Psst! – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 12 Min.

Psst! – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Stefanie Schardien, veröffentlicht am 21.09.2024 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Diesmal versucht Frau Schardien, den biblischen Dämonenaustreiber Jesus als Protagonisten gegen cancel culture in Stellung zu bringen.

Reden ist Silber. Miteinander reden ist Gold: Mit einer Anekdote aus ihrer Jugendzeit startet Frau Schardien ihre heutige Verkündigung.

Jemand hatte sich mit einer Karikatur über seine Mitschülerin lustig gemacht – und sie hatte Angst, was zu sagen, weil sie befürchtete, dass dann ja alles nur viel schlimmer würde. Für sie steht fest: Ziel der Aktion war, sie zum Schweigen zu bringen.

Daran erinnerte sie sich, als sie angeblich kürzlich eine E-Mail zum „Wort zum Sonntag“ bekam:

Das hat jemandem wohl nicht gepasst und so schickt der mir nur zwei Worte mit Ausrufezeichen: „Sei leise!!“ Aber heute – schönen Gruß – nee, bin ich nicht. Seit der Sache in der Schule damals eben nicht mehr.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass es jemand, der sich die Mühe macht, auf ein „Wort zum Sonntag“ mit einer E-Mail zu reagieren bei einem „Sei leise!!“ belässt.

Wir bei AWQ.DE geben uns jedenfalls nachweislich deutlich mehr Mühe zu belegen, dass es uns nicht darum geht, Menschen zum Verstummen zu bringen. Sondern darum, die Sinnhaftigkeit und den Wahrheitsgehalt von religiösen Verkündigungen und die dabei verwendeten theologisch-rhetorischen Tricks kritisch zu beleuchten.

Ob es sich bei der von Frau Schardien erwähnten E-Mail nun um einen fiktiven oder echten Strohmann handelt spielt allerdings auch keine Rolle. Denn es geht ja nur darum, einen Einstieg ins heutige Thema zu finden:

Andere verstummen lassen

Seit damals gehört für mich dieses „Andere verstummen lassen“, andere mundtot machen zu wollen, in die Liga „Böse Mächte“. Die Leben kleinhalten und kaputt machen. Die Bibel nennt sie Dämonen. Da gibt es diese Geschichte, dass ein Dämon einen Mann verstummen lässt. Der hat einfach keine Stimme mehr. Also die Art von Stummheit, die keine Krankheit ist, sondern die aus Furcht entsteht. Die einem den Hals zuschnürt und einen dann viel runterschlucken lässt.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Psst! – Wort zum Sonntag, verkündigt von Stefanie Schardien, veröffentlicht am 21.09.2024 von ARD/daserste.de)

Hier ist schon klar, wo die Reise hin geht: In die biblische 1000-und-eine-Nacht-Märchenwelt.

Zauberheilungen in der Bibel

Ganz allgemein konnten die Bibelschreiber mit Legenden über die angebliche Wunderheilung von Gehörlosen und Stummen durch den göttlichen Stiefsohn ihrer Leserschaft die Erfüllung einer diesbezüglichen Prophezeiung vorgaukeln:

Alsdann werden die Augen der Blinden sich auftun und die Ohren der Tauben sich öffnen;

(Jesaja 35, Vers 5 MENG)

In der Bibel finden sich mehrere Legenden über angebliche Wunderheilungen von gehörlosen und/oder nicht sprechenden Menschen, wie etwa Matthäus 9,32-33 oder Lukas 11,14:

Während diese hinausgingen, brachte man schon wieder einen stummen Besessenen zu ihm; und als der böse Geist ausgetrieben war, konnte der Stumme reden. Da geriet die Volksmenge in Staunen und sagte: »Noch niemals hat man etwas Derartiges in Israel gesehen!«

(Matthäus 9, Verse 32-33 MENG)

Er trieb dann einen bösen Geist aus, der stumm war; und als der böse Geist ausgefahren war, konnte der Stumme reden. Da geriet die Volksmenge in Erstaunen.

(Lukas 11, Vers 14 MENG)

Genau darum geht es in allen diesen Legenden: Um die Volksmenge in Erstaunen zu versetzen.

Aus diesen Stellen geht jedoch nicht hervor, dass es sich tatsächlich um „die Art von Stummheit, die keine Krankheit ist, sondern die aus Furcht entsteht“ handelt.

Diagnose: Dämonenbefall – oder doch Epilepsie?

Leider (oder vielleicht auch: Aus gutem Grund) verrät Frau Schardien nicht, auf welche Bibelstelle sie sich konkret bezieht. Eine solche Interpretation passt wohl am besten zum „sprachlosen Geist“, von dem in dieser Geschichte die Rede ist (Hervorhebung von mir):

Da antwortete ihm einer aus der Menge: »Meister, ich habe meinen Sohn zu dir gebracht, der von einem sprachlosen Geist besessen ist; sooft der ihn packt, reißt er ihn hin und her; dann tritt ihm der Schaum vor den Mund, und er knirscht mit den Zähnen und wird ganz kraftlos. Ich habe deine Jünger gebeten, sie möchten ihn austreiben, doch sie haben es nicht gekonnt.« Jesus antwortete ihnen mit den Worten: »O ihr ungläubige Art von Menschen! Wie lange soll ich noch bei euch sein? Wie lange soll ich es noch mit euch aushalten? Bringt ihn her zu mir!« Da brachten sie ihn zu ihm. Als nun der Geist ihn (d.h. Jesus) erblickte, zog er den Knaben sogleich krampfhaft zusammen, so daß er auf den Boden fiel und sich mit Schaum vor dem Munde wälzte. Da fragte Jesus den Vater des Knaben: »Wie lange hat er dies Leiden schon?« Er antwortete: »Von Kindheit an; und oft hat der Geist ihn sogar ins Feuer und ins Wasser gestürzt, um ihn umzubringen. Wenn du es jedoch irgend vermagst, so hilf uns und habe Erbarmen mit uns!« Jesus antwortete ihm: »Was dein ›Wenn du es vermagst‹ betrifft, so wisse: Alles ist dem möglich, der Glauben hat.« Sogleich rief der Vater des Knaben laut aus: »Ich glaube: hilf meinem Unglauben!« Als Jesus nun sah, daß immer mehr Leute zusammenliefen, bedrohte er den unreinen Geist mit den Worten: »Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht wieder in ihn hinein!« Da schrie er laut auf und fuhr unter heftigen Krämpfen aus; und der Knabe lag wie tot da, so daß die meisten sagten: »Er ist gestorben!« Jesus aber faßte ihn bei der Hand und richtete ihn in die Höhe: da stand er auf. – Als Jesus dann in ein Haus eingetreten (oder: nach Hause gekommen) war, fragten ihn seine Jünger, während sie mit ihm allein waren: »Warum haben wir den Geist nicht austreiben können?« Er antwortete ihnen: »Diese Art (von bösen Geistern) läßt sich nur durch Gebet austreiben.«

(Markus 9, Verse 17-29 MENG)

Die hier beschriebenen Symptome deuten auf eine Epilepsie hin.

Darauf, dass eine Epilepsie (wie alles andere auch) nicht durch böse Geister verursacht wird und auch nicht durch einen Zauberspruch oder durch den Glauben an einen bestimmten Gott geheilt werden kann, und darauf, was demzufolge von dieser angeblichen Heilung zu halten ist brauche ich hoffentlich nicht näher einzugehen.

Der Schlüssel zur Heilung besteht – wie immer – auch hier darin, sich dem „richtigen“ Gott unterworfen zu haben.

Mit der detaillierten Beschreibung der drastischen Krankheitssymptome einer Epilepsie konnte der Bibelschreiber sehr anschaulich darstellen, dass es sich hier um einen besonders schweren Fall von „Besessenheit“ gehandelt haben musste. Zur „Heilung“ reicht da weder der gewöhnliche Glaube des Vaters, noch der Glaube seiner Anhänger aus, um das Kind zu „heilen.“ Da musste der Chef schon persönlich ran.

Skurrile Heilungsmethoden anno Dubak

An einer weiteren Stelle betätigt sich Jesus ebenfalls als Zauberdoktor. Hier erfahren außer zur damals vermutlich gängigen Heilungsmethode (Finger in die Ohren des Patienten stecken, dann dran lecken und dann damit die Zunge berühren) auch im Subtext weitere interessante Details:

Nachdem er dann das Gebiet von Tyrus wieder verlassen hatte, kam er über Sidon an den Galiläischen See (und zwar) mitten in das Gebiet der Zehn-Städte. Da brachten sie einen Tauben zu ihm, der kaum lallen konnte, und baten ihn, er möchte ihm die Hand auflegen. So nahm er ihn denn von der Volksmenge weg abseits, legte ihm, als er mit ihm allein war, seine Finger in die Ohren, benetzte sie mit Speichel und berührte ihm die Zunge; nachdem er dann zum Himmel aufgeblickt hatte, seufzte er und sagte zu ihm: »Effatha!«, das heißt (übersetzt) »Tu dich auf!« Da taten sich seine Ohren auf, die Gebundenheit seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. Jesus gebot ihnen dann ernstlich, daß sie niemand etwas davon sagen sollten; aber je mehr er es ihnen gebot, um so mehr und um so eifriger verbreiteten sie die Kunde; und sie gerieten vor Staunen ganz außer sich und sagten: »Er hat alles wohl gemacht, auch die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden!«

(Markus 7, Verse 31-37 MENG)

Hier wird noch deutlicher, dass es hier eigentlich um Heiden-Missionierung geht:

Die Formulierung „Tu dich auf!“ spielt darauf an, dass die Voraussetzung, um von „bösen Geistern“ geheilt werden zu können, darin besteht, sich dem verkündeten Gott zu öffnen.

Dass Jesus in dessen Namen und Auftrag unterwegs ist und auch selbst über die erforderliche göttliche Macht verfügt, wird durch die Beschreibung der Heilung (in Anspielung auf das Vorgehen des Schöpfergottes) und durch die Reaktion der Leute suggeriert, die ebenfalls Bezug auf den Beginn des biblischen Schöpfungsmythos nimmt.

…und Jesus so: „…aber haltet ja die Klappe, verstanden!?“

Diese Stelle hätte sich für Frau Schardiens Zwecke allerdings weniger gut geeignet. Schließlich gebietet Jesus hier den Leuten, über die Heilung zu schweigen. Und genau da ist sie ja kein Freund von.

Darüber, ob dieses verordnete und von Frau Schardien ja eigentlich kritisierte Verstummen tatsächlich die Absicht von Jesus war, oder ob er einfach nur seine Pappenheimer kannte und genau wusste, dass ein solches Gebot erst recht zur Verbreitung der Legende führen würde (das war so dermaßen außergewöhnlich, dass sie es nicht für sich behalten konnten), kann man nur spekulieren.

Auch die folgende Stelle eignet sich kaum, um Jesus als Protagonisten gegen cancle culture in Stellung zu bringen. Denn auch hier bringt Jesus seinen Gegner zum Verstummen (Hervorhebung von mir):

Jesus mobbt den Dämon

Nun war da in der Synagoge ein Mann, der von einem unreinen (= bösen) Geiste besessen war; der schrie laut auf: »Ha! Was willst du von uns, Jesus von Nazareth? Du bist gekommen, um uns zu vernichten! Ich weiß wohl, wer du bist: der Heilige Gottes!« Jesus bedrohte ihn mit den Worten: »Verstumme und fahre von ihm aus!« Da warf der böse Geist den Mann mitten unter sie zu Boden und fuhr von ihm aus, ohne ihm irgendwelchen Schaden zuzufügen. Da gerieten sie alle in Staunen; sie besprachen sich miteinander und sagten: »Was ist das für ein Machtwort? Mit (göttlicher) Vollmacht (oder: Herrschergewalt) und Kraft gebietet er den unreinen Geistern, und sie fahren aus!« Und die Kunde von ihm verbreitete sich in alle Orte der Umgegend.

(Lukas 4, Verse 33-37 MENG)

A propos „Du bist gekommen, um uns zu vernichten!“ – Genau das hatte der biblische Jesus ja selbst bezüglich seiner vermeintlichen Mission angekündigt:

»Ich bin dazu gekommen, ein Feuer auf die Erde zu werfen, und was sollte ich lieber wünschen, als daß es schon brennte!

(Lukas 12, Vers 49 MENG)

…oder auch hier (Hervorhebung von mir):

»Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen! Nein, ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert (= Krieg). Denn ich bin gekommen, ›um den Sohn mit seinem Vater, die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter zu entzweien, und die eigenen Hausgenossen werden einander feindselig gegenüberstehen‹ (Mi 7,6). Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert; und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert. – Wer sein Leben findet, wird es verlieren, und wer sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es finden.«

(Matthäus 10, Verse 34-39 MENG)

Miteinander reden

Im Moment scheinen diese Dämonen Hochkonjunktur zu haben: Wie oft höre ich, dass Menschen sich fürchten, den Mund aufzumachen? Weil sie Angst haben, dass dann andere gleich explodieren. Weil man sich nur anbrüllt, sowieso weiß, was der oder die sagen wird. Wie oft höre ich: „Über Politik reden wir nicht mehr, übers Wählen schon gar nicht. Kannste vergessen.“ Weil das ja nur Ärger gibt. Ändert doch eh nix.

Eine magisch-mythologische Vereinnahmung, wie zum Beispiel, in diesem Zusammenhang von Dämonen oder bösen Mächten zu sprechen, ist dem Ziel einer sachlichen und zielführenden Debatte nicht zuträglich. Wie soll man jemanden ernst nehmen können, der solche Metaphern verwendet, die ursprünglich gar nicht als Metaphern gedacht waren?

Wiedermal sind es ausgerechnet die religiösen Aspekte, mit denen sich Frau Schardien unglaubwürdig macht. Weil sie ihre Argumentation für eine grundsätzlich begrüßenswerte Verhaltensweise – miteinander reden – damit unnötig schwächt.

Wer hat die besseren Argumente?

Dabei wäre es so wichtig. Wir haben ja viele Themen, für die wir als Gesellschaft, in unserer Stadt, in unserem Dorf oder auch nur im Eltern-Chat eine Lösung finden müssen. Müssen! Weil es anders im Zusammenleben nicht geht. Aber nein: Lieber reden wir nicht mehr einfach mit allen über Politik, und auch nicht über gerechte Sprache, über Migration, übers Fleischessen. Maximal geht noch das Wetter, solange es nicht das Klima ist. Und so laut es um uns ist: Irgendwie wird es zwischen uns immer stiller und stiller. Wenn ich was sage, wird es ja nur schlimmer. Das ist die Art von Stummheit, die uns überhaupt nicht guttut. Weil sie den bösen Mächten in unserem Leben immer mehr Raum lässt.

Ganz einfach: Wenn ich gute Argumente habe, brauche ich eine Diskussion nicht zu scheuen. Und wenn mein Gegenüber bessere Argumente hat als ich, kann ich die Diskussion nutzen, um meine eigenen Argumente zu hinterfragen.

Desweiteren sehe ich keinen vernünftigen Grund, auf Biegen und Brechen mit allen Menschen alles besprechen zu müssen. Manchmal ist Schweigen halt doch Gold.

A propos Stummheit: Wenn Berufschristen die Tabuisierung von bestimmten Themen anprangern, dann schwingt dabei oft auch eine Kritik daran mit, dass sich immer weniger Menschen für ihre religiösen Botschaften interessieren. Das geht dann so weit, dass schon bei einer Hinterfragung dieser Botschaften gar von „Christenverfolgung“ die Rede ist.

Darauf, dass es ganz einfach auch daran liegen könnte, dass alle religiöse Argumente nicht nur sattsam bekannt sind, sondern auch ausnahmslos mühelos widerlegt werden können und das deshalb niemand mehr Interesse an einer solchen Diskussion hat, kommen sie dabei nicht.

Statt sich die schwindende bzw. geschwundene Relevanz ihrer biblischen Legenden und Mythen einzugestehen, behaupten sie lieber, dass die nicht mehr religiöse Mehrheit der Bevölkerung sie zum Schweigen bringen wolle.

Dabei können sie ihren Mix aus irdischer Realität und biblischer Fiktion ja gerne jederzeit zum Besten geben. Aber bitte auf eigene Kosten und nicht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der ja einen Bildungs- und keinen Irreführungsauftrag zu erfüllen hat.

Angst war nicht die Ursache

Darum tut Jesus auch was dagegen in dieser Geschichte mit dem stummen Mann. Gottes gute Mächte gegen die bösen. Jesus befreit den Mann vom Dämon, von der Furcht zu sprechen. Den Dämon schickt er zum Teufel und den Mann zurück zu den anderen Menschen. „Ihr könnt jetzt wieder miteinander reden.“ Ohne Angst.

ChatGPT: In welcher Bibelstelle sagt Jesus: „Ihr könnt jetzt wieder miteinander reden.“ ?

Eine Bibelstelle, in der Jesus sinngemäß sagt: „Ihr könnt jetzt wieder miteinander reden“, gibt es in dieser genauen Form nicht. Es könnte jedoch sein, dass du auf eine Begebenheit anspielst, in der Jesus Menschen heilt, die nicht sprechen konnten. Eine solche Heilung findet beispielsweise in Markus 7,31-37 statt. Dort heilt Jesus einen Mann, der taub war und kaum sprechen konnte, indem er seine Ohren öffnet und die Zunge löst. In Vers 35 heißt es:

„Sogleich öffneten sich ihm die Ohren, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig.“

Eine ähnliche Geschichte findet sich in Matthäus 9,32-33, wo Jesus einen stummen Mann heilt, indem er ihm einen Dämon austreibt, und der Mann daraufhin wieder sprechen kann.

Das Schicksal von erkrankten Menschen für die Verbreitung eines religiösen Gut-Böse-Dualismus zu instrumentalisieren halte ich für frag- und kritikwürdig. Besonders dann, wenn dies nicht von Leuten kommt, die es einfach noch nicht besser wussten. Sondern von einer Zeitgenossin, die eine akademische Ausbildung hinter sich hat.

Cancel culture ist ein gesellschaftliches Phänomen, das unter Anderem beinhaltet, dass Menschen anderen Menschen vorschreiben wollen, nicht mehr sprechen zu dürfen. Das ist etwas grundlegend anderes als die diversen klinischen Ursachen, die dazu führen können, dass Menschen nicht sprechen können.

Und deshalb ist die von Frau Schardien konstruierte Parallele meines Erachtens ein hanebüchener und gescheiterter Versuch, der biblischen Wunderheilungslegende eine Relevanz für die heutige Gesellschaft anzudichten und Jesus als Gegner von cancel culture darzustellen.

Wie schlecht muss das Blatt sein, wenn man meint, damit trumpfen zu können?

Miteinander reden – notgedrungen

Wie befreiend das ist, diese Erfahrung machen manche aktuell beim Hochwasser. In der gemeinsamen Not rücken die Menschen zusammen. Die Dämonen, die verstummen lassen, sind weg. Da wird miteinander geredet: „Was brauchst du? Ich helfe dir. Wo kann ich anpacken? So geht’s vielleicht schneller. Wir schaffen das.“ Schluss mit „Ich sag lieber nix“.

Nicht irgendwelche weggezauberten Dämonen, sondern das konkrete gemeinsame Schicksal ist es hier, das die Menschen dazu bringt, miteinander zu sprechen, sich zu helfen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, statt aus Angst vor Widerrede schon im Voraus zu kapitulieren.

Im Kleinen mag das funktionieren; bei globalen Themen wie zum Beispiel beim Umgang mit dem Klimawandel scheint (bzw. schien) der Leidensdruck global betrachtet noch lange nicht groß genug (gewesen) zu sein, dass eine „kritische Masse“ der Weltbevölkerung (besonders der Teile, die die Möglichkeit dazu haben bzw. hatten) zusammenkommt (bzw. zusammenkam), um gemeinsam in dem Maße aktiv zu werden (bzw. geworden zu sein), wie es erforderlich (gewesen) wäre.

Natürlich ist es trotzdem zu begrüßen, wenn es Menschen wenigstens im Kleinen gelingt, Partikularismus, wie auch Jesus ihn predigte zu überwinden. Das vereinende Element kann dabei nicht der kollektive Glaube an bestimmte magische Phantasiewesen sein. Sondern das Menschsein an sich.

Si tacuisses…

Was für ein Segen zu sehen, wie schnell sich Dämonen auch wieder vertreiben lassen.
Und was für ein Segen zu erleben:
Reden ist Silber. Schweigen… nein, Miteinander (!) reden ist Gold.
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Nacht.

Ginge es Frau Schardien um die Menschen und nicht primär um Reklame für das Christentum, mit dessen Verbreitung sie ihr Geld verdient, dann hätte sie eine Übertragung in die Fabuliersprache ihrer zweckdienlich zurechtgebogenen biblischen Märchenwelt, in der ein ewiger archaischer Kampf Gut (=Gott, der genauso denkt wie ich und der alles gut findet, was ich auch gut finde) gegen Böse (=irgendwas mit Dämonen, alles was ich für schlecht halte) einfach komplett weglassen können und sollen.

Was ausgerechnet die religiösen Aspekte angeht, wäre Schweigen diesmal zumindest die goldenere Option gewesen.

So war das Manöver wiedermal sehr einfach zu durchschauen.

Frau Schardien, merken Sie wirklich nicht, dass Ihr Appell zum Miteinander-Reden heuchlerisch und verlogen klingt, wenn Sie und Ihre Glaubens- und Berufskollegen im „Wort zum Sonntag“ immer alleine, unmoderiert und natürlich auch unwidersprochen in die Fernsehkamera monologisieren?

Sie brauchen niemanden zum Verstummen zu bringen – dafür sorgt schon das Setting Ihrer Sendung.

Du Heuchler, ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, dann magst du zusehen, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst.

(Matthäus 7, Vers 5 MENG)

Fun fact zum Nachtisch: KI und religiöse Gefühle

Bittet man die KI von Copilot, die KI DALL-E die Bibelstelle Markus 7,33 (das ist die Beschreibung des Heilungsprozesses „Finger ins Ohr stecken – dran lecken – mit dem Finger die Zunge berühren“) grafisch darstellen zu lassen, antwortet Copilot:

Es tut mir leid, aber ich kann keine Bilder erstellen, die religiöse oder heilige Figuren in spezifischen Handlungen darstellen, insbesondere wenn es um detaillierte biblische Szenen geht. Wenn du jedoch eine allgemeine Illustration oder eine andere Art von Bild möchtest, helfe ich dir gerne weiter.

Der Grund ist, dass es bestimmte Richtlinien gibt, die sicherstellen sollen, dass religiöse und kulturell sensible Inhalte respektvoll behandelt werden. Das Erstellen von Bildern, die heilige Figuren in spezifischen Handlungen darstellen, könnte als respektlos oder unangemessen empfunden werden.

Wenn du jedoch eine allgemeine Illustration oder eine andere Art von Bild möchtest, helfe ich dir gerne weiter. Gibt es vielleicht ein anderes Thema oder eine andere Art von Bild, die du gerne sehen würdest?

Quelle: Chat mit KI Copilot am 23.09.24

Bei dieser Anfrage ging es wohlgemerkt lediglich um die grafische Darstellung eines Heilungsprozesses, wie ihn Jesus laut der „Heiligen Schrift“ durchgeführt haben soll. Und nicht etwa darum, die Szene respektlos ins Lächerliche zu ziehen oder zu kritisieren.

Und trotzdem weigert sich die KI, eine solche Grafik zu erstellen. Auf die Bitte hin, den Vorgang grafisch darzustellen, ohne dass die Person als Jesus identifiziert werden kann, liefert die KI ein Ergebnis, bei dem sie offenbar sicher ist, dass damit keine religiösen Gefühle verletzt werden können. Schließlich wurde die Brille ja erst im späten 13. Jahrhundert erfunden.

Ergänzung

Nachdem meine bisherigen Versuche, KI zur Erstellung von kritischen Betrachtungen religiöser Verkündigungen einzusetzen meist nicht wirklich brauchbar waren, hier das Ergebnis einer erneuten Anfrage an ChatGPT 4o, das heutige „Wort zum Sonntag“ aus humanistisch-säkular-naturalistischer Sicht kritisch zu kommentieren:

ChatGPT, schreibe einen blogbeitrag aus säkularer humanistischer naturalistischer sicht zur religiösen verkündigung einer evangelischen pfarrerin im letzten „wort zum sonntag“:

Aus einer säkular-humanistischen und naturalistischen Perspektive betrachtet, beruht die religiöse Verkündigung der Pfarrerin auf dem Konzept übernatürlicher Mächte, die menschliches Verhalten beeinflussen, was in säkularen Kreisen als problematisch angesehen wird. Die Vorstellung von „bösen Mächten“ oder „Dämonen“, die Menschen verstummen lassen, reduziert komplexe psychologische und soziale Dynamiken auf religiöse Erklärungen, die nicht empirisch nachvollziehbar sind.

In einer säkularen Gesellschaft werden Angst und Stummheit nicht durch unsichtbare Dämonen verursacht, sondern durch konkrete soziale, politische und psychologische Faktoren. Menschen schweigen oft aus Angst vor sozialen Konsequenzen, Stigmatisierung oder Eskalation von Konflikten. Diese Ursachen sind jedoch nicht metaphysischer Natur, sondern basieren auf realen menschlichen Interaktionen und Machtstrukturen.

Anstatt sich auf religiöse Erzählungen zu verlassen, wäre ein humanistischer Ansatz, die Menschen zu ermutigen, ihre Ängste vor Ausgrenzung oder Gegenreaktionen durch rationale Kommunikation, Bildung und den Dialog in einer offenen Gesellschaft zu überwinden. Es geht darum, sicherzustellen, dass alle Stimmen gehört werden können, ohne dass sie durch gesellschaftlichen Druck oder Einschüchterung zum Schweigen gebracht werden. Die Verantwortung liegt in der Förderung einer respektvollen Diskussionskultur, die auf Freiheit, Verständnis und Menschlichkeit basiert – nicht auf dem Kampf gegen imaginäre Dämonen.

ChatGPT 4o am 25.09.2024

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13 Gedanken zu „Psst! – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Das mit der so geglaubten „Christenverfolgung“ ist auch so ein komisches Ding:
    Eigentlich sollten sich die Christen wünschen, so richtig verfolgt zu werden und sich darüber freuen.
    Denn so steht es ja in ihrer Bibel, dass dies ein Zeichen wäre, welches das hernnahen ihres Gottesreiches ankündigt…
    Aber nein, es wird sich über angebliche Verfolgung beschwert, wenn auch nur der kleinste Zweifel an ihrer Religion geäussert wird! Heuchelei vom Feinsten!

    Fun Fact:
    Ein Freund von mir stottert, ist teilweise kaum zu verstehen.
    Nachdem er nen dicken Joint geraucht hat, redet er wie ein Wasserfall, nahezu ohne Sprachprobleme.
    Würde jetzt irgenein dahergelaufener Heiliger ankommen und versuchen ihm die angesabberten Finger in die Ohren oder den Mund zu stecken, möchte ich nicht in dessen Haut stecken. Wahrscheinlich würde dem Heiligen dann Hören und Sehen vergehen und dieser umgehend einen echten Heiler aufsuchen…

    Antworten
  2. Tabuisierung von bestimmten Themen:
    Gerade die Berufsreligiösen sind es doch, die alle möglichen Themen tabuisieren. So ist es gesünder, über den Koran gar nicht erst zu reden. Jedenfalls nicht öffentlich. Und wie man gesehen hat sollte man selbst entfernte Anspielungen an „das Abendmahl“ besser unterlassen, wenn man keinen höchstrangigen katholischen Shit-Storm auf sich ziehen will.
    Tatsächlich kannte ich die Stelle Markus 7, Verse 31-37 noch nicht. Hatte ich eigentlich auch nicht vermisst; mir kam nämlich gleich der unappetitliche Gedanke an Ohrenschmalz. Aber was tut ein Erlöser nicht alles um unreine Geister auszutreiben.
    Übrigens frage ich mich schon immer verzweifelt, wohin mit all den ausgetriebenen Dämonen ? Sind die wirklich so sicher verwahrt wie Atommüll ? In ersoffenen Schweinen z.B. ? Von anderen wird gar berichtet, dass sie jetzt frei rumlaufen ! Und sich neue Opfer suchen ? Geheimnis, Geheimnis !

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  3. Auch auf die Gefahr hin, wieder einmal das Offensichtliche zu erwähnen: Cancel Culture gibt bzw. gab es schon immer. Allerdings selten so professionell durchorganisiert wie bei den Christen mit Inquisition, Zensurbehörde, professionell gepflegten Listen mit verbotenen Büchern, Lehrverboten …

    Dass Frau Schardien ihren Unfug auf Kosten der Gebührenzahler ungestraft verbreiten darf und nicht „gecancelled“ wird, verdankt sie genau den Kräften, die von den Christen jahrhundertelang erbittert bekämpft wurden und trotzdem von ihnen nicht „gecancelled“ werden konnten.

    Wieder ein WzS der Kategorie „Erbärmlich & Beschämend“.

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  4. Das Einzige, was mich an diesem WzS fasziniert hat, ist die perfekte Übereinstimmung der Farbe von Frau Schardiens Lippenstift mit der Farbe ihres Outfits.
    Geradezu dämonisch irritierend.

    kwt

    Antworten
  5. Liebe Frau Schardien um Ihnen einmal zu zeigen wie sinnbefreit und geplottet ihre TV Ansprachen sind habe ich ChatGPT in meinem Auftrag auch einmal ein WzS einfallen lassen:
    „Analfistel – Heilung und Versöhnung“

    Liebe Gemeinde,

    heute möchte ich über ein Thema sprechen, das auf den ersten Blick wenig mit Glauben und Spiritualität zu tun hat: die Analfistel. Doch, wie so oft, steckt hinter dem Alltäglichen auch eine tiefere Botschaft.

    Eine Analfistel ist eine schmerzhafte und störende Erkrankung, die eine Verbindung schafft, die nicht da sein sollte. Sie ist eine Verletzung des Körpers, die Heilung braucht. In gewisser Weise ist sie ein Sinnbild für das, was uns im Leben oft begegnet: Beziehungen, Situationen oder Verletzungen, die nicht so sein sollten, aber dennoch existieren. Diese Wunden lassen uns leiden, physisch und seelisch.

    Auch in unserem Glauben gibt es viele Beispiele, in denen Menschen mit „Fisteln des Herzens“ zu kämpfen haben – innere Wunden, gebrochene Beziehungen, tiefe Verletzungen, die Heilung verlangen. Wie oft tragen wir unbemerkte, unsichtbare Schmerzen mit uns, die nach Heilung und Versöhnung schreien?

    Doch der Glaube lehrt uns, dass Heilung möglich ist. So wie eine Analfistel durch medizinische Maßnahmen behandelt und geheilt werden kann, so gibt es auch Wege, die seelischen und geistlichen Wunden zu heilen. Der erste Schritt zur Heilung ist immer das Erkennen der Wunde. Genau wie bei körperlichen Beschwerden, die wir nicht ignorieren dürfen, müssen wir uns auch um unsere inneren Wunden kümmern. Jesus selbst hat immer wieder Menschen geheilt – physisch und geistig. Er hat uns gezeigt, dass keine Wunde zu groß und keine Verletzung zu tief ist, um nicht durch Liebe, Vergebung und Gnade geheilt zu werden.

    Die Analfistel erinnert uns auch daran, dass Heilung manchmal schmerzhaft ist und Zeit braucht. Die Behandlung kann unangenehm sein, doch am Ende steht die Erleichterung, das Ende des Leidens. Ebenso ist es mit den Wunden in unseren Herzen. Vergebung, Versöhnung und innere Heilung verlangen Mut, Ausdauer und manchmal auch den schmerzhaften Prozess der Selbsterkenntnis. Aber die Botschaft des Evangeliums ist klar: Heilung ist möglich, wenn wir uns dafür öffnen.

    So lasst uns heute daran denken, dass unser Glaube uns immer wieder zu Heilung und Versöhnung ruft. Mögen wir die „Fisteln“ in unserem Leben erkennen, sie nicht verdrängen, sondern sie im Licht der Liebe und der Gnade Gottes heilen lassen. Denn am Ende steht die Verheißung eines Lebens in Frieden – mit uns selbst, mit unseren Mitmenschen und mit Gott.

    Amen.

    Antworten
      • *räusper* also: Wenn in meinen Kommentaren KI-generierte Texte vorhanden sind, dann sind diese immer eindeutig als solche gekennzeichnet. Alle KI-Modelle, mit denen ich bisher gearbeitet habe, scheinen schon ein intensives Christentum-Zensur-Training durchlaufen zu haben. Aufträge, christliche Verkündigungen zu hinterfragen oder gar kritisch zu kommentieren enden meist in Aussagen wie (sinngemäß): „…das ist ein sehr komplexes und schwieriges Thema, bei dem es unterschiedliche Meinungen gibt und die sollten alle respektiert werden etc pp…“ – Auch was die Erstellung von Bildern mit KI angeht, weigern sich die gängigen Modelle bei vielen Bibelstellen, diese halbwegs erkennbar darzustellen, weil solche Darstellungen die religiösen Gefühle von Menschen verletzen könnten. Keine weiteren Fragen…

        Edit: Spaßeshalber habe ichs gerade wiedermal getestet und die Antwort von ChatGPT 4o am Ende des Beitrages ergänzt.

        Antworten
      • Ich wollte hier eigentlich nur mal mit Humor darstellen, wie beliebig und untergeordnet hier das Thema ist. Man könnte hier jedes beliebige Wort einsetzen, es dient lediglich als Wurm am Haken. Das eigentlich Hauptthema ist der christliche Sermon drumherum. Das Tagesthema ist sozusagen nur der Appetizer vor dem Hauptgang, um die Leute anzufüttern.

        Antworten
    • Und jetzt noch ein WzS mit dem Satz „Religion ist doof“.

      Ich denke mal, dass der Klerus die Predigttexte zum WzS demnächst sowieso maschinell produzieren wird, wenn das nicht ohnehin schon passiert. Denn die hören sich oft so an, als lägen diesen vorgefertigte Schablonen mit Textbausteinen und Platzhaltern zugrunde. Es gibt ja auch – so viel ich weiss – Predigtsammlungen zur gefälligen Bedienung der überlasteten Seelsorger.
      Und wegen Klerikermangel wird ein Zombie aus dem 3D-Drucker die Predigt sprechen.

      Antworten

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