Kommentar zu Aschermittwoch-Brauch: 200 Winfriedschüler empfingen im Dom das traditionelle Aschenkreuz

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Kommentar zu Aschermittwoch-Brauch: 200 Winfriedschüler empfingen im Dom das traditionelle Aschenkreuz, Originalartikel verfasst von st/sr, veröffentlicht am 10.02.16 von Osthessennews

[…] Die Aschekreuze, so wünschte sich Pater Wolf, sollen die Mädchen und Jungen am heutigen Tag mit Stolz tragen.*

Die Symbolik der „Asche auf das Haupt“ als Schuldeingeständnis kommt bereits in der Bibel vor. Dort findet sich die Geschichte eines Mädchens, das von seinem Bruder vergewaltigt wird.

Zu dieser Zeit war es aber nicht etwa der Vergewaltiger, der für seine Tat „Asche aufs Haupt“ hätte streuen müssen, sondern die junge Frau, also das Vergewaltigungsopfer, musste mit dieser Geste eingestehen, dass sie selbst, und nicht etwa ihr Vergewaltiger die Schuld an der Vergewaltigung hatte. Schließlich hatte sie auch bunte Kleider getragen und war auf einen billigen Trick des Vergewaltigers hereingefallen.

Dem größten Teil der Menschheit ist es zum Glück gelungen, dieses furchtbare Frauen- und Wertebild im Lauf der letzten Jahrtausende zu überwinden. In der heutigen Zeit würde man selbstverständlich erwarten, dass der Täter seine Schuld eingestehen müsste und deshalb „Asche auf sein Haupt streuen“ müsste (wovon die Schuld natürlich auch nicht getilgt wäre).

Die ursprüngliche Bedeutung der „Asche auf dem Haupt“ ist also das Eingestehen einer Schuld, eine symbolische Selbsterniedrigung. Wenn sich schon die Werte, um die es geht, um 180 Grad gewandelt haben, warum hält man dann bis heute an einem solchen Ritual fest?

Ausgerechnet Kindern zu erzählen, dass sie diese symbolische Erniedrigung auch noch „mit Stolz tragen“ sollen, empfinde ich geradezu als widerlich. Wer seine masochistischen Phantasien ausleben möchte, der mag das gerne tun – wer aber Kinder damit konfrontiert oder sie, als Erziehungsberechtigte, nicht davor bewahrt, handelt verantwortungslos,  zumindest aber äußerst fragwürdig.

Wir würden Gläubige ein solches Ritual beurteilen, wenn es von einer anderen Religion an Kindern durchgeführt werden würde?

Aber selbst wenn man das Kreuz nicht als Schuldeingeständnis, sondern „nur“ als Symbol für Vergänglichkeit deutet, ergibt das ebenfalls keinen Sinn, jedenfalls in der christlichen „Logik.“

Das christliche Heilsversprechen besteht ja gerade darin, dass mit dem Tod eben nicht alles vorbei ist, sondern dass eine vom Körper auf wundersame Weise trennbare „Seele“, die aber weiterhin die Persönlichkeit eines Individuums beinhaltet (also vielleicht sowas wie ein Software-Backup?), erst im Jenseits, also nach dem Tod die ewige Herrlichkeit (oder auch Verdammnis) erwarten würde.

Somit spielt die Vergänglichkeit des Körpers doch gar keine große Rolle, sollte man meinen? Warum müssen Menschen auf die Vergänglichkeit ihres Körpers so explizit durch eine rituelle Bemalung hingewiesen werden, wenn es „sie“ doch angeblich sowieso auch noch über den Tod hinaus „gibt“?

Warum weist man sie nicht stattdessen lieber darauf hin, welch unglaublich phantastische Möglichkeiten die Evolution den Menschen „beschert“ hat?

Die Vergänglichkeit allen Lebens ist eine ganz natürliche und bis auf Weiteres sowieso unabwendbare Angelegenheit, der man sich natürlich bewusst sein sollte (statt auf Jenseitsversprechen zu hoffen) – trotzdem ist doch das Diesseits die einzige Wirklichkeit, die für das menschliche Leben tatsächlich von Bedeutung ist.

Oder, mit Epikur gesprochen:

  • „Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.“ – Brief an Menoikeus, 125

[…] „Dieses ‚Stopp‘ ist ganz wichtig, damit wir in dieser Zeit nicht mehr Dinge tun, die zwar schön sind, aber uns nicht gut tun“, erklärte Wolf den Schülern.

Zur Rubrik „Dinge, die zwar schön sind, aber uns nicht gut tun“ fällt mir sofort etwas ein, was ich genau so bezeichnen würde: Religiöser Glauben. Glaube kann zwar vielleicht scheinbar schön sein, aber er tut nicht gut. Zur Verdeutlichung dieses Umstandes wird oft der Vergleich mit Heroin oder Alkohol genannt.

Schülernah erklärte er, was Fastenzeit eigentlich bedeutet – nämlich nicht einfach Verzicht, sondern auch eine Öffnung, ein Zugehen auf andere. „Es geht um die Reise in die Seele“, sagte er.

Was hat denn „Zugehen auf andere“ mit einer „Reise in die Seele“ zu tun? Natürlich ist es immer wünschenswert und sinnvoll, auf andere zuzugehen, nicht nur vor Feiertagen bestimmter Religionen. Aufeinander zugehen ist eine ganz reale, natürliche Angelegenheit, zu der keine Seelenreisen (was auch immer damit gemeint sein soll) erforderlich sind.

Altruismus und Empathie sind rein natürliche Fähigkeiten, die wir nachweislich der Evolution zu verdanken haben. Am besten können wir auf Menschen zugehen, wenn wir uns unserer eigenen Fähigkeit dazu bewusst sind, statt in fiktiven Seelenwelten umherzureisen und nach angeblichen Göttern zu suchen, die, sollte es sie wirlich geben, jedenfalls noch niemals seriös nachweisbar in Erscheinung getreten sind und deshalb auch keine reale Rolle spielen.

Statt das Smartphone zu streicheln, sollten die Jugendlichen mit anderen Menschen sprechen.

…oder auch mal andere Jugendliche streicheln? Ernsthaft: Tatsächlich dürfte der Haupteinsatzzweck von Smartphones die Kommunikation mit anderen Menschen sein, auch wenn diese „Gespräche“ heute überwiegend nicht mehr fernmündlich, sondern schriftlich oder bildlich erfolgen. Insofern ist es widersprüchlich, einerseits zu Kommunikation aufzufordern, diese aber andererseits als Laster zu bezeichnen.

Viele nahmen das Angebot aus Überzeugung, Wunsch oder Traditionsbewusstsein an.

Ist das eine Vermutung, oder wurden die Jugendlichen dazu befragt? Ich vermute eher, dass für viele Kinder und Jugendliche der Gruppenzwang in Verbindung mit einer religiösen Indoktrination der eigentliche Hauptgrund zur Teilnahme war, auch wenn sie das wahrscheinlich nicht einräumen würden.

Sie alle tragen, als sie den Dom verlassen, ein schwarzes Kreuz auf der Stirn und ein Lächeln im Gesicht.

Ein Lächeln, weil sie stolz darauf sind, die symbolische Darstellung eines vormittelalterlichen Todesfolterungsgerätes aus Asche auf der Stirn zu tragen? Kommt das nur mir verstörend vor?

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel, veröffentlicht von Osthessennews.

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