Die Bedeutung von Europa – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 7 Min.

Die Bedeutung von Europa – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Benedikt Welter, veröffentlicht am 30.06.2018 von ARD/daserste.de

Einen guten späten Abend, verehrte Damen und Herren.*

Nanu – warum so förmlich heute? Achso, es wird politisch. Da möchte Herr Welter offenbar ein bisschen Tagesschau-Atmosphäre erzeugen…

Diesmal verwendet Herr Welter den Untergang des Mythos Europa und damit den Untergang Europas selbst, um seine biblisch-christliche Mythologie auf besonders paradoxe Art und Weise an den Mann und an die Frau zu bringen.

Eklige Sabberstiere in Europa

[…] Tatsächlich – es ist ein trauriges Schauspiel; es bereitet mir ganz große Sorge, ja, fast schon Angst: Europas Selbstzerstörung auf der politischen Bühne. Stiere sind da ziemlich viele unterwegs – aber es ist kein hübscher zahmer dabei, dem Frau Europa sich anvertrauen könnte. Vielmehr wird da mit ganz viel Schaum vor dem Mund durch Europa gesabbert. Eklig.*

Jaa – ein sabbernder Stier mit ganz viel Schaum vor dem Mund ist doch schon mal eine zwar anschauliche, allerdings auch eine unbrauchbare Vereinfachung des komplexen Themas.

Denn eine solche Vereinfachung kann freilich keine Grundlage für eine sachliche Auseinandersetzung mit den Faktoren sein, die momentan die europäischen Grundsätze gefährden.

Von wegen: „Europa“ und „Weites Gesicht“. Die kurzsichtige eigene Meinung wird zum Motor der Selbstzerstörung; sie zerstört mehr als einen Mythos. Sie bedroht ein Wunder, nämlich die politische Idee, dass nach dem Blut und Wahnsinn des Zweiten Weltkrieges eine neue Wirklichkeit für eine Menschenzukunft entstehen könnte.

Immer, wenn Religionsverkünder von „Wunder“ sprechen, sollte man besonders genau hinsehen. Allzu gerne versuchen sie, mit dieser Bezeichnung etwas so darzustellen, als könne es unmöglich von Menschen verursacht oder erdacht worden oder sonstwie auf natürlichem Weg zustande gekommen sein.

Um dann im nächsten Schritt zu behaupten, darin die Absicht und das Wirken ihres Gottes zu erkennen. „Wunder“ im religiösen Sinne ist eine Pseudoerklärung für den Umstand, dass wir etwas (noch) nicht wissen oder vollständig erklären können.

Statt sich damit zufrieden zu geben, dass etwas eben ein Wunder ist, wäre es viel sinnvoller, sich zu fragen, was denn nun tatsächlich dahintersteckt. Also in echt, sozusagen. Das Werkzeug der Wahl ist hierfür das kritisch-rationale Denken.

Aber stattdessen wird auch diesmal wieder – wen wunderts – natürlich auch Gott noch eine Rolle spielen.

Wenn Irrationalität populär wird

Angesichts des Dramas auf offener politischer Bühne möchte ich an Thomas Mann erinnern. Der hat schon 1943 gesagt: „Es ist ein entsetzliches Schauspiel, wenn Irrationalität populär wird.“ Irrational ist nicht der alte Mythos von einem Kontinent Europa mit einem „weiten Gesicht“; irrational ist die Kurzsichtigkeit von – immerhin gewählten – Staatsmännern, die das Wort „Mensch“ nicht mehr für alle Menschen verwenden, sondern nur noch für ihre eigenen Leute.

Demzufolge scheint Herr Welter also Irrationalität als Problemursache erkannt zu haben, sobald diese Irrationalität das Denken und Handeln von Menschen bestimmt. Das merken wir uns mal für später.

Funfact am Rande: In der Bibel wurde der Begriff Mensch zunächst auch nicht für alle Menschen verwendet. Sondern nur für den Mann, aus dem dann die Frau durch eine geheimnisvolle Rippenextraktion als Hilfe für den Mensch nachgeliefert worden war. Eine doch ziemlich seltsame Vorgehensweise für einen, der ein paar Tage vorher gerade erst Himmel und Erde und alles drumherum aus dem Nichts erschaffen haben soll, einzig zu dem Zweck, dass die von ihm bevorzugten Vertreter der von ihm bevorzugten Trockennasenaffenart irgendwo leben können, um sich ihm zu unterwerfen, weil er sie sonst zeitlich unbegrenzt bestraft…

Ganz und gar nicht „fun“ hingegen sind die tatsächlichen Konsequenzen des biblischen Frauenbildes, das in der Unterscheidung von „Mensch“ und „Frau“ bereits angelegt worden war.

Menschenrecht und Menschenwürde

Dem Menschen wurde auf dem Boden dieses Kontinents Europa einmal Menschenrecht und Menschen-Würde zugesprochen. Etwas, über das jeder und jede verfügt; universell, unveräußerlich und unteilbar.

Werte, die, neben vielen anderen, erst mühsam und auch blutig gegen den erbitterten Widerstand der christlichen Kirche errungen und durchgesetzt werden mussten. Ein Umstand, auf den man nicht oft genug hinweisen kann. Gerade in Zeiten, in denen ständig von „christlichen Werten“ die Rede ist, auf denen unsere heutige Gesellschaftsordnung angeblich basieren soll.

Und ebenfalls nicht oft genug ist auch in diesem Zusammenhang auch anzumerken, dass sich gerade katholische Kirchendiener auf dünnes Eis begeben, wenn sie die Menschenrechte propagieren: Denn ausgerechnet der Vatikanstaat erfüllt bis heute nicht mal die Voraussetzungen, um die Menschenrechte ratifizieren zu können. Und das wird wohl auch in Zukunft so bleiben:

  • Die Menschenrechte stellen jene Rechte dar, die einzelne Personen vom Staat einfordern können. Der Vatikan ist einer der wenigen Staaten, die die Menschenrechtscharta der UNO bis heute ablehnen. Der Grund: Bis heute stellt die Katholische Kirche das Recht Gottes höher als das Menschenrecht. Und auch mit Papst Franziskus wird sich daran so schnell nichts ändern. (Quelle: Artikel auf deutschlandfunk.de von Thomas Migge: „Der Vatikan und die Menschenrechte“)

Christliche Mythologie vs. alte griechische Mythologie?

[…] Wer kann diesem entsetzlichen Schauspiel aus populärer Irrationalität ein Ende setzen – und wie? Nicht eine alte griechische Mythologie; aber vielleicht ein Bild, das Papst Franziskus in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament 2014 ausgemalt hat: Er spricht von einem Wandgemälde im Vatikan.

Ein Fresko im Vatikan liefert die Antwort auf die Frage, wie populärer Irrationalität ein Ende gesetzt werden kann? Das klingt spannend:

Das Fresko von Raffael zeigt die sogenannte Schule von Athen. Der Philosoph Platon deutet mit dem Finger nach oben, zur Welt der Ideen, zum Himmel, könnten wir sagen; sein Schüler Aristoteles streckt die Hand nach vorne aus, auf den Betrachter zu, zur Erde, zur konkreten Wirklichkeit. „Das scheint mir ein Bild zu sein“, sagt der Papst, „das Europa und seine Geschichte gut beschreibt; eine fortwährende Begegnung zwischen Himmel und Erde; wobei der Himmel die Öffnung … zu Gott beschreibt, die den europäischen Menschen immer gekennzeichnet hat; und die Erde stellt seine praktische und konkrete Fähigkeit dar, Situationen und Probleme anzugehen. Europas Zukunft hängt davon ab, dass wir die lebendige und untrennbare Verknüpfung dieser beiden Elemente wiederentdecken“.

Dem aufmerksamen und kritischen Leser dürfte kaum entgangen sein, dass wir es hier mit einer Bildinterpretation aus christlicher Sicht zu tun haben.

Ähnlich problematisch wie der Begriff „Wunder“ ist die Bezeichnung „Himmel“, wenn sie von einem Religionsverkündiger stammt. Denn im religiösen Sprachgebrauch wird ja Gott im „Himmel“ verortet. Und so auch hier: Aus dem Himmel wird direkt eine „Öffnung zu Gott […] die den europäischen Menschen“ angeblich „immer gekennzeichnet“ haben soll. Oder meint Herr Welter die Begegnung? Egal, denn weder die „Öffnung zu Gott“, noch eine Begegnung mit diesem hat irgendwas mit Rationalität zu tun.

Wunschgemäße Interpretation

Nun geht diese, für einen Papst nachvollziehbare Interpretation meines Erachtens aus diesem Bild nicht hervor; der nach oben gestreckte Finger „symbolisiert die Bewegung der sinnlichen Welt in ein ideelles Prinzip.“ (Quelle: Wikipedia)

Gerade auch der Umstand, dass Plato auf diesem Bild durch Leonardo Da Vinci verkörpert wird, legt die Vermutung nahe, dass es hier eben nicht um eine Begegnung mit Gott geht. Sondern um das, was auf Wikipedia als „ideelles Prinzip“ bezeichnet wird. Bei diesem Prinzip muss es sich keineswegs um eine göttliche Moralquelle handeln, auf deren Grundlage Menschen ihre ethischen Standards entwickeln (symbolisiert durch die horizontale Geste der anderen Hand).

Ihr Versagen als brauchbare Moralquelle hat die christlich-monotheistische Lehre in den mehr als 1000 Jahren, in denen die Kirche die Macht dazu hatte, erschreckend eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Nach meinem Verständnis bringt das Bild lediglich zum Ausdruck, dass die Menschheit „höhere“ Ziele verfolgt, die dann als Grundlage für Regeln und Gesetze dienen. Diese Ziele lauten heute: „Würde und Freiheit des Menschen.“ Also Werte, die gegen den erbitterten…. siehe oben.

Wofür engagieren – und womit?

Dafür will ich mich engagieren – und gegen die populären Irrationalen dieser Tage und Wochen.

Herr Welter, ist Ihnen wirklich nicht bewusst, dass Sie gerade noch die Gefahren der „populären Irrationalen“ zurecht kritisiert haben, um direkt im Anschluss einen, zwar nicht mehr gerade populären, aber eben immernoch existenten religiösen Irrationalismus als Lösung anzubieten? Sie halten es allen Ernstes für sinnvoll und zielführend, populärer Irrationalität mit einem mindestens genauso irrationalen Bezug auf ein himmlisches Götterwesen zu entgegnen?

Der Umstand, dass sich Menschen auf Ihren Gott bzw. auf ihre jeweiligen Götter berufen haben, hat in erster Linie für unvorstellbar viel Leid gesorgt. Bis heute geschieht täglich im vermeintlichen Namen und Auftrag Ihres Gottes Unrecht. Denn bis heute schränken Vertreter Ihres Glaubens die Würde und Freiheit von Menschen ein. Und jetzt soll diese „Öffnung zu Gott“ plötzlich die geeignete Grundlage für den Weltfrieden sein?

Wenn Sie schon Irrationalität als potentiell gefährlich erkannt haben, dann wäre es doch nur konsequent, sich für Rationalität zu engagieren. Statt weiterhin daran festzuhalten, biblisch-christliche Göttermythologie zur Lösung von tatsächlich existierenden Problemen (also nicht von theologischen Scheinproblemen) heranzuziehen.

…Ethik völlig jenseits aller Religionen

Sie brauchen Ihren Glauben ja nicht aufzugeben – die Gedanken sind (seit Aufklärung und Säkularisierung) frei. Nur: Zur Beantwortung von weltpolitischen Fragen im 21. Jahrhundert müssten Sie Ihre religiöse Scheinwirklichkeit außen vor lassen. Jedenfalls dann, wenn Sie ernstgenommen werden möchten.

Dazu gehört auch, ideelle Prinzipien nicht einfach als Geschenk des biblisch-christlichen Wüstengottes Jahwe zu deklarieren. Sondern sie als das zu behandeln, was sie sind:  Von Menschen für Menschen (und für den Umgang mit anderen Lebewesen) erdachte und vereinbarte Werte.

  • „Alle großen Weltreligionen, mit ihrer Betonung der Liebe, Mitgefühl, Geduld, Toleranz und Vergebung können innere Werte fördern. Die Realität unserer heutigen Welt ist jedoch, dass es nicht mehr zeitgemäß ist, unsere Ethik auf Religionen zu gründen. Aus diesem Grund komme ich zunehmend zu der Überzeugung, dass die Zeit gekommen ist, über eine Spiritualität und Ethik völlig jenseits aller Religionen nachzudenken“
    — Dalai Lama via Facebook

Europa: In vieler Hinsicht wunderbar, aber kein Wunder

Weil ich an das Wunder Europa glaube und an das Wort „Mensch“.

Europa mag in vieler Hinsicht wunderbar sein, ein Wunder im religiösen Sinne ist es nicht. Sondern ein Wertekonzept, auf dem offene und freie Gesellschaften entstehen können.

Herr Welter, wenn Sie sich für die europäischen Werte engagieren möchten, empfehle ich Ihnen das lesenswerte Buch „Bauplan der Freiheit“ von teamfreiheit.info. Allein schon mit diesem Buch könnte und sollte man den Religionsunterricht ersetzen und schon bei Kindern ein Bewusstsein für die 6 europäischen Grundwerte schaffen.

Einen Glauben teile ich übrigens mit Ihnen, wobei ich eher von „Hoffnung“ sprechen würde: Die Hoffnung Mensch. Genauer: Die Hoffnung auf die Entwicklungsfähigkeit der Menschheit.

Ihnen wünsche ich eine wirklich gute Nacht und einen gesegneten Sonntag.

  • Segen (althochdeutsch segan, auch segon, segin, segen, entlehnt aus lateinisch signum „Zeichen, Abzeichen, Kennzeichen“, ab dem späten 2. Jahrhundert auch Kreuzzeichen) bezeichnet in vielen Religionen ein Gebet oder einen Ritus, wodurch Personen oder Sachen Anteil an göttlicher Kraft oder Gnade bekommen sollen. (Quelle: Wikipedia)

Herr Welter, Menschen zu wünschen, dass ihr Sonntag „Anteil an göttlicher Kraft oder Gnade bekommen“ soll, ist hochgradig irrational, oder wie sehen Sie das? Wofür bzw. wogegen möchten Sie sich nun konkret engagieren? Und mit welchen Mitteln? Segnungen jedenfalls sind nachweislich sinn- weil nutzlos.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema Europa und Irrationalität.

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