Public praying in Berlin: Holzwegdialoge und Liebeslüge

Lesezeit: ~ 5 Min.

Kommentar zu: Public Praying in Berlin, Originalartikel verfasst von Sigrid Kneist, veröffentlicht am 7.7.2016 von tagesspiegel.de

Am Sonntag findet ein Festival der Religionen statt. SPD-Fraktionschef Saleh plädiert für mehr interreligiöse Verständigung. Los geht’s mit buntem Programm. […] Laut Veranstalter sind mehr als ein Dutzend Glaubensrichtungen an dem Tag präsent.*

Ein gemeinsames Fest verschiedener Religionsrichtungen ändert nichts an der Tatsache, dass praktisch alle Religionen auf Abgrenzung aufbauen. Allen voran sind hier die monotheistischen Religionen wie das Christentum zu nennen. Hier steht ein angeblich allmächtiger und einziger Gott an oberster Stelle. Nur wer sich diesem Gott unterordnet, hat überhaupt nur eine Chance auf „Erlösung.“ Un- und Andersgläubigen drohen zeitlich unbegrenzte, postmortale Höllenqualen.

  • Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen. (Quelle: Matthäus 10,33 EU)
  • Er aber wird erwidern: Ich sage euch, ich weiß nicht, woher ihr seid. Weg von mir, ihr habt alle Unrecht getan! Da werdet ihr heulen und mit den Zähnen knirschen, wenn ihr seht, dass Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes sind, ihr selbst aber ausgeschlossen seid. (Quelle: Lukas 13, 27-28 EU)

Vererbtes Elend

Wer möchte, findet in der Bibel auch die ausdrückliche Aufforderung, nicht auf Anhänger anderer Religionen, Kulte und Sekten zuzugehen. Nur die eigenen Schafe sollen zurück in die Herde getrieben werden:

  • Diese Zwölf sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht nicht zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter, sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe. (Quelle: Matthäus 10, 5-7 EU)

Auch wenn diese, verglichen mit unseren heutigen ethischen Standards katastrophalen Belohnungs-/Bestrafungsmoralismen Gläubigen nur noch peinlich sein können, müssen Christen dieses vererbte Elend tragen und ertragen, solange sie an der Bibel als übergeordnete Wahrheitsquelle festhalten.

Love has nothing to do with Religion

Auf dem Bild zum Artikel halten Vertreter dreier unterschiedlicher Holzwege zum public praying ein Schild hoch mit der Aufschrift:

The common motivation of all of our Religions is LOVE

Hier kommt einem unweigerlich das diesbezügliche Zitat von Madonna in den Sinn. Es ist kaum vorstellbar, dass die Religionsdiener mit den Kriminalgeschichten ihrer Religionen so wenig vertraut sind, dass sie tatsächlich ernsthaft meinen könnten, diese Aussage entspräche auch nur im Entferntesten der Faktenlage.

Deshalb liegt der Verdacht nahe, dass es sich hierbei bestenfalls um einen naiven Wunsch, realistisch gesehen aber nur um eine ganz gewöhnliche, dreiste Lüge handelt. Selbst wenn man den Leuten zugute halten könnte, dass sie persönlich sich vielleicht sogar wirklich für Liebe einsetzen möchten, so ist dennoch die Motivation aller Religionen ganz sicher nicht Liebe. Nur zwei von quasi beliebig vermehrbaren Beispielen aus dem Christentum ([Ergänzungen] und Hervorhebungen von mir):

  • [Jesus sagt:] Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. (Quelle: Matthäus 10,34-38 EU)
  • Sie werden an dem Tag, den ich herbeiführe – spricht der Herr der Heere -, mein besonderes Eigentum sein. Ich werde gut zu ihnen sein, wie ein Mann gut ist zu seinem Sohn, der ihm dient. Dann werdet ihr wieder den Unterschied sehen zwischen dem Gerechten und dem, der Unrecht tut, zwischen dem, der Gott dient, und dem, der ihm nicht dient [=Un- und Andersgläubige]. Denn seht, der Tag kommt, er brennt wie ein Ofen: Da werden alle Überheblichen und Frevler [Un- und Andersgläubige] zu Spreu und der Tag, der kommt, wird sie verbrennen, spricht der Herr der Heere. Weder Wurzel noch Zweig wird ihnen bleiben. (Quelle: Maleachi 3, 17-19 EU)
public praying
Love has nothing to do with religion

Liebe lässt sich aus der Bibel bestenfalls herausdestillieren, wenn man den die biblische Gesamtaussage ignoriert. Und selbst aus der kleinen, verbleibenden Legierung mit halbwegs vertretbaren moralischen Standards muss noch gezielt herausgepickt werden, um „Liebe“ zu bekommen. In den meisten Fällen bezieht sich biblische Liebe auf die Liebe zu Gott.

Und natürlich sollten Vertreter von Religionen, die sich anmaßen, allen (!) Menschen vorschreiben zu wollen, wie deren Liebe auszusehen hat und wie nicht, zu diesem Thema am besten einfach – salopp ausgedrückt – die Klappe halten. Besonders lächerlich machen sich erwachsene Männer, denen ihre Religion vorschreibt, zölibatär zu leben, wenn sie ihre Meinung zum Thema Liebe verkünden.

Bibel untersagt ausdrücklich „Public praying“

Religionsanhänger, die angeben, sich nach der Bibel zu richten, dürfen konsequenterweise am „public praying“ nicht teilnehmen. Beten, um gesehen zu werden, wird nämlich im „Wort Gottes“ ausdrücklich untersagt:

  •  Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler. Sie stellen sich beim Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten. Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet. (Quelle: Matthäus 6,5-8 EU)

Dieser Abschnitt untersagt nicht nur ganz unmissverständlich und ausdrücklich public praying. Er liefert auch gleich noch eine einfach zu erkennende Logikfalle: Wenn Gott weiß, was wir brauchen, noch bevor wir ihn darum gebeten haben, dann bedeutet das, dass Gott ein Sadist ist. Ein fieser Quäler, der zwar einerseits weiß, was Menschen brauchen und der ihnen aber trotzdem kein Leid erspart. Dem naiven Wunschbild vom „lieben Gott“ entspricht ein solches Verhalten jedenfalls nicht…

public praying – public faking

Abgesehen von dieser geheuchelten Liebesbekundung wirft der so genannte interreligiöse Dialog jede Menge Fragen auf. Warum zum Beispiel scheinen alle Religionen darauf zu verzichten, mit Vertretern der realen, natürlichen Wirklichkeit in Dialog zu treten? Also mit den Menschen, die nicht in einer um erfundene Geister und Götter erweiterten Scheinwirklichkeit leben?

Wie stellen sich Vertreter von monotheistischen Religionen mit apostolischem Auftrag eine Koexistenz mit anderen Religionen vor, die dasselbe Ziel im Namen eines anderen Gottes verfolgen? Wenn es den Christen schon nicht mal gelingt, die innere Spaltung ihrer Kirche zu überwinden? Wann werden Religionsanhänger erkennen, dass es vollig egal ist, wer den besseren imaginären Freund hat? Dass die heutige Wirklichkeit ganz andere, sehr reale Herausforderungen bereithält als die, die ein primitives Wüstenvolk im Vormittelalter zu bewältigen hatte?

Dass die Zeiten, in denen man erfundene Phantasiewesen (bzw. deren unergründlichen angeblichen Willen) verantwortlich machen oder sie um etwas bitten konnte, vorbei sind? Dass Religionen keine Antworten mehr geben können, weil sie sich nun mal nicht an die natürliche Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts halten? Das „Glauben“ keine geeignete Methode ist, um brauchbare Erkenntnisse zu gewinnen oder um reale Probleme zu lösen?

Natürlich ist es trotzdem grundsätzlich sicher begrüßenswert, wenn Menschen aufeinander zugehen. Dabei sollten sie aber auf heuchlerische Märchen wie das von der vereinenden religiösen Liebe verzichten. Ein solches Treffen wäre dann vergleichbar mit einem gemeinsamen Kongress der Donaldisten, Harry-Potter-Freunde™, und StarWars™-Fans. Oder ein gemeinsames Fest der Schützen-, Trachten- und Gesangsvereine unter Beteilung der Feuerwehr und der Blaskapelle. Aufs „public praying“ könnte getrost verzichtet werden.

Denn das, was alle theistischen Religionen tatsächlich eint, ist die Tatsache, dass noch keiner der vielen tausend erdachten Götter jemals auch nur ein Gebet seriös belegbar erhört hätte.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.
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