Kommentar zu NACHGEDACHT (63) Welche Vorbilder suchen wir uns?, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 16.03.14 von Osthessennews
[…] Jeden Tag sehen wir sie [unsere Eltern] in Kindertagen und wir sehen auch genau von ihnen, dass es nicht einmal so gut im Leben laufen kann.*
„Nicht einmal so gut im Leben?“ Oder ist vielleicht „…auch einmal nicht so gut…“ gemeint?
[…] Leider sind nicht alle Eltern auch „kopierfähig“, sondern lieber hätten diese keine Eltern werden sollen.*
Es steht Ihnen wohl kaum zu, etwas darüber auszusagen, wer Kinder kriegen dürfen soll und wer nicht. In Deutschland haben sich Menschen vor nicht mal 100 Jahren schon mal überlegt, dass bestimmte Menschen keine Eltern werden sollen – und haben dafür gesorgt, dass sie keine Eltern mehr werden konnten.
Auch Kinder von Eltern, die für ihre Kinder keine Vorbilder waren, haben nicht nur das Recht zu leben, sondern auch die Chance, trotzdem ein erfülltes und glückliches Leben zu leben. Ausgerechnet für eine Anhängerin der katholischen Kirche sind Kommentare zu diesem Thema generell nicht angebracht.
[…] Aber ich hatte Glück: Ich „kopiere“ gerne die leichte und glückliche Art meiner Mutter – und ich kopiere gerne die akribische und ordentliche Vorgehensweise meines Vaters.*
Interessant in diesem Zusammenhang: Die allermeisten gläubigen Menschen beten denselben Gott an wie ihre Eltern. Somit gilt die frühkindliche Indoktrination als die wirkungsvollste Methode, um längst überkommene religiöse Ideen gegen jedes bessere Wissen und gegen jede Vernunft an die nächste Generation weiterzugeben.
Verantwortungsvolle Eltern überlassen es ihren Kindern, später selbst zu entscheiden, ob sie an einen Gott glauben wollen und wenn ja, an welchen. Wenn das der Fall wäre, gäbe es heute sehr wahrscheinlich keine Religion mehr.
Auch interessant sind in diesem Zusammenhang folgende Überlegungen von Sigmund Freud:
Religion als Vaterkomplex und infantile Wunschvorstellung
- „Die Psychoanalyse hat uns den intimen Zusammenhang zwischen dem Vaterkomplex und der Gottesgläubigkeit kennen gelehrt, hat uns gezeigt, dass der persönliche Gott psychologisch nichts anderes ist als ein erhöhter Vater, und führt uns täglich vor Augen, wie jugendliche Personen den religiösen Glauben verlieren, sobald die Autorität des Vaters bei ihnen zusammenbricht.
Im Elternkomplex erkennen wir so die Wurzel des religiösen Bedürfnisses; der allmächtige, gerechte Gott und die gütige Natur erscheinen uns als großartige Sublimierungen von Vater und Mutter, vielmehr als Erneuerungen und Wiederherstellungen der frühkindlichen Vorstellungen von beiden. Die Religiosität führt sich biologisch auf die lang anhaltende Hilflosigkeit und Hilfsbedürftigkeit des kleinen Menschenkindes zurück, welches, wenn es später seine wirkliche Verlassenheit und Schwäche gegen die großen Mächte des Lebens erkannt hat, seine Lage ähnlich wie in der Kindheit empfindet und deren Trostlosigkeit durch die regressive Erneuerung der infantilen Schutzmächte zu verleugnen sucht.Der Schutz gegen neurotische Erkrankung, den die Religion ihren Gläubigen gewährt, erklärt sich leicht daraus, dass sie ihnen den Elternkomplex abnimmt, an dem das Schuldbewusstsein des einzelnen wie der ganzen Menschheit hängt, und ihn für sie erledigt, während der Ungläubige mit dieser Aufgabe allein fertig werden muss.
(S. Freud, GW VIII, S. 127 ff.)
*Unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ fordert Osthessennews jede Woche zum Nachdenken auf. Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.
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