Der alte Mann und das Mietshaus – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

Der alte Mann und das Mietshaus – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Wolfgang Beck, veröffentlicht am 29.04.2023 von ARD/daserste.de

Darum geht es

In Sachen bezahlbarer Wohnraum verlangt Pfarrer Beck von Kirche und Christen Anteilnahme, Diskussion und unangenehme Fragen. Also nichts, was tatsächlich Kosten verursachen würde.

Etwa ein Drittel ihrer Immobilien, nämlich rund 40.000 Gebäude werden die großen Kirchen bis 2060 verkaufen müssen – so lautete eine Pressemitteilung am 2. Mai. Sind wir also gespannt, was Pfarrer Beck zu diesem Thema beizutragen hat.

Ein Immobilienkonzern mit einem Portfolio wie die Kirche und gleichzeitig angeblich höchsten moralischen Ansprüchen sollte da ja einige Möglichkeiten haben. Sollte man meinen.

Neulich beim Mietshaussyndikatstreffen…

Zum Einstieg berichtet Beck von einer Begegnung mit einem älteren Herren. Der überlegt, sein großes Haus für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt zur Verfügung zu stellen.

Grund für dieses Ansinnen sei die Überzeugung des Mannes, dass seine Erben nicht noch mehr Geld von ihm erben müssten. Hätte es wenigstens einen Hauch religiöser Motivation (Stichwort: „Nächstenliebe“) gegeben – Herr Beck hätte es sicher nicht unerwähnt gelassen.

Nachdem er den Senior dann eben nur für dessen soziale Einstellung gelobt hat, verrät Pfarrer Beck, wie großartig es für ihn sei, Zitat: „nach einem langen Tag gerne die eigene Wohnungstür hinter sich schließen“ zu können. Ja, Backoblaten verzaubern ist bestimmt ganz schön anstrengend – da haben wir natürlich Verständnis. 😉

Und schließlich hat man als gläubiger Christ ja auch nach Feierabend noch den allgegenwärtigen lieben Gott als Dauergast zuhause herumsitzen, der unterhalten werden möchte…

Kapitalismuskritik aus dem kirchlichen Glashaus

Es folgt die alt bekannte, offenbar unvermeidliche Kapitalismuskritik:

Und ich kenne auch diejenigen, die beim Vermieten und Verkaufen versuchen, so viel Erlös rauszuholen, wie nur irgendwie machbar ist. Das ist nicht nur die Logik von Immobilienkonzernen.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Der alte Mann und das Mietshaus – Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Wolfgang Beck, veröffentlicht am 29.04.2023 von ARD/daserste.de)

Nein. Das ist die selbe Marktwirtschaft, von der auch die Kirchen profitieren. Und die Kirchen gehören zweifellos zu den Big Players im Immobilien-Business:

Bis 2060 werden die großen Kirchen bis zu 40.000 ihrer Immobilien verkaufen müssen.

(Quelle: tagesschau.de: Kirchen müssen viele Gebäude aufgeben)

40.000 Immobilien, das entspricht etwa dem Drittel aller Immobilien, die sich derzeit noch im Besitz deutscher christlicher Kirchen befinden.

Church for sale

Das aktuelle Portfolio des evangelischen Kirchenkonzerns etwa mit Grundstücken, Wohn- und Kirchengebäuden ist auf der Webseite kirchengrundstuecke.de ersichtlich. Auch die Katholiken versuchen, ihren Immobilienbestand gewinnbringend zu reduzieren und haben entsprechende Strategien entwickelt:

Das erst 1958 gegründete Ruhrbistum ist besonders mit dem Problem konfrontiert. Denn Gründerbischof Franz Hengsbach (1910-1991) löste einen Bauboom aus, damit jeder Katholik auf dem „Pantoffelweg“ seine Kirche erreichen konnte. Das führt nun zu Handlungsdruck. Langfristig will das Bistum nur noch 84 Kirchen unterhalten – für rund 160 braucht es damit früher oder später eine neue Verwendung.

Die anderen 26 Bistümer in Deutschland haben mehr oder weniger ausgefeilte Ideen zur Gebäudereduktion. Mainz und Hildesheim wollen ihren Bestand in diesem Jahrzehnt halbieren. Das Erzbistum Paderborn entwickelte eine Dreistufen-Strategie, um von seinen 3.000 Bauten runterzukommen.

(Quelle: katholisch.de: Kirchen in „Pantoffelweg“-Nähe sollen weniger werden – So wollen die Bistümer ihren Immobilienbestand reduzieren)

Umgekehrt haben Kirchen aber auch gute Gründe, den Wert ihrer Immobilien zu drücken:

Bei einer evangelischen Fachtagung zur Frage des kirchlichen Immobilienbesitzes sagte einer der anwesenden Kirchengemeindevorsteher zu den Immobilienmaklern: „Es ist ja gut gemeint, wenn Sie richtig sagen, dass unser schönes großes Pfarrhaus, das wir nicht mehr brauchen – weil der Pfarrer lieber in einer Mietwohnung wohnt, wo er nach Feierabend seine Ruhe hat –, einen Marktwert von zwei Millionen hat. Aber das werde ich meinem Gemeindevorstand nicht berichten. Es weckt sofort die verschiedensten Begehrlichkeiten, denn alle Aufgabenbereiche sind der Meinung, zu wenig Geld zu bekommen, und wir hätten umgehend einen sozialen Krieg der Missgunst unter den Mitgliedern. So geht es zwar nur schlecht und recht, aber wir haben Frieden in der Gemeinde.“

(Dr. Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen, S. 13)

So viel zur „christlichen Soziallehre“ und ihrer praktischen Umsetzung, von der gleich noch die Rede sein wird. Ein weiterer Kommentar erübrigt sich. Wer sich für das Thema Kirchenfinanzen interessiert, wird bei Carsten Frerk fündig.

Also für mich als Christen…

Gerade deshalb fasziniert mich der alte Mann mit seinem Haus. Ihn lassen die Meldungen über die Mietpreise und die Not vieler Menschen mit geringeren Einkommen nicht kalt. Er überlegt zumindest, wie sein Beitrag aussehen könnte. Schon das ist für mich als Christen ein Vorbild: Ich traf ihn bei einem Treffen vom „Mietshaussyndikat“, einem Netzwerk für Gruppen, die gemeinschaftlich leben. Sie sorgen mit ihrem Finanzierungskonzept mittlerweile in vielen Projekten in ganz Deutschland dafür, dass mit Häusern nicht mehr spekuliert werden kann.

Hier zeigt sich einmal mehr die Kompatibilität des Christentums zu praktisch jeder beliebigen Gesinnung.

Und so passt auch das „Mietshaussyndikat“, bei dessen Treffen Herrn Becks Begegnung stattgefunden haben soll und dem Judith Vey eine „funktionierende Verbindung anarchistischer, direktdemokratischer und marxistischer Ansätze … attestiert“ (Quelle: Wikipedia) offenbar genauso problemlos zum Christsein wie die Bereicherung an fremdfinanzierten Immobilien:

Der Bau der stationären Einrichtungen von Caritas und Diakonie wird entweder komplett (z. B. Krankenhäuser, Suchtkliniken) oder überwiegend (z. B. Kitas, Altenheime, Kurheime, Familienferienheime) aus Steuergeldern des Bundes, der Länder und Kommunen finanziert. Mit diesen Einrichtungen haben Caritas und Diakonie inzwischen ein Immobilienvermögen erhalten, dessen Wiederbeschaffungswert bei rund 230 Mrd. Euro liegt und allein schon deshalb nicht mehr in staatliche Regie zurück ‚übernommen‘ werden könnte.

Insofern ist die Situation entstanden, dass die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände aus Steuergeldern ein Milliarden-Immobilienvermögen finanziert bekommen haben, dass der Staat nun, wenn er privatisieren wollte, wieder zurückkaufen müsste. Verrückt? Ja, sehr verrückt.

(Quelle: ebenda, S. 222)

Christlicher Mindestanspruch

Die Frage, „wie die Kirchen eigentlich mit ihren Immobilien und Grundstücken umgehen“ bewältigt Herr Beck, indem er sie zwar anspricht und sie als „vor dem Hintergrund der kirchlichen Soziallehre für alle fordernd und unbequem“ bezeichnet. Das wars dann aber auch schon.

A propos Fordernd und unbequem: So stelle ich mir den Versuch vor, das tatsächliche Handeln mit irgendeiner Soziallehre in Einklang zu bringen.

Es ist keine Frage, bei der wir als Kirchen oder als einzelne Christ*innen einfach mit dem Blick in die eigene Tradition eine einfache Lösung anbieten können.

Was auch immer Herr Beck mit seinem Geschachtel konkret sagen möchte: Zumindest die Kirche als Multimilliardenkonzern wäre selbstverständlich in der Lage, einfache Lösungen anzubieten. Nicht nur in Sachen Wohnraum. Wenn diese Lösungen aber nicht nur einfach, sondern auch wirksam sein sollen, dann wäre das jedoch mit Kosten verbunden.

Allerdings stimme ich Herrn Beck zu: Mit dem Blick in die eigene Tradition, also in die Tradition der Kirche ist nicht damit zu rechnen, dass diese einen nennenswerten Anteil ihres eigenen Vermögens tatsächlich jemals für soziale Zwecke aufbringen wird.

Also mehr können wir da jetzt auch nicht tun…

Wenn man, wie die christlichen Kirchen in Deutschland, auf ein stattliches staatliches Fremdfinanzierungsmodell zurückgreifen kann, überlässt man die Kosten natürlich – und ganz im Sinne des gerade noch kritisierten Kapitalismus – der Allgemeinheit. Und beschränkt sich auf kostenlose Beiträge. Wie etwa moralische Belehrungen:

Aber es ist eine Not, die uns eben auch nicht egal sein kann. Diesen Mindestanspruch habe [sic!] Menschen mit christlichem Glauben: Dass wir mit allen aktuelle Nöte teilen und solidarisch sind. In den aktuellen Debatten um die Wohnungsnot sind unbequeme Fragen zu stellen. Mögliche Lösungen zu diskutieren, anstatt die eigene Wohnungstür zuzuziehen.

Ich frage mich, warum Herr Beck ausdrücklich von Christen erwartet, dass sie mit allen aktuelle Nöte teilen und solidarisch sind?

Eigens für diesen Zweck bietet Götterglaube seinen Anhängern das Konzept des Gebetes. Wäre dieser Götterglaube etwas anderes als rein fiktive menschliche Wunschvorstellung und Einbildung, dann könnte es ja durchaus sinnvoll sein, sich mit Problemen auch im Interesse Dritter an die jeweils geglaubte Gottheit zu wenden. So ist es nichts weiter als geistige Selbstbefriedigung.

Und so gesehen verhalten sich Christen genauso wie ihr Gott: Der es ja angeblich auch vorzieht, bei jedem noch so unmenschlichen und unerträglichen Leid stumm und vor allem tatenlos mitzuleiden.

Minimaler christlicher Mindestanspruch

Damit ist der eigene Anspruch tatsächlich auf ein absolutes Minimum reduziert, sinngemäß: Wir würden ja gerne, aber es ist halt nicht einfach und so dicke haben wirs ja auch nicht...

Bei der Kirche klingt das dann natürlich anders: „Wir haben ja sogar dafür gebetet, mehr können wir jetzt auch nicht tun. Außer vielleicht noch Kritik üben an dem System, von dem wir selbst so üppig profitieren.“

Die Zeiten, in denen das Christentum noch Glauben machen konnte, Christsein bedeute, „mit allen aktuelle Nöte zu teilen und solidarisch“ zu sein, sind längst vorbei.

Zumindest was die Kirchen angeht, verschleiern solche Aussagen lediglich den Umstand, dass es auch bei ihr in erster Linie um Geld geht.

Jeglichen Anspruch, in Sachen Ethik und Moral etwas Plausibles, vernüftig Begründetes und somit Ernstzunehmendes beitragen zu können, hat das Christentum längst verspielt. Stichwort: Blick in die eigene Tradition…

Gott ist gütig, Gott ist klasse,
aber leider knapp bei Kasse.

Hat kein Geld fürs Personal.
Pfarrer, Bischof, Kardinal:

Diese Jungs sind ziemlich teuer,
knapp wird da die Kirchensteuer.

Hilfe für das Sündikat
kommt jedoch von Vater Staat.

Der hilft gern beim frommen Werk.
Näheres weiß Carsten Frerk.

Wolfgang Klosterhalfen
reimbibel.de

Fazit

Ich wage die Prognose, dass die Kirchen den Erlös aus dem Verkauf eines Drittels ihrer Immobilien in den kommenden Jahrzehnten vorrangig, wenn nicht sogar ausschließlich zur eigenen institutionellen Palliativversorgung, also für sich selbst aufwenden wird.

Pfarrer Becks heutige phrasenreiche wie aussagearme Verkündigung wirkt auf mich wie der Versuch einer vorauseilenden Pro-Forma-Entschuldigung und Rechtfertigung dafür.

Sinngemäß: Bevor uns jemand danach fragt, erklären wir schon mal vorsorglich, dass das alles ja nicht so einfach ist und dass wir Christen ja schließlich immerhin solidarisch bei jeder Not und somit auch bei jeder Wohnungsnot mitleiden…

Einen schönen Sonntag!

Keine Segnung diesmal? …na wenn das mal gut geht…

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4 Gedanken zu „Der alte Mann und das Mietshaus – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Der Immobilienmarkt wird wahrscheinlich weiter abschmieren. Ich nehme an, Herr Beck wird uns dann in ein paar Monaten dazu aufrufen, im Geist christlicher Nächstenliebe für das kirchliche Immobilienimperium zu spenden: „Aber es ist eine Not, die uns eben auch nicht egal sein kann.“

    Antworten
  2. Ganz schwaches WzS!

    Wie immer, wenn es sich um irgendwelche Notsituationen der Menschen handelt, erklären sich die Kirchen fluchs – um den Zug nicht zu verpassen – mit diesen solidarisch, wie auch hier bei der Wohnungsnot.

    Herr „Professor“ „Dr.“ Beck gibt sich vordergründig verständnisvoll, will auch kritische Fragen stellen – sogar an die eigene Kirche, unterstelle ich jetzt mal grosszügig, nicht nur an den Staat. Welche das aber genau sind, bleibt er uns schuldig, da er ja dann konkret werden müsste.
    Er raunt nur etwas von dem grossen Immobilienbesitz der Kirchen. Das war`s dann aber auch schon mit faktenbasierter Kritik.

    Und wenn dann mal tatsächlich ein Anstoss von Seiten der Kirchen kommt, die Finanzierung derselben auf eine neue Grundlage zu stellen, sprich Ablösung der staatlichen Leistungen einschl. Kirchensteuer, dann werden wieder dermassen hohe Entschädigungen bzw. Ablösesummen gefordert, dass sich der Bund und die Länder aufgrund der Haushaltslage diese überhaupt nicht leisten können.

    So läuft das: Auf der untersten Ebene der Hierarchie werden die Kleinen vorgeschickt, Selbstkritik vorzuheucheln, aber ganz oben wird eiskalt um Milliarden geschachert.

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  3. 😱 Wer jammert denn da so tränenreich und salbungsvoll (auf unsere Kosten) für die kleinen armen Mieter*innen?

    🤔 „…..so viel Erlös rauszuholen, wie nur irgendwie machbar ist. Das ist nicht nur die Logik von Immobilienkonzernen.

    🤔 Sagt Wer?

    Der Christuskonzern mit multimillarden Vermögen und Immobilien in den besten Lagen (z.B. Kölner Zeil)?
    Die römisch-katholische Kirche, die mit 8250 km² Grundeigentum größter privater Grundbesitzer in Deutschland ist?
    Der Konzern, der mehrere hundert Millionen Euro im Jahr von uns Steuerzahler*innen, ohne Gegenleistung, kassiert?
    Der Betbruder, der kostenlos wohnt?
    NEIN!
    DOCH!
    OH!
    😱 Da hilft dann ja nur noch beten 🙏

    Antworten
  4. >>Und schließlich hat man als gläubiger Christ ja auch nach Feierabend noch den allgegenwärtigen lieben Gott als Dauergast zuhause herumsitzen, der unterhalten werden möchte…<<

    Dieser Nebensatz, hat wirklich den (Christlichen) Glauben an einem Gott auf den Punkt gebracht!
    Und zeigt auch, wie kindlich naiv das ist!
    Weiss ich nicht weiter, kommt mein Vater und regelt das schon! Ihr werdet alle staunen, was Papa alles kann!

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