typisch überheblich-christlich-dualistisches Menschenbild (Hervorhebungen von mir):
- Johann Hinrich Wichern sah den Menschen als ein von Gott geschaffenes Geschöpf an. Jedes Kind sei etwas Einzigartiges, so dass ihm eine individuelle Pflege und Behandlung zustehe. Der Mensch habe die Fähigkeit, sich zum „Guten“ zu entscheiden oder aber seine Neigungen zum „Bösen“ auszuleben. Da der Mensch von Wichern als ebendiese freie Persönlichkeit gesehen wurde, wurden die Kinder und Jugendlichen in Freiheit erzogen. Die Erlösung zum „Guten“ kann nach Wichern nur durch den christlichen Glauben geschehen.
- Die Hauptursache für Armut und andere Soziale Probleme lag nach Wichern daher im „immer zunehmenden Sittenverderben des Volks, das einzig und allein aus der herrschenden Irreligiösität, der Verachtung des wahren Christentums und dem gottlosen Unglauben entsteht“. (Quelle: Wikipedia)
Sowohl der Glaube an die Schöpfungsmythologie, als auch die christliche Arroganz, der christliche Glaube sei der einzige Weg zu ethisch richtigem Verhalten – und die wahnwitzige Behauptung, Armut und soziale Probleme seien – einzig und allein! – die Folge von „gottlosem Unglauben“ passen perfekt ins 19. Jahrhundert.
Und hier stellt sich einmal mehr die Frage, wofür die ganze Symbolik denn heute überhaupt noch stehen soll.
Vermutlich teilt der Adventskranz das Schicksal vieler weiterer Traditionen, die ihre eigentliche Anlässe längst überlebt haben. Etwa so, wie eine Kirchweih heute auch nur noch höchstens als Randerscheinung einer Kirmes übrig geblieben ist.
…und die Nazis!
Nebeninfo: Die Nationalsozialisten wollten diese christlichen Adventsbräuche dauerhaft abschaffen oder vereinnahmen. Erfolglos. Ihre schlechte Kalender-Kopie nannten sie übrigens „Vorweihnachten“. Ein Grund mehr, lieber Advent zu sagen.
Ein Blick in die Geschichte, aber auch in die Gegenwart zeigt erschreckend eindrucksvoll, wie perfekt sich eine monotheistische Religion wie das Christentum und absolutistische Diktaturen oder vergleichbare Herrschaftsformen ergänzen und gegenseitig verstärken können. Lediglich über die Besetzung des Chefpostens muss man sich einigen:
- Der nationalsozialistische Weihnachtskult zielte darauf, die NS-Ideologie auf deutsche Weihnachtsbräuche zu übertragen. Die nationalsozialistische Propaganda sollte den Einfluss des christlichen Glaubens auf die Volksgemeinschaft zurückdrängen. Nach Ansicht des Psychologen Wilfried Daim sollte anstelle Jesu Christi Adolf Hitler die Rolle des Messias und Welterlösers einnehmen.
(Quelle: Wikipedia)
Die hier von Frau Schardien eingeschobene „Nebeninfo“ suggeriert sicher nicht zufällig eine anderes Bild der Rolle, die das kirchlich institutionalisierte Christentum als opportunistischer Nutznießer und willfähriger Partner im Schulterschluss mit dem Hitler-Regime tatsächlich spielte.
Geschichte vs. Legenden
Diese furchtbare, für beide Seiten aber eben auch sehr ergiebige Allianz ist mit zahllosen Zitaten und Texten umfassend dokumentiert. Zur Bewältigung dieses düsteren Kapitels der jüngeren Kirchengeschichte nutzen Verkünder verschiedene Methoden. Leugnen funktioniert aufgrund der erdrückenden Quellenlage nicht. Deshalb kehrt man das Thema nach Möglichkeit unter den Teppich.
Wenn schon, dann stellt man die vergleichsweise wenigen und seitens der Kirche verpönten religiös motivierten Widerständler (die eigentlich nur belegen, dass man als Christ auch zu einer ganz anderen als der Haltung der Kirchen hätte kommen können) in den Vordergrund. Oder man kolportiert, wie Frau Schardien heute, einseitig die Differenzen zwischen politischer und religiöser Ideologie.
Die kirchliche Marschrichtung indes war auch in der evangelischen Abteilung unzweifelhaft klar:
- „Dies alles ist evangelische Diakonie: Dienst und Kampf. Wir grüßen euch alle als die SA Jesu Christi und die SS der Kirche, ihr wackeren Sturmabteilungen und Schutzstaffeln im Angriff gegen die Not, Elend, Verzweifelung und Verwahrlosung, Sünde und Verderben.“
(Quelle: Horst Schirmacher, Pfarrer und Direktor des Centralausschusses der Inneren Mission, Festvortrag auf dem Diakonentag 1933, Zit. n. reimbibel.de)
Eine ziemlich umfangreiche Zitatesammlung zu diesem Thema hat Wolfgang Klosterhalfen zusammengestellt.
Ein Grund, auch nicht Advent zu sagen
Das eingeschobene Argument, man solle die Vorweihnachtszeit als Advent bezeichnen, weil die Nazis den Begriff „Vorweihnacht“ verwendet hatten kann man als indirekte Diskreditierung der Leute interpretieren, die diese Zeit heute – aus welchen Gründen auch immer – nicht als Advent bezeichnen.
Während die Wochen bis zum Weihnachtsfest nun mal trotzdem die Vorweihnachtszeit ist, transportiert der Begriff „Advent“ die bis zum Beweis des Gegenteils faktisch falsche und rein fiktive Behauptung, ein Gottessohn käme jedes Jahr immer wieder auf der Erde an.
Naschen statt Fasten
3. Und jetzt die bittere Pille für alle Naschkatzen: Der Advent war ursprünglich eine Fastenzeit. Bis Weihnachten! Und die ganzen Süßigkeiten heute? Die Plätzchen? Waren ein Trick! Beim Fasten knabberte man nämlich an kleinen, gut haltbaren, einfachen Plätzchen. Die Klöster haben außerdem mit kostbaren Zutaten Plätzchen gebacken und vor Weihnachten verschenkt.
Waru ausgerechnet das alte christliche Motto: „Wasser predigen und Wein saufen“ zu den „Big Five“ im Advent zählen soll, erschließt sich mir nicht wirklich. An Tricks, die sich selbst oder Anderen auferlegten Fastenregeln zu umgehen, hatte es den Gläubigen jedenfalls nie gemangelt.
Offenbar schienen die Mönche davon auszugehen, dass ihr allwissender Gott ihren (Selbst-)betrug schon nicht bemerken würde.
Während heutzutage das Fasten gerne als gesundheitsfördende Maßnahme verkauft wird, war der religiöse Zweck der, das auf das Fasten folgende und mit Schlemmerei verbundene religiöse Fest umso glänzender und erstrebenswerter erscheinen zu lassen.
Außerdem kann die Fastenzeit auch als Metapher für das zu erleidende irdische Leid verstanden werden, das dann mit der versprochenen exklusiven Erlösung belohnt wird. Den „richtigen“ Glauben vorausgesetzt, natürlich.
Schenken
4. Apropos Schenken. Im Advent denken wir an andere wie nie. Das Spendenaufkommen ist zwei bis dreimal so hoch wie im restlichen Jahr. Ob wir das 2022 schaffen? Hoffentlich, denn die Schlangen der Bedürftigen werden bei allen Hilfsangeboten immer länger. Also: Auch wenn viele von uns den Gürtel enger schnallen müssen – es ist eine – nicht nur – christliche Grundhaltung, sich um andere zu kümmern. Und bewiesen: Es macht glücklich!
Die Tradition des Schenkens gehört, genauso wie der Weihnachtsbaum, das Datum des Festes und viele andere Features zu den Dingen, die das Christentum von anderen Kulten und Religionen übernommen und für die eigenen Zwecke instrumentalisiert hatte.
Parallelen zum oben angesprochenen „Vorweihnachten“-Kalender der Nazis sind sicher nicht zufällig: Die Einverleibung und Instrumentalisierung für eigene Zwecke von Kulten, Kultstätten, Gebräuchen, Göttern und Lehren, die man nicht auslöschen und vernichten konnte, zählt zu der Königsdisziplin des Christentums.
Experten auf diesem Gebiet, wie etwa der „Heilige“ Bonifatius wurden und werden bis heute von der katholischen Abteilung als Glaubenshelden verehrt und gefeiert. Auch dafür, andere Kulte ausgelöscht und deren Kultstätten mit roher Gewalt zerstört zu haben.
Zurück zum Schenken im Advent:
Anderen Menschen zu helfen, ist eine menschliche Grundhaltung. Zu einer christlichen Grundhaltung wird sie erst, indem ganz unnötig noch der Gott der biblisch-christlichen Mythologie ins Spiel gebracht wird. Das Leid und die Not der Mitmenschen reichen als Anlass zu spenden offenbar nicht aus. Die brauchen zusätzlich noch die Einbildung einer postmortalen Belohnung.
Wer spenden möchte, sollte sich die Organisation, die er unterstützt und deren Rechenschaftsberichte sehr genau ansehen. Denn kirchliche Organisationen sind ja oft der Ansicht, die Verbreitung ihres Glaubens sei ebenfalls den effektiven Hilfsmaßnahmen zuzurechnen.
Und eine solche Missionierung, die nicht selten sogar die eigentliche, ursprüngliche Motivation für Hilfsengagement war (Stichwort: Missonswerk), kann man kaum unterstützen wollen, wenn man sich den Impact des Christentums auf die Menschheit vor Augen führt.
Wer an kirchliche Organisationen spendet, sollte sich auch jedes Mal fragen, was die Gründe dafür sein könnten, dass der Spendenanteil seitens der Kirchenkonzerne üblicherweise falls überhaupt vorhanden im Verhältnis zum kirchlichen Multimilliarden-Vermögen sehr überschaubar ist.
Weihnachtsmarkt
5. Die Adventsschlagzeile 2022: Endlich wieder Weihnachtsmarkt! Unsere Sehnsuchtsorte sind zurück. Als Kirche gehen wir auch hin: Jeden Samstag feiern wir bei uns in Fürth Andacht, draußen mit Kranz, Singen, Gebet zum Himmel und hinterher dann Punsch oder Mandeln. Vielen Menschen tut das gut. Mir auch. Mein Gefühl: In diesem Jahr erleben wir auf den Märkten besonders, wie viel Zusammenhalt wert ist und wie friedlich es zugehen kann. Könnte.
Klar: Wenn die Schäflein nicht mehr in die Kirche kommen, dann kommt die Kirche eben raus zu den Schäfchen. Wenn man schon eine Veranstaltung direkt vor der Kirchentüre hat, mit der man selbst keine Arbeit hat, die zumindest dem Namen nach noch irgendwas mit Kirche zu tun hat und die sogar noch Publikum anzieht, dann wäre es ja töricht, das Glühwein-und-Lichter-induzierte Wohlgefühl nicht auch für religiöse Zwecke zu nutzen.
Statt in den Himmel zu beten könnte man im Advent freilich auch mal gemeinsam darüber nachdenken, inwieweit Religion direkt und indirekt an den Faktoren beteiligt ist, wegen derer Frau Schardien mit „Könnte“ noch einen Konjunktiv hinterherschieben muss, wenn es um friedliches Miteinander geht.
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