Von wegen „lieber Gott“ – Kommentar zum Gedicht „Gottes Mühlen“

Lesezeit: ~ 3 Min.

Heute teilte jemand das mehr als bizarr anmutende Gedicht „Gottes Mühlen“ , verfasst von Norbert van Tiggelen, auf Facebook.

Damit dieses Gedicht irgendeinen Sinn ergibt, müssten folgende Dinge vorausgesetzt werden:

  1. Es gibt einen Gott.
    Bis zum heutigen Tag gibt es keinen einzigen seriösen Beleg für die Existenz eines Gottes. Jeder Gott (und es gab schon unzählig viele) ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine rein von Menschen erdachte Fiktion. Und selbst wenn irgendwann einmal das Gegenteil bewiesen werden sollte (wofür es nicht das kleinste Anzeichen gibt, im Gegenteil), so ist dennoch bis heute noch kein einziger der vielen Götter jemals nachweisbar in irgendeiner Form in Erscheinung getreten.
  2. Dieser Gott überwacht ständig und unbemerkt die Menschen.
    Hier wird also nicht nur behauptet, es gäbe einen Gott, sondern es wird von ihm behauptet, er habe wachsame Sinne, mit denen er zumindest eine bestimmte Trockennasenaffenart (die Menschen) auf einem völlig unbedeutenden, kleinen Planeten überwacht.
  3. Gott bestraft Menschen.
    Doch damit nicht genug: Gott bestraft die Menschen. Damit Gott Menschen bestrafen kann, bräuchte er zunächst erstmal ein Wertesystem, nach dem er die Menschen beurteilt. Solange dieses Wertesystem den Menschen nicht bekannt ist, kann Gott auch nicht von den Menschen verlangen, sich danach zu richten. Immerhin befiehlt ja auch der Christengott immer wieder, alle Nicht- oder Andersgläubigen auf grausamste Art und Weise unnachgiebig und vollständig zu vernichten. Wer sich ein Bild vom perversen Strafenregister des Christengottes machen will, dem sei zum Beispiel das angebliche „Wort Gottes“ zur Lektüre empfohlen, speziell das Alte Testament bietet unvorstellbare Grausamkeiten aller Art, mit denen das angeblich auserwählte Volk alle Nicht- und Andersgläubige zur Strecke bringen soll (und fatalerweise auch millionenfach gebracht hat). Völlig unklar bleibt, wie diese Bestrafung durch Gott aussieht und ob sich nur gläubige Christen, oder auch anders- oder freidenkende Menschen vor ihr fürchten müssen. Damit hat diese Androhung den Charakter von „Pass bloß auf, sonst kannst du aber was erleben!“.
  4. Die Strafe (die hier sarkastisch als „Lohn“, bezeichnet wird) erfolgt auf jeden Fall, egal, wie lange die „Vergehen“ zurückliegen.
    Die so bedrohten Menschen dürfen also nicht auf Verjährung oder eine sonstige Amnesie hoffen, die Bestrafung erfolgt auf jeden Fall. Ob dann zum Zeitpunkt der Bestrafung zum Beispiel Selbstmordattentate oder Menschenopfer vom bestrafenden Gott noch als genehm oder als Sünde aufgefasst werden, ist völlig unklar.

Fassen wir nochmal zusammen: Hier wird behauptet, es gäbe einen Gott, der nicht nur alle „Sünden“ einer bestimmten Trockennasenaffenart akribisch registriert und dauerhaft speichert, sondern der auch die Gewalt hat, Menschen nach unbekannten Wertmaßstäben auf unbekannte Art und Weise irgendwann gnadenlos und unnachgiebig zu bestrafen. Dieses Gottesbild entspricht dem des rachsüchtigen, bestrafenden Gottes, wie er im Alten Testament eindrücklich beschrieben wird.

Dieses Gottesbild hat weder etwas mit der Vorstellung eines liebevollen, nachgiebigen Gottes zu tun, wie es sich die meisten Christen heutzutage zurechtgebastelt haben, noch viel weniger hat es zum Glück natürlich mit der Wirklichkeit zu tun.

Deshalb hat dieses Gedicht in etwa soviel Gewicht und Bedeutung wie das Märchen vom Bösen Wolf. Wer gar noch irgendwelche Moralvorstellungen von solchen Schauermärchen ableitet, dem muss man wohl getrost einen nicht unerheblichen Realitätsverlust unterstellen.

Was aber kann so eine diffuse Bedrohung bewirken, besonders bei naiven und/oder unaufgeklärten Menschen? Sie kann dazu führen, dass sich solche Menschen tatsächlich davor fürchten, aber natürlich auch darauf hoffen könnten, es gäbe irgendwann irgendeine übernatürliche „Bestrafung“ für erlittenes oder erlebtes Unrecht, eine Art „ausgleichende Gerechtigkeit.“

Besonders verwerflich ist es, Kindern solchen Unsinn zu erzählen, die möglicherweise noch nicht erfahren haben, dass es sich bei allen Göttern um nichts mehr als Märchen und Mythen handelt.

Warum aber wollen trotzdem Menschen an diesen Gott glauben?

Schon Siegmund Freud lieferte dazu eine plausible, mögliche Erklärung:

  • Religion als Vaterkomplex und infantile Wunschvorstellung

    „Die Psychoanalyse hat uns den intimen Zusammenhang zwischen dem Vaterkomplex und der Gottesgläubigkeit kennen gelehrt, hat uns gezeigt, dass der persönliche Gott psychologisch nichts anderes ist als ein erhöhter Vater, und führt uns täglich vor Augen, wie jugendliche Personen den religiösen Glauben verlieren, sobald die Autorität des Vaters bei ihnen zusammenbricht.

    Im Elternkomplex erkennen wir so die Wurzel des religiösen Bedürfnisses; der allmächtige, gerechte Gott und die gütige Natur erscheinen uns als großartige Sublimierungen von Vater und Mutter, vielmehr als Erneuerungen und Wiederherstellungen der frühkindlichen Vorstellungen von beiden. Die Religiosität führt sich biologisch auf die lang anhaltende Hilflosigkeit und Hilfsbedürftigkeit des kleinen Menschenkindes zurück, welches, wenn es später seine wirkliche Verlassenheit und Schwäche gegen die großen Mächte des Lebens erkannt hat, seine Lage ähnlich wie in der Kindheit empfindet und deren Trostlosigkeit durch die regressive Erneuerung der infantilen Schutzmächte zu verleugnen sucht.

    Der Schutz gegen neurotische Erkrankung, den die Religion ihren Gläubigen gewährt, erklärt sich leicht daraus, dass sie ihnen den Elternkomplex abnimmt, an dem das Schuldbewusstsein des einzelnen wie der ganzen Menschheit hängt, und ihn für sie erledigt, während der Ungläubige mit dieser Aufgabe allein fertig werden muss.
    (S. Freud, GW VIII, S. 127 ff.)

 

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