Die Legende von der christlichen Moral: Selbst bei nicht oder nicht mehr Gläubigen hält sich bis heute die Vorstellung, das Christentum sei selbst heute noch eine irgendwie bedeutsame Moralquelle. Um die 10 Gebote kommt man zumindest während der Schulzeit kaum herum. Und da war doch noch irgendwas mit Nächstenliebe – das kann ja auch nicht so ganz verkehrt sein.
Wer so denkt, hat sich meist kaum jemals näher mit diesen Themen beschäftigt. Besonders ist meiner Erfahrung nach vielen nicht bewusst, dass die christliche Glaubenslehre ja auf dem angeblichen Willen eines von Menschen erfundenen Phantasiewesens basiert. Und nicht etwa auf der Würde und Freiheit des Individuums.
Dazu kommt, dass sich Kirchenfunktionäre bis heute wie selbstverständlich zu politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Themen äußern. Wenn zum Beispiel Vertreter der katholischen Kirche meinen, etwas über die Bedeutung des Begriffes „Ehe“ sagen zu können, so fragt man sich vielleicht schon mal, auf welcher Grundlage die Kirche überhaupt meint, etwas zu Themen, die das Leben aller Menschen betreffen sagen zu können.
Und schließlich geht’s ja nicht nur um eine Meinungsäußerung, die natürlich jedermann und, falls gestattet selbstverständlich auch jederfrau zugestanden sei. Denn auch heute noch treffen Politiker Entscheidungen, bei denen sie sich auf die christliche Morallehre beziehen. Oder genauer: Auf das, was sie darunter verstehen.
Wirft man einen Blick in die (Kriminal-)geschichte des Christentums, so fällt auf, dass ausnahmslos jeder Standpunkt problemlos biblisch begründet und rechtfertigt wurde und bis heute wird. Das Spektrum reicht von Nächsten- und Feindesliebe bis hin zum Völkermord.
Die Legende von der christlichen Moral
Aber wie kann das sein? Wo es sich doch bei der Bibel nach christlicher Auffassung um das Wort von Gott himself handeln soll? Eine übergeordnete, endgültige Wahrheit?
Dieser Frage geht Dr. Andreas Edmüller in seinem Buch „Die Legende von der christlichen Moral“ auf den Grund. In gewohnt deutlich-klarer Sprache und hervorragend strukturierter Art und Weise belegt Edmüller seine These, dass das Christentum moralisch orientierungslos sei.
Zum Einstieg stellt der Autor die normative Beliebigkeit des Christentums anhand von Beispielen dar. Nicht mal innerhalb einzelner Konfessionen besteht Konsens zu grundlegenden Fragen wie Sexualmoral, Tötungsverbot oder zur Hölle. Schon gar nicht, wenn man die Aussagen zu diesen Themen über einen längeren Zeitraum betrachtet.
Im nächsten Kapitel beantwortet Edmüller die Frage, was ein Moralsystem überhaupt ist und welche Mindestanforderungen ein solches erfüllen muss. Diese Minimalanforderungen werden verständlich herausgearbeitet. Anschließend überprüft der Autor, inwieweit das Christentum diese Anforderungen erfüllt. Hier kommen die wichtigsten Punkte zur Sprache, die von christlicher Seite gern als Basis der christlichen Moral genannt werden wie zum Beispiel die Zehn Gebote, das Liebesgebot, die Bergpredigt und natürlich die Bibel.
In einem Exkurs geht Edmüller der Frage nach, inwieweit Naturrecht, Vernunft und Autorität als Basis einer Morallehre taugen.
Das Entscheidungsverfahren und die Begründung der christlichen Moral sind Inhalte der folgenden Kapitel. Hier stellt Edmüller besonders die Haupthindernisse der christlichen Begründungsargumentation heraus.
Einige der oft genannten Gottesbeweisversuche und woran sie scheitern, erfährt der Leser im 8. Kapitel.
Der letzte Abschnitt des Buches beleuchtet nochmal die Probleme, die sich aus der „Legende von der christlichen Moral“ ergeben und welche Schritte in Richtung Säkularität der Autor für erforderlich hält.
Fazit: Ein lesenswerter Beitrag zu Aufklärung und Säkularisierung
In der Diskussion mit Gläubigen und besonders auch in der Auseinandersetzung mit den öffentlichen Verkündigungen von Kirchenvertretern fällt mir immer wieder auf, dass Andreas Edmüller mit diesem Buch ein grundlegendes Problem des christlichen Glaubens handwerklich sauber, gut verständlich und nachvollziehbar aufzeigt: Der vermeintliche Wille eines Phantasiewesens taugt nicht als Basis für moderne ethische Standards.
Gerade weil sich dieses Buch mit einem Themenkomplex befasst, in dem man oft mit theologisch-vernebelnd-verschwurbelter Sprache konfrontiert wird, machen die klar formulierten, logisch aufgebauten und sauber begründeten Argumente und Herleitungen Edmüllers dieses Buch zu einem Lesevergnügen.
Und bei der nächsten „Moralpredigt“ eines christlichen Kirchenangestellten zu gesellschaftlichen oder politischen Themen wird sich der Leser vermutlich fragen: „Was meint der eigentlich, auf welcher Grundlage er etwas Sinnvolles zu diesem Thema beitragen kann?“
Edmüllers Fazit:
Die moralische Relevanz des Christentums ist im Rahmen verantwortungsvoller und vernünftiger Diskussion vernachlässigbar, ja oft genug sind christliche Positionen sogar schädlich.
Ausführliches Interview vom Ketzerpodcast mit dem Autor
Weitere Rezensionen und Quellen
- hpd: Über die Beliebigkeit christlicher Moralvorstellungen
- Ratgebernewsblog: Rezension: „Die Legende von der christlichen Moral“ von Andreas Edmüller
- Atheist Media Blog: Andreas Edmüller: Die Legende von der christlichen Moral
- Ketzerpodcast via podcast.de: S.13 Andreas Edmüller: Die Legende von der christlichen Moral
- Tectum Verlag: Inhaltsverzeichnis (PDF)
- Google Books: Leseprobe
Andreas Edmüller: Die Legende von der christlichen Moral.
Warum das Christentum moralisch orientierungslos ist
Marburg 2015, 250 Seiten
Das Buch ist für 17,95 Euro beim Tectum Verlag erhältlich.
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6 Gedanken zu „Buchtipp: Die Legende von der christlichen Moral: Warum das Christentum moralisch orientierungslos ist“
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