Papst Benedikt, der große Denker

Lesezeit: ~ 5 Min.

Tote soll man ruhen lassen, aber laut seiner eigenen Lehre ist Papst Benedikt nicht tot, sondern nur heimgekehrt. Insofern herrscht Ungewissheit darüber, wie lange man pietätvoll abwarten soll, bis man sein Pontifikat ehrlich bewerten darf. Ein Gastbeitrag von Jörn Dyck

Selbstverständlich gilt die noble Wartefrist nicht für Katholiken, die sich auf den großen Nachrichten-Webseiten ausführlich darüber auslassen, wie weise, klug und scharfsinnig der Verstorbene war. Kaum hatte der Pontifex den letzten Seufzer getan, flogen allerorts die katholischen Fingerkuppen über die Tasten. Das geistige Erbe muss erbeutet und in Sicherheit gebracht werden, bevor es womöglich atheistische Schmierfinken stehlen und beschmutzen!

Typen wie ich. Die keinen Respekt haben.

Habe ich Respekt?

Einerseits habe ich Respekt vor dem Leben und seinen verschlungenen Wegen, die sich niemand völlig frei aussuchen kann. Ich habe auch Respekt vor Alter und Tod, und es widerstrebt mir, mich mit alten Leuten zu streiten oder kleinliche Fehden auch nach dem Tod noch fortzusetzen.

Andererseits hat sich Papst Benedikt zu Lebzeiten jeder fairen Auseinandersetzung entzogen. Geschickt vermied er es, sich anerkannten Wissenschaftlern, Historikern oder Philosophen zu stellen. Interviews gewährte er nur den unterwürfigen Hofberichterstattern des Bayrischen Rundfunks, denen er natürlich haushoch überlegen war. In seiner geschliffenen Sprache behauptete er Ungeheuerliches über Ungläubige und Homosexuelle, versagte ihnen aber jede Möglichkeit zur Gegenrede.

Wären die Kritiker und Atheisten zu seinen Lebzeiten fair zu Wort gekommen, dann wäre es ein Abschied mit Respekt. Nicht unbedingt Respekt vor seinen Thesen, aber doch Respekt vor jemandem, der fair gefochten hat. Aber so wie die Dinge stehen, ist es ein Abschied von jemandem, der seine Degenstiche stets aus dem sicheren Hinterhalt gesetzt hat. Den man nie zu fassen bekam. Der sich aus dem Staub gemacht hat.

Die Debatte war immer ungleich und unfair.

Es gehörte zur alltäglichen Gepflogenheit, dass man die schmuddeligen Heiden nicht in den schönen Medien sehen wollte. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben Religionskritiker weitgehend ignoriert, ebenso hielten es die großen Zeitungen und Magazine.

Ich sag’s mal so: Man durfte in der Kirche nie laut sagen, warum der Priester ein Betrüger ist. Aber man durfte wenigstens aufrecht sitzen bleiben, wenn alle anderen niederknieten. Stille Verweigerung war alles, was man hatte.

Und jetzt, in den Tagen des Todes und der Trauer, muss man wieder still sein. Ja, ich respektiere das. Aber ich werde meinen Hut an seinem Grab nicht absetzen. Weil das alles ist, was mir an Gegenrede übrig bleibt.

Der aufrechte Gang, mit Hut, ist das Privileg der Freidenker. Die gebeugte Haltung ist die selbst gewählte Pose der Katholiken. Es war daher zu erwarten, dass die gehorsame Unterwürfigkeit auch in den Nachreden der großen Medien zu finden sein würde. Die letzten zwei Tage habe ich damit zugebracht, möglichst viele Artikel zu lesen. Darüber möchte ich kurz berichten.

Ich gebe zu, es kam stets auch Kritik vor. Aber hauptsächlich waren es Versuche, an seiner eigenen Legende zu stricken. Die Legende besteht darin, er sei ein großer Denker und Theologe gewesen — deswegen auch ein wenig weltfremd und abgehoben. Der Tenor: Etwas ungelenk wirkte sein Gang als Praktiker; aber geradezu brillant tanzte er als Theoretiker.

Nichts davon ist wahr.

Ein großer Theoretiker ist jemand, dessen Theorien sich als wahr erwiesen haben. Aber welche seiner Theorien hätte sich je als wahr erwiesen? Keiner der Artikel enthielt auch nur den winzigsten Beleg dafür. Bei den tatsächlich großen Theoretikern der letzten Jahrhunderte wird uns selbstverständlich mitgeteilt, worin ihre Theorien bestanden. Bei Benedikt: Stille. Er war vermutlich derart theoretisch, dass man lediglich annimmt, er müsse wohl ein großer Theoretiker gewesen sein, wenn nur irgendjemand seine Theorien verstanden hätte.

Die Wahrheit ist viel einfacher: Jemand, für dessen Theorien es auch nach zweitausend Jahren nicht den geringsten Beleg gibt, würde man fairerweise bezeichnen als »alten Spinner«. Ich wäre bereits zufrieden, wenn diese Möglichkeit wenigstens erwogen würde. Dass in den großen Medien überhaupt keine Abwägung stattfand, ärgert mich.

Benedikt entwickelte keine Theorien, sondern Spekulationen. Das ist ein sehr weiter Unterschied. Regelrecht unseriös wurde es, sobald er versuchte, seine Spekulationen als Wahrheiten zu verkaufen. Aber genau damit begründete er seine Karriere. Er war ein Blender, jemand, der mit Rhetorik seine Luftschlösser so real aussehen lassen konnte, dass niemand sie zerstören wollte — schon gar nicht jene, die längst darin wohnten.

War er wenigstens ein großer Priester und Theologe?

Seine Gebete waren wirkungslos, ebenso seine Segnungen. Das ist unbestreitbar.

Quelle: Wikipedia
Quelle: Wikipedia

Es ist keine Sache des Glaubens. Segnungen zielen auf das Diesseits (denn im Jenseits ist bereits alles perfekt), und deswegen lässt sich ihre Wirkung objektiv untersuchen. Aber selbst der ergebenste Katholik wird zugeben müssen, dass es keine Wirkung gab. In den Nachrufen wird sein »Wirken« beurteilt, aber wieso ist dann seine Wirkungslosigkeit als Priester keine Erwähnung wert?

Nach meinem laienhaften Verständnis müsste man als Priester schon recht dämlich sein, wenn man ein Leben lang keinerlei Wirkung erzeugt. Oder ist das üblich bei Priestern? Gerade gläubige Journalisten müssten doch seine Wirkungslosigkeit bemängeln.

Zum Vergleich: Ein Medikament, das zu hundert Prozent wirkungslos bleibt, ist gar nicht so einfach herzustellen. Wenn es gelänge, wären Philosophen lange mit der Frage beschäftigt, warum es dann überhaupt ein Medikament sei. Man müsste auch verhindern, dass es von Abweichlern kopiert wird, die dann behaupten, es gebe verschiedene Arten der Wirkungslosigkeit, die untereinander wesenhaft unterschiedlich wären. Es wäre dringend geboten, dass ein kluger Theoretiker dazu einige Theorien aufstellte, da sonst Irrtümer nicht zu auszuschließen sind.

Damit ich nicht falsch verstanden werde:

Es ist sicherlich statthaft, in einem Nachruf etwas zu übertreiben. Man darf Benedikt ruhig etwas besser darstellen als er war. Ich will daher keine allzu exakten Noten verteilen. Aber er müsste sich doch als großer Priester wenigstens unterscheiden lassen vom schlechtesten Priester aller Zeiten: mich.

Als Priester bin ich nicht nur ungenügend. Sondern ich bin eine Schande für das ganze Gewerbe. Es ist mir selber peinlich, aber es ist die Wahrheit. Ich bekomme selbst die einfachsten Dinge nicht hin. Und doch ist meine Wirkung identisch mit der von Papst Benedikt.

Dafür hätte ich gerne eine Erklärung. Was ein schlechter Priester ist, weiß ich. Aber was ist ein »guter« Priester? Obwohl Benedikt von den Journalisten überall als guter Theologe und Priester gelobt wird, scheint niemand zu wissen, was damit gemeint ist.

Es gibt aber auch Dinge, die wir sehr exakt wissen. Wir wissen, dass Gott mit Papst Benedikt niemals auch nur die kürzeste Silbe gesprochen hat, sonst hätte er es uns erzählt. Weder als Bischof, noch als Kardinal, noch als Papst. Es ist der komplette Fehlschlag.

Gleichzeitig finden sich mühelos viele Priester, Bischöfe und Kardinäle, die mit treuem Augenaufschlag versichern, Gott würde mit ihnen sprechen. Warum dann nicht mit Benedikt?

Da haben wir also einen Papst, mit dem Gott nicht spricht, dessen Gebete und Segnungen wirkungslos sind, und der keine einzige plausible Theorie veröffentlicht hat. Von den Journalisten wird er dennoch bezeichnet als großer Theoretiker, Denker und Priester. Niemand weiß, warum.

Es ist diese Raserei in der Presse, das gemeinsame Zusammenhalten gegen die Vernunft, was es mir unmöglich macht, respektvoll den Hut zu ziehen. Es ist nicht die Religiosität von Papst Benedikt, sondern die Weigerung einer religiös dominierten Öffentlichkeit, nachvollziehbar und ehrlich zu argumentieren oder sich wenigstens dem Diskurs zu stellen.

Man sieht aber auch:

Es spreizt sich langsam eine Lücke auf zwischen den Artikeln der großen Medien und den Leser-Kommentaren. Die Leser-Kommentare bei ZEIT und SPIEGEL sind größtenteils vernichtend, und der Ton wird mutiger. Die Artikel sind davon von noch größtenteils unbeeindruckt, aber man kann schon Schätzungen wagen, wann die Redaktionen gezwungen sein werden, den Stimmungswechsel zur Kenntnis zu nehmen.

Quelle: Wikipedia
Quelle: Wikipedia

Ja, es ist unwürdig, in den Leser-Kommentaren die mächtigen Redaktionen anzukläffen, in der Hoffnung, dass es dort jemanden zum Nachdenken bringt. Aber bei einem Papst-Begräbnis von Würde zu sprechen, ist ohnehin ein Farce. Und einfach stumm zu bleiben wie früher in der Dorfkirche ist auch keine Option.

Man kann die Frage auch umdrehen. Anstatt sich zu fragen, was wir Atheisten überhaupt erreicht haben, wenn in den großen Medien auch im Jahr 2023 noch Päpste verehrt werden wir damals die Pharaonen, kann man sich auch fragen, was Papst Benedikt überhaupt erreicht hat mit seinen genialen Theorien.

Nichts.

Kein normaler Mensch weiß, was er überhaupt wollte. Seine absurden Bücher sind für die meisten Leser unverständlich. Sein wichtigstes politisches Anliegen, die Verhinderung der »Ehe für alle«, ist gescheitert; nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien. Die Vertuschung der sexuellen Übergriffe, die er mitverantwortet hat, sollte das Ansehen der Kirche bewahren. Aber nichts hat es so sehr zerstört.

Das hat Auswirkungen. Seine Beerdigung wird zwar stattfinden vor der eindrucksvollen Kulisse des Vatikans. Es scheint, als sei gegen diese mächtigen Mauern der Ignoranz jeder noch so tapfere Ritter machtlos. Aber es ist mittlerweile eben nur noch eine Kulisse. Die meisten Menschen sind zwar ergriffen von der Darbietung, lassen sich aber zuhause nichts mehr vom Papst vorschreiben.

Die alte Zeit, in der Päpste noch echte Macht hatten, steckt ebenfalls in der Kiste, die man am Donnerstag unter dem Petersdom versenken wird. Das werde ich mir gerne ansehen.

Jörn Dyck ist Autor der Bücher Ist der Papst ein Betrüger? und Kompakt: Die Morde der Bibel.

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6 Gedanken zu „Papst Benedikt, der große Denker“

  1. Die Berichterstattung über Ratzinger und sein Leben in den großen Medien ist schlicht und einfach ein Armutszeugnis unseres einst qualitativ hochwertigen Journalismus: Charakterlose Beschönigung, hirnfreie Lobhudelei und beschämende Vertuschung als Standardprogramm – mit erbärmlicher Feigheit als Grundeinstellung.

    Als Theologe hat Ratzinger wie die meisten anderen seiner Zunft gerade so viel getaugt wie ein beliebiger Astrologe oder Tarotkundiger mit überdurchschnittlichem Fremdwortschatz. Hans Albert hat dafür den Nachweis erbracht. (Joseph Ratzingers Rettung des Christentums: Beschränkungen des Vernunftgebrauchs im Dienste des Glaubens. Aschaffenburg, 2008.)

    Als Führungskraft hat er wesentlich dazu beigetragen, dass Missbrauch und Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen in seiner Kirche systematisch vertuscht und damit begünstigt wurden. Der Prozess gegen ihn in Traunstein wird leider nicht mehr stattfinden. (https://www.sueddeutsche.de/bayern/papst-benedikt-prozess-traunstein-missbrauch-katholische-kirche-1.5689118)

    Als Mensch hatte er selbst im Ruhestand nie die Größe, die Wahrheit zu sagen und mitzuhelfen, die zahllosen Verbrechen zu benennen und aufzudecken, von denen er wusste und die unter seiner Führung begangen oder vertuscht wurden. Das ist eine zynische Verhöhnung und offene Verachtung der Opfer.

    Die Heiligsprechung wird nicht lange auf sich warten lassen.

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  2. Da hat der Herr Ratzinger also doch noch die viel zu lang angestrebte Beförderung erhalten.
    Hofentlich gibts dazu auch noch ne Gehaltserhöhung, denn so ne Ewigkeit kann ganz schön lang sein und sich hart auf die Lebenshaltungskosten auswirken…

    Antworten
  3. „Wir sind Papst“ schnappatmete BLÖD seinerzeit.
    Sind wir jetzt tot? 😉

    Spass beiseite:

    Wer sich ein wenig auskannte und z. B. auch – nicht nur – die Kommentare von Uta Ranke-Heinemann über Ratzinger gelesen hatte, wusste schon damals, dass dieser Mann weder ein grosser Theoretiker im wissenschaftlichen Sinne noch Reformer, noch Charismatiker, ja noch nicht einmal ein Populist war, sondern ein staubtrockener Vollstrecker und Verwalter der Inquisition, ein Experte der katholischen Dogmatik, ein Schriftsteller auf Katechismus-Niveau, ein Pius-Brüder-Sympathisant, kein Theoretiker, sondern ein Hypothetiker, kurzum ein gescheiterter, aber verschlagener Märchenerzähler, der seine Märchen als „Glaubensgewissheiten“ – welch ein Widerspruch – und „göttliche Wahrheiten“ zu verkaufen suchte.

    Und das „de mortuis nil nisi bene“ sollte man Verstorbenen vorbehalten, die es verdient haben oder denen man nahe stand.
    Alles andere wäre aufgesetzt und Heuchelei.

    Und wie Herr Dyck schon richtig beobachtet hat, ist das „gemeine Volk“ in der Beurteilung Ratzingers schon wesentlich weiter und ehrlicher als unsere romantisierenden und zumindest in diesem Fall deutschtümelnden Politiker und Medien.

    Bin mal gespannt, wie die Wunder aussehen, die er gewirkt hat, wenn er heilig gesprochen werden sollte. 😉

    Antworten
    • Vielen Dank für diesen qualitativen Nachruf 😘

      Nun wird wieder ein Stellvertreter eines eingebildeten Gottes, für einen idiotischen Hirtenglauben, als großer Geist und Denker stilisiert.
      Heuchelei allüberall, sämtliche Gazetten überschlagen sich.
      Man kennt das mittlerweile, nirgends wird soviel gelogen wie am Grab.

      🤔 Wenn der gute Kyrill I. stirbt, reisen dann unsere Politiker auch ans Grab?
      Schreiben dann unsere Gazetten auch vom großen Geist und Intellekt?
      Ist doch genau die gleiche Religion und der gleiche Gott, oder?
      Bin mal gespannt!

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