Hutzelfeuer: Erhaltenswerter Brauch oder sinnlose Umweltbelastung?

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Das Thema heute hat mal nicht direkt mit der christlichen Religion, sondern mit heidnischen Traditionen zu tun. Interessanterweise hat der lokale Online-Nachrichtendienst Osthessennews seinen Beitrag über ein Hutzelfeuer in der Rhön trotzdem unter der Rubrik „Kirche“ veröffentlicht – obwohl Hutzelfeuer inhaltlich definitiv nichts mit der christlichen Kirche zu tun haben, außer dass das Fest dazu genutzt wird, die alten Christbäume (die ja ebenfalls auf heidnische Kulte zurückgehen) zu verbrennen.

Am letzten Sonntag war es wieder soweit: In der Nähe vieler Rhöner Ortschaften loderten die Hutzelfeuer teils bis zu 20 Meter hoch in den Himmel. Beim Hutzelfeuer handelt es sich um einen besonders in der Rhön noch verbreiteten Brauch:

Das Abbrennen von Hutzelfeuern ist eine regionale Variante der Winterverbrennung in Mittel-, Ost- und Nordhessen und in Thüringen mit Schwerpunkt in der Rhön. Üblicher Termin ist der Hutzelsonntag, der erste Sonntag der Fastenzeit, örtliche Abweichung sind aber möglich.

Der Begriff Hutzelfeuer leitet sich von den Hutzeln ab, einer regionalen Bezeichnung für gedörrte Birnen und Zwetschgen, die traditionell an diesem Tag gegessen werden. Ebenso werden Hutzelkräppel zubereitet. Am Tag des Hutzelfeuers ziehen die Jugendlichen durch das Dorf und sammeln Hutzelkräppel oder Geld, am Abend wird das Hutzelfeuer angezündet. Das Feuer soll den durch eine Hutzelpuppe (auch Hutzelhexe oder Hutzelmann genannt) symbolisierten Winter vertreiben. (Quelle: Wikipedia)

Zwischen den einzelnen Ortschaften besteht oft ein Wettstreit, wer das größere Hutzelfeuer hat. Dieser Brauch ist insofern interessant, als dass er noch nicht von der Kirche vereinnahmt wurde (wie so viele andere heidnische Bräuche) – die Kirche hatte Hutzelfeuer bis 1919 sogar verboten, weil sie eine Störung ihrer Fastenzeit befürchtete. Er zeugt also tatsächlich noch von einer vorchristlichen Zeit oder zumindest von einer Zeit, in der der kirchliche Einfluss noch nicht groß genug war, um heidnische Bräuche verbieten zu können.

Noch heute ist das Hutzelfeuer in vielen Rhöndörfern ein richtig großes Ereignis, das den Einsatz ganzer Sportvereine, Feuerwehren und der Dorfbevölkerung erfordert. Insofern ist dieser Brauch auf jeden Fall ein wertvoller Beitrag zur Identitätsstiftung und zum Gemeinschaftserlebnis der Dorfgemeinschaften.

Ein anderer Aspekt ist die Tatsache, dass es für das ansonsten sinnlose Verbrennen von Holz heute eigentlich gar keinen Grund mehr gibt. Im Mittelalter mögen Wintergeister noch eine „reale“ Gefahr dargestellt haben, gegen die man tatsächlich mit großen Feuern vorgehen musste, um sie los zu werden.

Und sicher waren die Winter damals noch wesentlich unangenehmer als heute, wo wir mit Heizung und elektrischem Licht ganzjährig ziemlich gleichbleibende Umgebungsbedingungen schaffen können. Dass ein Holzfeuer immer auch eine Umweltbelastung darstellt, war damals ebenfalls weder bekannt, noch relevant.

Hutzelfeuer in der Rhön
Hutzelfeuer in der Rhön. Foto: Jürgen Hüfner

Mit anderen Worten: Objektiv betrachtet gibt es heute, abgesehen von den positiven sozio-kulturellen Begleiterscheinungen, für die ansonsten sinnlose Verbrennung von Holz keinen wirklichen Grund mehr. Da stellt sich die Frage: Rechtfertigt der positive Effekt diese Umweltbelastung?

Die Antworten auf diese Frage fielen in einer Facebook-Diskussion erwartungsgemäß aus: Die Umweltblastung durch alle Hutzelfeuer zusammen sei doch verschwindend gering im Vergleich zu der Umweltbelastung, die zum Beispiel durch Containerschiffe oder durch Amazonas-Regenwaldabholzung erzeugt würde. Wenn schon, dann müsse man dort anfangen und nicht ausgerechnet bei den schönen Rhöner Bräuchen und Traditionen.

Wer so argumentiert, sitzt einem klassischen Fehlschluss auf, der nicht schwer zu durchschauen ist. Dazu einige Vorüberlegungen:

  1. Für Lebewesen geeignete Umweltbedingungen sind die Voraussetzung für Leben auf der Erde. Welche Werte (Temperatur, Sauerstoffgehalt, Wasservorkommen…) für das momentan auf der Erde vorhandene Leben entscheidend sind und in welchen Bereichen diese Werte liegen sollten, ist umfassend bekannt.
  2. Jede Maßnahme, die diese Werte verschlechtert, verschlechtert auch die Qualität unseres Lebensraumes – unabhängig davon, wie gravierend diese Schädigung ist.
  3. Deshalb ist es sinnvoll, jede Maßnahme kritisch zu hinterfragen, die eine Umweltbelastung mit sich bringt – ebenfalls unabhängig davon, wie gravierend diese Schädigung ist.

Und jetzt kommt der Fehlschluss: Verglichen mit den gravierenden Umweltsünden haben alle Hutzelfeuer der Welt zusammengenommen sicher nur eine minimale Umweltbelastung zur Folge. Das ändert aber nichts daran, dass sie trotzdem auch die Umwelt belasten. Und dass es noch viel größere Umweltsünden gibt, rechtfertigt im Umkehrschluss nicht, deswegen kleine Umweltsünden begehen zu dürfen – zumal solche, die möglicherweise sogar verlustfrei vermeidbar wären.

Wie dieser Fehlschluss funktioniert, lässt sich an einem Beispiel aus dem Autohaus gut erklären:

Herr Mayer kauft sich im Autohaus ein neues Auto für 20.000 Euro. Nach Kaufabschluss bekommt er als Upgrade für 2.000 Euro noch ein Schiebedach angeboten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Herr Mayer diese 2.000 Euro jetzt ausgibt, ist wesentlich höher, wenn er direkt vorher 20.000 Euro ausgegeben hatte. Hätte er das Schiebedach (das er eigentlich gar nicht braucht), nicht im Zusammenhang mit seiner „großen“ Ausgabe angeboten bekommen, hätte er es sehr wahrscheinlich nicht gekauft.

Herr Mayer ist genau diesem Denkfehler aufgesessen: Er hat die 2.000 Euro nämlich im Verhältnis zu den 20.000 Euro als vergleichsweise wenig empfunden und war deshalb bereit, dieses Geld auch noch auszugeben. Geschickte Verkäufer kennen diese menschliche Schwäche und nutzen sie oft aus, um durch Zusatzverkäufe nach der eigentlichen Kaufentscheidung noch zusätzlichen Umsatz zu machen (Insgesamt 52 klassische Denkfehler werden anschaulich in diesem Buch* beschrieben.).

Demselben Denkfehler sitzt auch Herr Geissen auf, wenn er in der TV-Werbung für einen Preisvergleichsanbieter konstatiert: „…und je mehr Energie wir verbrauchen, umso mehr sparen wir.“ – Statt die absoluten Gesamtkosten zu betrachten, setzt er die Ersparnis ins Verhältnis zu den Gesamtkosten. In Wirklichkeit spart er natürlich umso mehr, je weniger Energie er verbraucht.

Was bedeutet das fürs Hutzelfeuer? Nur weil es noch viel größere Umweltschädigungen gibt bedeutet das nicht, dass man deshalb auf kleine Umweltschädigungen nicht trotzdem verzichten sollte, zumal dann, wenn die ursprünglichen Gründe für diese Schädigung heute gar nicht mehr gegeben sind. Auch kleine Umweltschädigungen schaden der Umwelt. Das Verhältnis zu größeren Umweltschädigungen spielt dabei keine Rolle – genauso, wie durch eine große, vorher ausgegebene Summe eine kleinere Summe nur gefühlt noch kleiner wird, nicht aber  in echt.

Welche Gründe sprechen also heute noch für das Abbrennen von Hutzelfeuern?

Da ist zunächst der sozio-kulturelle Aspekt: Das ganze Dorf oder zumindest ein großer Teil davon kommt zusammen, plant eine Aktion, führt sie gemeinsam durch und hat Spaß dabei. Es wird geredet, gelacht, vielleicht gesungen und man hat sich wiedermal „in Echt“ gesehen.

Dies stellt natürlich einen nicht zu unterschätzenden, tatsächlichen Wert für die Gesellschaft dar. Allerdings gibt es diese Effekte auch im Zusammenhang mit anderen Bräuchen, bei denen keine Holzberge zum Spaß verbrannt werden müssen. Der positive Effekt steht also in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Feuer. Wäre es nicht denkbar, einen Brauch zu schaffen, der den Menschen die gleichen positiven Effekte bringt, ohne dass deswegen riesige Feuer entzündet werden müssen?

„Ein klares NEIN“, war eine Reaktion auf diese Frage – mit einer überraschenden Begründung: Offenbar gibt es auch heute noch Menschen, die im rituellen Abbrennen von Feuern eine Verehrung der „feinstofflichen Wesenheit Feuer“ sehen und für die Feuer „eines der vier Elemente der Elementargeister“ ist.

Natürlich ist es jedem Menschen freigestellt, die Wirklichkeit so zu interpretieren, wie er oder sie möchte – solange dabei keine gleichberechtigten Interessen Anderer verletzt werden. Genau das wäre bei so begründeten Hutzelfeuern der Fall: Die Umweltbelastung betrifft nun mal nicht nur die Leute, die an Geister glauben, sondern auch alle anderen. Feinstoffliches belastet nur Menschen, die daran glauben, Feinstäube belasten alle.

Da bis heute noch niemals auch nur ein angeblicher Geist irgendwie seriös nachweisbar in Erscheinung getreten ist, können wir getrost davon ausgehen, dass diese Geister keiner Verehrung bedürfen, schon gar keiner, die die Umwelt derer, die sie ja für ihre Verehrung bräuchten (also uns Menschen), belastet.

Wenn Menschen soziale Netzwerke im Internet nutzen, um mit ihrem Smartphone oder PC via WLAN oder DSL Aussagen über Elementargeister zu veröffentlichen, dann zeigt das erschreckend deutlich, wie groß die Differenz zwischen naivem Kinderglauben (in dem Fall heidnischer Natur) und unserer heutigen Realität wirklich ist. Da ist es nicht mal mehr erforderlich, sich auch noch darüber lustig zu machen… Zu meiner Erleichterung vertrat die Schreiberin dieses Vetos in Wirklichkeit nicht diesen esoterischen Standpunkt (was mich auch sehr gewundert hätte) – sie hatte ihn nur zur Erklärung der ursprünglichen Bedeutung von Feuerriten vorgebracht 🙂

Ein weiterer Diskussionsteilnehmer wähnte, ebenfalls erwartungsgemäß, dass der Hintergrund meiner Überlegungen ja wohl der allgegenwärtige Verbots- und Vorschriftenwahn sei.  Dabei hatte ich mit keinem Wort von Verboten oder Vorschriften gesprochen, sondern lediglich die Frage in den Raum gestellt, ob es für Hutzelfeuer heute noch so starke Argumente gibt, dass man die damit einhergehende Umweltverschmutzung eben in Kauf nehmen müsse.

Besonders in einigen bestimmten Rhöner Bergdörfern herrscht diesbezüglich auch heute noch ein pauschales Misstrauen allen Gedanken gegenüber, die vielleicht nicht unmittelbar der überlieferten Stammtischmeinung entsprechen. Argwöhnisch befürchtet man in allem eine mögliche Bevormundung, der man dann mit einer gewissen „Bauernschläue“ zu begegnen versucht.

Es ist natürlich viel einfacher und bequemer, etwas für uns so Abstraktes und Entferntes wie die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes oder die Umweltbelastung durch Containerschiffe anzuprangern, als das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen.

Und natürlich ist es sinnvoll und wichtig, sich auch dieser Quellen für massive Umweltzerstörung bewusst zu werden. Ebenso ist es wichtig zu erkennen, dass auch wir ein Teil der Ursache sind. Denn diese Dinge geschehen nicht, weil jemand unseren Lebensraum vorsätzlich zerstören möchte, sondern weil das Verlangen nach möglichst unbegrenzt verfügbaren Rohstoffen und möglichst billigen Waren offenbar größer ist als jedes (schlechte) Umweltgewissen. Somit sind auch die „großen“ Umweltzerstörungen (wie viele andere Missstände auch) direkte oder zumindest indirekte Folgen des Verhaltens vieler einzelner Menschen, die diese Zerstörungen mit ihrem Verhalten nicht nur billigend in Kauf nehmen, sondern sogar verstärken.

„Think global – act local“ – unter diesem Motto wurden Menschen schon vor mehr als 40 Jahren dazu aufgefordert, die Erde als globalen Lebensraum zu betrachten und gleichzeitig in ihrer direkten Umgebung tätig zu werden, diesen Lebensraum zu erhalten. Nicht, weil es gilt, eine angebliche Schöpfung zu bewahren oder weil es uns vorgeschrieben wurde, sondern aus unserem ureigensten Interesse, die Erde möglichst lange als einen für Lebewesen (und damit auch für uns) geeigneten Lebensraum zu erhalten.

Und so liegt es nahe, auch mal das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen und zu überlegen, ob es nicht doch möglich und sinnvoll sein könnte, Verhaltensweisen wie längst überkommene Bräuche zu verändern oder durch neue zu ersetzen. Schließlich hat es die Menschheit ja auch geschafft, von Menschenopfern wegzukommen (zumindest auf echte; symbolisch wird ja in jedem katholischen Gottesdienst auch heute noch mindestens jeden Sonntag ein Mensch geopfert).

Der geneigte Leser wird mir hoffentlich zustimmen, dass die Besänftigung von Feuergeistern oder die Vertreibung von Wintergeistern durch symbolische Verbrennungen heute jedenfalls nicht mehr erforderlich ist. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch heute noch gute Gründe für ausgelassene Feiern geben würde!

Für den ausgehenden Winter würde sich zum Beispiel der 12. Februar eignen – der Tag, an dem Charles Darwin 1809 geboren wurde. Man könnte am „Darwin-Tag“  ein rauschendes Fest zu Ehren der Wissenschaft und der Evolution feiern.

Think global – act local!

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