25 Jahre „Schindlers Liste“ – Das Wort zum Wort zum Sonntag über Oskar Schindler, verkündigt von Pfarrer Benedikt Welter, veröffentlicht am 26.01.2019 von ARD/daserste.de
[…] Es ist Spielberg gelungen. In Deutschland haben sich damals sechs Millionen Menschen Schindlers Liste angeschaut. Und waren – wie ich – zutiefst bewegt. Die Geschichte des deutschen Industriellen Oskar Schindler: er war ein Kriegsgewinnler; und doch hat er außerdem mit vielen Tricks ungefähr 1200 jüdischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern das Leben gerettet.*
Darüber, was Oskar Schindler dazu bewegt hatte, unter großem finanziellen und Einsatz seines eigenen Lebens etwa 1200 Menschen vor dem sicheren Tod zu bewahren, wird bis heute spekuliert.
Nach eigener Aussage war für ihn zum Beispiel die Religionszugehörigkeit kein Kriterium. Ihm ging es darum, seine Möglichkeiten zu nutzen, um Menschenleben zu retten. Er handelte um der Menschen willen.
A propos „mit vielen Tricks“:
Hätte sich der römisch-katholisch erzogene, später aber kaum noch erkennbar religiöse Schindler an den biblisch-christlichen 10 Geboten orientiert, dann hätte er zumindest gegen das Gebot „Du sollst nicht lügen“ verstoßen müssen, um die Ermordung von über tausend Menschen verhindern zu können.
Darüber, dass es in diesem Fall ethisch richtig war, die Rettung von Menschenleben über angeblich göttliche Gebote zu stellen, besteht sicher kein Zweifel.
Und doch zeigt sich gerade an diesem Beispiel, dass dieses Gebot aus heutiger Sicht nicht mehr taugt. Weil es eben durchaus Situationen geben kann, in denen Lügen gerechtfertigt sind. Gleiches gilt auch für die restlichen der 10 biblischen Gebote.
Nein, Oskar Schindler durfte nicht die Wahrheit sagen, wenn seine lebensgefährlichen Befreiungsaktionen erfolgreich sein sollten. Er hätte damit nicht nur das Leben der Befreiten, sondern auch sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt – und mit größter Sicherheit verloren.
Zur Not tuts auch mal der Talmud
Auf diesen Aspekt geht Herr Welter nicht ein. Statt eines Bibelsprüchleins findet sich aber wenigstens ein Filmzitat mit direktem religiösem Bezug:
Ben Kingsley spielt den jüdischen Sekretär Itzhak Stern. Der hält dem Filmhelden Oskar Schindler die Liste mit den Namen hin und sagt nur trocken: „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.“ – ein Satz aus dem jüdischen Talmud (Babylonischer Talmud Traktat Sanhedrin 37a)
Den gleichen Satz findet man auch im Koran; warum die fünfte Sure allerdings nicht als Beleg für die Friedfertigkeit des Korans taugt, kann man hier nachlesen.
Gerne hätte ich mir auch den Kontext im Talmud angeschaut, um die Aussage besser einordnen zu können. Allerdings scheint keine deutsche Übersetzung dieses Textes online verfügbar zu sein. Falls jemand aus der geneigten Leserschaft hier weiterhelfen kann, bin ich für einen Hinweis dankbar.
Denn leider bleibt das Zitat bei Herrn Welter unkommentiert. Der Zuschauer erfährt nicht, was Herr Pfarrer seinem Publikum damit eigentlich konkret mitteilen möchte.
Das legt die Vermutung nahe, dass es in erster Linie darum ging, wenigstens irgendetwas Religiöses in seiner Verkündigung unterzubringen. Schließlich ist das „Wort zum Sonntag“ ja eine religiöse Dauerwerbesendung.
Wichtiger Beitrag zur Erinnerung
[…] Ja, so habe ich es damals auch empfunden: nach diesem Film wird doch keiner mehr wagen, zu leugnen, dass es dieses Verbrechen gegeben hat, das wir „Holocaust“ oder „Shoah“ nennen: das mit industrieller Akribie veranstaltete Aufspüren, Deportieren und Vernichten von Menschen, deshalb, weil sie Juden waren. […]
Keine Frage: Dieser Film leistet sicher bis heute einen wichtigen Beitrag, die Schrecken des Holocaust vor dem Vergessen zu bewahren.
Wohingegen freilich ein Holocaust-Leugner einen Spielfilm wohl kaum als Beweis für die Historizität dieser unvorstellbar grauenvollen Geschehnisse anerkennen würde. Deshalb halte ich es für unerlässlich, diese Erinnerung auch in anderer Form aufrecht zu erhalten.
Gegenwärtig zeigt sich einmal mehr, wie brandgefährlich es ist, wenn Menschen unbewiesene Behauptungen blind glauben. Wenn diese nur ihre Ängste bedienen und ihre Wünsche und Hoffnungen zu befriedigen scheinen. Und zwar selbst dann noch, wenn sie diese Behauptungen eigentlich schon als nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmend durchschaut haben.
Deshalb halte ich es für äußerst kritikwürdig, wenn Menschen (oft schon vom Kleinkindalter an) dazu erzogen werden, dass dieses Glauben, also das Fürwahrhalten von nicht belegbaren Behauptungen sinnvoll und sogar noch besonders tugendhaft sei. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um politische oder um religiöse Ideologien handelt.
Religion spielte für Schindler keine Rolle
Vor allem deshalb. „Nicht alle Opfer waren Juden. Aber alle Juden waren Opfer“ – so hat Ignatz Bubis es einmal formuliert, der verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Wie oben schon angedeutet: Laut eigener Aussage war die Religionszugehörigkeit für Oskar Schindler wohl kein relevantes Kriterium:
- Ein Überlebender von Schindler, Murray Pantirer, gründete nach dem Krieg eine Baufirma und hat inzwischen 25 Straßen in New Jersey dem Andenken von Oskar Schindler gewidmet. Im Laufe der Jahre blieb die große Frage immer bestehen: Warum? Was veranlasste Schindler, so zu handeln, wie er es tat, unter enormer Gefahr für sich selbst? Pantirer denkt, er hat die Antwort:
- „Er kam einmal zu mir nach Hause, und ich stellte ihm eine Flasche Cognac hin, und er trank sie in während dieses Treffens leer. Als seine Augen flackerten – er war nicht betrunken – sagte ich, dies sei die Zeit, ihm die Frage zu stellen: „Warum“? Seine Antwort war: „Ich war ein Nazi, und ich glaubte, dass die Deutschen Unrecht taten…. als sie anfingen, unschuldige Menschen zu töten – und es bedeutete mir nichts, dass sie Juden waren, für mich waren sie nur Menschen, Männer -, entschied ich, dass ich gegen sie arbeiten werde, und ich werde so viele wie möglich retten“. Und ich denke, dass Oskar die Wahrheit gesagt hat, denn so war er.“ (Quelle: oskarschindler.dk, übersetzt mit Hilfe von DeepL.com)
Auf die Taten kommt es an
Diese Frage mag auf den ersten Blick banal erscheinen: Was will Pfarrer Welter seinem Publikum mit seinem heutigen „Wort zum Sonntag“ über Oskar Schindler eigentlich mitteilen?
Dass auch ein nicht dediziert religiös motivierter Mensch durch sein Verhalten ein gutes Beispiel für humanitäres Handeln sein kann? Oder dass es in bestimmten Fällen ethisch richtiger sein kann, sich eben nicht an den biblischen 10 Geboten zu orientieren? Sondern an der Würde und Freiheit des Menschen? Dass der liebe Gott keinen Grund oder keine Möglichkeit hatte, den Holocaust und unzähliges anderes Leid zu vermeiden?
Andererseits ist es schon auch nachvollziehbar, dass Herr Welter über Oskar Schindler berichtet. Und nicht aus der Geschichte der katholischen Kirche während der Zeit des Nationalsozialismus.
Denn abgesehen von den Christen, die von den Nazis verfolgt und ermordet worden waren und abgesehen von den vergleichsweise wenigen Klerikern, die sich öffentlich gegen die Nazidiktatur gestellt hatten, ist die Rolle der christlichen Kirchen im 3. Reich keinesfalls etwas, woran man kirchlicherseits heute noch gerne erinnert werden möchte.
Geschweige denn etwas, woran man selbst erinnert, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. Diese Erinnerung übernehmen deshalb wir, bzw. Karlheinz Deschner:
Unliebsame Erinnerungen
Das alles andere als ethisch vorbildliche Verhalten der christlichen Kirchen während der Nazidiktatur und auch noch darüber hinaus ist umfassend dokumentiert. Von Anfang an hatten gerade, aber nicht nur die hochrangigen Kirchenvertreter keinen Hehl daraus gemacht, willfährige Unterstützer des erstarkenden Nationalsozialismus zu sein. Und Hitler hatte es verstanden, auch die christlichen Massen für seine Ideologie zu begeistern.
Nach Ende des 2. Weltkrieges spannten Kirchenfunktionäre ihre christliche „moralischen Richtschnur“ entlang der so genannten Rattenlinien. Und markierten so die Wege, auf denen sie Naziverbrechern zur Flucht verhalfen, um einer Verurteilung entgehen zu können. Gott wollte es so. Wiedermal.
Die christliche Lehre war offensichtlich bestens geeignet, vom Katholik Hitler für dessen Zwecke instrumentalisiert zu werden. Und natürlich profitierte auch die Kirche von dieser Allianz – und tut es in etlichen Bereichen bis heute.
Warum muß der Katholik die Reichtagsliste Adolf Hitlers wählen?
Ein Propagandaplakat von 1933 fasste die Gründe, warum der Katholik die Reichstagsliste Adolf Hitlers wählen müsse wie folgt zusammen:
- Warum muß der Katholik die Reichtagsliste Adolf Hitlers wählen?
Weil im nationalsozialistischen Staat an sich und durch das Reichskonkordat 1. die Religion geschützt ist, 2. der kirchliche Frieden gesichert ist, 3. die öffentliche Sittlichkeit gewahrt bleibt, 4. der Sonntag geheiligt wird [die Bolschewisten hatten den Sonntag in der Sowjetunion abgeschafft], 5. die Bekenntnisschule erhalten ist, 6. das katholische Gewissen nicht mehr belastet ist, 7. der Katholik vor dem Gesetz und im Staatsleben gleichberechtigt ist, 8. die katholischen Vereine und Verbände, soweit sie ausschließlich religiösen, charitativen und kulturellen Zwecken dienen, frei arbeiten können. Deshalb muß der Katholik am 12. Nov. so wählen: Volksabstimmung > Ja X < Adolf Hitler. (Quelle: Lebendiges Museum Online – Abschrift eines Propagandaplakates zu den Reichstagswahlen vom 12.11.1933)
Holocaust-Theologie: Gescheiterte Bewältigungsstrategien
Und schließlich noch ein letzter Aspekt, an den in einer religiösen Verkündigungssendung sehr wahrscheinlich nie erinnert wird: Der Glaube an einen allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gott ist redlicherweise nicht mit der Realität des Leides emfpindungsfähiger Lebewesen vereinbar. Und natürlich schon gar nicht mit dem unvorstellbaren Leid, das Menschen durch den Holocaust erlitten haben.
In einem Beitrag mit dem Titel „Wo war Gott in Auschwitz?“ auf deutschlandfunk.de beschreibt Jens Rosbach, wie zum Beispiel orthodoxe oder liberale Juden mit dieser Frage umgehen. Allerdings gelingt es bei objektiver Betrachtung der „Holocaust-Theologie“ nicht, diese Frage schlüssig bzw. glaub-würdig zu bewältigen.
Aus einem Interview mit dem Holocaust-Überlebenden David Levin in der Berliner Zeitung stammt dieses Zitat:
- Frage: Gab es Menschen im Lager, die noch gläubig waren und gebetet haben?
- Antwort: Ja, oh ja. Auch ich habe zum Anfang noch gebetet, was ich so auswendig konnte. Ich wurde ja sehr fromm erzogen. Aber nachher habe ich mir gesagt, weg mit dem Mist, es gibt keinen Gott.
(Quelle: Berliner Zeitung: Holocaust-Überlebender David Levin „Es gibt keinen Gott“ )
Göttliche Moral auf dem Prüfstand
Ich fände es mal interessant zu erfahren, wie Herr Welter folgende Frage beantworten würde:
Wenn sich Gott an sein von ihm geoffenbartes biblisches Wort (vgl. z. B. Mk 16,16) hält, dann müsste der Katholik Hitler heute im Himmel sein. Und Oskar Schindler, für den sein Glaube sowie mehrere der biblischen Gebote wohl keine Rolle gespielt haben, in der Hölle.
Ist das so und wenn ja: Was sagt das über die moralischen Standards dieses Gottes aus? Und wenn es nicht so sein sollte: Warum nicht?
*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag über Oskar Schindler.
Die Argumente sind nachvollziehbar. Sie würden gewinnen, wenn sie deutlich kürzer wären.
Viel Erfolg!
Vielen Dank für den Hinweis – die Ausführlichkeit der Argumentation ist immer eine Abwägung zwischen gut lesbar und hinreichend erklärt und begründet. Wir arbeiten daran!