Was uns jetzt trägt – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 12 Min.

Was uns jetzt trägt – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Magdalena Kiess, veröffentlicht am 07.02.2025 von ARD/daserste.de

Darum geht es

In ihrer heutigen Verkündigung nutzt Pastoralreferentin und Theologin Magdalena Kiess die aktuell aufgeheizte innenpolitische Lage, um das Christentum zu bewerben.

Sollt‘ ich nicht hassen…?

Zunächst bringt Frau Kiess einige Beispiele für verschiedene Formen des Hasses, von der Stürmung und Zerstörung einer Partei-Geschäftsstelle durch Vermummte in Berlin über ein afghanisches Mädchen, das sich für das Verbrechen eines ihr unbekannten Landsmannes entschuldigt und berichtet, dass sie wegen ihrer Herkunft selbst Hass erfahren habe, bis hin zum Slogan „Ganz Berlin hasst die CDU.“

A propos Hass: Auch in der Bibel wird leidenschaftlich gehasst.

Dem bibelfesten Zeitgenossen fällt hier sicher als erstes die Stelle aus der „Heiligen Schrift“, dem „Wort Gottes“ ein, in der einer vor Gott sogar damit prahlt, wie sehr er die Feinde seines Gottes hasst:

Sollt’ ich nicht hassen, die dich, HERR, hassen, nicht verabscheun, die sich erheben gegen dich? Ja, ich hasse sie mit tödlichem Haß: als Feinde gelten sie mir.

(Psalm 139, 21-22 MENG)

Die meisten Erwähnungen von Hass in der Bibel beziehen sich auf die vermeintlichen Feinde des geglaubten Gottes, denen Hass auf eben jenen unterstellt wird.

Gott selbst hält sich mit solchen Gefühlsduseleien freilich nicht auf. Der schlägt sofort zu. Und vernichtet alle, von denen er meint, sie würden ihn hassen. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.

Die Tradition, Andersdenkenden Hass auf Gott zu unterstellen, hat sich seit biblischen Zeiten bis heute als widersinniges Scheinargument gehalten. Denken wir nur an die angeblich „Hasserfüllten Augen des Herrn Deschner„…

Und im 2. Teil der Bibel, im Neuen Testament, wird es keineswegs besser. Da macht der Halb- bzw. Drittelgott aus der biblisch-christlichen Mythologie ausgeprägten Hass auf alle Angehörige und Selbsthass sogar zur Bedingung, um in seiner Endzeitsekte aufgenommen zu werden:

»Wenn jemand zu mir kommt und nicht seinen Vater und seine Mutter, sein Weib und seine Kinder, seine Brüder und seine Schwestern, ja sogar sein eigenes Leben haßt, so kann er nicht mein Jünger sein.

(Lukas 15, 26 MENG)

Auch wenn die meisten Mainstream-Christen (anders als die Berufstheologin Frau Kiess) diese Stelle noch nie gehört oder gelesen haben – das steht genau so im göttlich inspirierten bzw. geoffenbarten „Wort Gottes.“

Gott sei Dank!?

Diesen Cocktail aus Verunsicherung, Ärger und Erschrecken kenne ich so nicht. Ich bin 1990 geboren, in Frieden, Sicherheit und Demokratie. Gott sei Dank!

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Was uns jetzt trägt – Wort zum Sonntag, verkündigt von Magdalena Kiess, veröffentlicht am 07.02.2025 von ARD/daserste.de)

Dieses unscheinbare „Gott sei Dank!“ ist so stark im allgemeinen Sprachgebrauch verwurzelt, dass mitunter selbst Menschen, die an gar keine Götter glauben, ganz unbewusst diese Dankesfloskel verwenden.

Allerdings finde ich es besonders anmaßend (und/oder ignorant), ausgerechnet im Zusammenhang mit Frieden, Sicherheit und Demokratie ausgerechnet dem Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie zu danken.

Frieden und Sicherheit unabhängig von der Religionszugehörigkeit, wie sie Verfassungen und Menschenrechte heute sichern sollen und natürlich erst recht die Demokratie konnten erst etabliert und realisiert werden, nachdem der christliche Klerus ausreichend entmachtet worden war.

Und falls sich der Dank nicht darauf, sondern auf den Zeitpunkt ihrer Geburt beziehen sollte, dann gebührt Frau Kiessens Dank ebenfalls keinem Gott. Sondern ihren Eltern.

Löschen statt zündeln

Ist es jetzt an der Zeit, Zukunftsangst zu haben? Ich fürchte keinen Streit. Politik lebt vom Ringen um Kompromisse, vom Abwägen zwischen Ideal und Machbarem. Ich habe ein paar Jahre im Bundestag gearbeitet und erlebt, dass man auch mal mit harten Bandagen kämpft. Aber eben: mit Bandagen – nicht mit blankem Hass. Position zu beziehen ist wichtig. Wenn politische Erfolge mit Hilfe rechter Kräfte errungen werden, ist für viele eine Grenze überschritten. Doch die Antwort kann nicht sein, noch mehr Grenzüberschreitungen zuzulassen. Wenn es brennt, muss man löschen, nicht zündeln.

Vorab: Solange die katholische Kirche noch die Macht dazu hatte, hatte sie nichts gelöscht – und erst recht nicht nur etwas gezündelt.

Sondern selbst dafür gesorgt, dass die öffentlich zur Schau gestellten Scheiterhaufen und auf ihnen vorwiegend Frauen bei lebendigem Leib und vollem Bewusstsein lichterloh verbrannten. Natürlich sauber biblisch begründet und im angeblichen Namen und Auftrag des selben Gottes, für den Frau Kiess heute vor der Kamera steht.

Da es in diesem Beitrag nicht primär um Politik, sondern um die religiösen Aspekte einer christlichen Verkündigungssendung gehen soll, erspare ich mir an dieser Stelle einen ausführlichen Kommentar. Nur so viel: Rechte Parteien können sich aus einem breiten Spektrum an politischen Versäumnissen der letzten Jahre und Jahrzehnte bedienen, um deren Folgen für ihre Agenda zu instrumentalisieren und um damit Hass zu schüren – was die Sache freilich auch nicht besser macht.

Für genauso wichtig wie eine Brandmauer gegen Rechts halte ich eine Politik, die sich für den Schutz und für die Gewährleistung der von der Verfassung garantierten Werte, Rechte und Pflichten einsetzt, auf denen unsere offene und freie Gesellschaft basiert. Dass dies nicht die Ziele rechter Parteien sind, sollte klar sein. Auf das Thema „Wehrhafte Demokratie“ werden wir später nochmal zu sprechen kommen.

Widerspricht Hass allem, woran Christen glauben?

Dieser Hass, der jetzt hochkocht, widerspricht allem, woran ich als Christin glaube. Er zerstört. Und meine Befürchtung: Nicht nur die Brandmauer ist eingerissen, vielleicht ist noch mehr kaputt.

Christ(in) sein und hassen schließt sich keineswegs aus – im Gegenteil! Praktisch beliebig verlängerbar ist die Liste von boshaften, bösartigen und bösartigsten Christen. Deren von Hass getriebene Handlungen unvorstellbar viel Leid zur Folge hatten und bis heute haben.

Wenn sich Frau Kiess an der biblisch-christlichen Lehre orientiert, dann muss sie diese bis zur Unkenntlichkeit verbiegen, um zu der Vorstellung gelangen zu können, dass Hass nicht zu den christlichen Grundlagen passen würde.

Wie gerade schon geschrieben: Das gesamte Alte Testament ist eine einzige Ansammlung von Hass – gegen Glaubensfreie und Andersgläubige. Hier bleibt es allerdings nicht beim Hass. Der liebe Gott praktiziert, verlangt und unterstützt Vertreibung, Ermordung und Genozide. Er geht also noch viel weiter als nur zu hassen.

Heimsuchung wegen Hass?

Göttlicher Hass, der in der Bibel gerne zum Beispiel als der „heilige Zorn“ eines „eifersüchtigen Gottes“ getarnt wird, kommt auch in den „10 Geboten“[1]Die von vielen Christen noch heute zu den besonders relevanten Bibelstellen gezählt werden zum Vorschein.

Da unterstellt der liebe Gott erstmal allen, die nicht an ihn glauben Hass. Und bestraft dafür die nachfolgenden Generationen mit „Heimsuchung“ (Hervorhebung von mir):

Du sollst dir kein Gottesbild anfertigen noch irgendein Abbild weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf der Erde, noch von dem, was im Wasser unterhalb der Erde ist! Du sollst dich vor ihnen nicht niederwerfen und ihnen nicht dienen (oder: sie nicht anbeten)! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifriger (d.h. eifersüchtiger) Gott, der die Verschuldung der Väter heimsucht an den Kindern, an den Enkeln und Urenkeln bei denen, die mich hassen,

Exodus 20, Verse 4-5

Was bildet sich dieser Gott eigentlich ein? Wer oder was könnte ihn – oder sonstwen – berechtigen, irgendwelche Leute dafür zu bestrafen, dass sie (oder ihre Vorfahren!) ihn zu Lebzeiten nicht angebetet, sondern ignoriert oder vielleicht sogar tatsächlich gehasst hatten? Auf welches Gesetz, auf welches Recht sollte sich dieser Gott bei seiner „Heimsuchung“ berufen können?

Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr

Im „Neuen Testament “ wird es durch das Konzept der Hölle sogar noch schlimmer: Erstens beziehen sich alle Friedensappelle hier auf die Mitglieder der eigenen Glaubensgemeinschaft.

Und zweitens basieren sie auf dem festen Glauben an die perverse Vorstellung, dass dereinst Gott persönlich für die ersehnte „ausgleichende Gerechtigkeit“ sorgen würde:

Rächet euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem (göttlichen) Zorn; denn es steht geschrieben (5.Mose 32,35): »Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr.«

(Römer 12,19 MENG)

Wie bitte? Man kann und darf die heutigen Maßstäbe nicht auf die biblischen Geschichten anwenden? Alles klar, aber dann bitte auch umgekehrt!

Diese Ausführungen sollen genügen um zu zeigen, dass es sich auf Basis des biblisch-christlichen Glaubenskonstruktes natürlich hervorragend und leidenschaftlich hassen lässt.

Ob evangelikal oder erzkatholisch: Je ernster Gläubige ihren Glauben nehmen, desto ausgeprägter ist in der Regel auch deren Hass auf alles, was nicht in ihr religiös-fundamentalistisches Weltbild passt.

Wer sich nur durch Abgrenzung definiert…

Das Motto der Berliner Demo war „Wir sind die Brandmauer“. Ein starkes Bild. Mir gefällt die Vorstellung, dass aus vielen Menschen gemeinsam etwas Großes entstehen kann. Ich hoffe aber, wir sind nicht nur eine Mauer! Denn, wer sich nur durch Abgrenzung definiert, zieht immer neue Mauern hoch. Das hat in der Geschichte noch nie funktioniert und hilft wahrscheinlich auch jetzt nicht weiter.

Auch Partikularismus, im Christentum zum Beispiel in Form der Abgrenzung der eigenen Glaubensgemeinschaft durch Selbsterhöhung gegenüber Nicht-Zugehörigen und in die Tat umgesetzt durch deren Erniedrigung, Verfolgung und Ermordung zieht sich als roter Faden durch die gesamte Kriminalgeschichte des Christentums.

Dieses hatte sich nicht etwa aufgrund einer überlegenen Moral, sondern in erster Linie durch das Schwert ausgebreitet. Und zwar im Schulterschluss mit weltlichen Machthabern, für deren sehr weltliche, hauptsächlich geopolitische Machtinteressen und Ansprüche das biblisch-christliche Glaubenskonstrukt wie gemacht ist.

Wenn das in der Geschichte noch nie funktioniert haben soll, wie lässt es sich dann erklären, dass gerade monotheistische Religionen mit genau dieser Abgrenzung so viele Jahrhunderte so erfolgreich waren und es teilweise bis heute noch sind bzw. gerade wieder werden?

Natürlich hatte das funktioniert.

Zunächst in dem Rahmen, für den es ursprünglich konzipiert worden war: Zur einfacheren Führung eines kleinen Wüstenstammes in der ausgehenden Bronzezeit.

How Christianity spread across the world
Quelle: Netzfund

Später erkannte dann ein bestimmter römischer Machthaber, wie perfekt die darin angeordnete, strikte Unterordnung unter einen bestimmten Wetter-Berge-Wüsten-Kriegs-Rache-Stammesgott, der eigens zu diesem Zweck aus früheren Gottesbildern zusammengebaut worden war, für seine eigenen Interessen instrumentalisiert werden konnte.

Dabei brauchten er und seine Nachfolger nie zu befürchten, dass ihnen der besagte Gott bei der Verfolgung politischer oder sonstiger weltlicher Interessen jemals in die Quere kommen würde. Ein perfektes Instrument also, um Menschen zu unterdrücken und von sich abhängig zu machen.

Ohne diese Eignung wäre das Christentum nie Staatsreligion geworden. Und ohne Staatsreligion geworden zu sein, wäre das Christentum selbst niemals so mächtig geworden.

Die Aussage, dass Abgrenzung in der Geschichte noch nie funktioniert hätte, konnte damit am Beispiel des Christentums ganz einfach widerlegt werden.

…und heute…?

Wehrhafte Demokratie

In Deutschland gilt der Grundsatz der „Wehrhaften Demokratie“:

Spricht man von „wehrhafter“ Demokratie oder „streitbarer“ Demokratie, so meint man damit, dass sich der demokratische Staat gegen seine Feinde wehren darf und kann. Die Feinde der Demokratie sollen niemals die Möglichkeit bekommen, die Demokratie abzuschaffen. 

(Quelle: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/321402/wehrhafte-demokratie/)

Das Toleranz-Paradoxon hatte der Philosoph Karl Popper schon 1945 beschrieben.

Bevor es aber zu politisch oder philosophisch wird, ist es jetzt höchste Zeit, schnell noch irgendwas Religiöses zu bringen.

Schließlich ist das „Wort zum Sonntag“ ja kein Polit-Talk und auch kein Philosophie-Format, sondern eine Kirchen- und Glaubensreklamesendung:

Lebendige Steine

Ich stelle mir ein anderes Bild vor und halte es mit der Bibel: „Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen“, heißt es da. Wir sollten also an einem gemeinsamen Haus bauen. Jede und jeder von uns ein einzigartiger, lebendiger und wichtiger Stein darin. Nicht starr, kalt und ausgrenzend, sondern tragend, schützend und verbunden. Das Besondere an uns als lebendigen Steinen wäre, dass wir nicht wie echte Steine hart und unbeweglich bleiben, sondern offen und flexibel sind. So können wir auf so manche äußerliche Erschütterung vielleicht auch besser reagieren und sie ausgleichen.

Dann wollen wir uns doch mal kurz anschauen, was die Bibel zu dem geistigen Haus aus lebendigen Steinen zu sagen hat. Um prüfen zu können, inwieweit das zu Frau Kiess‘ Darstellung damit übereinstimmt und wo sie vielleicht abweicht oder verzerrt (Hervorhebungen von mir):

Fürchtet Gott, ehret den König

  1. So legt also alle Bosheit und alle Falschheit, die Heuchelei, den Neid und alle Verleumdungssucht ab
  2. und tragt wie neugeborene Kinder nach der geistigen (oder: im Wort Gottes dargebotenen) lauteren Milch Verlangen, damit ihr durch sie zur Errettung heranwachst,
  3. wenn ihr wirklich »geschmeckt habt, daß der Herr freundlich ist« (Ps 34,9).
  4. Wenn ihr zu ihm, dem lebendigen Stein, herantretet, der von den Menschen zwar als unbrauchbar verworfen, bei Gott aber als ein auserwähltes Kleinod gilt,
  5. so werdet auch ihr selbst als lebendige Bausteine zu einem geistlichen Hause, zu einer heiligen Priesterschaft aufgebaut, um geistliche (= durch den Geist gewirkte) Opfer darzubringen, die Gott durch Jesus Christus wohlgefällig sind.
  6. In der Schrift heißt es ja (Jes 28,16): »Seht, ich lege in Zion einen auserwählten Stein, einen kostbaren Eckstein; und wer auf ihn sein Vertrauen setzt (oder: seinen Glauben baut), wird nimmermehr zuschanden (= enttäuscht) werden.«
  7. Euch also, die ihr Vertrauen (oder: Glauben) besitzt, wird das kostbare Gut zuteil; für die Ungläubigen aber ist »der Stein, den die Bauleute verworfen haben – gerade der ist zum Eckstein geworden« (Ps 118,22)
  8. und damit »zu einem Stein des Anstoßes« und »zum Felsen des Ärgernisses (d.h. an dem man zu Fall kommt)« (Jes 8,14); sie stoßen sich an ihm in ihrem Ungehorsam gegen das Wort, wozu sie auch bestimmt sind.
  9. Ihr dagegen seid »das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, die heilige Volksgemeinschaft, das zum Eigentum erkorene Volk«, und sollt die Tugenden (d.h. Ruhmestaten; vgl. Jes 43,21) dessen verkünden, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat,
  10. euch, die ihr vordem »ein Nicht-Volk (= kein Volk)« waret, jetzt aber »das Volk Gottes« seid, einst »ohne Gottes Erbarmen«, jetzt aber »reich an Gotteserbarmen« (vgl. Hos 1,6.9; 2,25).
  11. Geliebte, ich ermahne euch: Enthaltet euch, da ihr ja »Fremdlinge und Beisassen (oder: Gäste)« seid (Ps 39,13), der fleischlichen Begierden, die im Kampf gegen die Seele liegen;
  12. führt einen guten (= löblichen) Wandel unter den Heiden, damit sie in allem, worin sie euch (jetzt) als Übeltäter verlästern, bei genauer Prüfung auf Grund eurer guten (= löblichen) Werke Gott preisen am »Tage der Gnadenheimsuchung« (Jes 10,3).
  13. Seid jeder menschlichen Ordnung um des Herrn willen untertan, es sei dem König (oder: Kaiser) als dem obersten Herrn
  14. oder den Statthaltern als denen, die von ihm zur Bestrafung der Übeltäter und Belobigung (= lobenden Anerkennung) der recht Handelnden entsandt werden.
  15. Denn so ist es der Wille Gottes, daß ihr durch Gutestun (oder: gutes Verhalten) den Unverstand der törichten Menschen zum Schweigen bringt,
  16. und zwar als (wahrhaft) Freie und nicht als solche, welche die Freiheit zum Deckmantel der Bosheit machen, sondern als Knechte Gottes.
  17. Erweiset jedermann die schuldige Ehre, habt die Brüder lieb, »fürchtet Gott, ehret den König (oder: Kaiser)«! (Spr 24,21)
  18. Ihr Dienstleute (= Gesinde, Sklaven), seid in aller Furcht euren Herren untertan, nicht nur den gütigen und nachsichtigen, sondern auch den verkehrten (oder: wunderlichen);
  19. denn das ist Gnade (= wohlgefällig bei Gott), wenn jemand im Gedanken an Gott Trübsale (= Mißhandlungen) geduldig erträgt, sofern er unschuldig leidet.
  20. Denn was ist das für ein Ruhm, wenn ihr (die Schläge) geduldig aushaltet, wo ihr euch vergeht und dann gezüchtigt werdet? Aber wenn ihr geduldig aushaltet, wo ihr trotz eures guten Verhaltens leiden müßt, das ist Gnade (= wohlgefällig) bei Gott.
  21. Denn dazu seid ihr berufen worden, weil auch Christus für euch gelitten und euch (dadurch) ein Vorbild hinterlassen hat, damit ihr seinen Fußtapfen nachfolget.
  22. Er hat keine Sünde getan, auch ist kein Trug in seinem Munde gefunden worden;
  23. er hat, wenn er geschmäht wurde, nicht wieder geschmäht und, als er litt, keine Drohungen ausgestoßen, sondern es dem anheimgestellt, der gerecht richtet.
  24. Er hat unsere Sünden selber mit seinem Leibe an das (Marter-) Holz hinaufgetragen, damit wir, von den Sünden freigemacht (oder: den Sünden abgestorben), der Gerechtigkeit leben möchten: durch seine Wunden (= sein blutiges Leiden) seid ihr geheilt worden (Jes 53,5).
  25. Denn ihr ginget (einst) wie Schafe in der Irre; jetzt aber seid ihr zu dem Hirten und Hüter eurer Seelen bekehrt worden.

1 Petrus 2, Verse 1-25 MENG

Es sollte genügen, sich dieses Kapitel einmal durchgelesen zu haben um zu erkennen, dass das, was da steht mit dem Prinzip einer „Wehrhaften Demokratie“ in einer freien und offenen Gesellschaft so überhaupt nichts zu tun hat.

Das, was diese „lebendigen Steine“ in der Bibel eint ist – natürlich – die Unterwerfung unter den selben Gott und – damit gleichrangig – die Unterwerfung unter den selben irdischen Machthaber.

Das Leiden von Sklaven ist wohlgefällig bei Gott

Damit sich nicht auch die Sklaven auf irgendwelche der freiheitlichen Rechte des „auserwählten Volk Gottes“ berufen können, bekommen diese gleich noch eine eigene Extra-Anweisung, gefälligst die Schnauze zu halten und schön weiter zu buckeln für »das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, die heilige Volksgemeinschaft, das zum Eigentum erkorene Volk«.

All das verschweigt Frau Kiess ihrem Publikum. Aus gutem Grund: So vertuscht sie den Umstand, dass selbst sie als Frau[2]Frauen gelten in der Bibel als minderwertig und minderbemittelt, vgl. 1 Kor 14,34 in Sachen Moral und Ethik ihrem lieben Gott um Lichtjahre überlegen ist.

Daraus folgt die spannende Frage, woher denn dann die Werte kommen, an denen sich Frau Kiess orientiert, wenn sie entscheidet, welche Fragmente sie aus dem von Gott himself geoffenbarten oder wenigstens inspirierten „Wort Gottes“ pickt – und welche nicht.

Zumindest stelle ich diese Frage.

Und tatsächlich bringt Frau Kiess schließlich doch noch etwas Licht ins Dunkel:

Menschenwürde, Solidarität, Verantwortung und Gemeinwohl

Ein stabiles Bauwerk stelle ich mir vor. Sicher gegründet auf dem Fundament unserer gemeinsamen Werte: Auf Menschenwürde, Solidarität, Verantwortung und Gemeinwohl. Eins, in dem man sich nicht verschanzt, sondern zusammenkommt. Ein Schutzraum für Bedrängte. Also: Packen wir‘s an – es gibt genug zu tun. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.

Frau Kiess, es kann Ihnen doch nicht entgangen sein, dass das Fundament Ihres biblischen „geistigen Hauses“ nicht aus Menschenwürde, Solidarität, Verantwortung und Gemeinwohl besteht? Sondern aus der unbedingten und vollständigen Unterwerfung unter den Gott aus der biblisch-christlichen Mythologie?!

Also genau aus dem, was es – angefangen mit Säuglingstaufe und Religionsunterricht – zu überwinden gilt! Weil ausgerechnet das religiöse Bekenntnis zu den Dingen gehört, die überhaupt keine Rolle mehr spielen können bzw. dürfen, wenn es um Menschenwürde, Solidarität, Verantwortung und Gemeinwohl geht!

Eckstein, Eckstein, Eckstein…

Dass weder irgendeiner, noch ausgerechnet der dreifaltige Monogott des Christentums der alles entscheidende „Eckstein“ für eine freie, faire und friedliche Gesellschaft im 21. Jahrhundert sein kann, daran sollte inzwischen auch zumindest bei Mainstream-Christen kein Zweifel mehr bestehen.

Auch Frau Kiess hat ja hier gerade diesen Eckstein verworfen. Und Gottesfürchtigkeit und Erlösungsmythen durch moderne Werte ersetzt.

Das finde ich wirklich dreist und hinterlistig: Aus der Bibel eine Metapher klauen und für eigene, andere Zwecke verwenden – und dann noch – als Oberklops – den Anschein zu erwecken, dass die eigene Aussage und nicht nur die Metapher aus der Bibel stamme. Lernt man sowas im Theologiestudium, oder muss man diese Dreistig- und Schlitzohrigkeit selbst mitbringen?

Ein ehrliches und aufrichtiges Statement hätte zum Beispiel sinngemäß lauten können: „Egal, was ich privat glaube und welche Gottheit ich privat verehre – meine privaten Glaubensvorstellungen sind irrelevant, wenn es um die gesetzlichen Grundlagen und ethischen Standards unserer Gesellschaft geht.“

Frau Kiess, falls Sie dem so zustimmen können sollten: Wieso verheimlichen Sie Ihrem Publikum diese wichtige Botschaft? Und versuchen stattdessen, mit aller Gewalt wenigstens ein winzig kleines biblisches Textfragment in Form der Metapher von den „lebendigen Steinen“ zu platzieren? Dessen Kontext keinen Zweifel daran lässt, dass das mit Ihrer Interpretation dieser Metapher genauso wenig zu tun hat wie mit der Lebenswirklichkeit der heutigen Menschen und mit den gegenwärtigen politischen, rechtlichen, ethischen und moralischen An- und Herausforderungen?

Um Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit geht es im „Wort zum Sonntag“ nicht. Sondern darum, mit verzweifelt wirkenden Versuchen den Anschein zu erwecken, moderne ethische Standards und humanistische Werte seien in irgendeiner Form im Christentum zu verorten oder wenigstens zu dieser Glaubenslehre und ihrem Textfundament halbwegs kompatibel.

Was uns jetzt trägt – und was nicht

Und um nochmal kurz auf den Titel der heutigen Sendung – „Was uns jetzt trägt“ – zurück zu kommen: Menschen können sich von allen möglichen Ideen und Vorstellungen getragen fühlen.

Da aber jegliche Interaktion irgendwelcher oder bestimmter Götter mit der irdischen natürlichen Wirklichkeit bis zum Beweis des Gegenteils nichts weiter ist als eine rein menschliche, frei erfundene Wunschvorstellung, ist ein großes Maß an (Selbst-)betrug und Ignoranz erforderlich, um sich von einer solchen Vorstellung tatsächlich getragen fühlen zu können.

Das ahnt vermutlich auch Frau Kiess. Und hat auch diesmal wieder ihre Worte sicher nicht zufällig, sondern ganz bewusst und in alter Theologen-Manier so gewählt, dass sie sich jederzeit mit wenig Aufwand herausreden könnte, wenn man versuchen würde, sie beim Wort zu nehmen.

Dem, wofür sie vorgibt, sich einzusetzen, hat sie durch die Vereinnahmung für religiöse Zwecke einmal mehr einen Bärendienst erwiesen – auf Kosten ihrer Glaubenslehre.

Fußnoten

Fußnoten
1 Die von vielen Christen noch heute zu den besonders relevanten Bibelstellen gezählt werden
2 Frauen gelten in der Bibel als minderwertig und minderbemittelt, vgl. 1 Kor 14,34

Deine Gedanken dazu?

Fragen, Lob, Kritik, Ergänzungen, Korrekturen: Trage mit deinen Gedanken zu diesem Artikel mit einem Kommentar bei!

Wenn dir der Artikel gefallen hat, freuen wir uns über eine kleine Spende in die Kaffeekasse.

Bitte beachte beim Kommentieren:

  • Vermeide bitte vulgäre Ausdrücke und persönliche Beleidigungen (auch wenns manchmal schwer fällt...).
  • Kennzeichne Zitate bitte als solche und gib die Quelle/n an.
  • Wir behalten uns vor, rechtlich bedenkliche oder anstößige Kommentare nicht zu veröffentlichen.

3 Gedanken zu „Was uns jetzt trägt – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Ich sags mal kurz und Bibelgetreu:

    BLAAASPHEEEMIIIEEE!!! VERBRENNT DIE HEXE!!! DER HERR WILL ES SO!!!

    (Natürlich erst, nachdem wir demokratisch darüber abgestimmt haben, dass Frauen gefälligst ihr Maul zu halten haben, und Zauberinnen getötet werden müssen.)

    Hach, diese grenzenlose Liebe… 😉

    Antworten
  2. Was uns jetzt trägt ? Ich frage mich immer, was dieses Tragen eigentlich sein soll.

    „Das Besondere an uns als lebendigen Steinen wäre, dass wir nicht wie echte Steine hart und unbeweglich bleiben, sondern offen und flexibel sind.“

    Man ist ja von Theologen, unter anderen auch vom gegenwärtigen Papst, einiges an bizarren Metaphern gewohnt, aber dass man die Metapher gleich selbst ad absurdum führt, kommt dann doch eher selten vor. Allein der Begriff vom „lebendigen Stein“; es ist wohl allgemeiner Konsens – außer unter Geologen vielleicht 🙂 – dass der Stein als Inbegriff toter Materie gilt. Da bemüht Frau Kiess den Stein als Symbol von Härte und Beständigkeit, um ihn sich gleich darauf nicht hart – also weich ! – und flexibel zu wünschen. Es gibt einen Kaktus, der „lebender Stein“ heißt; der ist relativ weich und flexibel. Man stelle sich diesen als den biblischen Eckstein vor ! Man stelle sich ein stabiles Bauwerk aus diesen lebend(ig)en Steinen vor ! Oder ein Fundament aus weich und flexibel zu definierender Menschenwürde, Solidarität, Verantwortung und Gemeinwohl !

    Antworten
  3. Wie bitte? Ist das Realsatire oder einfach auf dem Amboss der Unredlichkeit zusammengeschmiedeter Unsinn? Man könnte fast lachen, wenn einem aufgrund der Millionen Opfer des Christentums selbiges nicht im Halse stecken bliebe.

    Liebe Frau Kiess,
    Sie schwadronieren hier als gut bezahle Anhängerin einer undemokratischen, frauenfeindlichen Wahlmonarchie, von einer wehrhafte Demokratie und einer Brandmauer. Wie Ihre Monarchie die Demokratie verteidigte, konnte man sehr schön im Dritten Reich sehen.

    Zum Glück haben die Aufklärung und der Humanismus eine Brandmauer gegen die Macht der Kirchen aufgebaut und die Demokratie gegen den erbitterten Widerstand des Christentums durchgesetzt.

    Machen wir mal den Check der obigen Behauptung und geben Ihnen Nachhilfe.
    Die 5 Ideen der Aufklärung:
    1. selbständiges Denken?
    – In der Kirche unerwünscht, gefährlich.
    2 Menschenrechte?
    – Der Vatikanstaat hat die Menschenrechtscharta bis heute nicht unterzeichnet.
    3. Gewaltenteilung?
    – gibt’s auch in der kath. Monarchie nicht.
    4. Glaubensfreiheit?
    – Anders- oder Ungläubigen werden schlimmste Folterqualen angedroht.
    5. Wissenschaftliche Beweisführung?
    – 🤣 so weit kommt’s noch.

    Bitte sehr Frau Kiess!
    Religion ist schädlich, immer und überall. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie einen versierten Atheisten oder eines der unzähligen Opfer von Religion.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Ressourcen

Gastbeiträge geben die Meinung der Gastautoren wieder.

Wikipedia-Zitate werden unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike veröffentlicht.

AWQ unterstützen

Jetzt einfach, schnell und sicher online bezahlen – mit PayPal.

Wir haben, wenn nicht anders angegeben, keinen materiellen Nutzen von verlinkten oder eingebetteten Inhalten oder von Buchtipps.

Neuester Kommentar