Kommentar zu NACHGEDACHT 134: Wer ist Jesus für uns?

Lesezeit: ~ 5 Min.

Kommentar zu NACHGEDACHT 134: Wer ist Jesus für uns?, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 2.8.2015 von osthessen-news.de

[…] Aber nicht nur das kognitive Wissen steht bekanntlich beim Thema Religion an erster Stelle, sondern besonders die emotionalen Aspekte, die Menschen mit Religion und Glauben verbinden.*

Mit kognitivem Wissen kommt man in Sachen Religion auch nicht wirklich sehr weit, wenn man ehrlich zu sich selbst ist. Wer sein kognitives Wissen einsetzt, wird die Religion früher oder später als das „entzaubern“, was sie tatsächlich ist: Eine von Menschen erdachte Fiktion, basierend auf archaischen Mythen und längst überholten Dogmen.

Eine Fiktion, die besonders durch frühkindliche Indoktrination vererbt wird, geeignet zur Rechtfertigung ganzer Völkermorde und in Summe für wesentlich mehr Leid und Tod verantwortlich als für das Wohl von Menschen. Eine Fiktion, die beliebig nach dem jeweils gültigen Wertesystem der Religionsführer angepasst und ausgelegt werden kann und dadurch beliebig ist.

Deshalb wundert es mich nicht, dass Sie gar nicht anders können, als zu versuchen, über emotionale Aspekte „Menschen mit Religion und Glauben“ zu verbinden. Das ist insofern trügerisch, weil Menschen (und auch etliche andere Tiere) zu Emotionen auch vollkommen ohne Religion fähig sind.

Eine von Menschen erdachte Fiktion wie eine Religion wird nicht dadurch realer oder wahrer, indem Sie sie durch eine fehlerhafte, weil ebenfalls fiktive und dadurch beliebige Zuordnung von emotionalen Aspekten aufzuwerten versuchen.

Wenn Jugendliche einen Text über die Person „Jesus“ verfassen sollen, kommen oft Denkweisen zutage, die das Sprechen über Religion und Glauben fruchtbar machen können.*

Wie genau meinen Sie das? Dass Ihre Indoktrination nicht immer zufriedenstellend gewirkt hat und manche Jugendliche ab und zu noch selbst denken? Nicht nur durch Texte von Jugendlichen, sondern auch von Erwachsenen kommen Denkweisen zutage, die das Sprechen über Religion und Glauben zwar nicht fruchtbar, aber notwendig machen können.

Ich präsentiere Ihnen heute einen Text von einem jungen Mädchen. Vielleicht hilft Ihnen das, selbst über eine der interessantesten Menschen der Weltgeschichte und den Ursprung des christlichen Glaubens nachzudenken. „[…] Ich mag Menschen nicht, die dauernd von Jesus reden, aber nicht verstanden haben, dass sie in der Nachfolge stehen und deswegen gefordert sind, gut zu sein – zu handeln, wie er es getan hätte.“*

Dieser auf den ersten Blick harmlos klingende Abschnitt zeigt auf erschreckende Art und Weise, was die religiöse Indoktrination bei der Schreiberin schon bewirkt hat: Sie meint offenbar ernsthaft, man müsse sich deshalb „gut“ verhalten, weil man in der „Nachfolge Jesu“ stehen würde.

Sie sitzt dem Denkfehler auf, dass es sich bei „gut“ um eine absolute, für alle Menschen verbindliche und gleiche Größe handeln würde (auch zum Beispiel Hitler sah sich in der Nachfolge Jesu und war aus seiner eigenen Sicht überzeugt davon, mit der Vollendung des von Jesus begonnenen Werkes der Menscheit nicht nur Gutes, sondern das Beste überhaupt zu tun). Können denn auch Menschen, die nicht in der Nachfolge Jesu stehen, überhaupt „gut“ sein?

Statt Menschen, die in Wirklichkeit mehr verstanden haben als sie (und sich nicht in der Nachfolge eines vormittelalterlichen Menschen sehen, der zum Sohn Gottes stilisiert wurde) „nicht zu mögen“ wäre es ratsam, sich mal mit diesen Menschen zu unterhalten und sie zu fragen, worauf sie ihre Sicht der Dinge gründen, wenn nicht auf archaischen Mythen aus zweifelhaften Quellen und geschrieben viele Jahrhunderte vor Erfindung der Menschenrechte.

Auch hier wirkt der schädliche „Gut-Böse“-Dualismus, der zu Überheblichkeit und Abgrenzung („wir sind die Guten, die anderen sind die Schlechten, ich mag sie nicht…„) – ganz im Sinne der Religionsführer – führt.

Jesus ist übrigens nicht der Ursprung des christlichen Glaubens. Die eigentlichen „Erfinder“ dieses Glaubens waren in erster Linie Paulus, Augustinus und Thomas von Aquin. Jesus hatte nur die Ehre (oder das Pech), die Rolle der Verkörperung des angebeteten Gottes  zugesprochen zu bekommen. Für einen jüdischen Rabbi wie ihn wäre es natürlich reinste Blasphemie gewesen, sich selbst als Teil Gottes zu sehen oder so bezeichnet oder gar wie Gott angebetet zu werden. Deshalb dauerte es auch, bis die Heidenchristen die weitere Gestaltung der Religion übernommen hatten und sich nach und nach ihr gewünschtes Jesusbild zusammenfälschten.

Ich weiß nicht, wie ich Jesus definieren soll, weil er weder nur Mensch noch nur Gott ist.*

Diese Definition ist relativ einfach: Der historische Jesus war ein Angehöriger der Trockennasenaffenart „Homo sapiens“ wie jeder andere Mensch auch. Der christliche Jesus ist eine Fiktion, die sich Menschen basierend auf der historischen Person Jesus und nach ihren Wünschen ausgedacht haben. Zu diesem Zweck wurden die wenigen Quellen immer wieder angepasst und verändert, um das gewünschte Bild zu bekommen. Manchmal ist es in Wirklichkeit viel einfacher als man denkt.

Wieviel weiter könnten wir heute sein, wenn sich die Heerscharen von Theologen mit der irdischen Realität beschäftigt hätten, anstatt sich über wirre, vormittelalterliche Märchen den Kopf zu zerbrechen.

Ich glaube, er hat genauso geliebt und gelitten wie wir heute. Aber ich glaube auch, dass er keine Angst hatte. Er war in sich ruhig. Er trug Gott in sich.*

Das muss man auch glauben, ganz einfach, weil man es nicht wissen kann. Eine Gestalt, die vor 2000 Jahren vielleicht tatsächlich gelebt hat, eignet sich ideal, um alle möglichen Wünsche, Sehnsüchte, Eigenschaften oder „Wahrheiten“ auf sie zu projizieren – was diese Gestalt wiederum beliebig und bedeutungslos macht.

Und wenn Jesus heute wieder hier wäre? Hätten wir ein Ohr für ihn oder würden wir ihn erneut ermorden?“*

Solange er gleichberechtigte Interessen anderer Individuen und seiner Umwelt nicht beeinträchtigen würde, würde man ihm bestimmt zugestehen, sich als „Sohn Gottes“ zu fühlen, wenn er das denn inzwischen wollen würde. Würde er anfangen, andere von der Wahrheit dieser Selbsteinschätzung oder doch nur wiedermal von der kurz bevorstehenden Apokalypse überzeugen zu wollen, würde er sehr wahrscheinlich in einer Psychiatrie landen. Allerdings wäre auch eine Karriere als Sektenführer denkbar, wenn er es geschickt anstellen und ein bisschen Geld ins Marketing investieren würde.

Wäre Jesus damals nicht ermordet worden, hätte sich die Prophezeiung nicht erfüllt und die ganze Geschichte hätte niemals als Grundlage für die Erfindung einer Religion gereicht – da brauchte es schon mehr als ein paar gewöhnliche Exorzismen. Das hätte ihm als Sohn Gottes eigentlich bewusst sein müssen, was es aber offenbar nicht war: Den historischen Quellen zufolge war Jesus von seinem Kreuzestod überrascht worden.

Einen wirklich stichhaltigen Grund für die Kreuzigung gibt es übrigens nicht, man vermutet das ungebührliche Verhalten von Jesus im Tempel zu Jerusalem als wahrscheinlichsten Grund für seine Hinrichtung – man wollte so einen weiteren potentiellen Unruhestifter, der die Menschen mit seinen Endzeitveründigungen beunruhigte, mundtot machen.

Natürlich konnte aus Sicht der Evangelisten ein „Sohn Gottes“ nicht einfach so gekreuzigt werden, das war kein würdiges Ende für einen Gottessohn. Deshalb machten die späteren Geschichtsschreiber aus der Not eine Tugend und reicherten die Geschichte mit einer Auferstehung und Himmelfahrt an. So bekam der an sich profane Tod Jesu auf einmal eine geradezu monströse Bedeutung, die er eigentlich nie hatte – mit fatalen Folgen, wie ein Blick in die Kriminalgeschichte des Christentums zeigt.

Jesus hätte insofern Glück gehabt, wenn er erst heute, nach Erfindung der Menschenrechte und von säkularen Grundgesetzen wieder hier wäre. Genau aufpassen müsste er allerdings auf den Ort seiner Wiederkunft: In Gegenden, deren Wertesystem noch keine Säkularisierung durchgemacht hat, wäre ein gewöhnlicher Mord wahrscheinlicher als dass jemand ein Ohr für ihn hätte – die Ermordung wäre dann natürlich moralisch einwandfrei, weil ja „im Namen des Herren“.

*Das Online-Portal Osthessennews fordert jede Woche unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ mit „liberal-theologischen“ Gedanken zum Nachdenken auf. Alle als Zitat gekennzeichnete Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.

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