Alles gut? – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Jammern und Nörgeln

Lesezeit: ~ 5 Min.

Alles gut? – 21 Tage ohne Nörgeln, Schimpfen oder Jammern – Das Wort zum Wort zum Sonntag, gesprochen von Christian Rommert (ev.), veröffentlicht am 26.08.2017 von ARD/daserste.de

Sehen Sie das? Dieses Armband? […] Ich will es schaffen, 21 Tage am Stück auf Jammern und Nörgeln zu verzichten. Also: nicht mehr herummeckern über den Autofahrer vor mir, was bei mir im Straßenverkehr wirklich oft passiert. Mich nicht mehr aufregen, wenn im Fernsehen Mist kommt. Nicht mehr jammern, wenn mein Lieblingsverein aus meiner Heimat-stadt wieder einmal unverdient verliert.

Grundsätzlich ist „Jammern und Nörgeln“ erstmal nur eine Reaktion darauf, dass einem irgendetwas „nicht passt“. Eine solche Empfindung hatte sicher mal einen entscheidenden Überlebensvorteil bedeutet. Und ist deswegen bis heute, wie viele andere menschliche Verhaltensweisen auch, im menschlichen Gehirn verankert.

Wenn im Fernsehen Mist kommt, kann man seine Meinung dazu zum Beispiel in einem Blogbeitrag veröffentlichen. Und beim Fernsehen mal anfragen, warum sie das senden.

Die Armband-Challenge gegen Jammern und Nörgeln

Die Regeln dieser Challenge sind ziemlich einfach: jedes Mal, wenn ich anfange zu jammern, muss ich das Armband von einem Arm an den anderen wechseln.

Wer sich vorgenommen hatte, dem Säbelzahntiger mit Gleichmut zu begegnen, hat nicht lange überlebt. Egal, ob er sein Armband gerade links oder rechts am Handgelenk trug…

Dieses evolutionäre Erbe hat sich bis heute erhalten. Unser Unterbewusstsein ist ständig „auf der Hut.“ Es wittert Gefahren und versucht, jede Wahrnehmung blitzschnell in „harmlos“ oder „potentiell bedrohlich“ einzuordnen. Angreifen oder Fliehen.

Zum Glück sind die meisten Menschen heutzutage nicht mehr pausenlos lebensbedrohlichen Situationen ausgesetzt. Der „Mechanismus“ ist aber geblieben. Und funktioniert nach wie vor.

Heute findet das Unterbewusstsein eben nicht mehr Säbelzahntiger, sondern alles mögliche Andere als „empörenswert.“ Es steht meist nicht mehr das nackte Überleben, sondern „nur noch“ das eigene Wohlempfinden auf dem Spiel.

Religiöse Wunschvorstellungen vernebeln das klare Denken

Zuerst klang es ja auch total einfach: Kein Nörgeln? Kein Jammern? Das dürfte mir als Christ doch nicht so schwerfallen. Ich glaube, dass das Leben ein Geschenk Gottes ist und etwas Wunderbares.

Wer tatsächlich glaubt, das Leben sei ein Geschenk Gottes, der hat noch viel mehr Grund zum Jammern und Nörgeln. Denn so wunderbar das Leben auch sein mag: Leben beinhaltet auch Dinge, die aus Sicht der Lebewesen alles andere als „wunderbar“ sind: Krankheiten, Schmerzen, Hunger, Durst, Verluste, kurz: Leid in allen möglichen Ausprägungen.

Der Versuch, diese natürliche, täglich beobacht- und erlebbare Wirklichkeit mit der Fiktion eines allgütigen Schöpfergottes in Einklang zu bringen, hat nicht selten einen Effekt zur Folge, der als „kognitive Dissonanz“ bezeichnet wird.

Kommt erschwerend hinzu: Die kognitive Dissonanz und ihre Folgen

Das ist der Moment, wenn dem Gläubigen dann doch mal bewusst wird, dass entweder mit der von ihm wahrgenommenen Wirklichkeit, oder aber mit seiner Wunschvorstellung eines wohlmeinenden, allgütigen Gottes etwas nicht stimmen kann.

Und diese Nicht-Übereinstimmung zwischen religiösem Wunsch und natürlicher Wirklichkeit sorgt für ein Unwohlsein, das nicht selten Jammern und Nörgeln zur Folge haben kann.

Die unangenehmen Folgen der „kognitiven Dissonanz“ habe ich in vielen Diskussionen mit Gläubigen immer wieder live miterleben können.

Jammern und Nörgeln: Fester Bestandteil der christlichen Lehre

Jammern und Nörgeln ist und war auch schon immer fester Bestandteil der christlichen Lehre. Schließlich wähnte man sich im „Jammertal“, wie das Diesseits etwa in diesem Kirchenlied bezeichnet wird:

  • Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
    darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
    O komm, ach komm vom höchsten Saal,
    komm, tröst uns hier im Jammertal.
  • Hier leiden wir die größte Not,
    vor Augen steht der ewig Tod.
    Ach komm, führ uns mit starker Hand
    vom Elend zu dem Vaterland.
    (aus: O Heiland, reiß die Himmel auf – Quelle: Wikipedia)

Die Idee dahinter ist einfach: Je unerträglicher das irdische Dasein, desto verlockender das Heilsversprechen eines „ewigen Lebens“ nach dem Tod, der größten Kränkung des narzissischen Selbstbildes. Je größer die Angst und die Unzufriedenheit, desto empfänglicher für Erlösungsmythen aller Art. Und seien sie noch so absurd.

Und so finden sich bis heute christliche Kirchenfunktionäre, denen es nicht peinlich ist, fortwährend irgendwelche obskuren „böse Mächte“, die die Menschheit angeblich bedrohen zu beschwören.

Jammern an der Klagemauer
Klagemauer, Jerusalem

Um dann ihr fiktives, absurdes Heilsversprechen als den einzigen Ausweg „aus diesem Jammertal“ zu verkünden. Man liefert nicht nur die angebliche Heilung, sondern die Krankheit gleich dazu.

In der jüdischen Variante des abrahamitischen Glaubens bedient man sich zum Jammern der Klagemauer.

Katholiken können das Jammern und Klagen zum Beispiel mit Hilfe des „Schmerzhaften Rosenkranzes“ als vielleicht irgendwie meditative, ansonsten aber nutzlose Übung absolvieren.

Protestanten jammern meiner Erfahrung nach am liebsten über die Tatsache, dass der Tod die (bislang noch) unumkehrbare Folge allen Lebens ist. Sie halten den Tod für etwas, das überwunden gehört.

Lernen zu differenzieren

Ich habe das bisher gar nicht so gemerkt, aber ich ärgere mich wirklich über Vieles! Ständig gibt es irgend etwas zu lamentieren.

Sich dessen mal bewusst zu werden, halte ich für eine gute Idee. Und im nächsten Schritt könnte man analysieren, in welchen Situationen vielleicht nur das eigene steinzeitliche Frühwarnsystem mal wieder überreagiert hat.

Denn heutzutage können wir uns tatsächlich viel mehr Gelassenheit gönnen als zu der Zeit, in der zu viel Gelassenheit noch den sicheren Tod zur Folge gehabt hätte.

Umgekehrt heißt das natürlich nicht, dass man grundsätzlich alles klaglos hinnehmen sollte. Wenn man nicht gerade Mitglied eines Ordens ist, in dem eine vollkommene Gleichgültigkeit als höchstes Ziel gilt.

Praktikabel und sinnvoll erscheint mir dieses Motto:

  • Dinge annehmen, die ich nicht ändern kann,
    Dinge ändern, die ich ändern kann
    – und die Kunst, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Oder, wie Ludwig Bechstein es ausdrückte:

  • „Gelassenheit kann man lernen.
    Man braucht dazu Offenheit, Motivation, ein bisschen Ausdauer
    und vor allem Bereitschaft,
    sich von den alten, eingefahrenen Bahnen zu lösen,
    in denen unser Denken und Handeln sich häufig bewegt.“
    – Ludwig Bechstein

Unzufriedenheit als Motivation, etwas zu verändern

Mich hat das nachdenklich gemacht: Ich finde, dass viel zu viel gemeckert wird. Die Dauernörgelatmosphäre macht vieles kaputt in diesem Land.

Andererseits kann „Nörgeln“, also eine Unzufriedenheit mit etwas auch Motivation sein, etwas zu verändern. Eine Veränderung, eine Verbesserung der Situation anzustreben.

Das ist doch gerade für mich als Christ der Auftrag: die Welt zum Guten zu verändern! Doch stattdessen muss ich mir eingestehen, dass ich selber viel zu oft beim Negativen hängebleibe, und statt dankbar zu sein, jammere ich.

Wer die Welt zum Guten verändern möchte tut gut daran, sich an die natürliche Wirklichkeit zu halten. Und diese nicht um esoterische Fiktionen zu erweitern.

Wer seine Hoffnung auf imaginäre Phantomwesen setzt statt sich seiner eigenen Verantwortung oder auch seines Schicksals bewusst zu sein, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Dinge nicht so sind wie man sie gerne hätte.

Denn noch niemals hat auch nur einer der vielen tausend Götter, die sich die Menschheit schon ausgedacht hat, auch nur einmal seriös belegbar ins Geschehen eingegriffen.

Nicht ganz klar ist mir, warum Christen meinen könnten, sie seien beauftragt, die Welt zum Guten zu verändern. In der biblischen Grundlage, die heute für diese Idee von Christen gerne herangezogen wird, geht es nicht darum, die Welt zum Guten zu verändern.

Vielmehr geht es darum, durch bestimmte Verhaltensweisen die eigenen Chancen auf eine postmortale Belohnung zu erhöhen. Und einer ebenso fiktiven Bestrafung nach Möglichkeit zu entgehen.

Jesus war als jüdischer Endzeitsektenprediger fest davon überzeugt, dass das Ende sowieso unmittelbar bevor stand. Mit seinen Anordnungen richtete er sich nur an die Zugehörigen seiner Glaubensgemeinschaft. Anliegen wie etwa Weltfrieden wurden erst viel später in diese Legenden hineininterpretiert.

Jammern abschaffen – oder etwas gegen die Ursachen tun?

Doch wenn ich will, dass auf dieser Welt weniger geklagt und gejammert und getratscht und genörgelt wird, dann muss ich selbst weniger klagen, jammern, tratschen und nörgeln. Irgendwie ist das einfache Mathematik.

Das sehe ich etwas differenzierter: Denn wenn ich tatsächlich beklagenswerte Dinge einfach so hinnehme wie sie sind, erspare ich mir und meiner Umwelt zwar Jammern und Nörgeln. An der Situation habe ich damit aber noch nichts verändert.

Deshalb halte ich es nicht für ausreichend, sich das Jammern und Nörgeln abzugewöhnen, weil es mir ein unangenehmes Gefühl verschafft.

Vielmehr sollte man lernen zu unterscheiden, ob es sich nur um eine Überreaktion der körpereigenen Abwehrfunktion gegen Einflüsse, die das Wohlbefinden beeinträchtigen (könnten) handelt. Dieses „Jammern auf höchstem Niveau“ kann man sich – im eigenen Interesse – tatsächlich abgewöhnen.

Oder ob es um Dinge geht, die durchaus beklagenswert und nicht hinnehmbar sind. Und dann überlegen, wie ich persönlich dazu beitragen kann, dass sich daran etwas zum Positiven verändert.

In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, sich mit den Begriffen „Toleranz“, „Respekt“, „Akzeptanz“ und „Ignoranz“ auseinanderzusetzen. Hierzu empfehle ich das Buch „Die Grenzen der Toleranz“ von Michael Schmidt-Salomon.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
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