Umwerfend aufsässig – Das Wort zum Wort zum Sonntag, Thema Steinkohlebergbau und Solidarität

Lesezeit: ~ 5 Min.

Umwerfend aufsässig – Das Wort von Jörn zum Wort zum Sonntag zum Thema Steinkohlebergbau und Solidarität, gesprochen von Alfred Buß (ev.), veröffentlicht am 22. Dezember 2018 von ARD/daserste.de

Was könnte die Jungfrau Maria zu tun haben mit dem Ende des Steinkohle-Bergbaus in Deutschland? Dieses knifflige Rätsel hielt am Samstag die Nation in Atem – jedenfalls jene drei Prozent der Zuschauer, die nicht schnell genug auf andere Kanäle umschalten konnten.

Mühelos fuhr das „Wort zum Sonntag“ die mit Abstand schlechteste Einschaltquote des Tages (Marktanteil 3,4%, Quelle: daserste.de, abgerufen am 23.12.2018) im Ersten ein. „Quotengift“ nennt man das beim Fernsehen.

Dabei war es durchaus sehenswert, wie Alt-Präses Alfred Buß (evangelisch, im Ruhestand) einen (zumindest im Wort zum Sonntag letzten) intellektuellen Salto Mortale vorführte. Als er heiliges Zeugnis ablegte über die erstaunlichen Parallelen von Gottesmutterschaft, Steinkohle und Solidarität.

Vive la révolution!?

Es begann mit der spannenden Geschichte der Jungfrau Maria: Wie die unbedeutende Frau, die erniedrigte Magd, schließlich doch von Gott erhöht wurde.

Brav ist sie nun wirklich nicht. […] Was sie sagt, ist umwerfend. […] Gegen erzwungene Niedrigkeit protestiert Maria.*

RevolutionÜber diese Maria möchten wir mehr erfahren, und wir werden nicht enttäuscht. Laut Präses Alfred Buß war Maria keineswegs die demütige keusche Gottesmutter, zu der die Kirchen sie später degradierten. Sondern Maria wehrte sich, kämpfte für Gerechtigkeit und protestierte gegen die Verhältnisse.

Vor unseren Augen entsteht das Bild einer mutigen Kämpferin. Nicht nur meldete sie sich zu Wort, als Frau! Allein dies wäre zu biblischen Zeiten ein Unding gewesen. Nein, sie warf mit ihren Worten auch noch die Verhältnisse um. Was sie sagte, war und ist umwerfend.

Was sagte sie denn nun?

Man hielt es vor Spannung kaum noch aus vor dem Fernseher. Was sagte sie? Welches waren die umwerfenden Worte? Werden wir es endlich erfahren?

Nein. Denn anstatt sich mit unserer Sensationslust gemein zu machen, bewies Präses Alfred Buß seine erzieherische Autorität. Und wechselte das Thema. Kein Wort darüber, was die mutige Maria nun wirklich gesagt haben soll.

Doch unsere nagende Ungewissheit hat hier und jetzt ein Ende. Zum Entzücken der Leserschaft sei der gesamte Wortlaut von Marias Ansprache aufgedeckt:

  • Da sagte Maria: »Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan und sein Name ist heilig.
  • Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unsern Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.« (Quelle: Lk1, 46-55 EU)

Übersetzen wir das kurz in normale Sprache:

MariaEs ist eine Lobpreisung auf den Herrn, und zwar in zwei Teilen: Erstens rühmt Maria ihre eigene Erhöhung, von der Magd zur Gottesmutter. Zweitens ist es die übliche Litanei, dass Gott die Gläubigen reich beschenken und die Ungläubigen ausrotten würde (hier umschrieben mit: in alle Winde zerstreuen).

Was ist damit gemeint? Maria bzw. Lukas formuliert hier keine Forderung nach Gerechtigkeit für alle. Sondern es ist die religiöse Wut einer damals kleinen Splittergruppe. Nicht Gerechtigkeit oder Solidarität ist das Ziel. Sondern Rache, also sinngemäß:

Wer heute reich ist, soll arm werden, denn wir Christen wollen die Reichen sein. Wer heute die Macht hat, soll gestürzt werden, denn wir Christen wollen die Mächtigen sein! Und dann wehe Euch!

Maria, die Unbekannte

Dass Maria diese Worte tatsächlich gesprochen hat, vertritt heute kein vernünftiger Theologe mehr. (Wir werden gleich noch sehen, woran das liegt.)

Dass Maria trotzdem für alle nur denkbaren Zwecke verwendet werden kann, sei es als gütige Mutter, sei es als Streiterin für Gerechtigkeit, oder auch als Patin für den Steinkohlebergbau, hat einen einfachen Grund: Sie wird in der Bibel so gut wie nicht beschrieben und dient daher als freie Projektionsfläche für eigene Wünsche und Ideen.

Keine der Eigenschaften, die über Maria behauptet werden, lassen sich aus der Bibel begründen. Denn die Bibel schweigt über ihre Eigenschaften. In den meisten Schriften des Neuen Testaments kommt sie nicht vor oder sagt kein Wort.

Wo sie etwas sagen darf, etwa bei Lukas, sind es ein paar hölzerne Lobpreisungen auf Gott. Von ihren eigenen Ansichten, Wünschen oder Gefühlen spricht sie nie. Alles, was Herr Buß in dieser Hinsicht über Maria berichtet, ist erfunden.

Ein Blick in die Bibel

BibelDass Maria überhaupt irgendeine Beachtung im Christentum fand, ist eine relativ späte Entwicklung, beginnend ab dem siebten Jahrhundert.

Nochmals einige Jahrhunderte später erwuchs daraus die glühende Verehrung, die wir heute in den südlichen Ländern (und in Bayern) vorfinden.

Zu biblischen Zeiten war Maria kaum eine Erwähnung wert:

  • Im ältesten Evangelium, dem Markus-Evangelium, sagt Maria keinen Ton. Die Empfängnis und die Geburt sind dort keine Silbe wert. Markus weiß auch nichts von einer jungfräulichen Geburt.
  • Im späteren Matthäus-Evangelium kommt Maria zwar vor, spricht jedoch nicht und wird auch nicht angesprochen. Dies gebot die jüdische Ordnung, und Matthäus schrieb für eine Leserschaft, die noch die jüdischen Gesetze kannte und achtete. Matthäus erfand eine Szene, in der ein Engel erscheint und die Geburt eines Erlösers ankündigt. Aber der Engel richtet das Wort nicht an Maria, sondern an Josef. Josef erhält diese Weissagung im Traum.
  • Das Lukas-Evangelium, aus dem Präses Alfred Buß seine Worte nahm, spinnt diese Vorlage von Matthäus weiter. Nun wird Maria selbst von einem Engel über ihre Schwangerschaft unterrichtet. Maria erhält dadurch einen kurzen Auftritt.  Aber nur zu dem Zweck, zwei Stammbäume zu verbinden: Nämlich den von Jesus und von Johannes dem Täufer. Letzterer war in bestimmten Regionen ein bekannter Prediger, und Lukas wollte beide Linien verbinden. Die Mutter von Johannes wird deswegen als Cousine von Maria vorgestellt. Nachdem diese Funktion erfüllt war, tauchte Maria nicht mehr auf. Maria hat keine eigene Geschichte und keine eigene Botschaft.
  • Im Johannes-Evangelium, dem letzten Evangelium, wird Maria nicht namentlich erwähnt. Sie spricht nicht.
  • Die ältesten Schriften des Neuen Testaments, die den Ereignissen zeitlich am nächsten kommen, sind die Paulus-Briefe. Auch Paulus erwähnt Maria nicht namentlich. Er belässt es bei dem Hinweis, Jesus sei „geboren von einer Frau“.

MenschenDas ist also die Lage in den Evangelien und den Paulus-Briefen. Wo sind hier die Geschichten über ihre (laut Präses Alfred Buß) „umwerfenden“ Reden oder Taten? Wo ist sie „aufsässig“, gegen wen? Wo kritisiert sie „erzwungene Niedrigkeit“?

Die Wahrheit ist, dass hier die Zuschauer vom „Wort zum Sonntag“ tüchtig eingeseift werden. Die Zuschauer, vor allem die Gläubigen unter ihnen, kennen sich in der Regel nicht mit der Bibel aus. Und sie sind es ohnehin gewohnt, still zu sein, wenn der Herr Pfarrer spricht.

Solidarität

Dabei trägt Präses Alfred Buß eine durchaus berechtigte Mahnung vor. Er mahnt an, dass wir solidarisch sein sollten mit den Bergarbeitern, die nach der Schließung der letzten Zeche arbeitslos würden. Darüber hinaus sollten wir auch solidarisch sein mit allen anderen, die in Not geraten, im Abseits stehen oder nicht beachtet werden.

Da stimmen wir gerne zu. Und weil unsere Solidarität nicht nur aus frommen Märchen besteht, realisieren die Deutschen einen ordentlich finanzierten Sozialstaat.

Sozialausgaben machen über 50% des Bundeshaushalts aus. Das bedeutet nicht, dass alles gerecht ist und alle Probleme gelöst sind. Aber 50% sind dennoch eine beachtliche Leistung.

Zum Vergleich: Die deutschen Kirchen geben nur etwa 5% ihrer Einnahmen für soziale Zwecke aus. Da fragt man sich, an wen sich die Predigt überhaupt richten sollte?

Präses Alfred Buß befindet sich bereits im Ruhestand. Uns würde mal (ganz ernsthaft) interessieren, welchen Teil seiner Rente die Kirche bezahlt. Und welcher Teil aus dem staatlichen Topf auf seinem Konto landet.

Auch Atheisten und Anhänger anderer Götter zahlen in diesen Topf ein. Warum? Weil alle einzahlen. Das ist echte Solidarität. Sogar die Bergarbeiter zahlen ein.

Nur die Kirchen nicht. Die predigen die Solidarität nur. Weil sie von eben dieser Solidarität Anderer selbst vorzüglich profitieren.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.

Ergänzung: Bye bye, Herr Buß

Wie auf dieser Webseite zu erfahren ist, war dies die letzte Verkündigungssendung von Herrn Buß im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Da erinnern wir uns und unsere Leser gerne nochmal an eine Antwort, die uns der Fernsehpfarrer mal auf unsere Bitte um eine Stellungnahme zu einem unserer Kommentare zu einer seiner Verkündigungen geschickt hatte.

Er hatte sich darüber gewundert, von uns angeschrieben zu werden. Seine E-Mail-Adresse  habe er für alle angegeben, die Interesse an einer ernsthaften Diskussion haben. Eine Absicht, die er in Anbetracht unserer Beiträge nicht mal vermuten würde.

Und so blieben (und bleiben wohl auch in Zukunft) viele Fragen unbeantwortet und viele Behauptungen unbewiesen. Inwiefern unsere Beiträge nicht ernsthaft genug sind oder was Herr Buß unter einer ernsthaften Diskussion versteht, hat er uns jedenfalls bis heute nicht verraten.

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1 Gedanke zu „Umwerfend aufsässig – Das Wort zum Wort zum Sonntag, Thema Steinkohlebergbau und Solidarität“

  1. Dieses Anreißen von Themen, dann aber nichts oder nichts greifbares dazu zu sagen, findet sich auch durchgängig im Werbefilm für den Vorstandsvorsitzenden der Papst AG von Wenders. Wenig Worte und die auch noch ohne Aussage.

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