Kommentar zu NACHGEDACHT 172: Man und frau…

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Kommentar zu NACHGEDACHT 172: Man und frau…, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 24.04.16 von Osthessennews

Auch wenn die heutige Überschrift vielleicht zunächst etwas anderes vermuten lassen könnte (zumal auch gleich zu Beginn ein Biologielehrer eine Rolle spielt), geht es diesmal um ein rein sprachliches Thema.

Unklar ist, ob der Beitrag absichtlich oder aus Versehen nicht, wie die 171 NACHGEDACHT-Beiträge vorher, unter der Rubrik „Kirche“ veröffentlicht wurde.

Dieses kleine Wörtchen [man] hielt er [der Biologielehrer] in unserem weiblichen Kontext für unsinnig.*

Da war oder ist der Biologielehrer der Mädchenschule offenbar ein Fürsprecher der feministischen Sprachkritik:

Die feministische Sprachkritik hat als Alternative zum Pronomen man aus folgenden Gründen das Pronomen frau kreiert:

  1. man ist grammatisch betrachtet maskulin und wird darum unweigerlich eher mit männlichen als weiblichen Referenten assoziiert, ist also mitnichten geschlechtsneutral.
  2. man ist auch aufgrund der Homophonie mit dem Substantiv Mann ungeeignet zur Referenz auf Personen jedweden Geschlechts.
    Für das Alternativpronomen mensch gilt zumindest Argument 1 ebenfalls.
    (Quelle: Wikipedia)
    **

Allerdings ist die genaue Wortherkunft bis heute nicht eindeutig erklärt, somit muss „man“ nicht zwangsläufig feministisch und negativ zu verstehen sein.

Eine in diesem Zusammenhang interessante Definition ist Heideggers Begriff des Man:

Verfallenheit und Eigentlichkeit: Das Man

Martin Heidegger Gedenktafel
Martin Heidegger Gedenktafel***

Mit dem Begriff des Man fasst Heidegger den kulturellen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergrund des Daseins. Der Mensch ist als kulturelles Wesen stets auf ein Überlieferungsgeschehen angewiesen und durch dieses bestimmt. Die Summe der kulturellen und gesellschaftlichen Normen und Verhaltensweisen nennt Heidegger Faktizität. Von ihnen kann niemals abgesehen werden, da sie wesentlich zum Mensch als kulturellem Wesen gehören. Einerseits befähigt erst die Kultur den Menschen, gewisse Dinge zu tun, und ermöglicht ihm so seine Freiheit; andererseits kann es aber auch sein, dass er durch die eigene Kultur in Denken und Handeln vorbestimmt wird, ohne dass ihm dies bewusst wird. Das Dasein ist dann den vorgegebenen Verhaltensmustern und Anschauungen ausgeliefert. Diesen Zustand des Ausgeliefertseins bezeichnet Heidegger als uneigentliche Existenz.

Der Zustand der Uneigentlichkeit ist dabei für Heidegger der durchschnittliche Ausgangszustand des Menschen. So ist das Dasein notwendigerweise durch die kulturellen und öffentlichen Verhaltensangebote bestimmt. Diese nehmen dem Dasein sein eigentliches Sein ab; Dasein steht in der Botmäßigkeit der Anderen. Die Anderen sind hierbei niemand Spezielles, und so lautet die Antwort auf die Frage, wer das Dasein in seiner Alltäglichkeit ist: das Man.

  • „Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man urteilt; wir ziehen uns aber auch vom ‚großen Haufen‘ zurück, wie man sich zurückzieht.“

Das Man wacht über jede sich vordrängende Ausnahme:

  • „Alles Ursprüngliche ist über Nacht als längst bekannt geglättet. Alles Erkämpfte wird handlich. Jedes Geheimnis verliert seine Kraft. Die Sorge der Durchschnittlichkeit enthüllt wieder eine wesenhafte Tendenz des Daseins, die wir die Einebnung nennen wollen“. (S. 127) […]

(Quelle: Wikipedia)

Aber ich glaube, dass das Wort nicht nur im Kontext einer Mädchenschule wenig Sinn macht.

Wenn es in der liberal-theologischen Kolumne heute schon um das Thema Sprachgebrauch gehen soll: „Sinn machen“ wird oft von Kritikern als Beispiel für „Denglisch“, also für eine (angeblich falsche) Eindeutschung der englischen Formulierung „to make sense“ bemängelt. Die richtige Formulierung müsste „es ergibt Sinn“ lauten. Wikipedia weiß hierzu:

Ein häufig angeführtes Beispiel für Denglisch ist „Sinn machen“, wie es z. B. vom Sachbuchautor Bastian Sick angeführt wird. Es kann jedoch gezeigt werden, dass Dinge schon seit langer Zeit „Sinn machen“[5][6]. Die Vermutung der Übernahme aus dem Englischen ist damit zumindest fragwürdig, wenn nicht falsch. Dieses Beispiel weist damit Merkmale einer volksetymologischen Deutung auf.
(Quelle: Wikipedia)

Beachtenswert ist außerdem auch die unterschiedliche Bedeutung von „ich glaube“, je nachdem, in welchem Zusammenhang geglaubt wird.

Das kleine Wörtchen dient allzu oft für uns nur als Ersatzwort, wenn wir nicht das genaue Subjekt nennen möchten.

Und die Verallgemeinerung mit „wir“ dient dazu, einer Aussage mehr Gewicht zu verleihen, indem man den Leser in den Gültigkeitsbereich der Aussage ungefragt einbezieht. Das kann man natürlich machen, allerdings sollte man diese Formulierung wirklich nur dann verwenden, wenn es sich um Aussagen handelt, bei denen man sicher davon ausgehen kann, dass sie tatsächlich auch für alle anderen Menschen zutreffen. Demzufolge wäre die Aussage: „Wir alle sind aus Sternenstaub“ zutreffend, „Wir alle glauben an Gott.“ jedoch nicht.

„Man“ wird auch oft verwendet, um eine Behauptung als allgemein anerkannt, einer gesellschaftlichen Norm entsprechend darzustellen („Das gehört sich nicht“). Wer das tut, bezieht sich absichtlich nicht explizit auf den angesprochenen Gesprächspartner, sondern er (oder sie) versucht, die Gültigkeit seiner (oder ihrer) Behauptung mit einer gesellschaftlichen Norm zu untermauern, die durch ein verallgemeinerndes „man“ zum Ausdruck gebracht werden kann.

Allerdings müssen wir Menschen meistens direkt angesprochen werden, damit wir wissen, dass genau wir gemeint sind.

Und selbst wenn man Menschen ganz gezielt persönlich anspricht, so garantiert das noch lange nicht, dass diese Menschen auch wahrhaben wollen, dass tatsächlich sie und keine allgemeine „man“ oder „frau“ gemeint sind.

Abschließend noch eine man-Erkenntnis von Jean Meslier:

  • „…so muss man notwendig anerkennen, dass die Materie ihr Sein und ihre Bewegung aus sich selbst hat und es unnütz ist, auf die Existenz eines allmächtigen Gottes zurückzugreifen, den es nicht gibt und der auch gar nichts machen könnte, wenn es ihn gäbe…“
    – Jean Meslier (1664 – 1729),
    Priester, Philosoph, Atheist und Frühaufklärer

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.

**Wir haben keinen materiellen Nutzen von der Einbettung oder Verlinkung von Inhalten oder von Buchtipps. Inhalte von Wikipedia werden unter der Lizenz Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Unported (CC-by-sa-3.0) verwendet.

***Martin Heidegger Gedenktafel – Photo: Andreas Praefcke (Own work (own photograph)) [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons

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